Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Pressemitteilung
C-40/12, C-50/12 P, C-58/12 P;
Verkündet am: 
 26.11.2013
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Der Gerichtshof bestätigt die Urteile des Gerichts zur Beteiligung der Unternehmen Gascogne Sack Deutschland, Groupe Gascogne und Kendrion an einem Kartell auf dem Markt für Industriesäcke aus Kunststoff
Leitsatz des Gerichts:
Die Unternehmen können jedoch auf Ersatz des Schadens klagen, der ihnen aus der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Gericht möglicherweise entstanden ist
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Im Jahr 2005 verhängte die Kommission Geldbußen in einer Gesamthöhe von über 290 Mio. Euro gegen mehrere Unternehmen, weil diese an einem Kartell auf dem Markt für Industriesäcke aus Kunststoff beteiligt gewesen seien1. Nach Auffassung der Kommission bestand die Zuwiderhandlung hauptsächlich in der Festsetzung von Preisen, Erarbeitung gemeinsamer Preisberechnungsmethoden, Aufteilung von Märkten, Zuweisung von Verkaufskontingenten, Kunden und Aufträgen sowie im Informationsaustausch in Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden.

Einige der an diesem Kartell beteiligten Unternehmen erhoben beim Gericht Klagen auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission oder auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße. Mit Urteilen vom 16. November 20112 entschied das Gericht über einen Teil dieser Klagen. In diesen Urteilen wies es die Klagen der Kendrion NV, der Groupe Gascogne SA und der Sachsa Verpackung GmbH (nunmehr Gascogne Sack Deutschland GmbH) ab. Damit blieben die gegen diese Unternehmen festgesetzten Geldbußen unverändert.

Die drei Unternehmen legten daraufhin gegen diese Urteile des Gerichts Rechtsmittel zum Gerichtshof ein3.

In seinen Urteilen vom heutigen Tag weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass in Fällen, in denen eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat, eine widerlegliche Vermutung besteht, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt. Daher kann die Kommission dem Mutterunternehmen als Gesamtschuldner die Haftung für die Zahlung der gegen sein Tochterunternehmen verhängten Geldbuße zuweisen.

Dies gilt jedoch dann nicht, wenn das Mutterunternehmen den Nachweis erbringt, dass sein Tochterunternehmen auf dem Markt eigenständig auftritt. Da es Groupe Gascogne und Kendrion aber nicht gelungen war, diesen Nachweis zu erbringen, bestätigt der Gerichtshof, dass die Kommission sie für die Zuwiderhandlung ihrer jeweiligen Tochtergesellschaft, Sachsa Verpackung und Fardem Packaging, haftbar machen konnte. Der Gerichtshof führt weiter aus, dass sich der Umstand, dass die gegen Kendrion festgesetzte Geldbuße (34 Mio. Euro) erheblich höher ist als die gegen ihre Tochtergesellschaft verhängte Geldbuße (2,2 Mio. Euro), damit erklären lässt, dass die beiden Unternehmen zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung der Kommission über das fragliche Kartell nicht mehr ein und dasselbe Unternehmen bildeten. Nachdem Kendrion ihre Tochtergesellschaft verkauft hatte, musste der Höchstbetrag der für die Beteiligung an einem Kartell festzusetzenden Geldbuße, der 10 % des Jahresumsatzes des jeweiligen Unternehmens entspricht, für die beiden Unternehmen einzeln berechnet werden.

Sodann prüft der Gerichtshof, ob das Vorbringen der drei Unternehmen, wonach die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht übermäßig lang gewesen und ihnen dadurch ein Schaden entstanden sei, Auswirkungen auf die vorliegenden Rechtssachen haben kann.

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die überlange Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsmittelverfahren führen kann. Im vorliegenden Fall haben die betreffenden Unternehmen dem Gerichtshof jedoch keinen Anhaltspunkt dafür vorgetragen, dass sich die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist durch das Gericht auf den Ausgang der bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten auswirken konnte. Der Gerichtshof weist daher die Anträge der Unternehmen zurück, die Urteile des Gerichts aus diesem Grund aufzuheben.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass eine gegen die Union erhobene Schadensersatzklage4 einen effektiven und allgemeinen Rechtsbehelf zur Geltendmachung und Ahndung eines solchen Verstoßes darstellt, da sie alle Fälle der Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer abdecken kann. Er folgert daraus, dass der Ersatz des Schadens, der durch die Nichteinhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch das Gericht verursacht wurde, nicht unmittelbar im Rahmen eines Rechtsmittels beim Gerichtshof beantragt werden kann, sondern beim Gericht selbst eingeklagt werden muss. Im Rahmen einer solchen Klage ist es Sache des Gerichts, anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache zu beurteilen, ob es den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer gewahrt hat. Es ist ebenfalls Sache des Gerichts, zu beurteilen, ob den betroffenen Parteien durch die Verletzung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz tatsächlich ein Schaden entstanden ist.

In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass das Gericht bei der Prüfung der Schadensersatzklagen die allgemeinen Grundsätze zu berücksichtigen haben wird, die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten für auf ähnliche Verstöße gestützte Klagen gelten. Es wird dabei insbesondere versuchen müssen, festzustellen, ob die von der Fristüberschreitung betroffenen Parteien neben einem materiellen Schaden auch einen immateriellen Schaden erlitten haben, der gegebenenfalls angemessen zu entschädigen wäre.

Für den vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass sich die Dauer der Bearbeitung der in Frage stehenden Rechtssachen n durch das Gericht, die sich auf fast fünf Jahre und neun Monate belief, durch keinen der Umstände dieser Rechtssachen rechtfertigen lässt. Denn die überlange Verfahrensdauer lässt sich weder mit der Komplexität der Rechtsstreitigkeiten, noch mit dem Verhalten der Parteien oder der Besonderheit dieser Verfahren erklären. Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass s die Verfahren vor dem Gericht gegen das den Parteien in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährte Recht darauf, dass über ihre Sache innerhalb angemessener Frist entschieden wird, verstoßen haben. Der Gerichtshof weist außerdem darauf hin, dass es sich dabei um einen hinreichend qualifizierten Verstoß handelt, der die Haftung der Union für daraus eventuell entstandene Schäden begründen kann.

Unter diesen Umständen weist der Gerichtshof die Rechtsmittel der drei Unternehmen in vollem Umfang zurück.

-----------------
HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist.
------------------
1Entscheidung K(2005) 4634 endg. der Kommission vom 30. November 2005 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.354 – Industrielle Sackverpackungen) (ABl. L 282, S. 41).
2Urteile des Gerichts vom 16. November 2011 in den Rechtssachen Fardem Packaging BV / Kommission (T-51/06), Kendrion NV / Kommission (T-54/06), RKW SE / Kommission und JM Gesellschaft für industrielle Beteiligungen mbH & Co. KGaA / Kommission (T-55/06 und T-66/06), Low & Bonar plc und Bonar Technical Fabrics NV / Kommission (T-59/06), Stempher BV und Koninklijke Verpakkingsindustrie Stempher CV / Kommission (T-68/06), Groupe Gascogne SA / Kommission (T-72/06), Plasticos Españoles SA (ASPLA) / Kommission (T-76/06), Álvarez SA / Kommission (T-78/06) und Sachsa Verpackung GmbH / Kommission (T-79/06), vgl. auch Pressemitteilung 121/11. In den Rechtssachen Trioplast Wittenheim SA / Kommission (T-26/06), Trioplast Industrier / Kommission (T-40/06), UPM-Kymmene Oyj / Kommission (T-53/06), FLS Plast / Kommission (T-64/06) und FLSmidth / Kommission (T-65/06), die ebenfalls im Zusammenhang mit diesem Kartell stehen, hat das Gericht seine Urteile am 13. September 2010 und am 6. März 2012 erlassen.
3Rechtsmittel wurden auch gegen die Urteile in den Rechtssachen T-64/06, T-65/06, T-76/06 und T-78/06 eingelegt (vgl. die noch anhängigen Rechtssachen C-243/12 P, C-238/12 P, C-35/12 P und C-36/12 P).
4Auf der Grundlage der Art. 268 AEUV und 340 Abs. 2 AEUV.
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).
       URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS BER UNS IMPRESSUM