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Text des Urteils
11 Sa 343/08;
Verkündet am: 
 02.02.2011
LAG Landesarbeitsgericht
 

München
Rechtskräftig: unbekannt!
Endet Amtszeit eines ehrenamtlichen Richters nach Verkündung eines Urteils und vor dem Zeitpunkt, zu dem das vollständige Urteil vom Vorsitzenden zur Geschäftsstelle gegeben wurde, ist er an der Unterschrift des vollständigen Urteils verhindert
Leitsatz des Gerichts:
§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, §§ 35 Abs. 2, 69 Abs. 1, 60 Abs. 4 ArbGG

Endet die Amtszeit eines ehrenamtlichen Richters nach der Verkündung eines Urteils (hier: des Landesarbeitsgerichts), an dem er noch mitgewirkt hat, und vor dem Zeitpunkt, zu dem das vollständige mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene Urteil vom Vorsitzenden zur Geschäftsstelle gegeben wurde, ist er an der Unterschrift des vollständigen Urteils verhindert (§ 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Fehlt daher seine Unterschrift, ist dies kein Grund für eine Nichtigkeitsklage, auch wenn das vollständige Urteil nicht innerhalb der Vier-Wochen-Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zur Geschäftsstelle gelangt ist und zu diesem Zeitpunkt die Amtszeit des ehrenamtlichen Richters noch nicht abgelaufen war.
In dem Rechtsstreit
T. M.
- Kläger und Nichtigkeitskläger -
Prozessbevollmächtigte:

gegen
Firma R. F. E./R. L. Inc.
- Beklagte und Nichtigkeitsbeklagte -
Prozessbevollmächtigter:

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Müller und die ehrenamtlichen Richter Breidbach und Bauer für Recht erkannt:

1. Die Nichtigkeitsklage des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 03.12.2002 - Az. 6 (9) Sa 868/90 - wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit seiner Nichtigkeitsklage die Fortführung des Rechtsstreits 6 (9) Sa 868/90, welcher mit zwischenzeitlich rechtskräftigem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 03.12.2002 abgeschlossen worden war.

Der in Polen geborene Kläger war vom 16.03.1983 bei der Beklagten, die in München einen Radiosender betrieb, von dem Programme für die osteuropäischen Staaten ausgestrahlt wurden, als Redakteur in der polnischen Nachrichtenabteilung beschäftigt.

Nach einer ersterklärten Kündigung vom 17.02.1988 zum 30.06.1988, die rechtskräftig für unwirksam erklärt wurde, und einer Vielzahl sich anschließender Rechtsstreitigkeiten steht zwischenzeitlich rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.12.1994 aufgrund Kündigung der Beklagten beendet wurde.

Im vorliegenden Ausgangsverfahren begehrte der Kläger die tatsächliche Weiterbeschäftigung als Redakteur und erweiterte dann im Berufungsrechtszug die Klage umfangreich.

Mit Urteil vom 03.12.2002 (6 (9) Sa 868/90), auf das Bezug genommen wird, wies das Landesarbeitsgericht München die Berufung des Klägers zurück und die Klage ab.

Der dem Protokoll vom 03.12.2002 beigefügte handschriftliche Urteilstenor ist von dem Vorsitzenden sowie den beiden ehrenamtlichen Richtern, darunter auch dem ehrenamtlichen Richter W., unterzeichnet (Bl. 610 d. A.).

Das dem Kläger am 25.04.2003 zugestellte Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 03.12.2002 trägt auf Seite 13 am Ende der Urteilsgründe folgenden Vermerk: „Das Amt des ehrenamtlichen Richters W. hat am 28.2.03 geendet.“ Dieser Vermerk ist im Urteilsoriginal vom Vorsitzenden handschriftlich unterzeichnet, eine Unterschrift des ehrenamtlichen Richters W. fehlt.

Mit Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 03.11.2004 (4 AZN 343/03), der dem Kläger am 16.11.2004 zugestellt wurde, wies das Bundesarbeitsgericht die von ihm gegen das vorgenannte Urteil des Landesarbeitsgerichts eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurück.

Am 15.12.2004 beantragte der Kläger die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage.

Mit Beschluss vom 09.08.2007 (6 SHa 21/07), der dem Kläger am 09.08.2007 formlos übersandt wurde und am 10.08.2007 zugegangen ist, wurde diesem Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten bewilligt.

Mit Schriftsatz vom 24.08.2007, eingegangen am selben Tage beim Landesarbeitsgericht München, erhob der Kläger Nichtigkeitsklage und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die versäumte Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO.

Der Kläger begründet den Wiedereinsetzungsantrag mit der erst am 09.08.2007 erfolgten Prozesskostenhilfebewilligung und Beiordnung eines Rechtsanwalts.

Er stützt seine Nichtigkeitsklage darauf, dass das Landesarbeitsgericht bei dem beanstandeten Urteil ab dem 01.03.2003 entgegen § 35 Abs. 2 ArbGG nur in Besetzung mit zwei Richtern tätig geworden sei und das mit Gründen versehene Urteil auch nur von zwei Richtern stamme.

Die Unterzeichnung des mit Gründen versehenen Urteils sei der letzte Akt der Urteilsfällung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ende das Verfahren erst mit Hinausgabe der Urteilsausfertigung durch die Geschäftsstelle. Die unvorschriftsmäßige Kammerbesetzung beträfe das gesamte Urteil, das deshalb vollständig aufgehoben werden müsse.

Eine unvorschriftmäßige Besetzung des Gerichts verletze auch Art. 6 Abs. 1 EMRK, an den auch die bundesdeutschen Fachgerichte gebunden seien.

Nach der zeitlich umfangreichen Durchführung einer Vielzahl von Ablehnungsverfahren ergänzt der Kläger seine Rechtsmeinung dahingehend, dass ein Sachverhalt vorliege, der als Wegfall des zuständigen Richters aufgefasst werden müsse und damit die Voraussetzungen des § 547 Nr. 1 ZPO bzw. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfülle.

Im Hinblick auf den Wortlaut des § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO liege schon begrifflich keine Verhinderung eines Richters vor, wenn die Person, die früher Richter war, aus dem Amt ausgeschieden sei.

In der Kammerverhandlung vom 02.02.2011 hat der Kläger dann noch darauf verwiesen, dass die Unterschrift des ehrenamtlichen Richters auch nur deshalb nicht mehr eingeholt werden konnte, weil das Urteil nicht rechtzeitig innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist abgesetzt worden sei.

Der Kläger stellt zuletzt folgende Anträge:

I. Das rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 03.12.2002 - 6 (9) Sa 868/90 - zu 22 Ca 6244/90 (München) wird aufgehoben.

II. Das Verfahren wird wieder aufgenommen,

wobei er die Aufhebung des angegriffenen Urteils gemäß den im Ausgangsverfahren im Berufungsrechtszug gestellten Anträgen zu Ziff. 1 bis 4 begehrt mit der Maßgabe, dass sich die Feststellung in Ziff. 2 auf den Zeitraum bis 31.12.1994 beschränkt.

Die Beklagte beantragt,

den Wiederaufnahmeantrag des Klägers zurückzuweisen.

Sie rügt zunächst die im Rubrum der Nichtigkeitsklage des Klägers angegebene Anschrift der Beklagten sowie die angegebene Zustellungsbevollmächtigte und die angegebene gesetzliche Vertretung. Die Beklagte sieht in der fehlenden Unterschrift des ehrenamtlichen Richters keinen Rechtsverstoß, da ein Richter mit Ausscheiden aus seinem Amt bei Eintritt in den Ruhestand verhindert sei, ein noch unter seiner Mitwirkung gefälltes Urteil mit seiner Unterschrift zu versehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens zur Nichtigkeitsklage wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 24.08.2007 und 28.01.2011 sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 06.09.2007 und 01.02.2011 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Nichtigkeitsklage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet, da der gerügte Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Gerichts gem. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht gegeben ist.


I.

Die Nichtigkeitsklage ist zulässig.

1. Die Nichtigkeitsklage ist an sich statthaft, weil sie sich gegen ein rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts richtet, nachdem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil vom 03.12.2002 vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen wurde (§ 578 Abs. 1 ZPO).

2. Die Klage erfüllt auch die Anforderungen des § 587 ZPO, da sie - auch - als Nichtigkeitsklage bezeichnet wurde und das angegriffene Urteil benennt.

Außerdem wird die Klage auch den Anforderungen des § 588 Abs. 1 ZPO gerecht, denn sie macht Nichtigkeitsgründe gem. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geltend und der Kläger hat schließlich in der Kammerverhandlung auch eine Erklärung darüber abgegeben, inwieweit die Beseitigung des angefochtenen Urteils beantragt werde.

3. Die Klage ist rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 586 Abs. 1 ZPO i. V. m. §§ 233, 234 236 ZPO erhoben, da dem Kläger insoweit aufgrund des von ihm rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist gestellten Prozesskostenhilfeantrags und des rechtzeitig nach Bewilligung derselben gestellten Wiedereinsetzungsantrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.

Der Kläger war unverschuldet wegen Bedürftigkeit verhindert, die Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO einzuhalten. Der - potenzielle - Rechtsmittelkläger kann Prozesskostenhilfe für das Rechtsmittel beantragen, dabei von der Einlegung des Rechtsmittels zunächst absehen und nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe das Rechtsmittel einlegen, verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesem Antrag ist zur Vermeidung der Benachteiligung einer mittellosen Partei grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Partei fristgerecht einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat (vgl. BVerfG, B. v. 11.03.2010, 1 BvR 290/10 u. 1 BvR 291/10 m. w. N.; BAG, U. v. 15.07.2004, 2 AZR 376/03, zit. n. Juris).

Da diese Voraussetzungen bei dem damals als bedürftig erachteten Kläger gegeben war, war ihm auf seinen rechtzeitig innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO zu bewilligen.

Soweit die Parteien darüber streiten, ob die Beklagtenbezeichnung hinsichtlich der Vertretungsverhältnisse und der Adressangabe des Sitzes der Beklagten zutreffend ist oder nicht, ist dies für die vorliegende Nichtigkeitsklage schon deshalb nicht rechtlich relevant, da einerseits das Landesarbeitsgericht München gem. § 584 Abs. 1 ZPO für die Nichtigkeitsklage ausschließlich zuständig ist, die Parteistellung und -bezeichnung sich nach dem angegriffenen rechtskräftigen Berufungsurteil vom 03.12.2002 richtet und andererseits die Frage der richtigen Parteibezeichnung und -vertretung damit erst Relevanz gewinnt, wenn bei erfolgreicher Nichtigkeitsklage die Hauptsache gem. § 590 ZPO von neuem zu verhandeln wäre.

Entsprechendes gilt auch für den Hinweis des Klägers auf die „nicht existente Beklagte“, wobei zu seinen Gunsten seine Ausführungen nicht so verstanden werden, dass die Beklagte überhaupt nicht mehr existent wäre, was die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage dann tangieren würde, da die allgemeinen Prozessvoraussetzungen zur Partei- und Prozessfähigkeit auch insoweit gegeben sein müssen.


II.

Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund ist nicht gegeben.

1. Ein Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor, da das erkennende Gericht im Verfahren 6 (9) Sa 868/90 und bei seinem Urteil vom 03.12.2002 vorschriftsmäßig besetzt war (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

a) Der ehrenamtliche Richter W., der gemäß insoweit unbeanstandeter geschäftsplanmäßiger Zuständigkeit an der Verhandlung vom 03.12.2002 teilgenommen hat, hat das dort beratene und verkündete Urteil mit unterzeichnet. Damit wurde das Urteil in der vorgeschriebenen Besetzung mit einem (berufsamtlichen) Vorsitzenden und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber gem. §§ 35 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 525, 309 ZPO gefällt.

b) Die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts war auch bei der Unterzeichnung der Urteilsgründe ordnungsgemäß besetzt.

Grundsätzlich ist das Urteil eines Landesarbeitsgerichts nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben (§ 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt (§ 66 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 525, 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Zum Zeitpunkt der Erstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe des Urteils vom 03.12.2002 war der ehrenamtliche Richter W., dessen Amtszeit am 28.02.2003 abgelaufen war, an der Unterzeichnung des vollständigen Urteils verhindert.

Der Vorsitzende hat daher zutreffend und gesetzeskonform gem. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO unter zutreffender Angabe des Verhinderungsgrundes dessen Verhinderung unterschriftlich vermerkt.

aa) Eine Verhinderung des Richters an der Unterschriftsleistung ist anzunehmen, wenn zwingende tatsächliche oder rechtliche Gründe der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen.

Es stellt einen Verhinderungsgrund rechtlicher Art dar, wenn der Richter nicht mehr im aktiven Richterdienst tätig ist, also aus dem Richterdienst entlassen oder in den Ruhestand versetzt worden ist, weil die Unterschrift unter einem Urteil als eine richterliche Amtshandlung nur von einer mit entsprechender öffentlicher Gewalt ausgestatteten Person vorgenommen werden darf (vgl. MüKo-Musilak, ZPO, 3. Aufl., § 315 Rn. 6 m. w. N.; GK-ArbGG-Vossen, § 69 Rn. 5 a; BAG, B. v. 22.08.2007, 4 AZN 1225/06, zit. n. Juris). Der Ablauf der Berufungsfrist für den ehrenamtlichen Richter nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ArbGG steht insoweit dem Eintritt in den Ruhestand eines Berufsrichters gleich (vgl. GK-ArbGG-Vossen, aaO m. w. N.). Die vom Kläger hierzu bemühte Rechtsprechung kann seinen abweichenden Rechtsstandpunkt nicht begründen. Sie betrifft sämtlich andersartige mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Sachkonstellationen. Dies gilt auch und insbesondere für das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.11.2006 (6 KA 34/06 B, zit. n. Juris), das nur davon ausgeht, dass im Regelfall der Vorsitz in einem Spruchkörper nicht länger als sechs Monate vertretungsweise durch das vom Präsidium bestimmte Mitglied des Spruchkörpers i. S. d. § 21 f Abs. 2 Satz 1 GVG geführt werden kann und daher bei einer Fristüberschreitung kein Verhinderungsfall vorliegt.

Das Bundessozialgericht hat in der vorgenannten Entscheidung ausdrücklich - und allein - darauf abgestellt, dass ein Richter, der dem Gericht nicht mehr angehört, nicht i. S. d. § 21 f Abs. 2 Satz 1 GVG verhindert sei. An keiner Stelle ist zugleich der Bezug zu § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO hergestellt.

§ 315 ZPO trifft von seinem eindeutigen Wortlaut allein den Sachverhalt, dass ein Richter zwar an einer Entscheidung mitgewirkt hat, indem er ein Urteil gem. § 309 ZPO (mit-)gefällt hat, dann aber nachgehend an der Unterschriftsleistung verhindert ist. Der Eintritt in den Ruhestand (vgl. BVerwG v. 01.06.1990, 2 CB 5/60, NJW 1991, 1192), dem gleichgestellt ist der Ablauf der Berufungsfrist für den ehrenamtlichen Richter nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, stellt geradezu den klassischen Verhinderungsfall dar, der in der täglichen Praxis der Arbeitsgerichtsbarkeit mit einem entsprechenden Vermerk gem. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO dokumentiert wird (vgl. z. B. BAG, U. v. 28.10.2010, 2 AZR 392/08, zit. n. Juris).

bb) Da der Ablauf der Amtszeit des ehrenamtlichen Richters nicht nur zu einer kurzfristigen Verhinderung des Beisitzers, sondern zu einer dauerhaften Verhinderung führte, bestehen an der wirksamen Ersetzung der richterlichen Unterschrift durch den Verhinderungsvermerk des Vorsitzenden gem. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO auch insoweit keine Bedenken (vgl. BAG, B. v. 03.03.2010, 4 AZB 23/09, zit. n. Juris).

Maßgebend ist dabei der subjektive Kenntnisstand des Vorsitzenden (vgl. BAG, B. v. 03.03.2010, aaO), ausgehend von dem Zeitpunkt, zu dem die Unterschriftsleistung des an der Entscheidung mitwirkenden Richters hätte vorgenommen werden können. Dies war vorliegend der Zeitpunkt, zu dem das vom Vorsitzenden gefertigte Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen in Reinschrift vorlag. Dies war vorliegend der 26.03.2003.

2. Dem steht auch nicht entgegen, dass das angegriffene Urteil nicht innerhalb der Vier-Wochen-Frist des § 69 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 60 Abs. 4 Satz 3 ArbGG der Geschäftsstelle in vollständig abgefasster Form übermittelt werden konnte.

Die Vier-Wochen-Frist des § 69 Abs. 1 ArbGG ist jedoch wie die Drei-Wochen-Frist des § 60 Abs. 4 Satz 3 ArbGG eine reine Ordnungsvorschrift (vgl. BAG v. 15.04.2008, NZA 2008, 1020 f; Germelmann, ArbGG, 7. Aufl., § 60 Rn. 32; Däubler/Pfeifer, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 69 Rn. 14) und berührt grundsätzlich weder die Wirksamkeit der Verkündung noch wird hierdurch das verkündete Urteil wirkungslos.

Da andererseits nur bei Überschreitung einer Fünf-Monats-Frist das Urteil als ohne Gründe versehen angesehen werden muss (vgl. GMSOGB, B. v. 27.04.1993, EzA ZPO § 551 Nr. 1; BAG v. 04.08.1993, NZA 1993, 1150), kann der bloße Verstoß gegen die Ordnungsvorschrift, für die auch eine gesetzliche Ausnahme gem. § 60 Abs. 4 Satz 3, 2. Halbsatz ArbGG eröffnet ist, nicht für einen Nichtigkeitsgrund i. S. d. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO herangezogen werden.

Dafür, dass der damalige Vorsitzende, in Kenntnis des Ablaufs der Amtszeit des ehrenamtlichen Richters W. am 28.02.2003, die Absetzung des Urteils bewusst verzögert hätte, liegt entgegen der unterschwelligen Andeutung des Klägers in der Kammerverhandlung weder ein konkreter Sachvortrag des insoweit beweispflichtigen Klägers vor noch ergibt sich ein anderweitiger Ansatz hierfür. Im Gegenteil: Diese theoretische Überlegung ist zum einen schon absolut fern liegend, wenn nicht gar absurd, weil durch die Mitunterzeichnung des abgesetzten Urteils durch den weiteren ehrenamtlichen Richter die zugestellte Urteilsfassung ohnehin mehrheitlich von der Kammer gebilligt und im Übrigen auch in keiner Weise erkennbar war, ob und mit welchen etwa künftig prognostizierten Formulierungen der ehrenamtliche Richter nicht einverstanden gewesen sein sollte, nachdem das Urteil, unterschrieben im entscheidenden Urteilstenor durch alle drei Richter, bereits gefällt war. Die diesbezüglichen Überlegungen des Klägers stellen daher bloße, nicht nachvollziehbare und sogar theoretisch sehr fern liegende Spekulationen dar. Im Übrigen war ihm auch aufgrund der von ihm auch schon zum damaligen Zeitpunkt vielfach geführten Verfahren bekannt, dass aufgrund der Arbeitsbelastung der Arbeitsgerichtsbarkeit in beiden Rechtszügen die Überschreitung der Ordnungsfristbestimmungen der §§ 69 Abs. 1 und 60 Abs. 4 ArbGG zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls nicht ungewöhnlich war.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Kläger durch eine unzutreffende Gleichsetzung zwischen gefälltem Urteil i. S. d. § 309 ZPO und der vollständigen Ausfertigung des mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen schriftlichen Urteils eine Gleichbewertung vornimmt und dabei die Bestimmung des § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO negiert bzw. unzutreffend interpretiert.

3. Da - wie dargelegt - der Vorsitzende mit dem von ihm gefertigten Verhinderungsvermerk sich gem. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO absolut rechtsförmig verhalten hat, scheidet auch ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK aus.

Im Gegenteil hat das Vorgehen des Vorsitzenden die rechtswidrige Mitunterzeichnung des Urteils durch einen nicht mehr im Amt befindlichen ehrenamtlichen Richters verhindert.

Die Wiederaufnahmeklage in Form der Nichtigkeitsklage ist daher insgesamt unbegründet, eine Fortführung des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens 6 (9) Sa 868/90 ist nicht geboten.


III.

Die Kosten des Verfahrens trägt der unterlegene Kläger gem. § 91 ZPO, wobei der Kostenstreitwert nach dem Umfang, in dem die Aufhebung des Urteils begehrt wurde, zu bestimmen sein wird (vgl. MüKo-Braun, ZPO, 3. Aufl., § 591 Rn. 10).


IV.

Gegen die vorliegende Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Als Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kommt nur die Revision in Betracht (§ 591 ZPO i. V. m. § 72 Abs. 1 ArbGG). Die Revision war jedoch nicht zuzulassen, die Entscheidung fußt auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht ersichtlich (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird verwiesen.

Müller Breidbach Bauer
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