Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Pressemitteilung
C-453/10;
Verkündet am: 
 15.03.2012
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Nationale Rechtsvorschriften können vorsehen, dass ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden, der eine missbräuchliche Klausel enthält, unwirksam ist, wenn dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet wird
Leitsatz des Gerichts:
Auch wenn das Unionsrecht grundsätzlich nur auf die Beseitigung missbräuchlicher Klauseln abzielt, gestattet es den Mitgliedstaaten gleichwohl, ein höheres Verbraucherschutzniveau vorzusehen
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Die Richtlinie 93/131 sieht vor, dass missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag, der zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden nach dessen Vorgaben geschlossen wurde, für den Verbraucher unverbindlich sind. Dabei ist eine Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. Ein Vertrag, der eine solche Klausel enthält, bleibt jedoch für beide Parteien bindend, wenn er ohne die Klausel bestehen kann.

Frau Pereničová und Herr Perenič nahmen bei der SOS financ, die kein Kreditinstitut ist, aber Verbraucherkreditverträge auf der Grundlage von Standardformularverträgen gewährt, einen Kredit in Höhe von 150 000 SKK (4 979 Euro) auf. Nach dem Kreditvertrag ist der Kredit in 32 Monatsraten von je 6 000 SKK (199 Euro) zuzüglich einer 33. Monatsrate in Höhe des bewilligten Kredits zurückzuzahlen. Die Kreditnehmer sind somit verpflichtet, einen Betrag von 342 000 SKK (11 352 Euro) zurückzuzahlen.

Der effektive Jahreszins des Kredits, d. h. die Summe der mit ihm verbundenen und vom Verbraucher zu tragenden Kosten, wurde in diesem Vertrag mit 48,63 % angesetzt, während er nach Berechnung des slowakischen Gerichts, das den Gerichtshof befragt, in Wirklichkeit 58,76 % beträgt.

Frau Pereničová und Herr Perenič haben beim Okresný súd PreÅ¡ov (Bezirksgericht PreÅ¡ov, Slowakei) Klage auf Feststellung erhoben, dass ihr Kreditvertrag mehrere missbräuchliche Klauseln wie die ungenaue Angabe des effektiven Jahreszinses enthält; ferner beantragen sie, die Unwirksamkeit des gesamten Vertrags festzustellen.

Das slowakische Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob die Richtlinie es ihm erlaubt, die Unwirksamkeit eines Verbrauchervertrags, der missbräuchliche Klauseln enthält, festzustellen, wenn eine solche Lösung für den Verbraucher günstiger wäre. Nach seinen Ausführungen müssten die betroffenen Verbraucher im Fall der Feststellung der Unwirksamkeit nämlich nur die Verzugszinsen in Höhe von 9 % und nicht die gesamten Kosten des bewilligten Kredits zahlen, die viel höher seien als diese Zinsen.

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass das Ziel der Richtlinie darin besteht, missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen zu beseitigen, und dabei – wenn möglich – die Wirksamkeit des Vertrags in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten, nicht aber darin, sämtliche Verträge, die solche Klauseln enthalten, für nichtig zu erklären.

In Bezug auf die Kriterien, anhand deren sich beurteilen lässt, ob ein Vertrag tatsächlich ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann, weist der Gerichtshof sodann darauf hin, dass es eines objektiven Ansatzes bedarf, demzufolge die Lage einer der Vertragsparteien, im vorliegenden Fall der Verbraucher, nicht als das maßgebende Kriterium angesehen werden kann, das über das weitere Schicksal des Vertrags entscheidet. Folglich ist es nach der Richtlinie nicht zulässig, bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag, der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, ohne diese Klauseln bestehen kann, ausschließlich die Vorteilhaftigkeit der Nichtigerklärung des gesamten Vertrags für den Verbraucher zu berücksichtigen.

Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass die Richtlinie nur eine teilweise und minimale Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf missbräuchliche Klauseln vorgenommen hat und es den Mitgliedstaaten freistellt, für den Verbraucher ein höheres als das von ihr vorgesehene Schutzniveau zu gewährleisten. Folglich hindert die Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, im Einklang mit dem Unionsrecht eine nationale Regelung vorzusehen, die es erlaubt, einen Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat und der eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthält, in seiner Gesamtheit für nichtig zu erklären, wenn sich erweist, dass dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet wird.

Der Gerichtshof antwortet schließlich, dass eine Geschäftspraxis, die darin besteht, in einem Kreditvertrag einen geringeren als den realen effektiven Jahreszins anzugeben, eine falsche Angabe der Gesamtkosten des Kredits darstellt, die als irreführende Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken2 einzustufen ist, sofern diese Angabe den Durchschnittsverbraucher tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann dieser Umstand neben anderen berücksichtigt werden, um den missbräuchlichen Charakter der Klauseln eines Vertrags gemäß der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln festzustellen; er ist aber nicht geeignet, automatisch und für sich allein den missbräuchlichen Charakter dieser Klauseln zu begründen. Vor einer Entscheidung über die Einstufung der fraglichen Klauseln sind nämlich alle Umstände des konkreten Falls zu prüfen. Ebenso hat die Feststellung des unlauteren Charakters einer Geschäftspraxis keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Frage, ob der Vertrag in seiner Gesamtheit wirksam ist.

-----------------------
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
-------------------------
1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29).
2Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22).
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).
       URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS ÜBER UNS IMPRESSUM