Die Mitgliedstaaten müssen bei der Gewährung der Vorruhestandsbeihilfe an ältere Landwirte den Grundsatz der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beachten
Sie dürfen daher das Alter, ab dem ein Antrag auf diese Beihilfe nicht mehr gestellt werden kann, nicht in Abhängigkeit von Geschlecht oder Zahl der Kinder des Antragstellers unterschiedlich festsetzen
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Um die Wirtschaftlichkeit landwirtschaftlicher Betriebe zu verbessern, fördert die Europäische Union den Vorruhestand von Landwirten, die das 55. Lebensjahr vollendet, das normale Ruhestandsalter aber noch nicht erreicht haben. So können Landwirte, die sich entschieden haben, vorzeitig jegliche landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit endgültig einzustellen, in den Genuss einer Vorruhestandsbeihilfe des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) kommen. Sie können diese Beihilfe für eine Dauer von höchstens 15 Jahren bis zur Vollendung ihres 75. Lebensjahres beziehen. Erhält der Beihilfeempfänger auch eine Altersrente, wird deren Betrag von der Beihilfe abgezogen.
Nach tschechischem Recht ist das für Männer festgesetzte normale Ruhestandsalter höher als das für Frauen. Außerdem wird bei Frauen dieses Alter progressiv nach Maßgabe der Zahl der von ihnen aufgezogenen Kinder früher erreicht.
Frau Soukupová ist Landwirtin und Mutter von zwei Kindern. Am 24. Mai 2004 erreichte sie das gemäß dem tschechischen Recht für sie festgesetzte Rentenalter. Am 3. Oktober 2006 beantragte sie bei den tschechischen Behörden, ihr die Vorruhestandsbeihilfe zu zahlen, deren errechneter Betrag höher war als der ihrer tschechischen Altersrente.
Ihr Antrag wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass sie bereits das normale Ruhestandsalter erreicht habe. Frau Soukupová war der Auffassung, sie sei Opfer einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung, weil für Frauen, insbesondere für Frauen, die Kinder aufgezogen hätten, ein niedrigeres Rentenalter als für Männer festgesetzt sei, und wandte sich deshalb an die tschechischen Gerichte. Der im Kassationsverfahren angerufene Nejvyššà správnà soud (Oberstes Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik) legt dem Gerichtshof die Frage vor, ob es das Unionsrecht zulässt, das normale Ruhestandsalter bei der Gewährung der Vorruhestandsbeihilfe in Abhängigkeit vom Geschlecht der Antragsteller und der Zahl der aufgezogenen Kinder unterschiedlich festzusetzen.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest,
dass die Vorruhestandsbeihilfe in der Landwirtschaft ein Instrument der vom EAGFL finanzierten gemeinsamen Agrarpolitik ist, das die Wirtschaftlichkeit landwirtschaftlicher Betriebe gewährleisten soll, und keine Leistung der sozialen Sicherheit. Zwar fällt die Festsetzung des normalen Ruhestandsalters im Zusammenhang mit der Gewährung der Vorruhestandsbeihilfe mangels einer Harmonisierung durch das Unionsrecht in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten,
doch können sich diese nicht auf die Ungleichbehandlung berufen, die sie bei der Festsetzung des Rentenalters im Bereich der sozialen Sicherheit beibehalten dürfen. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Vorruhestandsbeihilfe für ältere Landwirte die Gleichbehandlung von Frauen und Männern gewährleisten und damit jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten.
Die älteren Landwirte weiblichen und männlichen Geschlechts befinden sich nämlich im Hinblick auf das mit der Vorruhestandsbeihilfe verfolgte Ziel in vergleichbaren Situationen. Das Unionsrecht verbietet es aber, dass vergleichbare Situationen unterschiedlich behandelt werden, und verwehrt es somit u. a., dass Männer ohne objektive Rechtfertigung über eine längere Frist verfügen, um ihren Beihilfeantrag zu stellen, als Frauen. In diesem Zusammenhang hebt der Gerichtshof hervor, dass die unterschiedliche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt sein kann, weil die Ziele in Bezug auf den landwirtschaftlichen Strukturwandel, die mit der Beihilfe für den Vorruhestand in der Landwirtschaft verfolgt werden, offenkundig auch ohne einen Rückgriff der Mitgliedstaaten auf eine diskriminierende Behandlung erreicht werden können.
Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist – und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind –, den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden müssen wie der privilegierten Gruppe.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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