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Pressemitteilung
C-650/13;
Verkündet am: 
 06.10.2015
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Ein Mitgliedstaat kann an der bei bestimmten Staatsangehörigen erfolgten Aberkennung des Wahlrechts für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf Lebenszeit festhalten
Leitsatz des Gerichts:
Eine solche Aberkennung muss jedoch in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen
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Bis zum 1. März 1994 sah das französische Recht vor, dass die Verurteilung wegen eines Verbrechens zum automatischen und lebenslänglichen Verlust der bürgerlichen Rechte (Wahlrecht und Wählbarkeit) führte.

Seit der Reform des Strafgesetzbuchs tritt dieser Verlust nicht mehr automatisch ein, sondern muss von einem Gericht angeordnet werden; dies kann für höchstens zehn Jahre geschehen. Die Neuregelung gilt jedoch nicht für Verurteilungen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs rechtskräftig wurden.

Herr Delvigne, ein französischer Staatsangehöriger, wurde im Jahr 1988 in Frankreich wegen eines schweren Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Aufgrund der damals geltenden Strafvorschriften wurden ihm seine bürgerlichen Rechte automatisch und auf Lebenszeit aberkannt.

Trotz der Reform des Strafgesetzbuchs im Jahr 1994 blieb der Verlust seiner bürgerlichen Rechte bestehen, da er auf einer Verurteilung zu einer vor dem Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs rechtskräftig gewordenen Strafe beruhte. Herr Delvigne darf daher in Frankreich nicht mehr wählen; dies gilt auch für die Wahlen zum Europäischen Parlament.

Herr Delvigne hat dagegen beim Tribunal d’instance de Bordeaux Klage erhoben. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob ein Mitgliedstaat in Anbetracht des aktiven Wahlrechts der Unionsbürger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in einem Fall wie dem von Herrn Delvigne eine generelle, unbeschränkte und automatische Versagung der Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte vorsehen darf.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Verlust des aktiven Wahlrechts von Herrn Delvigne eine Einschränkung der Ausübung des aktiven Wahlrechts der Unionsbürger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament darstellt, das die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert.

Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass Einschränkungen der Ausübung der Grundrechte zulässig sind, sofern sie insbesondere verhältnismäßig sind.

Im vorliegenden Fall hält der Gerichtshof eine Einschränkung wie die Herrn Delvigne auferlegte für verhältnismäßig, da sie Art und Schwere der begangenen Straftat sowie die Dauer der Strafe berücksichtigt.

Der bei ihm eingetretene Verlust des aktiven Wahlrechts galt nämlich nur für Personen, die wegen einer mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bedrohten Straftat verurteilt wurden.

Außerdem besteht nach französischem Recht für eine Person in der Situation von Herrn Delvigne die Möglichkeit, die Aufhebung des Verlusts der bürgerlichen Rechte zu beantragen und zu erreichen.

Der Gerichtshof schließt daraus, dass es zulässig ist, den von Rechts wegen eingetretenen Verlust des aktiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Fall von Personen, die wegen eines schweren Verbrechens verurteilt wurden, beizubehalten.

Dieses Ergebnis wird durch die Regel der Rückwirkung des milderen Strafgesetzes, nach der, wenn nach Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt wird, diese zu verhängen ist, nicht in Frage gestellt.

Die Reform des Strafgesetzbuchs (durch die der Verlust der bürgerlichen Rechte gegenüber der zuvor geltenden Regelung abgemildert wurde) hat nämlich auf die Situation von Herrn Delvigne keinen Einfluss, da er schon vor dem Inkrafttreten der Reform rechtskräftig verurteilt worden war. Mit anderen Worten wird mit den französischen Rechtsvorschriften der Verlust des aktiven Wahlrechts nur bei rechtskräftigen Verurteilungen beibehalten, die letztinstanzlich unter der Geltung des alten Strafgesetzbuchs ergangen waren.

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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