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Pressemitteilung
C-385/11;
Verkündet am: 
 22.11.2012
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Die spanischen Rechtsvorschriften über die beitragsbezogene Altersrente von Teilzeitbeschäftigten sind diskriminierend
Leitsatz des Gerichts:
Das für Teilzeitbeschäftigte (bei denen es sich großenteils um Frauen handelt) geltende Erfordernis, proportional längere Beitragszeiten zurücklegen zu müssen, schafft eine Ungleichbehandlung
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Wer in Spanien eine beitragsbezogene Altersrente erhalten will, muss das 65. Lebensjahr vollendet haben und eine Mindestbeitragszeit von 15 Jahren erfüllen1. Im Rahmen der Berechnung der erforderlichen Beitragszeiten werden nach den spanischen Rechtsvorschriften ausschließlich die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden berücksichtigt, die in theoretische Beitragstage umgerechnet werden. Dieser Grundsatz wird durch zwei Korrekturregeln gemildert, um Teilzeitbeschäftigten den Zugang zum Schutz der sozialen Sicherheit zu erleichtern.

Dazu ist erstens der Begriff eines „theoretischen Beitragstags“ festgelegt worden, der fünf tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden täglich oder 1 826 Stunden jährlich entspricht. Es werden die auf der Grundlage der geleisteten Arbeitsstunden gezahlten Beiträge berücksichtigt, die in theoretische Beitragstage umgerechnet werden. Zweitens kommt für die Begründung eines Anspruchs auf Leistungen bei Alter eine spezifische Maßnahme zur Anwendung, nach der die Anzahl der theoretischen Beitragstage mit 1,5 multipliziert und dadurch erhöht wird, um den Zugang zum Schutz zu erleichtern.

Frau Elbal Moreno hat 18 Jahre lang ausschließlich als teilzeitbeschäftigte Reinigungskraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von vier Stunden (10 % der gesetzlichen wöchentlichen Arbeitszeit in Spanien, die sich auf 40 Stunden beläuft) für eine Eigentümergemeinschaft gearbeitet. Mit 66 Jahren hat sie beim Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) eine Altersrente beantragt. Diese Rente wurde ihr mit der Begründung verweigert, dass sie die Mindestbeitragszeit von 15 Jahren nicht erfülle, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Altersrente sei.

Das mit dieser Rechtssache befasste Juzgado de lo Social (Sozialgericht) de Barcelona möchte hierzu vom Gerichtshof insbesondere wissen, ob die Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit2 den spanischen Rechtsvorschriften
entgegensteht.

Das vorlegende Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die spanischen Rechtsvorschriften ausschließlich die geleisteten Arbeitsstunden, nicht aber die Beitragszeiten, d. h. die Arbeitstage, berücksichtigen, so dass sie letztlich die – wenn auch berichtigte – zweifache Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes zur Folge haben. Von einem Teilzeitbeschäftigten wird demnach für den Erhalt einer Altersrente, deren Höhe bereits unmittelbar und proportional zur Verringerung der Arbeitszeit herabgesetzt ist, eine im umgekehrten Verhältnis zur Verkürzung seiner Arbeitszeit längere Wartezeit verlangt. Bei Frau Elbal Moreno führt die Anwendung der spanischen Rechtsvorschriften dazu, dass die über einen Zeitraum von 18 Jahren für 10 % der täglichen Arbeitszeit entrichteten Beiträge der Zahlung von Beiträgen über weniger als drei Jahre entsprechen. Demzufolge hätte sie 100 Jahre lang arbeiten müssen, um die Mindestwartezeit von 15 Jahren nachweisen zu können, die ihr einen Anspruch auf eine Altersrente von monatlich 112,93 Euro gäbe.

Der Gerichtshof hat in seinem heutigen Urteil für Recht erkannt, dass die Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit den spanischen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen Teilzeitbeschäftigte, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe bereits proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt. Zum einen benachteiligen die fraglichen Rechtsvorschriften Arbeitnehmer, die über lange Zeit in geringem Umfang teilzeitbeschäftigt waren, denn durch die Methode, die zur Berechnung der für den Erhalt einer Altersrente erforderlichen Beitragszeiten angewandt wird, nimmt diese Regelung den betroffenen Arbeitnehmern praktisch jede Möglichkeit, eine derartige Altersrente zu erhalten, und zum anderen betreffen sie wesentlich mehr Frauen als Männer, da in Spanien mindestens 80 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind.

Diese nationale Regelung könnte allerdings durch objektive Faktoren gerechtfertigt sein, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies ist der Fall, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel der Sozialpolitik des Mitgliedstaats dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind. Der Gerichtshof betont jedoch in diesem Zusammenhang, dass nichts darauf schließen lässt, dass es sich zum einen bei der Versagung jeglicher Möglichkeit für Teilzeitbeschäftigte wie Frau Elbal Moreno, eine Altersrente zu erhalten, um eine Maßnahme handelt, die zur Erreichung des vom INSS und von der spanischen Regierung genannten Ziels, das beitragsbezogene System der sozialen Sicherheit zu schützen, tatsächlich erforderlich ist, und dass zum anderen dieses Ziel nicht durch eine andere, für die betroffenen Arbeitnehmer weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden könnte. Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen, wonach die beiden bei der Berechnung der Arbeitszeit angewandten Korrekturmaßnahmen Teilzeitbeschäftigten den Zugang zur Altersrente erleichtern sollen, nicht in Frage gestellt. Diese beiden Korrekturmaßnahmen haben nämlich offenkundig auf die Situation von Teilzeitbeschäftigten wie im Fall von Frau Elbal Moreno keinerlei positive Auswirkungen gehabt. Demzufolge verstößt eine derartige nationale Regelung gegen die Richtlinie 79/7 und stellt eine mittelbare Diskriminierung dar.

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1 Siebte Zusatzbestimmung der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz), angenommen durch das Real Decreto Legislativo 1/94 vom 20. Juni 1994 (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658).
2 Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. L 6, S. 24).
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