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Text des Beschlusses
1 Ws 381/11;
Verkündet am: 
 23.08.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
360 Js 17300/10 3 Ns
Landgericht
M;
Rechtskräftig: unbekannt!
Verteidigung, Auswahlrecht des Beschuldigten, Vorschlagsrecht des Beschuldigten, Pflichtverteidiger, Pflichtverteidigung
Leitsatz des Gerichts:
StPO §§ 142 Abs. 1 Satz 1, 309 Abs. 2

Wurde dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO keine Gelegenheit gegeben, einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen, ist der beigeordnete Rechtsanwalt auch dann auf Antrag des Angeklagten zu entpflichten und ein von ihm gewählter Verteidiger beizuordnen, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu dem bisherigen Pflichtverteidiger nicht bestehen.
gegen
S--- S---,

Wahlverteidiger: Rechtsanwalt ----
Pflichtverteidiger: Rechtsanwalt ---

wegen
Pflichtverteidigerbestellung

hat auf die Beschwerde des Angeklagten vom 4.8.2011 gegen den Beschluss des Landgerichts M vom 29.7.2011 der des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 23. August 2011 beschlossen:

1. Der Beschluss des Landgerichts M vom 29.7.2011 wird aufgehoben und dem Angeklagten für die Berufungsinstanz anstelle von Rechtsanwalt Sch Rechtsanwalt K als Pflichtverteidiger beigeordnet.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.



Gründe:


I.

Mit der Anklageschrift vom 14.10.2010 hat die Staatsanwaltschaft M dem Angeklagten versuchten schweren räuberischen Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zur Last gelegt und in der Anklageschrift beantragt, ihm gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO einen Pflichtverteidiger zu bestellen.

Am 26.10.2010 hat das Amtsgericht S die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten verfügt, ohne den in der Verfügung vorgesehenen Zusatz, dass der Angeklagte innerhalb der für die Stellungnahme zur Anklageschrift gesetzten Frist von 2 Wochen einen örtlichen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger vorschlagen könne, anzukreuzen. Mit Beschluss vom 2.11.2010 hat das Amtsgericht S dem Angeklagten Rechtsanwalt --- in S gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet, der dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 22.11.2010 mitgeteilt hat, der Angeklagte habe den vereinbarten Beratungstermin nicht wahrgenommen.

Am 13.4.2011 hat in dieser Sache die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts S stattgefunden, an der Rechtsanwalt Sch als Pflichtverteidiger des Angeklagten teilgenommen hat. Durch das am selben Tag verkündete Urteil hat das Amtsgericht S den Angeklagten des versuchten schweren räuberischen Diebstahls tateinheitlich begangen mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen schuldig gesprochen und ihn deshalb unter Einbeziehung weiterer Straferkenntnisse zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Mit Schriftsatz seines Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Sch vom 18.4.2011, eingegangen beim Amtsgericht an selben Tage, hat der Angeklagte Berufung gegen dieses Urteil eingelegt.

Durch eigenes Schreiben vom 24.5.2011 hat der Angeklagte beantragt, Rechtsanwalt Sch als Pflichtverteidiger zu entlassen und stattdessen Rechtsanwalt K zu seinem Pflichtverteidiger zu bestellen Als Begründung hierfür hat er fehlendes Vertrauen zu Rechtsanwalt Sch angegeben. Mit Schriftsatz vom 22.7.2011 hat sich Rechtsanwalt K für den Angeklagten gemeldet und unter Hinweis auf den bereits vom Angeklagten selbst gestellten Antrag beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt Sch als Pflichtverteidiger des Angeklagten zurückzunehmen und zur Begründung dieses Antrags mit Schriftsatz vom 28.7.2011 weiter ausgeführt.

Mit Beschluss vom 29.7.2011 hat das Landgericht M den Antrag des Angeklagten auf Widerruf der Bestellung von Rechtsanwalt Sch zu seinem Pflichtverteidiger abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Schriftsatz seines Wahlverteidigers, Rechtsanwalt K, vom 4.8.2011 eingelegten Beschwerde und Gegenvorstellung, der das Landgericht M mit Beschluss vom 5.8.2011 nicht abgeholfen, sondern die es dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 11.8.2011 hat der Angeklagte zu der eingelegten Beschwerde weiter ausgeführt.

In ihrer Zuschrift an den Senat vom 15.8.2011 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

den Beschluss des Landgerichts M vom 29.7.2011 aufzuheben und dem Angeklagten Rechtsanwalt --- als Pflichtverteidiger beizuordnen.


II.

1. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig eingelegt.

Allerdings wäre eine im eigenen Namen eingelegte Beschwerde des Wahlverteidigers unzulässig, denn dieser hat gegen die Ablehnung der Entpflichtung des (bisherigen) Pflichtverteidigers und der Beiordnung seiner Person stattdessen kein eigenes Beschwerderecht (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 141 Rdnr. 9 m.w.N.). Vorliegend hat der Wahlverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt K, die Beschwerde aber nicht im eigenen Namen, sondern namens des Angeklagten eingelegt.

Die Erklärung vom 4.8.2011 ist auszulegen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Wahlverteidiger mit Schriftsatz vom 22.7.2011 unter Vollmachtsvorlage angezeigt hat, dass er von dem Angeklagten mit seiner weiteren Vertretung in dem anhängigen Berufungsverfahren beauftragt worden ist. Weil sich diese Vollmacht auf das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss erstreckt und nicht erkennbar ist, dass das Mandatsverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Wahlverteidiger, Rechtsanwalt K, gestört ist, ist davon auszugehen, dass der Wahlverteidiger für den Angeklagten handelt und auch für diesen Rechtsmittel einlegt (siehe § 297 StPO), solange er nicht ausdrücklich im eigenen Namen Erklärungen abgibt (Senatsbeschluss vom 15.8.2011, Az.: 1 Ws 371/11). Daran vermag nichts zu ändern, dass die beantragte Entpflichtung von Rechtsanwalt Sch und die Verpflichtung von Rechtsanwalt K statt seiner auch im wirtschaftlichen Interesse des Wahlverteidigers liegen mag (Senatsbeschluss, a.a.O.).

2. In der Sache hat die Beschwerde den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

Das Amtsgericht hat bei der Auswahl des dem Angeklagten in Person von Rechtsanwalt Sch bestellten Pflichtverteidigers dem Anspruch des Angeklagten auf einen Rechtsbeistand seines Vertrauens nicht im ausreichenden Maße Rechnung getragen. Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO soll dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Verteidigers zunächst Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Dieses Anhörungs- und grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeklagten hat das Amtsgericht nicht beachtet und damit die Bedeutung seines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf einen Vertrauensanwalt außer Acht gelassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.4.2010, Az.: III-4 Ws 163/10, bei juris, m.w.N.). Das Anhörungsrecht ist insbesondere dann verletzt, wenn – wie hier dem Angeklagten – dem Beschuldigten vor der Bestellung keine hinreichende Möglichkeit gegeben worden ist, einen Verteidiger zu benennen (OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).

Ob eine verfahrensfehlerhaft ohne vorherige Anhörung des Beschuldigten erfolgte Beiordnung eines Pflichtverteidigers geheilt wird, wenn sie widerspruchslos bleibt und der Beschuldigte mit dem Pflichtverteidiger über einen längeren Zeitraum vertrauensvoll zusammenarbeitet (vgl. OLG München NJW 2010, 1766 m.w.N.), kann dahinstehen. Bereits die Mitteilung des bisherigen Pflichtverteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt Sch, vom 22.11.2010, wonach der Angeklagte den vereinbarten Beratungstermin nicht wahrgenommen habe, spricht gegen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Angeklagten mit seinem bisherigen Pflichtverteidiger. Dass es nach dem 22.11.2010 dann zu einer solchen gekommen ist, ist nicht zu erkennen.

Fehlt es – wie hier beim Angeklagten - an der gebotenen Mitwirkungsmöglichkeit bei der Auswahl des Verteidigers, ergibt sich hieraus vor dem Hintergrund des Vorrangs der Vertrauensbeziehung, dass nicht an der Bestellung des Pflichtverteidigers festgehalten werden darf. Der beigeordnete Rechtsanwalt ist in diesem Fall auch dann auf Antrag zu entpflichten und ein von dem Beschuldigten gewählter Verteidiger beizuordnen, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu dem bisherigen Pflichtverteidiger nicht bestehen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 2.2.2011, Az.: 2 Ws 50/11, bei juris, m.w.N.).

Danach war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Gemäß § 309 Abs. 2 StPO hat der Senat zugleich die Beiordnung von Rechtsanwalt --- in S aufgehoben und dem zuletzt geäußerten Begehren des Angeklagten entsprechend Rechtsanwalt Andreas H. Kittel in als neuen Pflichtverteidiger beigeordnet.

Anhaltspunkte, dass Rechtsanwalt K keine Gewähr für eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten böte, sind nicht ersichtlich.
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