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Text des Beschlusses
1 Ws Reha 28/11;
Verkündet am: 
 25.11.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
Reha 72/09
Landgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Handelte es sich bei einer Einweisung in die Psychiatrie nicht um einen Akt politischer Verfolgung des Betroffenen, ist zu prüfen, ob die Einweisung anderen sachfremden Zwecken diente
Leitsatz des Gerichts:
StrRehaG §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1

Handelte es sich bei einer Einweisung in die Psychiatrie nicht um einen Akt politischer Verfolgung des Betroffenen, ist zu prüfen, ob die Einweisung anderen sachfremden Zwecken diente. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn Personen wegen von der Norm abweichenden sozialen Verhaltens – wie etwa Arbeitsscheu, asoziale Lebensweise, Alkoholmissbrauch, Verletzung von Unterhaltspflichten, Querulanz – als gesellschaftlich lästig empfunden und nur deshalb in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurden, ohne im medizinisch fassbaren Sinne geistig oder psychisch krank zu sein.
Die Einweisung nicht zur Behandlung einer psychischen Erkrankung, sondern zur Erziehung des Betroffenen zu gesellschaftlich erwünschtem Verhalten ist sachfremd motiviert.
In dem Rehabilitierungsverfahren
der W-S R,
– Betroffene und Antragstellerin –

hat auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 24.06.2011 der Senat für Rehabilitierungssachen des Thüringer Oberlandesgerichts durch , Richterin am Oberlandesgericht Dr. Arend und Richter am Oberlandesgericht Blaszczak am 25. November 2011 beschlossen:

1. Die Beschwerde wird verworfen.

2. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.



Gründe:


I.

Mit Beschluss vom 24.06.2011 hat das Landgericht Erfurt auf den Rehabilitierungsantrag der Betroffenen, dem die Staatsanwaltschaft Erfurt entgegen getreten ist, das Urteil des Kreisgerichts Erfurt-Mitte vom 09.08.1984 (37 S 86/84 und 335/83) für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit dadurch die Einweisung der Betroffenen in eine psychiatrische Einrichtung angeordnet worden ist.

Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Betroffene in der Zeit vom 22.08.1984 bis zum 02.04.1990 zu Unrecht Freiheitsentziehung in psychiatrischen Einrichtungen erlitten hat.

Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Erfurt am 30.06.2011 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 18.07.2011 beim Landgericht Erfurt eingegangene Beschwerde, der die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft mit Stellungnahme vom 16.08.2011 beigetreten ist.


II.

1. Die Beschwerde ist nach § 13 Abs. 1 und 2 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.

2. In der Sache ist sie jedoch unbegründet. Denn das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Rehabilitierung der Betroffenen zu Recht bejaht.

Nach § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat (Nr. 1) oder die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen (Nr. 2). Nach § 2 Abs. 1 StrRehaG finden die Vorschriften dieses Gesetzes auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung (Satz 1). Dies gilt insbesondere für eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat (Satz 2).

Die – weit auszulegende – Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG erfasst sowohl die Fälle der – wie hier – zwangsweisen Einweisung in eine psychiatrische Anstalt als auch die der Einweisung auf einer scheinbar freiwilligen Grundlage. Sie verfolgt den Zweck, einem durch den Missbrauch der Psychiatrie besonders benachteiligten Personenkreis die Möglichkeit einer Rehabilitierung zu eröffnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2004, 2 BvR 779/04, bei juris). Handelte es sich danach bei einer Einweisung in die Psychiatrie nicht um einen Akt politischer Verfolgung des Betroffenen, ist zu prüfen, ob die Einweisung anderen sachfremden Zwecken diente. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn Personen wegen von der Norm abweichenden sozialen Verhaltens – wie etwa Arbeitsscheu, asoziale Lebensweise, Alkoholmissbrauch, Verletzung von Unterhaltspflichten, Querulanz – als gesellschaftlich lästig empfunden und nur deshalb in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurden, ohne im medizinisch fassbaren Sinne geistig oder psychisch krank zu sein (vgl. Schwarze in: Herzler/Ladner/Peifer/Schwarze/Wende, Rehabilitierung, 2. Aufl. 1997, § 2 Rn. 6).

Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Landgerichts, die Rehabilitierung der Betroffenen sei geboten, weil ihre Einweisung und ihr langjähriger Verbleib in der Psychiatrie sachfremden Zwecken gedient hätten, nicht zu beanstanden. Hierbei hat das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, dass weder das Urteil vom 09.08.1984 noch das diesem zugrunde liegende Gutachten vom 02.07.1984 erkennen lassen, inwieweit der dort als „abnorm“ und „rückständig“ bezeichneten Persönlichkeitsentwicklung der damals 19 Jahre alten Betroffenen Krankheitswert zugekommen sein soll, und gerade das Fehlen konkreter Krankheitsbeschreibungen und fundierter psychiatrischer Diagnosen indizielle Bedeutung für das Vorliegen sachfremder Zwecke hat (vgl. Schwarze a.a.O., § 2 Rn. 10). Dies gilt umso mehr, als – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nach Erstellung eines weiteren Gutachtens vom 14.11.1984 klar war, dass dem nicht normgerechten Verhalten der Betroffenen kein Krankheitswert zukam, sie allenfalls Charaktermängel aufwies und ihre Unterbringung allein aus erzieherischen Gründen zur Nachreifung ihrer Persönlichkeit erfolgte, was auch nach DDR-Recht keinen Unterbringungsgrund darstellte. Ungeachtet dessen verblieb die Betroffene, die in dem gegen sie geführten weiteren Strafverfahren wegen vorsätzlicher Brandstiftung in der psychiatrischen Klinik in M als voll verantwortlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, noch bis zum 02.04.1990 in psychiatrischen Einrichtungen. Auch ist im Urteil vom 09.08.1984 ausdrücklich ausgeführt, dass die Einweisung in die Psychiatrie der „Resozialisierung der Angeklagten mit medizinischen Mitteln dienen“ solle. Auch dies spricht für eine von Anfang an sachfremd motivierte Einweisung nicht zur Behandlung einer psychischen Erkrankung, sondern zur Erziehung der Betroffenen zu gesellschaftlich erwünschtem Verhalten.

3. Die Entscheidung zu den Verfahrenskosten beruht auf § 14 Abs. 1 StrRehaG; hinsichtlich der Auslagen des Betroffenen folgt die Entscheidung aus §3 14 Abs. 4 StrRehaG, 473 Abs. 2 StPO.

Dr. Schwerdtfeger Dr. Arend Blaszczak
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