Das Unionsrecht ist auf ein Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe anwendbar, das von einem Dritten nach dem Tod eines der Ehegatten in Gang gesetzt wurde
Allerdings kann sich eine andere Person als einer der Ehegatten, die ein solches Verfahren in Gang setzt, nur auf manche der unionsrechtlich vorgesehenen Zuständigkeitsgrundlagen stützen
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Im Jahr 2012 erhob Edyta Mikołajczyk bei einem polnischen Gericht eine Klage auf Ungültigerklärung der im Jahr 1956 in Paris (Frankreich) zwischen (dem am 3. März 1971 verstorbenen) Stefan Czarnecki und Marie Louise Czarnecka geschlossenen Ehe. Sie brachte dazu vor, die testamentarische Erbin der am 15. Juni 1999 verstorbenen ersten Ehegattin von Stefan Czarnecki, Zdzisława Czarnecka, zu sein. Nach Ansicht der Klägerin bestand die am 13. Juli 1937 in Posen (Polen) zwischen Stefan Czarnecki und Zdzisława Czarnecka geschlossene Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung zwischen Stefan Czarnecki und Marie Louise Czarnecka noch, sodass es sich bei der zuletzt genannten Ehe um eine bigamische Verbindung gehandelt habe, die aus diesem Grund für ungültig erklärt werden müsse. Die Beklagte Marie Louise Czarnecka beantragte ihrerseits, die Eheungültigkeitsklage wegen Unzuständigkeit der polnischen Gerichte als unzulässig abzuweisen. Ihrer Auffassung nach hätte diese Klage vor einem französischen Gericht erhoben werden müssen.
Nach polnischem Recht kann jeder die Ungültigerklärung der Ehe wegen des Weiterbestehens einer früheren Ehe eines der Ehegatten fordern, der daran ein rechtliches Interesse hat.
Die Unionsverordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung
1 gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, insbesondere für Zivilsachen, die die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe zum Gegenstand haben. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a fünfter und sechster Gedankenstrich dieser Verordnung sind für Fragen in diesen Angelegenheiten unter anderem die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet (1.) der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder (2.) der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist.
Der im Rechtsmittelweg angerufene Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau, Polen) ersucht den Gerichtshof um Klärung, ob zum einen die Verordnung auf Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe anwendbar ist, die von einer anderen Person als einem der Ehegatten nach dem Tod eines der Ehegatten in Gang gesetzt wurden, und ob zum anderen eine solche Person sich auf die in der zitierten Verordnungsbestimmung vorgesehenen Zuständigkeitsgrundlagen stützen kann.
In seinem Urteil von heute erklärt der Gerichtshof, dass betreffend die Anwendbarkeit der Verordnung diese zu den Gegenständen, die in ihren Anwendungsbereich fallen, die Ungültigerklärung einer Ehe zählt, ohne nach dem Zeitpunkt der Einleitung eines solchen Verfahrens in Bezug auf den Tod eines der Ehegatten oder nach der Identität der zur Ingangsetzung eines solchen Gerichtsverfahrens befugten Person zu differenzieren. Im Übrigen zählt ein von einem Dritten nach dem Tod eines der Ehegatten in Gang gesetztes Eheungültigkeitsverfahren nicht zu den vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossenen Angelegenheiten. Eine solche Auslegung wird auch durch das mit der Verordnung verfolgte Ziel bestätigt, zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beizutragen, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist.
Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass ein Ausschluss eines Eheungültigkeitsverfahrens vom Anwendungsbereich der Verordnung die mit dem Fehlen eines einheitlichen Regelungsrahmens in diesem Bereich verbundene Rechtsunsicherheit verstärken könnte.
Schließlich hebt der Gerichtshof hervor, dass der Umstand, dass sich die Ungültigkeitsklage gegen eine durch den Tod eines der Ehegatten bereits aufgelöste Ehe richtet, nicht bedeutet, dass diese Klage nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass jemand ein rechtliches Interesse daran haben kann, eine Ehe auch nach dem Tod eines der Ehegatten noch für ungültig erklären zu lassen. Zwar ist ein solches Interesse nach Maßgabe der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu beurteilen, doch besteht kein Grund, einem Dritten, der nach dem Tod eines der Ehegatten ein Eheungültigkeitsverfahren in Gang gesetzt hat, die Inanspruchnahme der von der Verordnung vorgesehenen einheitlichen Kollisionsnormen zu versagen.
Der Gerichtshof stellt somit fest, dass ein von einem Dritten nach dem Tod eines der Ehegatten in Gang gesetztes Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.
Hinsichtlich der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a fünfter und sechster Gedankenstrich der Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsgrundlagen erklärt der Gerichtshof, dass diese Bestimmungen den Gerichten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, unter bestimmten Bedingungen die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Auflösung einer Ehe verleihen.
Dazu erinnert der Gerichtshof daran, dass die von der Verordnung festgelegten Zuständigkeitsregeln auf die Wahrung der Interessen der Ehegatten, auf die Rücksichtnahme auf die Freizügigkeit der Personen und auch auf den Schutz der Rechte des Ehegatten, der den Staat des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts verlassen hat, gerichtet sind.
Der Gerichtshof schließt daraus,
dass ein von einem Dritten in Gang gesetztes Eheungültigkeitsverfahren zwar in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, dieser Dritte aber an die zugunsten der Ehegatten festgelegten Zuständigkeitsregeln gebunden bleiben muss. Folglich erfasst der Begriff des „Antragstellers“ im Sinne der Verordnung keine anderen Personen als die Ehegatten, sodass Dritte sich nicht auf die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a fünfter und sechster Gedankenstrich der Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsgrundlagen stützen können.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere# nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).