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Text des Beschlusses
4 StR 17/03;
Verkündet am: 
 18.03.2003
BGH Bundesgerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
LG Bochum mit Feststellungen aufgehoben. Angriff mit einem Klappmesser in Richtung des linken Brustbereichs
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. März 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO

beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 16. August 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.


Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.

1. Nach den Feststellungen stach der Angeklagte mit seinem Klappmesser in Richtung des linken Brustbereichs des Geschädigten T. und traf ihn im linken Bauchbereich, als dieser sich von seinem Stuhl erhob, um sich gegen den Angeklagten, der ihn zuvor schon mit dem Messer im Nackenbereich verletzt hatte, zur Wehr zu setzen. Als T. daraufhin zusammensackte, versetzte der Angeklagte ihm noch einen Stich in die linke Schläfe.

Der Angeklagte, der hinsichtlich des Bauchstichs wegen versuchten Mordes angeklagt war, hat bestritten, diesen Stich bewußt herbeigeführt zu haben; vielmehr sei diese Verletzung durch eine Abwehrbewegung des Geschädigten selbst hervorgerufen worden.

Zur Widerlegung dieser Einlassung hat das Landgericht insbesondere auf die Tiefe der Stichverletzung in Relation zur Klingenlänge des Tatmessers, „dessen genaue Länge nicht ermittelt werden konnte“ (UA 7), abgestellt und den Schuldspruch nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB wegen Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung im wesentlichen auf diesen Bauchstich gestützt.

2. Die Revision des Beschwerdeführers dringt mit der allgemeinen Sachrüge durch, da die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten auf widersprüchlichen Feststellungen im Urteil beruht (vgl. BGH, Beschl. vom 19. Januar 1994 - 5 StR 716/93; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 337 Rdn. 28 m.w.N.).

Der Generalbundesanwalt führt in seiner Antragsschrift zutreffend aus: „Bezüglich der Länge der Klinge stützt sich die Kammer auf die Angaben des geständigen Angeklagten, die jedoch in den Urteilsgründen zum einen mit „ungefähr 6 bis 8 cm“ (UA S. 7), zum anderen mit „5 bis 6 cm“ (UA S. 11) wiedergegeben werden.

In ihrer Beweiswürdigung geht die Kammer ohne weitere Erwägungen von einer 5 bis 6 cm langen Klinge aus und kommt zu dem Ergebnis, daß bei dem Stich eine Komprimierung des Körpers von 2 cm vorgelegen habe, was gegen die Einlassung des Angeklagten von der unbeabsichtigten Stichverletzung spreche (UA S. 11). Hierbei ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, mit welchen Erwägungen sich die Kammer für die jeweiligen Angaben entschieden hat.“

Es kann dahinstehen, ob die in den Urteilsgründen getroffene Feststellung zur Länge des Stichkanals von 8 cm zu beanstanden ist, wie dies vom Beschwerdeführer als Verstoß gegen § 261 StPO gerügt und vom Generalbundesanwalt im Rahmen der Sachrüge vertreten wird. Denn auch bei einer entsprechend fehlerfrei festgestellten Stichkanallänge wäre bei einer Klingenlänge von ebenfalls 8 cm nicht von einer Komprimierung des Körpers auszugehen.

Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil auf diesem rechtlich fehlerhaften Teil der Beweiswürdigung zum Vorsatz beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Die Strafkammer hat mit dem Argument der Komprimierung ersichtlich auf die Wucht des Stichs abgestellt und ist möglicherweise davon ausgegangen, ohne eine derartige Feststellung die Einlassung des Angeklagten nicht widerlegen zu können. Daß das Urteil insoweit lediglich nachlässig gefaßt sein mag, gibt dem Revisionsgericht gleichwohl keine Möglichkeit, ein Beruhen des Urteils auf der dargelegten Unvollständigkeit der Beweiswürdigung auszuschließen (BGH StV 1994, 360 f.).

3. Das Landgericht stützt den Schuldspruch der gefährlichen Körperverletzung zusätzlich auf den – unmittelbar der Bauchverletzung nachfolgenden - vorsätzlichen Messerstich in den Schläfenbereich des Geschädigten [UA 12, 15], der vom Angeklagten eingeräumt wird.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob auch die insoweit getroffenen Feststellungen vom Beschwerdeführer in zulässiger und begründeter Weise mit seiner Verfahrensrüge angegriffen worden sind, da der unter 2. aufgezeigte Rechtsfehler nicht nur den Strafausspruch berührt, sondern auch zur Aufhebung des Schuldspruchs mit sämtlichen zugrundeliegenden Feststellungen führt.

Zum einen betrifft die Beweiswürdigung zum Bauchstich, der innerhalb eines einheitlichen Geschehens als die schwerwiegendste der drei Verletzungshandlungen anzusehen ist, nicht nur den Schuldumfang, sondern wesentliche Modalitäten des Tathergangs (vgl. BGH Beschl. vom 2. November 1995 - 1 StR 167/95; Beschl. vom 13. Mai 1993 - 1 StR 232/93; Kuckein in KK 4. Aufl. § 353 StPO Rdn. 13).

Zum anderen kann die Aufhebung des Schuldspruchs selbst bei einer vom Angeklagten eingelegten und zum Rechtsfolgenausspruch erfolgreichen Revision geboten sein, wenn sich aus den Urteilsgründen zum Schuldspruch auch Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben und in einer erneuten Hauptverhandlung nur auf Grund der entsprechenden Einbeziehung weiterer Straftatbestände eine schuldangemessene Ahndung der Tat - unter Beachtung des Verschlechterungsverbotes (§ 358 Abs. 2 StPO) - möglich sein könnte (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 2).

Ein solcher Rechtsfehler ist hier in der von den Feststellungen nicht hinreichend belegten Annahme der Schwurgerichtskammer zu sehen, von einem möglicherweise vorliegenden (unbeendeten) Totschlagsversuch sei der Angeklagte jedenfalls durch die freiwillige Abstandnahme von der weiteren Tatausführung i.S.d. § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative StGB zurückgetreten [UA 14].

Soweit die Strafkammer hierfür ausführt, der Angeklagte habe bemerkt, daß der Geschädigte zwar verletzt, jedoch nicht tödlich verwundet sei [UA 8], steht dies nicht im Einklang mit der von ihr festgestellten Besorgnis des Angeklagten, „daß sein Stich lebensgefährdende Wirkung hätte haben können“ (UA 15).

Der neue Tatrichter muß daher Gelegenheit erhalten, auf der Grundlage widerspruchsfrei getroffener Feststellungen das gesamte Tatgeschehen umfassend rechtlich zu bewerten.

Für die neue Hauptverhandlung wird es sich empfehlen, einen medizinischen Sachverständigen hinzuzuziehen, wenn vom Verletzungsbild des Geschädigten Rückschlüsse auf das Tatgeschehen und die Lebensgefährlichkeit der Begehungsweise gezogen werden sollen.

Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanovic Ernemann
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