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Text des Beschlusses
1 SHa 4/10;
Verkündet am: 
 08.02.2010
LAG Landesarbeitsgericht
 

München
Vorinstanzen:
2 Ca 10697/09
Arbeitsgericht
C-Stadt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt bei extremen Verstößen gegen fundamentale Verfahrensnormen
Leitsatz des Gerichts:
Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt bei extremen Verstößen gegen fundamentale Verfahrensnormen wie das Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren oder bei einer Verweisung ohne Prüfung einer dem Wortlaut offensichtlich in Betracht zu ziehenden Zuständigkeitsnorm (BAG st. Rspr., vgl. BAG vom 19.03.2003, NZA 2003, 683).

Bei Piloten kommt der Einsatzort, von dem aus sie die Arbeitsleistung erbringen, als Gerichtsstand des Arbeitsortes i.S. von § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG in Betracht.

In Sachen
A.
A-Straße, A-Stadt
- Kläger -
Verfahrensbevollmächtigte/r:
Rechtsanwälte Dr. B.
B-Straße, B-Stadt
gegen
Firma C. C-Straße, C-Stadt
- Beklagte -

erlässt das Landesarbeitsgericht München durch die Vorsitzende der Kammer 1, die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Mack, ohne mündliche Verhandlung am 8. Februar 2010 folgenden B e s c h l u s s:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht München bestimmt.

G r ü n d e:

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von 13.251,20 Euro brutto und die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses unter dem Datum 31.10.2008, zu dem das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis beendet wurde.

Der Kläger war bei der Beklagten, die ihren Sitz in C-Stadt hat, als Co-Pilot beschäftigt. Er wohnt in A-Stadt im Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts München. Ausweislich des Arbeitsvertrags vom 10.03.2003 und nach der tatsächlichen Handhabung war sein Einsatzort B-Stadt.

Von dort trat er regelmäßig seinen Dienst an und kehrte jeweils an diesen Einsatzort zurück.

Der Kläger hat seine reklamierten Ansprüche vor dem Arbeitsgericht München geltend gemacht. In der Güteverhandlung vom 19.08.2009 gab die Vorsitzende der Beklagten auf, auf die Klage bis zum 16.10.2009 schriftlich zu erwidern, dem Kläger, zum zu erwartenden Vortrag der Beklagten bis zum 20.11.2009 Stellung zu nehmen, und bestimmte den Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer auf den 15.12.2009. Mit Schriftsatz vom 23.10.2009 verwies der Kläger zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München u.a. auf § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG. Das Gericht stellte der Beklagten anheim, zu diesem Vortrag des Klägers Stellung zu nehmen bis zum 06.11.2009. Am 05.11.2008 ging die Stellungnahme der Beklagten vom 03.11.2009 ein, in der diese unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.11.2007, NZA 2008, 761, einwandte, dass bei Flugzeugführern kein gewöhnlicher Arbeitsort festgestellt werden könne. Am selben Tag hob das Gericht den Termin zur Streitverhandlung vom 15.12.2009 auf und erließ einen Beschluss über die Verweisung des Rechtsstreits nach C-Stadt wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München.

Der Schriftsatz der Beklagten vom 03.11.2009 wurde ebenfalls am 05.11.2009 von der zuständigen Vorsitzenden abgezeichnet und am 09.11.2009 formlos an den Kläger weitergeleitet. Der Verweisungsbeschluss wurde beiden Parteien am 13.11.2009 formlos zugesandt und ging dem Kläger nach dessen Bekunden am 16.11.2009 zu.

Das Arbeitsgericht München verneint in seinem Verweisungsbeschluss neben der Anwendbarkeit der §§ 12, 21 und 29 ArbGG auch das Vorliegen der Voraussetzungen „des § 48 Abs. 1 a ArbGG“ unter Bezug auf das von der Beklagten zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts, weil bei Flugzeugführern ein gewöhnlicher Arbeitsort oder Ausgangsort nicht festgestellt werden könne.

Der Kläger hat mit beim Arbeitsgericht München am 30.11.2009 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag die Anhörungsrüge nach § 78 a ArbGG wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben, die das Arbeitsgericht München mit Beschluss vom 03.12.2009 zurückgewiesen hat.

Das Arbeitsgericht C-Stadt hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Landesarbeitsgericht München zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt. Es verweist auf den Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG und die amtliche Begründung dazu und sieht die Durchbrechung der Bindungswirkung deswegen als gegeben an, weil sich das Arbeitsgericht München mit dieser offensichtlich einschlägigen Norm nicht befasst habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen

Die Parteien hatten vor dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Zuständig ist das Arbeitsgericht München. Dessen Verweisungsbeschluss war für das Arbeitsgericht C-Stadt nicht bindend.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind erfüllt, weil sich die Arbeitsgerichte B-Stadt und C-Stadt rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

2. Gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend.

Eine Ausnahme erkennt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung nur für offensichtlich gesetzwidrige Verweisungen an, insbesondere bei extremen Verstößen gegen fundamentale Verfahrensnormen wie das Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren oder bei einer Verweisung ohne Prüfung einer dem Wortlaut nach offensichtlich in Betracht zu ziehenden Zuständigkeitsnorm (BAG vom 19.03.2003, NZA 2003, 683 m.w.N. auf die Senatsrechtsprechung).

3. Dem vorgelegten Verweisungsbeschluss liegen schwerwiegende Mängel im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde:

Das Arbeitsgericht München hat sich trotz eines ausdrücklichen Hinweises des Klägers auf diese Norm mit den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG überhaupt nicht befasst. Die von ihm zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB – der inhaltlich § 48 Abs. 1 a Satz 1 ArbGG entspricht – erging vor dem Inkrafttreten des § 48 Abs. 1 a ArbGG zum 01.04.2008. Die zentrale Frage, ob trotz Fehlens eines Arbeitsorts i.S. von § 48 Abs. 1 a Satz 1 ArbGG in B-Stadt eine Zuständigkeit nach § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG gegeben sein kann, ist vom Arbeitsgericht München nicht behandelt worden.

Hätte das Gericht nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens den Schriftsatz der Beklagten vom 03.11.2009 dem Kläger zugeleitet, bevor der Verweisungsbeschluss am 09.11.2009 an die Parteien herausging, wäre seine Entscheidung auf entsprechende Rüge des Klägers möglicherweise anders ausgefallen und das vorliegende Bestimmungsverfahren hätte vermieden werden können. Gleiches gilt, wenn das Gericht zumindest nach Erhebung der Anhörungsrüge das Verfahren fortgeführt hätte.

Die schwerwiegenden Verstöße gegen den Begründungszwang und die Verfahrensgrundrechte führen dazu, dass der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts München keine Bindungswirkung entfalten kann.

4. B-Stadt ist als Gerichtsstand des Einsatzortes örtlich zuständig.

Nach der Gesetzesbegründung (BR-Drucksache 820/07) zu Nummer 5 (§ 48) letzter Absatz regelt § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG den Fall, dass ein Schwerpunkt der Tätigkeit nicht ermittelt werden kann.

Es ist dann auf den Ort abzustellen, von dem aus die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringt. Das ist im Fall des Klägers nicht etwa der Wohnort A-Stadt, sondern der Einsatzort B-Stadt, von dem er regelmäßig – auf gelegentliche Ausnahmen kommt es nicht an – seine Flüge antritt und zu dem er zurückkehrt.

5. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht statthaft, § 37 Abs. 2 ZPO.

Mack
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