Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Aufhebung der Klassifizierung eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung vorzuschlagen, wenn dieses endgültig nicht mehr geeignet ist, die Ziele der Habitatrichtlinie zu erfüllen
Eine weitere Beschränkung der Nutzung dieses Gebiets könnte das Eigentumsrecht verletzen
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Durch die Habitatrichtlinie
1 wurde das größte ökologische Netz der Welt,
„Natura 2000“, errichtet. Dieses Netz besteht aus besonderen Schutzgebieten (BSG), die auf der Grundlage der von der Kommission im Benehmen mit den Mitgliedstaaten festgelegten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (GGB) bestimmt werden.
Die Gesellschaft Cascina Tre Pini (Cascina) ist Eigentümerin eines im Gebiet
„Brughiera del Dosso“ in der Gemeinde Somma Lombardo in der Nähe des Flughafens Mailand-Malpensa gelegenen Grundstücks in der Lombardei (Italien). 2002 wurde dieses Gebiet durch ein Gesetz der Region Lombardei in den Naturpark Valle del Ticino einbezogen. Durch Entscheidung der Kommission wurde das Gebiet 2004 gemäß der Habitatrichtlinie in die Liste der GGB aufgenommen.
In der Zwischenzeit war im Rahmen des Zonenplans Malpensa durch ein Gesetz der Region Lombardei von 1999 beschlossen worden, den Flughafen Mailand-Malpensa zu vergrößern und Flächen der Gemeinde Somma Lombardo für die gewerbliche und industrielle Erschließung zu bestimmen.
Cascina verlangte seit 2005 vom Träger des Parks, Maßnahmen zur Verhinderung der ökologischen Schädigung des Gebiets zu erlassen. Da dieser Antrag nicht beschieden wurde, richtete Cascina im Jahr 2006 einen Antrag gemäß der Habitatrichtlinie und den entsprechenden italienischen Rechtsvorschriften an das italienische Umweltministerium. Mit diesem Antrag forderte Cascina das Ministerium auf, das Gebiet neu abzugrenzen oder sogar seine Klassifizierung aufzuheben, da sie der Ansicht war, dass die Voraussetzungen für die Bestimmung als GGB nicht länger vorlägen. Das Interesse von Cascina ergab sich aus dem Umstand, dass das Eigentumsrecht an ihrem Grundstück von den zwingenden Rechtsvorschriften über die GGB betroffen war, nach denen die Bestimmung der Grundstücke nicht geändert werden durfte, obwohl solche Änderungen im Zonenplan von Malpensa vorgesehen sind.
Sowohl das Ministerium als auch die später befasste Region Lombardei lehnten es ab, über den Antrag zu entscheiden.
Die Frage gelangte bis zum italienischen Staatsrat, der seinerseits dem Gerichtshof die Frage gestellt hat, ob die Habitatrichtlinie es dem betreffenden Staat gestattet, die Liste der GGB an Stelle der Regionen neu festzulegen und ob diese Befugnis zur Neufestlegung nicht nur auf Initiative der Verwaltungsbehörde, sondern auch auf Antrag einer Privatperson, deren Grundstück in einem GGB liegt, ausgeübt werden kann.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof, nachdem er das in der Richtlinie vorgesehene Verfahren zur Aufnahme eines Gebiets in die Liste der GGB
2 in Erinnerung gerufen hat, fest, dass
die Richtlinie zwar
die Aufhebung der Klassifizierung eines GGB nicht ausdrücklich vorsieht, die Aufhebung der Klassifizierung eines BSG aber erlaubt, wenn die natürliche Entwicklung des Gebiets dies rechtfertigt. Da alle GGB von den Mitgliedstaaten als BSG auszuweisen sind,
bedeutet die Aufhebung der Klassifizierung eines BSG zwangsläufig die Aufhebung der Klassifizierung des GGB. In Ermangelung einer besonderen Regelung ist eine solche Aufhebung der Klassifizierung
nach dem gleichen Verfahren durchzuführen wie die Aufnahme des Gebiets in die Liste.
Wenn die Ergebnisse der Überwachung durch den betreffenden Mitgliedstaat bedeuten, dass die in der Richtlinie festgelegten Kriterien nicht mehr eingehalten werden können und ein GGB endgültig nicht mehr zur Verwirklichung der Ziele der Richtlinie beitragen kann, erscheint es nicht mehr gerechtfertigt, dieses GGB weiterhin den Vorgaben der Richtlinie zu unterwerfen, so dass der fragliche Mitgliedstaat der Kommission die Aufhebung der Klassifizierung vorzuschlagen hat. Täte er dies nicht, könnte es dazu kommen, dass er weiterhin für die Verwaltung des Gebiets Ressourcen einsetzt, die für die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Arten nutzlos sind. Darüber hinaus würden die Qualitätsanforderungen des Netzes Natura 2000 nicht erfüllt, wenn Gebiete, die endgültig nicht mehr zur Verwirklichung der genannten Ziele beitragen, im Netz verblieben.
Solange das Gebiet durch seine Eigenschaften die Voraussetzungen erfüllt, die seine Klassifizierung zuließen, sind Beschränkungen des Eigentums durch das Ziel des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt. Entfallen diese Eigenschaften endgültig und ist das Gebiet aufgrund der Schädigung endgültig nicht mehr geeignet, die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Arten sicherzustellen, könnte die weitere Beschränkung der Nutzung des Gebiets das Eigentumsrecht verletzen.
Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass die Geltendmachung einer ökologischen Schädigung eines GGB durch den Eigentümer eines in diesem Gebiet gelegenen Grundstücks für sich allein nicht genügt, um die Aufhebung der Klassifizierung auszulösen. Ebenso wenig rechtfertigt die Verletzung der Schutzpflicht für das Gebiet durch einen Mitgliedstaat zwangsläufig die Aufhebung der Klassifizierung.
Die innerstaatliche Kompetenzverteilung wird in der Richtlinie nicht erwähnt. Diese ist zwar für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt es jedoch den innerstaatlichen Stellen, die Form und die Mittel zu regeln. Das Unionsrecht verlangt deshalb nicht, dass die Gebietskörperschaften übertragene Zuständigkeit durch eine subsidiäre Kompetenz des Staats ergänzt wird, sofern die nationalen Maßnahmen insgesamt eine ordnungsgemäße Anwendung der Vorschriften der Richtlinie wirksam gewährleisten.
Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die zuständigen nationalen Behörden verpflichtet sind, der Kommission auf Antrag des Eigentümers eines in einem GGB gelegenen Grundstücks die Aufhebung der Klassifizierung des GGB vorzuschlagen, wenn dieses infolge von Umweltschäden und trotz Beachtung der Richtlinie endgültig nicht mehr zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Arten beiträgt.
Das Unionsrecht lässt eine nationale Regelung zu, die die Befugnis, die Anpassung der Liste der GGB vorzuschlagen, allein den Gebietskörperschaften (und nicht dem Staat) überträgt, soweit die ordnungsgemäße Anwendung der Richtlinie gewährleistet ist.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7). Diese Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten auf, den Erhaltungszustand der Arten und der natürlichen Lebensräume zu überwachen, indem sie sie dazu verpflichtet, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Verschlechterung zu vermeiden. Die Richtlinie schreibt ihnen auch vor, die Umweltverträglichkeit der mit ihren Vorschriften unvereinbaren Projekte zu prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu erlassen.
2Über die Aufnahme eines Gebiets in die Liste der GGB entscheidet die Kommission auf Vorschlag des betreffenden Mitgliedstaats. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle in der Liste der GGB bezeichneten Gebiete als BSG auszuweisen. Die Mitgliedstaaten schlagen gegebenenfalls die Anpassung der Liste der GGB im Licht der Ergebnisse der Überwachung des Erhaltungszustands der betreffenden Arten und natürlichen Lebensräume vor.