Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Pressemitteilung
C-158/14;
Verkündet am: 
 14.03.2017
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts können "terroristische Handlungen" darstellen
Leitsatz des Gerichts:
Der Umstand, dass die Handlungen der „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ Aktivitäten von Streitkräften darstellen könnten, beeinträchtigt die Gültigkeit der Rechtsakte der Union zu ihrer Aufnahme in die Liste betreffend das Einfrieren von Geldern nicht
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Den niederländischen Behörden zufolge beschafften A, B, C und D Mittel für die „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (Befreiungstiger von Tamil Eelam, LTTE), eine Organisation, die einen Bürgerkrieg gegen die sri-lankische Regierung geführt hat, um im Norden und Osten von Sri Lanka einen unabhängigen Staat für das tamilische Volk zu errichten, und die von der Europäischen Union während eines Zeitraums von ungefähr zehn Jahren als „terroristisch“ eingestuft wurde.

Nach den niederländischen Vorschriften zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen stuften die niederländischen Behörden A, B, C und D als Personen ein, gegen die restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zur Anwendung kommen. Dies hatte zur Folge, dass ihre finanziellen Ressourcen eingefroren wurden. In diesem Rahmen stuften die niederländischen Behörden die LTTE als terroristische Vereinigung ein. Diese Entscheidung erging unter Berücksichtigung einer Durchführungsverordnung des Rates der Union aus dem Jahr 2010, die die LTTE auf einer Liste von Vereinigungen beließ, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind und gegen die restriktive Maßnahmen zur Anwendung kommen1.

Mit ihrer Klage vor den niederländischen Gerichten machten A, B, C und D geltend, dass diese Verordnung ungültig sei, weil die Handlungen der LTTE keine terroristischen Handlungen seien. In den LTTE seien vielmehr nicht staatliche Streitkräfte zu sehen, die an einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt in Sri Lanka beteiligt gewesen seien. Folglich finde auf ihre Handlungen allein das humanitäre Völkerrecht Anwendung und nicht die EU-Regelungen oder internationale Regelungen zur Bekämpfung des Terrorismus. Die Europäische Union habe somit Anschläge und Entführungen, die die LTTE in der Zeit von 2005 bis 2009 verübt hätten, fälschlicherweise als „terroristische Handlungen“ angesehen, die die Aufnahme der LTTE in eine EU-Liste von an terroristischen Handlungen beteiligten Organisationen rechtfertige.

Der in letzter Instanz angerufene Raad van State (niederländischer Staatsrat) befragt den Gerichtshof u. a. zur Definition des Begriffs „terroristische Handlungen“. Er möchte insbesondere wissen, ob mögliche Abweichungen zwischen dieser Definition im Unionsrech und im Völkerrecht Auswirkungen auf die Gültigkeit der fraglichen Verordnung haben können. Nach der Auffassung des Raad van State besteht nämlich international Einvernehmen darüber, dass die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts nicht als terroristische Aktivitäten anzusehen seien.

In seinem heutigen Urteil bezieht sich der Gerichtshof zunächst auf seine Rechtsprechung, nach der eine Verordnung, die restriktive Maßnahmen vorsieht, im Licht des historischen Kontexts auszulegen ist.

Die fraglichen Rechtsakte der EU2 dienen der Umsetzung der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die nach den am 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten verübtenv Terroranschlägen verabschiedet wurde. Sie sind hauptsächlich darauf gerichtet, terroristische Handlungen durch den Erlass von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern zu verhüten, um u. a. die Finanzierung von Personen oder Organisationen, die terroristische Handlungen begehen könnten, zu verhindern. Die Bestimmung der Personen und Organisationen, die in die Liste aufzunehmen sind, stellt in diesem Zusammenhang keine Sanktion dar, sondern eine präventive Maßnahme.

Der Gerichtshof ist ferner der Auffassung, dass das Völkergewohnheitsrecht einer Einstufung der Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten als „terroristische Handlungen“ nicht entgegensteht. Insoweit betont er, dass das humanitäre Völkerrecht Ziele verfolgt, die sich von denen des Unionsrechts unterscheiden.

Auch wenn im Übrigen bestimmte völkerrechtliche Übereinkünfte, auf die sich der Raad van State bezieht, die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts von ihrem Anwendungsbereich ausnehmen, verbieten sie es den Vertragsstaaten nicht, bestimmte dieser Aktivitäten als terroristische Handlungen einzustufen oder die Begehung solcher Handlungen zu verhindern.

Folglich entscheidet der Gerichtshof, dass die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten im Sinne des humanitären Völkerrechts „terroristische Handlungen“ im Sinne des Unionsrechts darstellen können.

-----------
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
-------------
1Durchführungsverordnung (EU) Nr. 610/2010 des Rates vom 12. Juli 2010 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1285/2009 (ABl. 2010, L 178, S. 1).
2Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. 2001, L 344, S. 93); Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. 2001, L 344, S. 70).
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).