Auch das von der Europäischen Kommission eingelegte Anschlussrechtsmittel wird vom Gerichtshof zurückgewiesen
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Die Agroexpansión SA ist eines von vier Erstverarbeitungsunternehmen für Rohtabak in Spanien
1. Die italienische Gesellschaft Deltafina SpA, die ebenfalls Rohtabak verarbeitet, war Hauptabnehmer dieses Erzeugnisses auf dem spanischen Markt.
Agroexpansión, ursprünglich ein Familienunternehmen, wurde 1997 von der Intabex Netherlands BV erworben. Intabex gehörte damals zur Intabex-Unternehmensgruppe, die im April 1997 von Dimon Inc. erworben worden war.
Alliance One International Inc. (AOI) mit Sitz in den USA ist aus dem im Jahr 2005 vollzogenen Zusammenschluss der Dimon Inc. und der amerikanischen Gesellschaft Standard Commercial Corp. hervorgegangen.
Im Jahr 2001 hatte die Kommission Nachprüfungen in den Geschäftsräumen von Unternehmen, darunter denen von Agroexpansión, vorgenommen, um bestimmte Informationen zu überprüfen, aus denen hervorging, dass die spanischen Rohtabakverarbeiter und -erzeuger gegen die europäischen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen verstoßen hatten. Im Anschluss an diese Nachprüfungen hatte die Kommission an 20 Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, darunter die Verarbeiter sowie Deltafina, Dimon und Intabex, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte gerichtet.
Am 20. Oktober 2004 hatte die Kommission eine Entscheidung
2 erlassen, mit der sie feststellte, dass die Verarbeiter und Deltafina auf dem spanischen Markt für Rohtabak ein horizontales Kartell gegründet und durchgeführt hatten. Dieses Kartell zielte darauf ab, zwischen 1996 und 2001 den durchschnittlichen Lieferpreis für jede Sorte Rohtabak – alle Qualitäten – festzulegen und die Mengen jeder Rohtabaksorte aufzuteilen, die die einzelnen Verarbeiter bei den Erzeugern kaufen konnten. Von 1999 bis 2001 hatten die Verarbeiter und Deltafina untereinander auch die Preisklassen für jede Qualitätsstufe der einzelnen Rohtabaksorten sowie die durchschnittlichen Mindestpreise pro Erzeuger und pro Erzeugergemeinschaft vereinbart.
Gegen die betreffenden Unternehmen und Unternehmensvereinigungen hatte die Kommission Geldbußen verhängt. Bei der Bemessung der Geldbuße hatte sie Agroexpansión für ihre Zusammenarbeit eine Ermäßigung um 20 % gewährt, so dass sich der Endbetrag auf 2,59 Mio. Euro belief. Dimon hatte sie für die Zahlung dieser Geldbuße gesamtschuldnerisch haftbar gemacht. Die beiden Unternehmen erhoben beim Gericht der Europäischen Union zwei getrennte Klagen auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, hilfsweise auf angemessene Herabsetzung der gesamtschuldnerisch verhängten Geldbuße.
Mit zwei im Jahr 2011 ergangenen Urteilen gewährte das Gericht zum einen Agroexpansión3 für ihre Zusammenarbeit eine zusätzliche Ermäßigung ihrer Geldbuße um 5 % zu der von der Kommission bereits gewährten Ermäßigung um 20 % und setzte
den Endbetrag der gegen Agroexpansión verhängten Geldbuße auf 2,43 Mio.Euro fest.
Zum anderen stellte es i
n Bezug auf AOI (vormals Dimon)4 fest, dass dieses Unternehmen für die vor dem 18. November 1997 (dem Zeitpunkt des Erwerbs der Agroexpansión durch Intabex) liegende Zuwiderhandlung nicht gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden könne. Daher setzte es den aufgrund der Dauer der Zuwiderhandlung auf den Ausgangsbetrag der gegen AOI verhängten Geldbuße angewandten Erhöhungssatz von 50 % auf 35 % herab. Zudem nahm es bei ihr die gleiche zusätzliche Ermäßigung um 5 % vor, die sie Agroexpansión für deren Zusammenarbeit gewährt hatte, so dass
sich der Teilbetrag der gegen Agroexpansión festgesetzten Geldbuße, für den AOI gesamtschuldnerisch haftete, auf 2,19 Mio. Euro belief.
AOI hat beim Gerichtshof die vorliegenden Rechtsmittel
5 eingelegt, um die Aufhebung dieser Urteile zu erwirken. Zudem hat die Kommission ein Anschlussrechtsmittel gegen die Urteile des Gerichts eingelegt.
Mit seinen heutigen Urteilen weist der Gerichtshof die von AOI eingelegten Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel der Kommission zurück und bestätigt die Urteile des Gerichts.
Der Gerichtshof weist das Vorbringen von AOI zurück, das Gericht habe die Kommissionsentscheidung rechtsfehlerhaft anhand von nach deren Erlass von der Kommission gegebenen Erläuterungen neu ausgelegt, um die Verstöße gegen die Begründungspflicht sowie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beseitigen, die die Kommission in ihrer Entscheidung begangen haben soll.
Er erinnert zunächst an seine ständige Rechtsprechung, wonach die Kommission dann, wenn das gesamte Kapital einer Tochtergesellschaft von ihrer Muttergesellschaft gehalten wird, annehmen darf, dass die Letztgenannte tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieser Tochtergesellschaft ausübt. In einem solchen Fall kann die Kommission eine Geldbuße gegen die Muttergesellschaft verhängen, ohne dass zuvor deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre. Diese Rechtsprechung führt jedoch nicht dazu, dass
die Kommission sich ausschließlich auf diese Vermutung stützen müsste; die Kommission kann die praktische Ausübung eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft auch mit anderen Beweismitteln führen (sogenannte Methode der „doppelten Grundlage“).
Im vorliegenden Fall hatte sich die Kommission nicht damit begnügt, nur die Vermutung der bestimmenden Einflussnahme zugrunde zu legen, und entschieden, auf tatsächliche Anhaltspunkte abzustellen, um darzutun, dass die Muttergesellschaften tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausgeübt hatten.
Nach den Feststellungen des Gerichtshofs hat das Gericht die Grenzen seiner Befugnisse nicht überschritten, denn die vom Gericht anhand dieser Methode vorgenommene Würdigung stützte sich auf seine eigene Auslegung der Kommissionsentscheidung und nicht allein auf die von der Kommission nach dem Erlass der Entscheidung gegebenen Erläuterungen. Darüber hinaus hat das Gericht auch keinen Rechtsfehler begangen, indem es entgegen dem Vorbringen der Gesellschaft festgestellt hat, dass die Kommission diese Methode in gleicher Weise bei allen betroffenen Muttergesellschaften einschließlich AOI angewandt hatte.
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HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist.
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1Die drei anderen Verarbeiter sind die Compañia española de tabaco en rama SA, die Tabacos Españoles SL und die World Wide Tobacco España SA.
2Entscheidung K(2004) 4030 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 Absatz 1 [EG] (Sache COMP/C.38.238/B.2Rohtabak – Spanien).
3Urteil des Gerichts vom 12. Oktober 2011, Agroexpansión/Kommission (T-38/05).
4Urteil des Gerichts vom 12. Oktober 2011, Alliance One International/Kommission (T-41/05).
5In der Rechtssache C-668/11 P ist Alliance One International die Rechtsnachfolgerin ihrer Tochtergesellschaft Agroexpansión.