Sieht ein Mitgliedstaat für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung vor, muss er diese Möglichkeit auch einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft einräumen
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Das ungarische Recht gestattet zwar ungarischen Gesellschaften die Umwandlung
1, lässt jedoch nicht die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft in eine ungarische Gesellschaft zu.
Die italienische Gesellschaft VALE COSTRUZIONI Srl wurde 2000 gegründet und in das Handelsregister von Rom eingetragen. Am 3. Februar 2006 beantragte diese Gesellschaft ihre Löschung im Handelsregister, da sie beabsichtigte, ihren Sitz und ihre Tätigkeit nach Ungarn zu verlegen und ihre Tätigkeit in Italien einzustellen.
Am 13. Februar 2006 wurde die Gesellschaft im italienischen Handelsregister gelöscht und dort Folgendes vermerkt: „Die Gesellschaft hat ihren Sitz nach Ungarn verlegt.“
Im Anschluss an diese Löschung gründeten der Geschäftsführer der Gesellschaft VALE COSTRUZIONI und eine weitere natürliche Person die Gesellschaft VALE ÉpÃtési Kft. Deren Vertreter beantragte bei einem ungarischen Registergericht ihre Eintragung in das ungarische Handelsregister unter Nennung der Gesellschaft VALE COSTRUZIONI als Rechtsvorgängerin der Gesellschaft VALE ÉpÃtési Kft. Dieser Antrag wurde vom Registergericht jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine in Italien gegründete und eingetragene Gesellschaft ihren Gesellschaftssitz nicht nach Ungarn verlegen und nicht als Rechtsvorgängerin einer ungarischen Gesellschaft in das ungarische Handelsregister eingetragen werden könne.
Der für die Entscheidung über den Eintragungsantrag der Gesellschaft VALE ÉpÃtési Kft zuständige Legfelsőbb BÃróság (Oberster Gerichtshof, Ungarn) fragt den Gerichtshof, ob die ungarische Regelung, die ungarischen Gesellschaften die Umwandlung gestattet, aber Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten die Umwandlung in eine ungarische Gesellschaft verbietet, mit dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. In diesem Zusammenhang möchte das ungarische Gericht wissen, ob sich ein Mitgliedstaat bei der Eintragung einer Gesellschaft im Handelsregister weigern darf, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Rechtsvorgängerin dieser Gesellschaft einzutragen.
In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass Gesellschaften in Ermangelung einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition nur vermittels der nationalen Rechtsvorschriften existieren, die für ihre Gründung und ihre Funktionsweise maßgebend sind. Somit darf im Kontext einer grenzüberschreitenden Umwandlung einer Gesellschaft der Aufnahmemitgliedstaat die für einen solchen Vorgang maßgebenden Rechtsvorschriften festlegen und sein nationales Recht über innerstaatliche Umwandlungen anwenden, das die Gründung und die Funktionsweise einer Gesellschaft regelt.
Der Gerichtshof betont jedoch,
dass das nationale Recht des Aufnahmemitgliedstaats in diesem Bereich nicht von vornherein dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit entzogen sein kann, so dass dessen Bestimmungen, die die Umwandlung einer Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat untersagen, die Umwandlung inländischer Gesellschaften aber erlauben, im Lichtdieses Grundsatzes zu prüfen sind.
Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die in Rede stehende ungarische Regelung dadurch, dass sie nur die Umwandlung einer Gesellschaft vorsieht, die ihren Sitz schon in Ungarn hat,
eine unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften in Abhängigkeit davon begründet, ob es sich um eine innerstaatliche oder um eine grenzüberschreitende Umwandlung handelt.
Da eine derartige unterschiedliche Behandlung geeignet ist, Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten davon abzuhalten, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen,
stellt sie eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Ausübung dieser Freiheit dar.
Sodann weist der Gerichtshof zum einen darauf hin, dass die Vornahme einer grenzüberschreitenden Umwandlung die sukzessive Anwendung von zwei nationalen Rechtsordnungen auf diesen rechtlichen Vorgang erfordert. Zum anderen hebt er hervor, dass sich aus den die Niederlassungsfreiheit betreffenden Art. 49 AEUV und 54 AEUV keine genauen Regeln ableiten lassen, die an die Stelle der nationalen Vorschriften treten könnten.
Unter diesen Umständen sind die nationalen Vorschriften unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes anzuwenden, die den Schutz der den Rechtssuchenden aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen.
Der Gerichtshof stellt daher erstens fest, dass die Anwendung von Bestimmungen des nationalen Rechts über innerstaatliche Umwandlungen, die – wie die Anforderungen an die Erstellung einer Bilanz und eines Vermögensverzeichnisses – die Gründung und die Funktionsweise einer Gesellschaft regeln, durch Ungarn nicht zu beanstanden ist.
Zweitens kann, wenn ein Mitgliedstaat im Rahmen einer innerstaatlichen Umwandlung eine strikte rechtliche und wirtschaftliche Kontinuität zwischen der Vorgängergesellschaft, die die Umwandlung begehrt, und der umgewandelten Nachfolgergesellschaft verlangt, ein solches Erfordernis auch im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umwandlung auferlegt werden.
Drittens steht das Unionsrecht jedoch einer Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats entgegen, bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung im Handelsregister die Gesellschaft des Herkunftsmitgliedstaats als Rechtsvorgängerin der umgewandelten Gesellschaft einzutragen,wenn bei innerstaatlichen Umwandlungen eine solche Eintragung der Vorgängergesellschaft vorgenommen wird.
Der Gerichtshof antwortet schließlich, dass die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, die mit der Prüfung eines Eintragungsantrags einer Gesellschaft befasst sind, den von den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats ausgestellten Dokumenten Rechnung tragen müssen, die bestätigen, dass diese Gesellschaft im Zeitpunkt der Einstellung ihrer Tätigkeit im Herkunftsmitgliedstaat dessen nationalen Rechtsvorschriften tatsächlich entsprochen hat.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1 Im vorliegenden Fall besteht die Umwandlung im Wechsel des Gesellschaftssitzes und des anwendbaren nationalen Rechts.