Die Mitgliedstaaten müssen nämlich alle Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen
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Nach der Richtlinie 85/337/EWG
1 sind Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen(Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP) zu unterziehen. Bei der Änderung oder Erweiterung eines bereits genehmigten Projekts behalten die Mitgliedstaaten jedoch einen Wertungsspielraum, ob sie für solche Projekte eine UVP vorschreiben wollen oder nicht. Ihre Entscheidung muss allerdings auf einer Einzelfalluntersuchung oder auf Schwellenwerten oder Kriterien beruhen, die von ihnen im Voraus festgelegt worden sind.
Das österreichische Gesetz, mit dem die Richtlinie umgesetzt wird, sieht vor, dass abgesehen von bestimmten Änderungen, die Start- und Landebahnen betreffen, Änderungen von Flugplätzen nur dann UVP-pflichtig sind, wenn dadurch eine Erhöhung der Anzahl der Flugbewegungen um mindestens 20 000 pro Jahr zu erwarten ist.
Die Salzburger Flughafen GmbH, die den Flughafen Salzburg betreibt, stellte 2002 einen Antrag auf Bewilligung der Errichtung eines weiteren Terminals. Dem Antrag wurde stattgegeben, und das Projekt wurde ohne UVP durchgeführt. 2004 stellte sie weitere Anträge zur Erweiterung des Flughafenareals, u. a. um Hangars und Gerätehallen zu errichten und Abstellflächen anzulegen.
In der Folge hatte sich der Umweltsenat mit der UVP-Pflichtigkeit dieser Projekte zu befassen. Er stellte fest, dass bei einer Gesamtbetrachtung sowohl die Errichtung eines neuen Terminals als auch die Erweiterung des Flughafens UVP-pflichtig seien. Zwar sei der von der österreichischen Regelung festgelegte Schwellenwert bei keinem dieser beiden Projekte überschritten; zusammen genommen könnten sie aber erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.
Gegen den Bescheid des Umweltsenats erhob die Salzburger Flughafen GmbH beim
Verwaltungsgerichtshof Beschwerde. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob die Richtlinie der österreichischen Regelung entgegensteht, nach der bedeutende Projekte, die aus mehreren Maßnahmen bestehen, von denen keine zu einer Erhöhung der Anzahl der Flugbewegungen um mindestens 20 000 pro Jahr führt, von einer UVP ausgenommen sind.
In seinem heutigen Urteil stellt
der Gerichtshof zunächst fest, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Schwellenwerte oder Kriterien, die für die UVP-Pflichtigkeit von Änderungen oder Erweiterungen eines bereits genehmigten Projekts maßgeblich sind, über einen Wertungsspielraum verfügen. Dieser Spielraum ist jedoch insoweit begrenzt, als die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen zu unterziehen.
Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass mit den erwähnten Kriterien und Schwellenwerten das Ziel verfolgt wird, die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projekts, mit dem ein bereits genehmigtes Projekt geändert oder erweitert werden soll, zu erleichtern, damit bestimmt werden kann, ob es der Prüfungspflicht unterliegt. Dagegen sollen mit ihnen nicht bestimmte Projektklassen von vornherein insgesamt von der UVP-Pflichtigkeit ausgenommen werden. Ein Mitgliedstaat, der die Kriterien bzw. Schwellenwerte so festlegen würde, dass in der Praxis eine ganze Klasse von Projekten von vornherein von der UVP-Pflichtigkeit ausgenommen wäre, würde daher die Grenzen des ihm durch die Richtlinie eingeräumten Spielraums überschreiten.
Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass der geprüfte Schwellenwert mit der durch die Richtlinie begründeten allgemeinen Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Erfassung von Projekten, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, unvereinbar ist. Die Festlegung eines so hohen Schwellenwerts führt nämlich dazu, dass Änderungen der Infrastruktur bei kleinen oder mittelgroßen Flugplätzen praktisch nie UVP-pflichtig sind, obwohl keineswegs ausgeschlossen werden kann, dass solche Arbeiten erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.
Außerdem trägt die österreichische Regelung durch die Festlegung eines solchen Schwellenwerts lediglich dem quantitativen Aspekt der Auswirkungen eines Projekts Rechnung, ohne die übrigen in der Richtlinie vorgesehenen Auswahlkriterien wie die Bevölkerungsdichte des vom Projekt betroffenen Gebiets zu berücksichtigen. Der Flughafen, dessen Infrastruktur die in Rede stehenden Änderungen betreffen, befindet sich aber in der Nähe von Salzburg.
Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass sich nach der Rechtsprechung eine kumulative Berücksichtigung der Auswirkungen mehrerer Projekte auf die Umwelt als erforderlich erweisen kann, um eine Umgehung der Unionsregelung durch eine Aufsplitterung von Projekten zu verhindern, die zusammen genommen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, im Licht dieser Rechtsprechung zu prüfen, ob und inwieweit die Umweltauswirkungen des früheren Projekts (Errichtung des weiteren Terminals) und des späteren Projekts (Ausweitung des Flughafenareals) insgesamt zu beurteilen sind.
Schließlich antwortet
der Gerichtshof auf die Vorlagefrage, dass die nationalen Stellen, wenn ein Mitgliedstaat wie im vorliegenden Fall einen Schwellenwert festgelegt hat, durch den ganze Projektklassen einer UVP entzogen zu werden drohen, verpflichtet sind, in jedem Einzelfall zu ermitteln, ob eine solche Prüfung durchzuführen ist, und sie gegebenenfalls vorzunehmen.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst warden.
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1 Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl. L 73, S. 5) geänderten Fassung.