Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Pressemitteilung
C-506/09 P;
Verkündet am: 
 22.03.2012
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Mangelnde Sorgfalt der nationalen Zollbehörden kann zu einer den Erlass einer Zollschuld rechtfertigenden besonderen Lage führen
Leitsatz des Gerichts:
Dies ist der Fall, wenn die genannten Behörden eine Sicherheit akzeptieren, die nicht ausreicht, um eine Zollschuld abzusichern, die sich aus einer Gesamtheit von externen gemeinschaftlichen Versandverfahren ergibt
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Alle Nichtgemeinschaftswaren, die in das Gebiet der Europäischen Union gelangen, sind bei ihrer Ankunft grundsätzlich zollrechtlich abzufertigen. Zur Vermeidung von Engpässen an den Grenzen der Union und um die zollrechtliche Abfertigung möglichst nahe bei dem die Waren empfangenden Unternehmen durchzuführen, sieht der Zollkodex der Union1 für diese Waren die Möglichkeit des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens vor.

In diesem Verfahren können die Waren unter zollamtlicher Überwachung im Zollgebiet befördert und erst an der Zollstelle des Bestimmungsorts – insbesondere durch die Entrichtung des Einfuhrzolls – in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt werden. Die Einfuhrzollschuld entsteht, wenn die Waren bei der Durchfuhr der zollamtlichen Überwachung entzogen werden.

Allerdings kann eine Erstattung oder ein Erlass der aufgrund der Einfuhr entstandenen Zollschuld durch eine besondere Lage gerechtfertigt sein, die sich aus Umständen ergibt, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

Um die Erfüllung der Zollschuld sicherzustellen, die gegebenenfalls für eine dem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren unterliegende Ware entsteht, hat derjenige, der dieses Verfahren in Anspruch nimmt (beispielsweise der Transporteur), eine Sicherheit zu leisten. Die Zollbehörden können insoweit die Leistung einer Gesamtsicherheit zulassen, die mehrere Vorgänge absichert, bei denen eine Zollschuld entsteht oder entstehen kann. Wenn sie feststellen, dass eine geleistete Sicherheit die Erfüllung der Zollschuld nicht oder nicht mehr sicher oder vollständig gewährleistet, verlangen die Zollbehörden vom Betroffenen nach dessen Wahl die Leistung einer zusätzlichen Sicherheit oder die Ersetzung der ursprünglichen Sicherheit durch eine neue.

Die Transnáutica – Transportes e Navegação, SA, ist ein portugiesisches Straßentransportunternehmen. Zwischen dem 14. April und dem 12. Oktober 1994 stellte die Zollbehörde von Xabregas (Portugal) als Abgangszollstelle dieser Gesellschaft 68 Versandanmeldungen aus für die Überführung in den freien Verkehr im Zollgebiet der Union von 64 Sendungen Tabak und 4 Sendungen Ethylalkohol, die dem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren unterlagen.

Nach der Beendigung des Versandverfahrens wurden gewisse Unregelmäßigkeiten festgestellt. Die portugiesischen Behörden forderten Transnáutica daher auf, nachzuweisen, dass sie während des Versandverfahrens ordnungsgemäß und rechtmäßig gehandelt habe, und zum anderen, die entsprechenden Zollschulden zu begleichen.

Transnáutica, die von diesen Versandverfahren keine Kenntnis hatte, stellte fest, dass einer ihrer Angestellten betrügerisch gehandelt hatte, indem er, ohne ihr Wissen, Versandscheine für Schmuggelgeschäfte unterzeichnet hatte. Der betreffende Angestellte wurde entlassen und danach wegen fortgesetzten Vertrauensmissbrauchs verurteilt. Was Transnáutica betrifft, wurde das gegen sie eröffnete Strafverfahren mit der Begründung eingestellt, dass sie von den Machenschaften ihres Angestellten nichts gewusst habe und dass ihre Bevollmächtigten an diesem Betrug nicht beteiligt gewesen seien.

Im November 2003 beantragte Transnáutica die Erstattung und den Erlass der aus der Einfuhr der 68 fraglichen Sendungen entstandenen Zollschuld. Am 6. Juli 2005 wies die Europäische Kommission den Antrag von Transnáutica zurück2. Sie war der Ansicht, dass sich diese Gesellschaft nicht in einer den Erlass und die Erstattung der Zollschuld rechtfertigenden besonderen Lage befunden habe.

Im Oktober 2005 erhob Transnáutica gegen diese Entscheidung Klage beim Gericht. Dieses erklärte die Entscheidung der Kommission mit Urteil vom 23. September 20093 für nichtig. Das Gericht war der Ansicht, dass die portugiesischen Zollbehörden für die 68 fraglichen Versandscheine eine unzureichende Sicherheit akzeptiert hätten. So hätten die 68 Versandscheine nicht ausgestellt werden können, wenn die portugiesischen Zollbehörden im Zeitpunkt der Ausstellung der fraglichen Versandscheine überprüft hätten, ob der Betrag der Zölle und anderen Abgaben, die für jede einzelne Ladung hätten entstehen können, durch die von Transnáutica geleistete Gesamtsicherheit abgesichert gewesen sei. Diese mangelnde Sorgfalt habe Transnáutica in eine besondere Lage gebracht, die nicht mehr unter das normale Geschäftsrisiko falle, das mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden sei.

Vor diesem Hintergrund hat Portugal gegen das Urteil des Gerichts beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt.

Mit seinem heutigen Urteil hat der Gerichtshof das Rechtsmittel zurückgewiesen und das Urteil des Gerichts, mit dem die Entscheidung der Kommission aufgehoben wurde, bestätigt. Nach Ansicht des Gerichtshofs hat das Gericht zu Recht befunden, dass die mangelnde Sorgfalt der portugiesischen Behörden- die die Unwirksamkeit der von Transnáutica eingerichteten Überprüfungsmechanismen zur Folge hatte – zu einer den Erlass der Zollschuld rechtfertigenden besonderen Lage geführt habe.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass das Handeln der und die Überprüfung durch die zuständigen nationalen Zollbehörden nicht nur im Zeitpunkt der Ausstellung der Bürgschaftsbescheinigung wesentlich ist, sondern auch bei der Leistung der zur Absicherung mehrerer Versandverfahren bestimmten Gesamtsicherheit. Obgleich der Zollkodex keine formelle Verpflichtung enthält, die Angemessenheit der Gesamtsicherheit zu überprüfen,haben die zuständigen Zollbehörden folglich gleichwohl alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie erkennen, dass zwischen dem Betrag der geleisteten Sicherheit und den Abgaben, die insgesamt für eine bestimmte Gesamtheit von Versandverfahren geschuldet werden, eine Abweichung besteht.

Sodann bestätigt der Gerichtshof die Feststellung des Gerichts, wonach die von den Zollbehörden verlangte Sicherheit im vorliegenden Fall unangemessen gewesen sei. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass die tatsächlich geleistete Gesamtsicherheit nie mehr als 7,29 % der geschuldeten Abgaben absicherte, während deren Betrag mindestens 30 % der genannten Abgaben hätte absichern müssen.

Der Gerichtshof bestätigt außerdem die Ausführungen des Gerichts zum Kausalzusammenhang zwischen der fehlenden Wachsamkeit der genannten Behörden einerseits – die den Umstand zur Folge hatte, dass die Versandverfahren sämtlichen von den anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehenen Überprüfungsmaßnahmen entgingen – und dem Vorliegen einer besonderen Lage andererseits. Dazu führt der Gerichtshof aus, dass das Gericht entgegen der Auffassung Portugals nicht bestimmt hat, ob zwischen dem den Betrag der Gesamtsicherheit betreffenden Fehler und der Entstehung einer Zollschuld ein Kausalzusammenhang besteht. Das Gericht hat nämlich geprüft, ob der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt eine den Erlass der Zollschuld rechtfertigende „besondere Lage“ darstellen kann. Hätten die genannten Behörden ihre Pflichten hinsichtlich der Berechnung des Betrags der zu leistenden Gesamtsicherheit erfüllt, hätten die 68 Versandscheine somit nicht ausgestellt und die Gesamtheit der anschließend als betrügerisch bewerteten Geschäfte nie vorgenommen werden können.

---------------------
HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist.
--------------------
1Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1).
2Entscheidung REM 05/2004 der Kommission, mit der der Transnáutica – Transportes e Navegação SA die Erstattung und der Erlass bestimmter Einfuhrabgaben versagt wurden.
3Rechtssache Transnáutica – Transportes e Navegação SA/Kommission (T-385/05).
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).
       URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS ÜBER UNS IMPRESSUM