Das Gericht der EU erklärt die Eintragung einer griechischen Gesellschaft in das von der Kommission eingeführte Frühwarnsystem zum Schutz der finanziellen Interessen der Union für nichtig
Die Kommission war für die Einführung eines solchen Systems nicht zuständig, zumal die Verteidigungsrechte der betroffenen Gesellschaft verkannt wurden
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Mit einem Beschluss von 2008
1 führte die Kommission ein Frühwarnsystem (FWS) ein, das bei der Kommission und ihren Exekutivagenturen die Weitergabe von Informationen über Dritte gewährleisten soll, die den finanziellen Interessen oder dem Ruf der Union Schaden zufügen könnten. Das FWS beruht auf Warnmeldungen, die eine Einstufung des mit einem Rechtssubjekt verbundenen Risikogrades nach Kategorien erlauben, die von W1 (schwächster Risikograd) bis W5 (höchster Risikograd) reichen. Die Eingabe solcher Warnmeldungen kann u. a. vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Rahmen der von ihm durchgeführten Untersuchungen beantragt werden. Das OLAF kann u. a. die Eingabe der Warnmeldungen W1a oder W1b beantragen, wenn seine Untersuchungen Grund zu der Annahme geben, dass es bei einem Dritten, insbesondere wenn dieser Unionsmittel erhält oder erhalten hat, zur (endgültigen) Feststellung von schwerwiegenden Verwaltungsfehlern oder Betrug kommen wird. Im Gegensatz zu anderen Warnmeldungen haben die Warnmeldungen des Grades W1 lediglich eine Verschärfung der Überwachungsmaßnahmen und nicht den Ausschluss des Rechtssubjekts vom betreffenden Projekt zur Folge.
Die Planet AE Anonymi Etaireia Parochis Symvouleftikon Ypiresion (
„Planet“) ist ein griechisches Unternehmen, das Beratungsleistungen im Bereich der Verwaltung von Unternehmen anbietet. Seit 2006 ist sie an drei Projekten in Syrien beteiligt, die von der Kommission finanziert werden. Ab 2007 war sie Gegenstand von Untersuchungen des OLAF, da der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten im Rahmen dieser drei Projekte bestand. Im Rahmen seiner Untersuchung beantragte das OLAF die – von der Kommission auch vorgenommene – Eintragung von Planet in das FWS, zunächst unter Eingabe einer Warnmeldung W1a, dann W1b.
2008 gewann Planet eine Ausschreibung zur Führung eines Konsortiums im Rahmen eines Projekts, das mit einer möglichen Finanzhilfe von mehr als drei Millionen Euro durch die Europäische Union finanziert wurde. Da die Kommission kurz vor Unterzeichnung der Finanzhilfevereinbarung Kenntnis von den vom OLAF beantragten Eingaben erhalten hatte, machte sie die Unterzeichnung der Vereinbarung von der Eröffnung eines Sperrkontos durch Planet abhängig. Nachdem Planet dem nachgekommen war, unterzeichnete die Kommission die Vereinbarung. Planet hat beim Gericht der Europäischen Union Klage erhoben, um die Nichtigerklärung der Entscheidungen zu erreichen, mit denen das OLAF und die Kommission sie in das FWS eingetragen hatten.
Mit Urteil vom heutigen Tag
2 gibt das Gericht der Klage statt und erklärt die streitigen Entscheidungen für nichtig.
Das Gericht stellt zunächst fest, dass
die Kommission mangels einer Rechtsgrundlage keine Zuständigkeit zum Erlass des Beschlusses von 2008 hatte, mit dem das FWS geschaffen wurde. Eine ausdrückliche Zuständigkeit der Kommission zum Erlass eines solchen Beschlusses ergibt sich weder aus den Bestimmungen der Verträge noch aus denen der Haushaltsordnung. Diese Rechtstexte beziehen sich nicht auf ein System wie das FWS (d. h. eine Datenbank, in der natürliche oder juristische Personen erfasst sind, die verdächtigt werden, ein Risiko für die finanziellen Interessen der Union darzustellen), sondern sehen lediglich die Schaffung einer zentralen Datenbank für zwingende Ausschlussgründe vor. Der Großteil der FWS-Warnmeldungen (darunter die Warnmeldungen W1a und W1b) hat allerdings keinen Ausschluss des betroffenen Rechtssubjekts von der Auftragsvergabe zur Folge
3. Ferner stellt das Gericht fest, dass sich die Warnmeldungen W1a und W1b auf eine Situation beziehen, in der die Untersuchungen noch andauern und in der daher die Schuld des betroffenen Rechtssubjekts noch nicht von einem Richter festgestellt wurde. Für die Verhängung präventiver Maßnahmen in einem derart frühen Stadium hätte die Kommission daher einer Rechtsgrundlage bedurft, um die Verteidigungsrechte, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz der Rechtssicherheit zu wahren.
Des Weiteren erklärt
das Gericht die streitigen Entscheidungen wegen fehlender Begründung und eines Verstoßes gegen die Verteidigungsrechte für nichtig. Die Entscheidungen des OLAF und der Kommission wurden Planet nämlich nicht mitgeteilt, so dass diese keine Möglichkeit hatte, Stellung zu nehmen, und auch keine Kenntnis der Gründe für ihre Eintragung in das FWS erlangen konnte. Im Übrigen gestattet die Tatsache, dass Planet über die vom OLAF eingeleiteten Untersuchungen informiert wurde, der Kommission nicht die Annahme, dass Planet aus dieser Information die Gründe habe
„herleiten“ können, aus denen sie in das FWS eingetragen wurde. Schließlich wurde Planet weder vor noch nach ihrer Eintragung in das FWS informiert.
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HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.
HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.
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1Beschluss 2008/969/EG, Euratom der Kommission vom 16. Dezember 2008 über das von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendende FWS (ABl. L 344, S. 125).
2 Die Dauer des Verfahrens erklärt sich durch die Tatsache, dass das Gericht über eine von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zu befinden hatte und das Verfahren infolge des von der Kommission gegen die Zurückweisung dieser Einrede eingelegten Rechtsmittels ausgesetzt hatte. Nachdem der Gerichtshof das Rechtsmittel der Kommission zurückgewiesen hatte, hatte das Gericht über einen Antrag der Kommission auf Feststellung der Erledigung zu befinden, der ebenfalls zurückgewiesen wurde.
3Für die Warnmeldungen W1d, W5a und W5b geht das Gericht hingegen davon aus, dass eine Rechtsgrundlage vorliegt, da es sich um Warnmeldungen handelt, die zum Ausschluss führen.