Ein Flugreisender kann vom Luftfrachtführer Schadensersatz für den Verlust seiner Gegenstände verlangen, wenn sich diese in einem Gepäckstück befinden, das von einem auf demselben Flug Mitreisenden aufgegeben wurde
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Das Übereinkommen von Montreal1 sieht vor, dass der Luftfrachtführer jedem Reisenden bei Verlust von dessen Reisegepäck während des Fluges oder in der Zeit, in der es sich in seiner Obhut befand, eine Entschädigung zu leisten hat, die auf 1 000 Sonderziehungsrechte (SZR)2 begrenzt ist. Der Luftfrachtführer hat dem Reisenden für jedes aufgegebene Gepäckstück einen Beleg zur Gepäckidentifizierung auszuhändigen.
Herr Espada Sánchez, Frau Oviedo Gonzáles und ihre beiden minderjährigen Kinder nahmen am 1. August 2008 einen Flug der Gesellschaft Iberia von Barcelona nach Paris. Das Reisegepäck der vierköpfigen Familie war auf zwei Koffer verteilt. Diese gingen während des Fluges verloren und wurden nicht wiedergefunden. Deshalb verlangen die vier Reisenden von Iberia Schadensersatz in Höhe von 4 400 Euro, was 4 000 SZR entspricht (d. h. 1 000 SZR je Reisenden).
Das mit diesem Rechtsstreit befasste spanische Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob der Luftfrachtführer nur dem Reisenden Schadensersatz zu leisten hat, dem der Beleg zur Gepäckidentifizierung ausgehändigt wurde, oder auch dem Reisenden, der Schadensersatz für den Verlust eines von einem Mitreisenden aufgegebenen Gepäckstücks fordert.
In seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof fest, dass
ein Reisender vom Luftfrachtführer Schadensersatz für den Verlust seiner Gegenstände fordern kann, die sich in einem von einem Mitreisenden aufgegebenen Gepäckstück befunden haben. Folglich
ist nicht nur dem Reisenden Schadensersatz zu leisten, der sein eigenes Reisegepäck individuell aufgegeben hat, sondern auch dem Reisenden, dessen Gegenstände sich in dem von einem Mitreisenden, der denselben Flug genommen hat, aufgegebenen Reisegepäck befunden haben.
Es ist Sache der betroffenen Reisenden, unter Nachprüfung durch das nationale Gericht nachzuweisen, dass das von einem Mitreisenden aufgegebene Reisegepäck tatsächlich Gegenstände eines anderen Reisenden, der denselben Flug genommen hat, enthielt. Dabei kann das nationale Gericht berücksichtigen, dass diese Reisenden Familienmitglieder sind, ihre Flugscheine zusammen gekauft oder außerdem gemeinsam eingecheckt haben.
Der Gerichtshof führt weiter aus, dass diese Auslegung nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass die Luftfrachtführer den Reisenden für jedes aufgegebene Gepäckstück einen Beleg zur Gepäckidentifizierung auszuhändigen haben. Das Übereinkommen von Montreal erlegt dem Luftfrachtführer nämlich lediglich eine Identifizierungspflicht auf, aus der sich aber nicht ableiten lässt, dass der Anspruch auf Entschädigung bei Verlust von Reisegepäck nur Reisenden zustünde, die mindestens ein Gepäckstück aufgegeben haben.
Dieses Ergebnis wird im Übrigen durch die Ziele bestätigt, die mit dem Übereinkommen von Montreal, das den Schutz der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr gewährleisten und den Verbrauchern einen angemessenen Schadensersatz nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs sichern soll, verfolgt werden.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1 Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossen, von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und mit Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 in ihrem Namen genehmigt (ABl. L 194, S. 38).
2Diese Obergrenze von 1 000 SZR wurde zum 30. Dezember 2009 auf 1 131 SZR erhöht.