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Die Verordnung Nr. 44/2001
1 regelt die Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelssachen, wobei danach grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in welchem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. In bestimmten Fällen kann der Beklagte jedoch auch vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt werden. Dies gilt u. a. dann, wenn die Parteien – von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in der Europäischen Union haben muss – im Vertrag eine Gerichtsstandsklausel vereinbart haben, mit der sie das zuständige Gericht bestimmen.
Die Doumer SNC (im Folgenden: Doumer) ließ an einem in Courbevoie (Frankreich) belegenen Immobilienkomplex Renovierungsarbeiten durchführen; sie ist bei Axa Corporate versichert, die ihren Sitz in Frankreich hat. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden Kühlaggregate eingebaut. Diese waren mit Kompressoren bestückt, die (i) von der italienischen Gesellschaft Refcomp hergestellt, (ii) seitens Climaveneta, die ihren Sitz ebenfalls in Italien hat, von Refcomp erworben und zusammengesetzt und (iii) schließlich von der Gesellschaft Liebert, deren Rechtsnachfolgerin Emerson ist, an Doumer verkauft wurden. Emerson ist bei Axa France versichert; diese beiden Gesellschaften haben ihren Sitz in Frankreich. Als an den Klimaanlagen Störungen auftraten, wurde anhand eines Sachverständigengutachtens festgestellt, dass die Störungen auf einen Fabrikationsfehler der Kompressoren zurückzuführen waren.
Axa Corporate, auf die die Rechte von Doumer, der sie den entstandenen Schaden ersetzt hat, übergegangen sind, nahm den italienischen Hersteller Refcomp, den Monteur Climaveneta und den Verkäufer Emerson vor dem Tribunal de grande instance de Paris gesamtschuldnerisch auf Ersatz des entstandenen Schadens in Anspruch. Refcomp bestritt die Zuständigkeit des französischen Gerichts und berief sich auf eine in ihrem Vertrag mit Climaveneta enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der italienischen Gerichte. Refcomp legte gegen die Zurückweisung ihrer Einrede der Unzulässigkeit durch das Tribunal de grande instance Berufung und danach Revision ein.
Infolgedessen fragt die Cour de cassation (Frankreich) den Gerichtshof, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung, die in einem zwischen dem Hersteller und dem ursprünglichen Erwerber eines Gegenstands geschlossenen Vertrag enthalten ist, der Teil einer Kette von Verträgen ist, die von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Parteien geschlossen wurden, ihre Wirkungen gegenüber dem späteren Erwerber entfaltet, so dass er gegen den Hersteller eine Haftungsklage erheben kann.
In seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof fest, dass die genannte Verordnung nichts darüber besagt, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung2 über die Parteien des ursprünglichen Vertrags hinaus auf einen Dritten übertragen werden kann, der Partei eines späteren Vertrags und in die Rechte und Pflichten einer der Parteien des ursprünglichen Vertrags eingetreten ist.
Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Prüfung, ob sich die Parteien tatsächlich über die Gerichtsstandsvereinbarung geeinigt haben, Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, weil eines der Ziele der Verordnung gerade darin besteht, die tatsächliche Willenseinigung der Beteiligten zu überprüfen. Der Gerichtshof schließt daraus, dass
die in einen Vertrag aufgenommene Gerichtsstandsvereinbarung ihre Wirkungen grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen den Parteien entfalten kann, die dem Abschluss dieses Vertrags zugestimmt haben. Sie kann daher einem Dritten nur dann entgegengehalten werden, wenn dieser tatsächlich seine Zustimmung erteilt hat.
Da der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Verordnung bereits entschieden hat, dass
der spätere Erwerber und der Hersteller nicht durch eine vertragliche Beziehung verbunden sind3, kann nicht angenommen werden, sie hätten im Sinne der Verordnung „vereinbart“, dass das im ursprünglichen Vertrag vom Hersteller und vom ersten Erwerber bezeichnete Gericht zuständig sein solle.
Mit dieser Auslegung der Verordnung, die nicht auf die nationalen Rechtsordnungen verweist, wird vermieden, dass sich in den verschiedenen Mitgliedstaaten voneinander abweichende Lösungen ergeben, durch die das mit der Verordnung verfolgte Ziel einer Vereinheitlichung der Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit beeinträchtigt würde. Außerdem würde eine solche Verweisung auf das nationale Recht zu Unsicherheiten führen, was unvereinbar wäre mit dem Bestreben, die Vorhersehbarkeit auf dem Gebiet der gerichtlichen Zuständigkeit sicherzustellen, bei der es sich um eines der Ziele der Verordnung handelt.
Folglich antwortet der Gerichtshof, dass
die Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine in dem Vertrag zwischen dem Hersteller eines Gegenstands und dem ursprünglichen Erwerber enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung dem späteren Erwerber, der diesen Gegenstand am Ende einer Kette von das Eigentum übertragenden Verträgen, die zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Parteien geschlossen wurden, erworben hat und eine Haftungsklage gegen den Hersteller erheben möchte, nicht entgegengehalten werden kann, es sei denn, es steht fest, dass dieser Dritte der Klausel tatsächlich zugestimmt hat.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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1 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12 vom 16.1.2001). Diese Verordnung ersetzt das Brüsseler Übereinkommen von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 299 vom 31.12.1972).
2 Verordnung Nr. 44/2001 (Art. 23).
3 Urteil vom 17. Juni 1992, Handte, C-26/91, Slg. 1992, I-3967.