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Text des Beschlusses
1 AR 39/09 (Zust);
Verkündet am: 
 02.02.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Naumburg
Vorinstanzen:
95 O 117/09
Landgericht
Berlin;
Rechtskräftig: unbekannt!
Bindungswirkung einer Verweisung entfällt nur ausnahmsweise bei Willkür - nicht: Wenn publizierter Mindermeinung gefolgt wurde
Leitsatz des Gerichts:
Die Bindungswirkung einer Verweisung entfällt ausnahmsweise bei Willkür. Dafür genügt es nicht, dass der Beschluss inhaltlich falsch ist. Vielmehr kann Willkür nur dann angenommen werden, wenn der Beschluss unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist oder ihm jede rechtliche Grundlage fehlt oder die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr nachvollziehbar erscheint und unhaltbar ist. Dies kann nicht angenommen werden, wenn die Entscheidung Rechtsmeinungen vertritt, die zum Teil in der Literatur und Rechtsprechung vertreten werden.
In dem Rechtsstreit
…

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und Grimm am 02.02.2010 beschlossen:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Landgericht Berlin bestimmt.

Gründe:

1. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung der Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Magdeburg als auch die Kammer für Handelssachen 95 des Landgerichts Berlin haben sich jeweils in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Naumburg ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung des Zuständigkeitskonfliktes berufen, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das Landgericht Magdeburg zuerst mit der Sache befasst war.

2. Das Landgericht Berlin ist für die vorliegende Klage gemäß § 17 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig, weil sich der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten in Berlin befindet. Für das Landgericht Magdeburg käme eine Zuständigkeit gemäß § 29 ZPO in Betracht.

3. Im Rahmen der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 ZPO sind allerdings nicht nur die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch verfahrensrechtliche Bindungswirkungen, insbesondere § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zu beachten. Die Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses wirkt daher grundsätzlich im Bestimmungsverfahren fort (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1091; 1994, 126; BayObLG, NJW-RR 2001, 646, 647; Zöller-Vollkommer, 28. Aufl. 2010, § 36 Rn. 28 m. w. N.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verweisungsbeschluss nur dann ausnahmsweise nicht hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht (vgl. BGHZ 71, 729, NJW 2003, 3201).

Hierfür genügt es jedoch nicht, dass der Beschluss inhaltlich falsch ist. Denn eine unrichtige Rechtsanwendung allein schließt die Bindungswirkung der Verweisung nicht aus (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 1126; BayObLGZ 1985, 391 und a. a. O.).

Die Annahme der Willkür setzt vielmehr voraus, dass dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (vgl. BGH, NJW 1993, 1273) oder die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr nachvollziehbar erscheint und unhaltbar ist (vgl. BGH, MDR 2002, 1450 f.; BVerfGE 29, 45, 49; BGH MDR 1996, 1032). Die Bindungswirkung der Verweisung kann auch aus verfahrensrechtlichen Gründen entfallen (vgl. BGH, NJW 1962, 1819; Zöller-Greger, 28. Aufl. 2010, § 281 Rn. 16 m. w. N.), insbesondere bei Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

4. Legt man diesen Maßstab an, kann dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Magdeburg vom 24.11.2009 entgegen der Ansicht des Landgerichts Berlin die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO nicht versagt werden:

a) Obwohl der Senat mit dem Bundesgerichtshof (vgl. BGHZ 94, 156, 158; BGH, NJW 2009, 1974) der Auffassung ist, dass die Gerichtsstandsregelung des § 18 Nr. 1 VOB/B nach ihrer Entstehungsgeschichte, nach ihrem Sinn und Zweck und vor allem nach ihrem Wortlaut auf private Auftraggeber nicht anwendbar ist, wird die gegenteilige Ansicht sehr wohl in der Literatur und teilweise auch in der Rechtsprechung vertreten (vgl. die Nachweise bei Joussen in Ingenstau/Korbion, 16. Aufl., § 18 Nr. 1 VOB/B Rn. 17 f. m. w. N.). Indem die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Magdeburg sich dieser Gegenmeinung angeschlossen hat, hat sie eine vertretbare Rechtsposition eingenommen. Jedenfalls rechtfertigt die hergestellte Analogie nicht den Vorwurf der Willkürlichkeit.

b) Gleiches gilt auch, soweit das Landgericht Magdeburg die Auffassung vertritt, § 18 Nr. 1 VOB/B enthalte die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes.

Da sich der Erfüllungsort nach § 29 ZPO im vorliegenden Fall im Bezirk des Landgerichts Magdeburg befindet, eine besondere Zuständigkeit also begründet ist, ist die Verweisung an das Landgericht Berlin nur dann rechtlich zulässig, wenn der dort aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung denkbare besondere Gerichtsstand nach § 18 Nr. 1 VOB/B als ein ausschließlicher Gerichtsstand anzusehen wäre. Denn nur unter dieser Voraussetzung konnte das Landgericht Magdeburg die eigene Zuständigkeit verneinen. Auch insoweit teilt der Senat zwar die Auffassung des Landgerichts Magdeburg nicht, § 18 Nr. 1 VOB/B enthalte ohne Weiteres und selbst bei privaten Auftraggebern die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes. Jedoch wird auch diese Ansicht in der Rechtsprechung vertreten (vgl. OLG Stuttgart, BauR 1999, 683 f.). Auch insoweit kann deshalb nicht von einer unverständlichen Rechtsansicht des Landgerichts Magdeburg oder einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ausgegangen werden.

c) Der von dem Landgericht Berlin in seinem Beschluss vom 18.12.2009 erhobene Vorwurf, das Landgericht Magdeburg habe sich mit der Möglichkeit des Wahlrechts nach § 35 ZPO überhaupt nicht auseinandergesetzt, ist im Ergebnis ebenfalls nicht gerechtfertigt.

Führt man die Rechtsansicht des Landgerichts Magdeburg konsequent weiter, das von einem ausschließlichen Gerichtsstand nach § 18 Nr. 1 VOB/B ausgegangen sein muss, so besteht naturgemäß auch kein Wahlrecht des Klägers nach § 35 ZPO, vielmehr hätte das Landgericht Magdeburg die Klage – auf Grundlage der dortigen Rechtsansicht – als unzulässig abweisen müssen, wenn der Kläger keinen Verweisungsantrag an das Landgericht Berlin gestellt hätte.

d) Letztlich kann dem Landgericht Magdeburg auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs entgegen der Ansicht des Landgerichts Berlin nicht vorgeworfen werden. Die Vorsitzende der 1. Kammer für Handelssachen hat die Parteien bereits mit Verfügung vom 30.09.2009 auf die dortigen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg hingewiesen und die Frist zur Klageerwiderung und zur Stellungnahme zu dem Verweisungsantrag des Klägers mit Verfügung vom 02.11.2009 erstmals und am 16.11.2009 ein weiteres Mal verlängert. Dass die Beklagte von dieser Möglichkeit der Stellungnahme zunächst keinen Gebrauch gemacht hat, hat das Landgericht Magdeburg nicht zu verantworten. Inzwischen hat auch die Beklagte gegenüber dem Senat mitgeteilt, dass die Verweisung an das Landgericht Berlin nach ihrer Ansicht rechtlich nicht zu beanstanden sei.

Insgesamt erweist sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Magdeburg vom 24.11.2009 als rechtlich noch vertretbar, auch wenn der Senat in mehreren Punkten die rechtliche Einschätzung des Landgerichts nicht teilt. Den Vorwurf der Willkür rechtfertigt dies aber nicht, so dass die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses bestehen bleibt.

gez. Dr. Zettel gez. Dr. Tiemann gez. Grimm
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