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Text des Urteils
6 Sa 74/11;
Verkündet am: 
 20.09.2011
LAG Landesarbeitsgericht
 

München
Vorinstanzen:
3 Ca 15318/09
Arbeitsgericht
München;
Rechtskräftig: unbekannt!
Retention-Vereinbarung
Leitsatz des Gerichts:
§§ 133, 134, 146 InsO

1. Vereinbaren ein in seiner wirtschaftlichen Existenz bedrohtes Unternehmen und einen Arbeitnehmer die Zahlung eines Jahresfixgehaltes (Retention Payment), zahlbar in drei gleichen Raten, für den Fall, dass der Arbeitnehmer zu bestimmten festgelegten Zeitpunkten sein Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, so stellt dies keine unentgeltliche Leistung dar, die zur Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach § 134 Abs. 1 InsO berechtigte, wenn nachfolgend über das Vermögen des Untenehmens die Insolvenz eröffnet wird. Das Verblieben des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis stellt eine Gegenleistung dar, die dem Unternehmen einen „Neustart“ mit den dafür wesentlichen Mitarbeitern ermöglicht.

2. Daran ändert sich auch nichts, wenn in der Vereinbarung festgehalten ist, dass der Retention-Bonus in voller Höhe zu zahlen sei, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beende. Denn diese Vereinbarung ist zum einen dahingehend auszulegen, dass die Zahlung nur im Falle einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung in voller Höhe zu leisten ist. Jedenfalls aber stellte die durch Arbeitsvertragsverletzungen provozierte Arbeitgeberkündigung eine treuwidrige Herbeiführung der Bedingung dar, die nach § 162 BGB die Auszahlung des vollen Retention-Betrages ausschlösse.

3. Eine Anfechtung der Retention-Vereinbarung nach § 133 Abs. 1 InsO kommt grundsätzlich in Betracht. Allerdings muss der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen, dass das Unternehmen (Schuldnerin) mit der Retention-Vereinbarung seine Gläubiger vorsätzlich benachteiligen wollte und dem Vertragspartner (Arbeitnehmer) dies bekannt war. Nach der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO reicht zwar aus, dass der Arbeitnehmer von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste und die Gläubigerbenachteiligung kannte. Dafür sprechende Anknüpfungstatsachen sind allerdings konkret vorzutragen und ggf. zu beweisen. Der Vortrag, diese Kenntnis liege mutmaßlich oder „bei lebensnaher Betrachtung“ vor, ist nicht ausreichend.

4. Das Vorhandensein eines Sanierungs- oder Restrukturierungskonzeptes, das von unabhängigen Wirtschaftsprüfern als durchführbar angesehen wird, kann eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht in der Eingehung eines Retention Payment ausschließen.
In dem Rechtsstreit
E.
E-Straße, E-Stadt
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte F.
F-Straße, F-Stadt

gegen
Dr. G. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... AG
G-Straße, F-Stadt
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte G.
G-Straße, F-Stadt
1. A.
A-Straße, A-Stadt
- Nebenintervenient zu 1. -
2. C.
C-Straße, C-Stadt
- Nebenintervenient zu 2. -
Nebenintervenientenbevollmächtigte zu 1-2:
Rechtsanwälte B.
B-Straße, B-Stadt

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Künzl und die ehrenamtlichen Richter Tolle und Kohler für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgericht München vom 15. Dezember 2010 – 3 Ca 15318/09 abgeändert.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 61.700,-- € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 30.850,-- seit dem 01.07.2010 sowie aus weiteren € 30.850,-- seit dem 01.11.2010 zu zahlen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand:

Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren um die Zahlung einer so genannten Retention-Prämie.

Die Klagepartei war bei der ... AG, der nicht tarifgebundenen Schuldnerin, zuletzt als Senior Director ... bei einem Jahresfixgehalt von € … brutto und einem jährlichen Zielgehalt von € … brutto beschäftigt.

Die ... AG geriet in den Jahren 2007 und 2008 zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Im Zeitraum August/September 2008 beauftragte sie Rechtsanwalt Dr. ... mit der wöchentlichen Erstellung eines Liquiditätsberichtes. Dessen Bericht vom 23. Sept. 2008 ergab, dass die Liquidität nur mehr bis Oktober 2008 gesichert gewesen sei. Die Unternehmensberatung … wurde beauftragt, die für die Prüfung der Insolvenzantragspflicht notwendigen Liquiditätsübersichten in Zusammenarbeit mit einem internen Mitarbeiterteam (Rocky Project Group) zu erstellen. Deren Bericht vom 24. Okt. 2008 ließ eine weitere erhebliche Verschlechterung der Liquidität der ... AG erkennen.

Die Gehälter, einschließlich der Abgaben (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge) hatte die Schuldnerin rechtzeitig und in voller Höhe an die Arbeitnehmer bzw. zuständigen Stellen erbracht. Allerdings war eine Betriebsvereinbarung über Firmenjubiläen gekündigt worden. Zudem hatte man beschlossen, die vereinbarte Tariflohnerhöhung nicht an die Beschäftigten weiterzugeben.

Unter dem Datum 16. Okt. 2008 vereinbarte die ... AG mit der Klagepartei ein „Retention Payment“, dergestalt, dass an die Klagepartei jeweils eine einmalige Zahlung von € 30.850.- brutto zum 31. Jan. 2009, zum 31. Mai 2009 und zum 30. Sept. 2009 gezahlt werden sollte, sofern diese zum Auszahlungszeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis nicht von sich aus gekündigt haben sollte. Die ... AG sagte die Zahlungen in voller Höhe ausdrücklich auch für den Fall zu, dass die Lösung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin veranlasst werden sollte; die Auszahlung war dann mit dem Wirksamwerden der Kündigung bzw. eines Aufhebungsvertrages vorgesehen (Anlage K 1, Bl. 3 d. A.).

Die Klagepartei war jedenfalls bis 30. Sept. 2009 im Arbeitsverhältnis zur ... AG verblieben. Der Beklagte hat die erste Rate des Zahlungsversprechens (Rate zum 31. Jan. 2009) mit Schreiben vom 15. Mai 2009 (Anlage K 13, Bl. 310 f. d. A.) als eine zur Insolvenztabelle anzumeldende Forderung mitgeteilt. Die Zahlung jedenfalls der für 31. Mai 2009 und für 30. Sept. 2009 versprochenen Teilbeträge war nicht erfolgt. Seitens des Beklagten war der Klagepartei Hilfestellung bei der Insolvenzgeldbeantragung und der Insolvenzgeldvorfinanzierung, einschließlich der Retention-Prämie gegeben worden; unter den Parteien ist aber streitig, ob dies noch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens oder bereits nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt war.

Die ... AG stellte am 23. Jan. 2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Beklagte wurde am selben Tag als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt (Beschluss des Amtsgerichts F-Stadt – Insolvenzgericht – vom 23. Jan. 2009 – 1501 IN 209/09, Anlage B 1, Bl. 38 f. d. A.). Mit Beschluss des Amtsgerichts F-Stadt – Insolvenzgericht – (1542 IN 209/09, Anlage B 2, Bl. 40 f. d. A.) wurde das Insolvenzverfahren am 1. Apr. 2009 eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt, der den Betrieb der ...AG etappenweise schloss.

Mit ihrer am 12. Okt. 2009 beim Arbeitsgericht München eingegangenen und dem Beklagten am 16. Okt. 2009 zugestellten Klage vom 12. Okt. 2009 macht die Klagepartei die Zahlung des für 31. Mai 2009 zugesagten Teilbetrags als Masseforderung geltend. Mit Klageerweiterung vom 3. Nov. 2009, welche dem Beklagten am selben Tag im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht übergegeben worden war, hat sie die Klage um den zum 30. Sept. 2009 versprochenen Teilbetrag erweitert.

Sie ist der Ansicht, sie könne diese beiden Teilbeträge als Masseforderung verlangen. Die Zahlungszusage lasse sich nicht so auslegen, dass sie nur im Falle einer erfolgreichen Sanierung der ... AG Bestand haben sollte. Demzufolge sei auch die Geschäftsgrundlage des Zahlungsversprechens nicht entfallen. Das Bonusversprechen sei zudem weder nach § 133 InsO noch nach § 134 InsO anfechtbar. Im Übrigen könne sich der Beklagte nicht mehr darauf berufen, nachdem er die Anmeldung der ersten Rate zur Tabelle mitgeteilt habe. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass die ... AG mehr als 200 Mitarbeitern derartige Bonuszahlungen in einem Gesamtvolumen von ca. 13 Millionen € versprochen habe.

Der Beklagte hält demgegenüber eine Zahlungspflicht nicht für gegeben. Die begehrte Zahlung stelle schon eine Insolvenzforderung dar. Sie sei, wie sich durch Auslegung ergebe, nur für den Fall geschuldet, dass eine Sanierung der Gesellschaft hätte erfolgen können. Schließlich hält er das Zahlungsversprechen wegen Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO, bzw. wegen unentgeltlicher Leistung nach § 134 InsO für anfechtbar.

Das Arbeitsgericht München hat die Klage mit Endurteil vom 15. Dez. 2010 vollumfänglich abgewiesen.

Wegen des weitergehenden streitigen und des unstreitigen Vortrags der Parteien, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der maßgeblichen Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf das Endurteil Bezug genommen.

Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Arbeitsgericht im Wesentlichen aus, das Bonusversprechen sei wegen einer eventuellen Gläubigerbenachteiligung nicht bereits von Anfang an sittenwidrig und unwirksam, da die speziellen Anfechtungsregeln des Insolvenzrechts den allgemeinen Bestimmungen vorgehende Regelungen enthielten. Auch sei die Geschäftsgrundlage nicht entfallen, da zumindest der ... AG als Vertragspartnerin die mögliche Insolvenz vorhersehbar gewesen sei. Allerdings könne der Beklagte die Zahlung wegen bestehender Anfechtbarkeit verweigern. Bei der Retention-Prämie handle es sich um eine unentgeltliche Leistung. Die ... AG habe damit einen Vermögenswert – hier: zugunsten der Klagepartei – aufgegeben, ohne dass ihr ein entsprechender Gegenwert hatte zufließen sollen. Die einzige vertragliche Gegenleistung sei der Verzicht auf den Ausspruch einer Eigenkündigung zu den bestimmten Zahlungsstichtagen gewesen. Darin liege keine wirtschaftliche Gegenleistung. Insbesondere habe die ... AG dadurch keinerlei Anspruch auf eine Arbeitsleistung der Klagepartei erworben. Die Prämie wäre auch bei Urlaub, Krankheit, Mutterschutz oder Elternzeit zu zahlen gewesen. Zwar habe die ... AG davon ausgehen können, mit der Zahlung die Klagepartei hinreichend zur Erbringung einer auch künftigen Arbeitsleistung motiviert zu haben. Eine erhoffte Gegenleistung schaffe aber noch keine Entgeltlichkeit, wie auch die Betriebstreue keine Entgeltlichkeit, jedenfalls keinen wirtschaftlichen Gegenwert i.S. § 134 InsO, darstelle. Gerade vor dem insolvenzrechtlichen Entgeltbegriff reiche es nicht aus, dass dem Gläubiger irgendein Vorteil zufließe. Entscheidend sei vielmehr, dass sich die ausgetauschten wirtschaftlichen Werte vollständig entsprächen. Dies sei hier gerade nicht so, was sich auch durch die 100 %ige Abfindungsoption – bei Arbeitgeberkündigung – bestätige. Doch selbst dann, wenn man dem „Bleibebonus“ einen wirtschaftlichen Wert zuerkennen wollte, hätte dieser dem der Leistung entsprechen müssen.

Gegen dieses ihr am 4. Jan. 2011 zugestellte Urteil hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 19. Jan. 2011, der am 20. Jan. 2011 beim Landesarbeitsgericht München eingegangen war, Berufung eingelegt und mit am 2. Feb. 2011 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet.

Sie nimmt zunächst ihren erstinstanzlichen Vortrag in Bezug.

Eine Anfechtbarkeit der zugesagten Bonuszahlung, die nicht allein für den Fall der Sanierung des Unternehmens zugesagt worden sei, nach § 134 InsO hält sie nicht für gegeben. Die zu erbringende Gegenleistung liege in der weiteren Betriebstreue. Die Gegenleistung müsse nicht nach § 320 BGB bestimmt werden, sondern es komme jeder werthaltige Vermögensvorteil in Betracht. Diese stelle hier nicht allein eine Dankesbezeugung oder eine bloße Freigiebigkeit, sondern auch eine Gegenleistung für die zu erbringende Betriebstreue dar. Eine bleibende Bereicherung der Schuldnerin sei nicht erforderlich. Der Bonus habe vielmehr dem Erhalt des know how und des Personalstammes gedient. Bei der Bewertung der Gegenleistung seien auch die subjektiven Parteivorstellungen zu beachten, wobei ein angemessener Beurteilungsspielraum dieser bestanden habe.

Unzutreffend sei es, wenn das Erstgericht ausführe, die ... AG habe durch die Zahlung der Retention-Prämie keinen Anspruch auf Arbeitsleistung oder einer individuellen Zielerreichung erworben. Insbesondere hätte es eine treuwidrige Herbeiführung einer Bedingung bedeutet, wenn sie durch Arbeitsverweigerung eine Arbeitgeberkündigung und damit die Zahlung der Prämie insgesamt oder die Zahlung des ausstehenden Restes provoziert hätte. Wenngleich die Gegenleistung nicht ausdrücklich geregelt worden sei, so habe man eine solche zumindest stillschweigend erwartet.

Ferner treffe es nicht zu, dass keine wirtschaftliche Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung bestehe. Im Übrigen müsse selbst bei Annahme eines Wertüberschusses allein dieser zurückgeführt werden. Sie habe tatsächlich nicht nur die Betriebstreue geleistet, sondern auch einen variablen Bonusanteil aus 2008 nicht erhalten und von Januar bis März 2009 lediglich bis zur Beitragsbemessungsgrenze Insolvenzgeld erhalten. Ferner habe sie für 6 Monate bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens die variable Vergütung verloren.

Bei der zugesagten Leistung handle es sich um keine inkongruente Leistung. Die Vereinbarung besage allein etwas über die Gegenleistung, nicht aber über deren Werthaltigkeit. Wenn mehr als 200 Arbeitnehmer, also ca. 1/6 der Belegschaft, Prämien in einer Höhe nach der jeweiligen Einschätzung des Vorgesetzten erhalten hätten, bedeute dies, dass die Mitarbeiter gehalten hatten werden sollen.

Der Anfechtbarkeit stehe ferner entgegen, dass der Beklagte selbst die Forderungsanmeldung der ersten Rate der Prämie nach Insolvenzeröffnung unterzeichnet habe.

Der im Urteil verwendete Begriff der „Abfindungsoption“ sei nicht nachvollziehbar. Die Zahlung habe das Arbeitsverhältnis nicht beenden, sondern gerade erhalten sollen. Auch werde eine Gläubigerbenachteiligung bestritten.

Aber auch eine Anfechtbarkeit nach § 133 InsO hält die Klagepartei nicht für gegeben. Insbesondere sei nicht zu erkennen gewesen, dass eine Insolvenz bevorstehe, wie bereits die Mail vom 13. Okt. 2008 an die Mitarbeiter belege. Sie habe keinerlei Einblick in die künftige Veränderung der Cash-Situation gehabt; auch sei sie kein Bindeglied zum Vorstand gewesen. Soweit Herr ... nähere Kenntnisse zur finanziellen Lage gehabt haben sollte, sei er seitens der Geschäftsleitung zum Stillschweigen verpflichtet worden. Eine Verweigerung des Testats gegenüber der ... AG sei ihr nicht bekannt gewesen. Allein die Zahlen vom 30. Sept. 2008 hätten vorgelegen; aus diesen habe sich für Oktober eine Cross-Cash-Position von € 430 Millionen ergeben, die sich durch den Verkauf der ...-Aktien auf 730 Millionen € erhöht habe. Die Berechnung der Cross-Cash-Situation sei nicht Aufgabe der Klagepartei gewesen. Ihr hätten allein aggregierte Zahlen und keine Informationen über die Zusammensetzung der Forderungen und Verbindlichkeiten sowie der Fälligkeitstermine vorgelegen. Ihre Abteilung sei auch nicht an der Rocky-Project-Goup beteiligt gewesen; sie habe selbst an keinem Board-Meeting teilgenommen. Ein Schreiben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ... (nachfolgend: ...), in welchem auf die Existenzbedrohung der ... AG hingewiesen worden war, sei ihr nicht bekannt.

Im Übrigen habe ein schlüssiges Sanierungskonzept vorgelegen, das einen Personalabbau und die Einführung einer neuen Chip-Generation vorsah. Die ... AG habe über einen auf 5 Jahre angelegten Businessplan verfügt, der im Einzelnen die strategische Ausrichtung, daraus resultierende finanzielle Effekte und die erforderliche Zufuhr von Liquidität durch eine Zwischenfinanzierung durch den Freistaat ..., einen eventuellen Investor oder durch die Übernahme durch einen Konkurrenten dargestellt habe. Dieser Businessplan sei von Fachexperten der ... (nachfolgend: ...) auf die wesentlichen betrieblichen Risiken im Hinblick auf die operative Geschäftstätigkeit von 2008 bis 2013 begutachtet worden. Trotz hoher Risiken, insbesondere bezogen auf die Marktpreisentwicklung, habe die ..., ebenso wie nachfolgend die P. ... (nachfolgend: P.), einen nachhaltigen Bestand bei einem Einstieg des Freistaats ... prognostiziert. Die Verhandlungen mit staatlichen Stellen hätten auch nicht erst im November 2008 begonnen. Im Oktober 2008 sei keine ablehnende Haltung des Freistaats ... zu erwarten gewesen.

Sie sei davon ausgegangen, die Retention-Regelung habe dazu gedient, die wesentlichen Mitarbeiter zu halten. Ihrer Ansicht nach schließe die berechtigte Sanierungshoffnung und ein ernsthafter Sanierungsversuch einen Benachteiligungsvorsatz aus, selbst dann, wenn die Sanierung scheitere. Soweit die Schuldnerin noch hohe Zahlungen erbringe, könne dies ebenso, wie sie meint, gegen die Kenntnis einer Benachteiligungsabsicht sprechen, insbesondere wenn keinerlei Anhaltspunkte für Zahlungsrückstände vorgelegen hätten. Demnach greife auch die Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ein. Es seien keine Tatsachen bekannt gewesen, aus denen zwingend auf eine drohende Insolvenz der ... AG zu schließen gewesen wäre. Nur für Großgläubiger bestehe eine Erkundigungspflicht bei negativer Presseberichterstattung.

Selbst wenn eine inkongruente Leistung unterstellt werde, begründe dies, wie sie meint, keine Beweislastumkehr.

Sie beantragt:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 15.12.2010, Az.: 3 Ca 15318/09, aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 61.700.- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 30.850.- seit dem 01.07.2009 und aus weiteren € 30.850.- seit dem 01.11.2009 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht das Zahlungsversprechen nach §§ 133, 134 InsO als anfechtbar. Das Anfechtungsrecht sei nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Die Klagepartei sei nicht im Glauben gelassen worden, der Retention-Bonus werde ausgezahlt werden. Ihm sei die Problematik im Prüfverfahren als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht bekannt gewesen. Er habe auch keine Auszahlung durch die Arbeitsagentur veranlasst. Insolvenzgeld werde durch die Arbeitsagentur geprüft und auszuzahlen veranlasst. Ebenso schließe die Insolvenzgeldvorfinanzierung eine Anfechtung nach Insolvenzeröffnung nicht aus, da der Anfechtungsanspruch erst danach entstehe. So könne ein Insolvenzverwalter selbst Rechthandlungen, denen er ausdrücklich zugestimmt habe, später noch anfechten.

Das Arbeitsgericht habe, wie er meint, zutreffend die Unentgeltlichkeit der Retention-Vereinbarung angenommen. Unentgeltlichkeit sei aus Gründen des Gläubigerschutzes weit auszulegen. Maßgeblich sei ein objektiver Vergleich von Leistung und Gegenleistung. Dabei sei zunächst zu sehen, ob eine Gegenleistung versprochen sei, bejahendenfalls sei deren Werthaltigkeit zu ermitteln. Bei der Bewertung der Gegenleistung bestehe ein enger Beurteilungsspielraum der Parteien. So sei eine erhoffte Gegenleistung ebenso wenig ausreichend, wie die mit einer Zuwendung verbundene Erwartung eines künftigen gefälligen Verhaltens. Hier sei objektiv bereits keine Gegenleistung festgelegt, da die Klagepartei keine Verpflichtung eingegangen sei. Sofern man dennoch eine Gegenleistung annehmen wollte, handle es sich bei dem zugesagten Jahresgrundgehalt jedenfalls um keine ausgleichende Gegenleistung.

Bei der versprochenen Zahlung stehe der Honorierungszweck nicht im Vordergrund, da die Auszahlung auch bei einer vorzeitigen Arbeitgeberkündigung zu erbringen gewesen wäre. Der Klagepartei hätte es offen gestanden, eine Arbeitgeberkündigung zu provozieren und so in den Genuss der vollen Prämienzahlung zu kommen. Für eine Belohnung zu erbringender Betriebstreue in den jeweiligen Abschnitten hätte es der Abfindungsvereinbarung nicht bedurft. Auch sprenge die Höhe der zugesagten Zahlung den üblichen Rahmen von Sonderzuwendungen oder Gratifikationen. Zudem erlaube eine teilweise unentgeltliche Leistung die Anfechtung insgesamt, sofern der Hauptzweck Freigiebigkeit gewesen sei.

Jedenfalls sei aber eine Anfechtung nach § 133 InsO begründet. Der Klagepartei habe klar sein müssen, dass die Insolvenz der ... AG drohte. Bereits 3 Tage vor der Vereinbarung der Retention-Prämie sei das Cash-Improvement-Programm verkündet worden. Wegen des Kostensenkungsprogramms habe man 3.000 Stellen streichen wollen. Bereits am 15. Okt. 2008 sei der Betriebsrat beim Sächsischen Wirtschaftsminister vorstellig geworden, da er sich wegen der aktuellen wirtschaftlichen Situation Sorgen gemacht habe. Die Mitarbeiter seien am 13. Okt. 2008 über die anhaltende Schwäche des DRAM-Marktes, die daraus folgenden schwerwiegenden Konsequenzen für die DRAM-Industrie und die finanzielle Situation informiert worden. Es sei nicht zu erkennen, wie die Klagepartei auf den Gedanken habe kommen können, die ... AG werde die Situation meistern. Der Belegschaft sei spätestens am 13. Okt. 2008 bekannt gewesen, dass die Situation dramatisch und Existenz bedrohend gewesen sei.

Der Klagepartei, die in leitender Stellung im Finanz- und Rechnungswesen tätig gewesen sei, sei täglich mit Finanz- und Wirtschaftszahlen befasst gewesen. Sie sei Ansprechpartner für externe Gutachter und Abschlussprüfer gewesen. Ihr habe daher nicht verborgen bleiben können, dass das Ergebnis des 3. Quartals und das Jahresergebnis nicht mehr veröffentlicht worden seien, da eine externe Prüfgesellschaft das Testat verweigert habe. Am 14. Okt. 2008 sei über die Testatverweigerung, die fehlende Fortführungsprognose und die Existenzbedrohung hingewiesen worden. Dies sei der Klagepartei „natürlich bekannt gewesen“. Zudem hätten die Liquiditätsprognosen des Rocky-Project-Teams nur bis Ende Oktober 2008 der ... AG Liquidität bescheinigt. Bei lebensnaher Betrachtung habe die Klagepartei wegen des aus der Not geborenen Rocky-Projects und der mit Herrn ... geführten Fachgespräche mit der drohenden Insolvenz rechnen müssen. Herr ... habe auch die Retention-Vereinbarung unterzeichnet. Anhaltspunkte für eine hervorragende Liquidität vor der Unterzeichnung dieser Vereinbarung hätten nicht bestanden; die gegenteilige Äußerung der Klagepartei lasse an deren Urteilsvermögen zweifeln.

Es genüge, wie sie meint, die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die auf eine drohende Insolvenz hindeuteten; dann sei von einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht der handelnden Schuldnerin auszugehen, die eine Leistung verspreche. Zudem: Wenn die Klagepartei von einer Rettung des Unternehmens ausgegangen sei, hätte auch keine Angst vor einer Abwanderung der Führungskräfte bestehen dürfen, die mit der Retention-Zahlung habe unterbunden werden sollen.

Spätestens ab 13. Okt. 2008 sei auch der letztverbliebene Investor M….. „vom Tisch“ gewesen. Die Zeitung „Die Welt“ habe berichtet, die Konkurrenten wollten ... nicht einmal geschenkt. Spätestens am 16. Okt. 2008 seien die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO erfüllt gewesen. Von einer Kenntnis der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung sei auszugehen, wenn eine Handlung die Befriedigungsaussichten der Gläubiger schmälere. Diesen Vorsatz habe die Fa. ... gehabt, die 2 Tage vor der Vereinbarung von der Existenz bedrohenden Situation aus dem Gutachten der ...

erfahren habe. Dadurch sei der Benachteiligungsvorsatz indiziert. Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Überwindung der Krise hätten nicht bestanden; die bloße Hoffnung auf Rettung reiche nicht aus.

Eine überwiegende Aussicht auf Staatshilfen habe nicht bestanden. Mit dem Freistaat ... hätten nach ersten Gesprächen im Sommer 2008 erst im November 2008 Verhandlungen begonnen. Am 9. Okt. 2009 sei der Vorstand hierüber über Herrn S. informiert worden. Zur Zeit der Retention-Vereinbarung habe kein tragfähiges oder umsetzbares Sanierungskonzept vorgelegen.

In diesem Bewusstsein habe die Klagepartei die mehr als üppige Prämie akzeptiert.

Bei der Retention-Vereinbarung handle es sich, wie der Beklagte meint, um eine inkongruente Rechtshandlung. Diese biete starke Beweisanzeichen für eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht und die Kenntnis des Empfängers. Inkongruenz liege bereits bei nachträglicher Änderung eines Leistungsprogramms vor. Der Klagepartei sei eine Leistung eingeräumt worden, auf die sie keinen Anspruch gehabt habe.

Soweit die Klagepartei behaupte, Interna oder Presseberichte nicht gekannt zu haben, sei dies nicht nachvollziehbar. Das E-Mail-Postfach der Klagepartei sei geleert worden, obschon dieses und die enthaltenen Mails dem Arbeitgeber zugestanden hätten. Die Klagepartei habe keine Löschungsbefugnis besessen. Aus dem erfolgten Löschen sei darauf zu schließen, sie habe die Beweisführung erschweren wollen.

Jedenfalls handle es sich bei der begehrten Leistung um eine bloße einfache Insolvenzforderung, da es am synallagmatischen Austauschverhältnis fehle.

Mit Schriftsatz vom 28. März 2011 (Seite 11, Bl. 529 d. A.) hat die Klagepartei der Rekonstruktion des E-Mail-Postfaches zugestimmt, da sie nichts zu befürchten habe.

Im Termin vom 5. Apr. 2011 hat das Gericht den Beklagten darauf hingewiesen, dass nur eine Mutmaßung, die Klagepartei habe von der drohenden Insolvenz der ... AG bei Abschluss der Retention-Vereinbarung gewusst, aufgestellt sei. Der Hinweis war versehentlich nicht protokolliert worden.

Wegen des Sachvortrags der Parteien im Einzelnen wird auf die Schriftsätze der Klagepartei vom 12. Okt. 2009 (Bl. 1 ff. d. A.), vom 3. Nov. 2009 (Bl. 10 f. d. A.), vom 22. Dez. 2009 (Bl. 76 ff. d. A.), vom 24. Nov. 2010 (Bl. 263 ff. d. A.), vom 6. Dez. 2010 (Bl. 336 ff. d. A.), vom 2. Feb. 2011 (Bl. 383 ff. d. A.), vom 28. März 2011 (Bl. 519 ff. d. A.), vom 4. Apr. 2011 (Bl. 596 ff. d. A.), vom 6. Juni 2011 (Bl. 625 ff. d. A.), vom 7. Juli 2011 (Bl. 631 d. A.), vom 31. Aug. 2011 (Bl. 675 ff. d. A.) und vom 16. Sept. 2011 (Bl. 755 ff. d. A.), des Beklagten vom 27. Nov. 2009 (Bl. 12 ff. d. A.), vom 11. Dez. 2009 (Bl. 74 f. d. A.) , vom 22. Apr. 2010 (Bl. 144 ff. d. A.), vom 2. Sept. 2010 (Bl. 219 ff. d. A.), vom 19. Nov. 2010 (Bl. 251 ff. d. A.), vom 7. März 2011 (Bl. 413 ff. d. A.), vom 31. März 2011 (Bl. 559 ff. d. A.), vom 23. Mai 2011 (Bl. 613 ff. d. A.), vom 29. Juni 2011 (Bl. 635 f. d. A.) und vom 31. Aug. 2011 (Bl. 740 ff. d. A.), der Streitverkündeten zu 1. und 2. vom 30. Nov. 2010 (Bl. 330 ff. d. A.) sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 3. Nov. 2009 (Bl. 8 f. d. A.), vom 8. Dez. 2010 (Bl. 344 f. d. A.), vom 5. Apr. 2011 (Bl. 592 ff. d. A.), vom 21. Juni 2011 (Bl. 629 ff. d. A.) und vom 20. Sept. 2011 (Bl. 751 ff. d. A.) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung hat in der Sache Erfolg.


A. Die Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist nach § 64 Abs. 1, 2b ArbGG statthaft sowie in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 2, § 520 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 66 Abs. 1 Sätze 1, 2, 5 ArbGG, § 222 ZPO).


B. In der Sache hat die Berufung Erfolg.

Die Klage auf Zahlung des Retention-Bonus für die Monate Mai und Sept. 2009 ist zulässig und in der Sache begründet.

Der Klage steht nicht entgegen, dass es sich bei diesen zugesagten Boni um eine Insolvenzschuld (§ 38, § 108 Abs. 3 InsO) handelte, bei der allein die Feststellung zur Tabelle beantragt werden könnte (§ 184 InsO). Die Klagepartei hat nach der Retention-Vereinbarung vom 16. Okt. 2008 Anspruch auf die klageweise geltend gemachten Beträge von jeweils € 30.850.- im Mai und im Sept. 2009. Dieser Vereinbarung steht keine Anfechtbarkeit nach § 146 Abs. 2, § 133, § 134 InsO entgegen. Weder handelt es sich bei der versprochenen Prämie um eine unentgeltliche Leistung, die eine Anfechtung des Beklagten nach § 134 InsO ermöglichte, noch sind die Voraussetzungen einer die der Klagepartei bekannten Umstände, die eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung annehmen lassen, ausreichend vorgetragen (§ 133 Abs. 1 InsO). Der Beklagte kann sich zudem nicht auf die Inkongruenz der Forderung berufen, welche ggf. eine erleichterte Anfechtungsmöglichkeit begründete.

Der Frage, inwieweit durch Handlungen des Beklagten eine Verpflichtung zur Zahlung der begehrten Retention-Prämie bereits „anerkannt“ worden wäre (Forderungsanmeldung nach Insolvenzeröffnung; Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes einschließlich des Retention-Betrages) bedarf daneben keiner Betrachtung.


I. Die Klage ist zulässig.

Der Klage steht nicht entgegen, dass es sich bei der geltend gemachten Forderung um eine Insolvenzschuld (§ 38, § 108 Abs. 3 InsO) handelte. Vielmehr ist eine Masseschuld (§§ 53 ff. InsO) gegeben.

1. Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erfolgen hat.

Darunter fallen alle Entgeltansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach der Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen sowie alle sonstigen, sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergebenden Ansprüche (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO; BAG v. 27. 9. 2007 – 6 AZR 975/06, NZA 2009, 89; BAG v. 19. 1. 2006 – 6 AZR 529/04, NZI 2007, 58; BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527). Auf die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer kommt es nicht an (BAG v. 27. 9. 2007, a.a.O.; BAG v. 19. 3. 2002 – 9 AZR 16/01, ZTR 2003, 98). Bei vereinbartem regelmäßigen Arbeitsentgelt entstehen diese Ansprüche mit den Zeitabschnitten, nach denen die Vergütung bemessen ist (§ 614 Satz 2 BGB); soweit diese in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fallen, liegen Masseschulden nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO vor (BAG v. 27. 9. 2007, a.a.O.; Braun/Bäuerle, InsO, 4. Aufl., § 55 Rz. 37 ff.). § 55 InsO hat gegenüber § 38 InsO Ausnahmecharakter. Letztere Norm erstrebt die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger und sieht diese als Regelfall vor (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 1 InsO). Demgegenüber gewährt § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO eine Vorwegbefriedigung aus der Insolvenzmasse aus gegenseitigen Verträgen, bei denen es nicht allein auf die vereinbarte Leistungszeit, sondern auf die Zwecksetzung ankommt. Nicht ausreichend ist, dass die Verbindlichkeiten „in der Zeit“ nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt werden müssen (BAG v. 27. 9. 2007, a.a.O.).

Maßgeblich für die Einordnung einer Zahlungsforderung des Arbeitnehmers als Masseoder Insolvenzforderung ist danach, ob es sich bei dieser um eine Leistung mit Entgeltcharakter handelt (arg. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Nur in einem zumindest teilweise synallagmatischen Verhältnis zu der erbrachten Arbeitsleistung stehende Leistungsansprüche sind als Masseforderung anzuerkennen, weil sie eine Gegenleistung für die der Masse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugute gekommene Arbeitsleistung darstellen (BAG v. 27. 9. 2007, 19. 10. 2004, jeweils a.a.O.; BAG v. 23. 2. 2005 – 10 AZR 600/03, AP InsO § 108 Nr. 1). Es muss somit ein Entgelt im weitesten Sinne für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet sein.

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Denn bei der streitgegenständlichen Retention-Prämie handelt es sich, entgegen der Ansicht des Beklagten, um keine Abfindungszahlung, die nicht als Masseschuld einzuordnen wäre, sondern um eine im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Leistung. Die Klagepartei hatte als Gegenleistung für den zugesagten Bonus versprochen, bis zu den bezeichneten Stichtagen jeweils betriebstreu zu bleiben. Diese Gegenleistung ist zur Annahme des Entgeltcharakters ausreichend.

a. Abfindungen stellen regelmäßig kein Entgelt für nach Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeitsleistungen dar, sondern erstreben einen Ausgleich für durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehende Nachteile und/oder eine Honorierung der Zustimmung des Arbeitnehmers zur vorzeitigen Vertragsauflösung.

Nach Ansicht der Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 27. 9. 2007, a.a.O., Rz. 21) ist demnach eine Abfindung, welche vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurde, auch dann nur einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO und keine Masseschuld, wenn der Anspruch erst nach Insolvenzeröffnung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht (BAG v. 27. 9. 2007, a.a.O.; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 2. Aufl., § 55 Rz. 181; Braun/Bäuerle, a.a.O., § 38 Rz. 14; zur KO vgl. BAG v. 27. 10. 1998 – 1 AZR 94/98, AP KO § 61 Nr. 29). Das Gleiche gilt dann, wenn der Abfindungsanspruch vereinbarungsgemäß bereits zeitlich vor dem Ausscheidenstermin erfüllt werden soll, solange sich nicht aus der Auslegung der getroffenen Vereinbarung ergibt, dass die vereinbarte „Abfindung“ tatsächlich anderen Zwecken dient und so dennoch eine synallagmatische Verknüpfung zur Arbeitsleistung bzw. im weiteren Sinn zum Bestand des Arbeitsverhältnisses aufweist. Ergeben sich aus dem Vertrag Hinweise auf herkömmliche Abfindungszwecke als auch auf eine synallagmatische Verknüpfung, so müsste angesichts des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von § 38 InsO und § 55 InsO die letztere Zwecksetzung zur Einordnung der Forderung als Masseverbindlichkeit überwiegen (BAG v. 27. 9. 2007, a.a.O.).

b. Vorliegend ist kein Abfindungsversprechen in der Retention-Vereinbarung zu erkennen.

Das Prämienversprechen ist als Gegenleistung für die weiter zu erbringende Betriebstreue der Klagepartei bis zu den jeweils genannten Stichtagen versprochen. Die Zahlung stellt keine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes dar. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Zusage, dass die volle Zahlung im Falle einer Arbeitgeberkündigung anfallen solle (vgl. Retention Payment Zusage, Bl. 3 d. A).

Der Zweck der Zahlung ist auf die weitere Betriebstreue der Klagepartei gerichtet. Denn „die Auszahlung setzt voraus, dass“ die Klagepartei „zu dem jeweiligen Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis mit der ... AG nicht von sich aus gekündigt“ hat (Retention Payment v. 16. Okt. 2008; Bl. 3 d. A.). Die Zahlung sollte demnach nicht für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern gerade umgekehrt, mit dem Ziel des weiteren Erhalts des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen. Sie ist nach der getroffenen Vereinbarung einer Sonderzahlung oder Gratifikation vergleichbar, die beide unter den Begriff der Entgeltleistungen fallen, wenn sie vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag, der zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt, abhängen (BAG v. 27. 9. 2007, a.a.O., Rz. 20 a.E.; MünchKomm-InsO/Hefermehl, a.a.O., § 55 Rn. 168; Braun/Bäuerle, a.a.O., § 55 Rz. 39).

Dem steht auch nicht entgegen, „dass die zugesagten Retention Zahlungen zu 100 % auch im Falle einer einseitigen Kündigung durch“ den „Arbeitgeber oder durch eine vom Arbeitgeber veranlasste Auflösung des Arbeitsvertrages ausbezahlt wird.“ Dies könnte zwar als Abfindungsregelung gedeutet werden. Die Arbeitnehmer sollen diese Zahlung auch dann erhalten, wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses zu den vereinbarten Stichtagen aus vom Arbeitgeber gesetzten Umständen nicht mehr möglich ist. Allerdings kann dieser Regelung – ungeachtet dessen, dass sie im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung gelangt war – nicht als verdeckte Abfindungsvereinbarung verstanden werden, dergestalt, dass die Klagepartei eine Arbeitgeberkündigung hätte provozieren können, um so in den Genuss der vollen Prämienzahlung zu kommen. Man wird, wenngleich dies nicht so formuliert ist, die Vereinbarung nach ihrem Sinn und Zweck dahingehend auslegen müssen, dass die volle Zahlung nur im Falle einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung oder einer von ihm aus betrieblichen Gründen veranlassten Auflösung des Arbeitsverhältnisses in voller Höhe geschuldet sein sollte. Allerdings bedarf es hier keiner genaueren Auslegung des betreffenden Passus. Denn die Klagepartei hält der Argumentation des Beklagten aus Sicht der Kammer jedenfalls zutreffend entgegen, dass im Falle einer durch sie provozierten Kündigung der Auszahlung der vollen Prämie § 162 BGB entgegengestanden hätte.

c. Die Behauptung des Beklagten, es habe den – auf eine inkongruente Leistung hindeutenden – Plan gegeben, über den Umweg der Retention-Zusage mögliche später ausfallende Zahlungen zurückzuholen, ist seitens der Klagepartei bestritten.

Eine nähere Erhellung des behaupteten Planes war nicht erfolgt.

d. Die eingeklagten Zahlbeträgen stellen Masseschulden (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO) dar.

Bei den eingeklagten Beträgen handelte es sich um stichtagsbezogene Zahlungen. Deren Fälligkeit sollte bei Bestand des Arbeitverhältnisses am 31. Mai 2009 und am 20. Sept. 2009 eintreten. Die Fälligkeit der Zahlungen trat somit erst zu einem nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung liegenden Zeitpunkt ein.


II. Die erhobene Klage ist begründet.

Die Klagepartei kann die am 31. Mai 2009 und am 30. Sept. 2009 fällig gewordenen und wirksam versprochenen Beträge vom Beklagten verlangen. Der Zahlung steht keine Anfechtungsmöglichkeit des Beklagten nach § 146 Abs. 2, § 133 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO entgegen. Die vereinbarten Voraussetzungen für die Auszahlung der begehrten Zahlbeträge sind erfüllt.

1. Einwände gegen die Wirksamkeit der getroffenen Zahlungsvereinbarung als solcher sind nicht erhoben und auch nicht ersichtlich.

Insbesondere ist die Retention-Vereinbarung nicht bereits wegen einer verbundenen Gläubigerbenachteiligung bereits nach § 138 BGB unwirksam; auch liegt kein Zahlungsversprechen nur für den Fall einer gelungenen Restrukturierung vor, mit der Folge, dass die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarung entfallen wäre. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Urteil (II. 1. und 2. der Entscheidungsgründe) Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Allein der abschließende Zusatz der Retention-Vereinbarung, man setze auch auf die künftige Unterstützung durch die Klagepartei und deren Engagement, um das Ziel einer dauerhaften Etablierung von ... am Markt zu erreichen (Bl. 4 d. A.), erlaubt keinen Schluss auf ein nur für den Fall der erreichten Sanierung gegebenen Zahlungsversprechens (§§ 133, 157 BGB). Insbesondere die Zusage der Zahlung der vollen Retention-Prämie für den Fall einer Arbeitgeberkündigung legt bereits den Schluss nahe, dass auch das Misslingen einer Sanierung oder Restrukturierung ins Kalkül gezogen war (im Einzelnen dazu unten B II. b. bb. aaa.).

2. Der Beklagte kann die Auszahlung der Teilbeträge für Mai und September 2009 nicht wegen der Anfechtbarkeit des Rentention Payment nach § 146 Abs. 2, § 134 InsO verweigern.

Denn bei den zugesagten Prämienzahlungen handelte es sich nicht um eine unentgeltliche Leistung, die den Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung zur Anfechtung berechtigte, wenn das Versprechen weniger als 4 Jahre vor dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung – wie hier gegeben – erfolgt war (§ 134 Abs. 1 InsO). Ebenso ist eine Anfechtung wegen eines etwaigen Auseinanderklaffens der Leistung und des Wertes der Gegenleistung nicht gegeben; die Retention-Zahlung stellt nach Ansicht der Kammer und entgegen einer zwischenzeitlich geäußerten Annahme im Beschluss vom 26. Juli 2011 (Bl. 640 d. A.) keine inkongruente Leistung dar.

a. Mit dem Retention Payment wurde keine unentgeltliche Leistung versprochen.

In der Vereinbarung liegt ein Leistungsversprechen i.S.v. § 134 Abs. 1 InsO. Diese Norm erfasst Rechtshandlungen aller Art, die geeignet sind, das Schuldnervermögen zugunsten einer anderen Person zu mindern. Die Norm erfasst alle Rechtshandlungen i.S.v. § 129 InsO, worunter nicht nur dingliche Verfügungen, sondern bereits schuldrechtliche Verträge rechnen (Braun/de Bra, a.a.O., § 129 Rz. 12).

b. Eine Unentgeltlichkeit einer Verfügung liegt vor, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden oder einem Dritten (z.B. einem Gläubiger) ein entsprechender ausgleichender Gegenwert zufließt oder zufließen soll.

Demgegenüber ist Entgeltlichkeit anzunehmen, wenn der Schuldner für seine Leistungen eine ausgleichende Gegenleistung erhalten hat oder erhalten soll (vgl. BGH v. 19. 11. 2009 – IX ZR 9/08, NJW-RR 2010, 1144; BGH v. 4. 3. 1999 – IX ZR 63/98, NJW 1999, 1549; BGH v. 25. 6. 1992 – IX ZR 4/91, NJW 1992, 2421, unter Rz. 17 [juris]; BGH v. 29. 11. 1990 – IX ZR 29/90, NJW 1991, 560 unter Rz. 11 [juris]; Jaeger/Henckel, a.a.O., Rz. 8; Braun/de Bra, a.a.O., Rz. 9; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 134 Rz. 17, 18; HK-InsO/Kreft, a.a.O., Rz. 7). Die ausgleichende Leistung muss vereinbart sein (BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033; BGH v. 21. 6. 2007 – IX ZR 165/04, juris; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., Rz. 17b), ohne dass sie eine Gegenleistung i.S.v. §§ 320 ff BGB darstellen müsste. Ausreichend ist jeder werthaltige Vermögensvorteil, den der Schuldner durch die vorgenommene Rechtshandlung erlangt (MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O. Rz. 17a; Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 134 Rz. 8; Braun/de Bra, a.a.O., § 134 Rz. 3; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 133 Rz. 6). Die Angemessenheit der Gegenleistung bemisst sich primär nach objektiven Kriterien (BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033, unter Rz. 11 [juris]; ferner BGH v. 12. 12. 1996 – IX ZR 76/96, NJW 1997, 866, unter Rz. 10 [juris]), wobei es keiner Einigung der Vertragsparteien über die Unentgeltlichkeit bedarf (BGH v. 28. 2. 1991 – IX ZR 74/90, NJW 1991, 1610, unter Rz. 11 [juris]). Der Zweck des Gläubigerschutzes gebietet eine weite Auslegung des Begriffs der Unentgeltlichkeit (BGH v. 28. 2. 1991 – IX ZR 74/90, NJW 1991, 1610). Nach diesseits geteilter Ansicht des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 28. 2. 1991, a.a.O., unter Rz. 12 [juris]) dürfen „nicht die subjektiven Vorstellungen und Absichten des Schuldners und seines Vertragspartners, auch soweit sie erklärt worden sind, … entscheidend sein, sondern“ es muss eine „objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers“ vorliegen. „Anderenfalls könnten die Beteiligten allein dadurch, dass sie einer für den Schuldner objektiv wertlosen Leistung in ihren rechtsgeschäftlichen Erklärungen einen (subjektiven) Wert beimessen, den Zweck des Gesetzes vereiteln.“ Erst nach festgestelltem Vorliegen eines objektiv gegebenen Gegenwert, der dem Schuldner für seine Zuwendung zugeflossen war oder nach Feststellung einer ihm versprochenen werthaltigen Gegenleistung, ist zu prüfen, ob die Beteiligten diesen als Entgelt oder gleichwohl das Geschäft als Freigebigkeit angesehen haben (BGH v. 28. 2. 1991, a.a.O.; BGH v. 29. 11. 1990 – IX ZR 29/90, NJW 1991, 560, unter Rz. 12 [juris]).

aa. Vorliegend ist ein der Schuldnerin zugeflossener bzw. vereinbarungsgemäß zuzufließender Gegenwert zu erkennen.

Die Rentention-Zahlung sollte im Falle erbrachter weiterer Betriebstreue der Klagepartei geleistet werden. Diese weitere Betriebstreue stellt einen der Schuldnerin zugekommenen Vermögensvorteil dar, der eine Unentgeltlichkeit der versprochenen Zahlung ausschließt. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts handelt es sich dabei nicht lediglich um einen Kündigungsverzicht der Klagepartei, den diese zu erbringen versprochen hat und auch nicht um das „`bloße´ Verbleiben im Arbeitsverhältnis“. Vielmehr brachte der Verbleib bestimmter Personen, auch der Klagepartei, im Beschäftigungsverhältnis zur Schuldnerin dieser Vorteile im Zusammenhang mit einer eventuellen Restrukturierung, die angesichts der erwirtschafteten Zahlen im Jahr 2008 angedacht war, wie der bestandene Restrukturierungs-/Sanierungsplan belegt. Das Verbleiben für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebes wesentlicher Personen im Arbeitsverhältnis stellte für die Schuldnerin einen vermögenswerten Vorteil für eine angedachte Restrukturierung und Sanierung des Unternehmens dar.

Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Retention-Zahlung sei nicht von der Erbringung einer Gegenleistung (Arbeitsleistung) abhängig. So sei diese auch für die Fälle des Urlaubs, der Krankheit oder der Elternzeit einer Klagepartei zu entrichten gewesen. Denn der objektive Gegenwert für die Zahlung liegt bereits im weiteren Bestand des Arbeitsverhältnisses. Damit bestand die Möglichkeit, im Falle eines „Neustarts“ des Unternehmens auch auf die Arbeitskraft der Klagepartei zurückzugreifen.

Bei der vorstehend bezeichneten Gegenleistung handelt es sich gerade nicht um eine nur erhoffte Gegenleistung oder eine bloße Erwartung eines künftig gefälligen Verhaltens der Zuwendungsempfänger, hier der Klagepartei. Es trifft zwar zu, wie der Beklagte ausführt, dass die Klagepartei mit dem Retention Payment keinerlei rechtliche Verpflichtung eingegangen war. Sie war nicht gehindert, zu jeder Zeit durch Ausspruch einer Eigenkündigung das Arbeitsverhältnis und damit die weitere Betriebstreue, das weitere Verbleiben im Unternehmen der Schuldnerin zu beenden. Mit dieser isolierten Betrachtung wird aber übersehen, dass die seitens der Schuldnerin versprochene Leistung nicht ex ante, sondern erst ex post, also nach (teilweise) erbrachter Betriebstreue, ebenso (teilweise) erfolgen sollte. Die seitens der Schuldnerin zugesagte Leistung sollte also erst nach erbrachter Gegenleistung, d.h. nach erbrachter Betriebstreue, ausgekehrt werden, was eine bloße Hoffnung oder Erwartung einer Gegenleistung ausschließt.

Die weitere Einlassung des Beklagten, es bestehe ein wesentlicher Unterschied der Retention-Vereinbarung gegenüber den üblichen Sonderzahlungen, da hier nicht der Honorierungszweck im Vordergrund stehe, mag zutreffen, steht aber der Annahme einer Gegenleistung ebenso nicht entgegen. Auch bei „üblichen“ Sonderzahlungen muss der Honorierungszweck nicht im Vordergrund stehen, wie dies etwa bei einer Gratifikation der Fall ist, die zwar auch erbrachte Arbeitsleistung honorieren kann, aber nicht muss (vgl. nur BAG v. 7. 6. 2011 – 1 AZR 807/09, juris, unter Rz. 41). Dass es zur Honorierung der Betriebstreue für die streitgegenständlichen Zeitabschnitte nicht dieser Vereinbarung bedurft hätte, ist objektiv gesehen nicht zu bestreiten. Allerdings war eine solche Vereinbarung, bei der es sich entgegen der Annahme des Beklagten um keine Abfindungsvereinbarung handelt (vgl. oben B. I. 2. b.), rechtlich jedenfalls möglich und zulässig.

bb. Die Annahme einer Gegenleistung wird zudem nicht durch die Vereinbarung der vollen Auszahlung des Retention-Betrages im Falle einer Arbeitgeberkündigung oder einer durch den Arbeitgeber veranlassten vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen.

Denn diese Zusage war nach §§ 133, 157 BGB dahingehend auszulegen, dass diese Bedingung nur im Falle einer aus betrieblichen Gründen erfolgenden, durch die Schuldnerin veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten sollte. Jedenfalls aber wäre einer durch die Klagepartei provozierten Arbeitgeberkündigung die treuwidrige Herbeiführung des Bedingungseintrittes entgegengestanden (§ 162 BGB).

aaa. Die Vereinbarung „Wir bestätigen, dass die zugesagten Retention Zahlungen zu 100% auch im Falle einer einseitigen Kündigung durch Ihren Arbeitgeber oder durch eine vom Arbeitgeber veranlasste Auflösung Ihres Arbeitsvertrages ausbezahlt wird.“ schließt dem Wortlaut nach auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber aus Gründen im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers mit ein. Allerdings scheint dieses Verständnis bei genauerer Betrachtung der Vereinbarung nicht haltbar. Denn diese Zusage war vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage der ... AG erteilt worden, um bestimmte Arbeitnehmer an das Unternehmen zu binden, mit denen der Betrieb nach einer eventuellen Sanierung oder Restrukturierung weitergeführt werden konnte und sollte. Die Zusage der Auszahlung der vollen Leistung, auf Grund derer die betreffenden Beschäftigten an das Unternehmen gebunden werden sollten, auch im Falle einer Arbeitgeberkündigung etc., zielt nach §§ 133, 157 BGB erkennbar darauf, dass den Arbeitnehmern kein Nachteil entstehen sollte, wenn diese beim Unternehmen verblieben und die angedachte Restrukturierung dennoch scheitern sollte. Demnach ist sie allein auf betriebsbedingte Beendigungstatbestände beschränkt, was die Provozierung einer Kündigung mit der Folge einer vollen Auszahlung des Retention-Betrages, welche der Beklagte immer im Auge hat, ohnehin bereits ausschließt.

bbb. Aber selbst wenn man den Ausspruch einer Kündigung aus jedwedem Anlass für die zugesagte Auszahlung des vollen Betrages ausreichen lassen wollte, stünde im Falle einer durch die Klagepartei provozierten Kündigung jedenfalls die treuwidrige Herbeiführung der Bedingung (§ 162 BGB) entgegen. Die Klagepartei könnte in einem solchen Fall gerade keine Auszahlung der noch ausstehenden Beträge des Retention Payment verlangen. Denn nach § 162 Abs. 2 BGB bedingt eine treuwidrige Herbeiführung einer Bedingung, dass deren Eintritt als nicht erfolgt anzusehen ist. Entscheidend ist, dass die Vertragspartei, zu deren Vorteil der Bedingungseintritt gereichte, in treuwidriger Weise ursächlich auf den Kausalverlauf eingewirkt hat (Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 162 Rz. 2, 3). Der Verletzung einer einklagbaren Pflicht bedurfte es nicht (BGH v. 14. 7. 1959 – VIII ZR 149/58, BB 1959, 872).

Sofern die Klagepartei zurechenbar einen Kündigungsgrund gesetzt hätte, etwa infolge unentschuldigten Fehlens oder beharrlicher Verweigerung der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, weswegen seitens der Schuldnerin eine Kündigung ausgesprochen worden wäre, so hätte die Klagepartei keinen Anspruch auf die zugesagte 100%-ige Auszahlung des Retention Payments gehabt. Denn keine Vertragspartei darf aus einem treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile ziehen (vgl. auch BAG v. 12. 12. 2007 – 10 AZR 97/07, NJW 2008, 872, unter Rz. 35). Treuwidrigkeit wäre auch anzunehmen gewesen, wenn die Kündigung seitens der Klagepartei nur mit dem Ziel, mit der ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung die Auszahlung des vollen Retention Payments zu erhalten, provoziert worden wäre.

cc. Mit der weiteren Betriebstreue der Klagepartei war der Schuldnerin ein angemessener Gegenwert zugeflossen. Dass die Retention-Zahlung eine „übliche“ Sonderzahlung im Arbeitsverhältnis überstieg, ist ohne Bedeutung.

aaa. Ist dem Schuldner objektiv, wie hier mit der versprochenen Betriebstreue, eine Gegenleistung zugesagt bzw. im Zeitpunkt der Auszahlung der jeweiligen (Teil-)Beträge zugeflossen, entscheidet allein der Wille der Vertragpartner, ob überhaupt ein ausgleichender Gegenwert erbracht werden soll (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., Rz. 40; Jaeger/Henckel, a.a.O., Rz. 28; HK-InsO/Kreft, a.a.O., Rz. 9). Die subjektiven Vorstellungen haben Bedeutung bei der Frage, ob eine Gegenleistung den Wert der Leistung des Schuldners erreicht (BGH v. 29. 11. 1990, a.a.O., unter Rz. 12 [juris]; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., Ruz. 40; HK-InsO/Kreft, a.a.O., Rz. 10). Dabei kommt den Vertragsparteien ein angemessener Bewertungsspielraum zu (BGH v. 1. 4. 2004 – IX ZR 305/00, NZI 2004, 376, 378, unter Rz. 39 [juris]; BGH v. 13. 3. 1978 – VIII ZR 241/76, NJW 1978, 1226, 1327, unter Rz. 16 [juris]; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., Rz. 40; HK-InsO/Kreft, a.a.O., Rz. 10), auch hinsichtlich objektiver Unsicherheiten bei der Bewertung von Leistung und/oder Gegenleistung, wenngleich sich diese nicht zu weit von den objektiven Verhältnissen entfernen darf (MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend eingehalten. Die Parteien hatten den Retention-Bonus für das Verbleiben der Klagepartei im Unternehmen versprochen. Dieses Verbleiben hatte für die Schuldnerin für den angedachten Fall eines „Neustarts“ nach einer Restrukturierung bzw. einer Sanierung den versprochenen Wert. Die dadurch gehaltenen Mitarbeiter, hier die Klagepartei, war ersichtlich für die Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit von erheblichem Wert, weswegen die – zugegebenermaßen – hohe Prämie zugesagt worden war.

Der gläubigerschützende Normzweck (dazu nur MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., Rz. 43) steht der Berücksichtigung dieser subjektiven Erwägungen nicht entgegen, da diese auf einer realen Grundlage basieren (dazu nachfolgend B. II. 3. d. bb. bbb.). Die Schuldnerin hatte eine Restrukturierung angedacht und auch bereits, soweit von ihr abhängig, in die Wege geleitet.

bbb. Doch selbst, wenn man eine (teilweise) Unentgeltlichkeit der Retention-Zahlung aus Sicht der Schuldnerin annehmen wollte, läge dennoch keine Unentgeltlichkeit vor, so lange der Leistungsempfänger (Klagepartei) in der Leistung eine Vergütung für erbrachte oder erwartete Dienste erkennen durfte (Jaeger/Henckel, a.a.O., Rz. 20). Dahingehend ist nichts vorgetragen.

Im Übrigen unterliegen teilweise unentgeltliche (gemischte) Verträge nicht, wie der Beklagte ausführt, insgesamt der Anfechtung, sondern nur dann, wenn der Hauptzweck des Vertrages in der Freigiebigkeit zu erkennen ist (BGH v. 20. 10. 1971 – VIII ZR 212/69, NJW 1972, 4, unter Rz. 17 [juris]). Einen dahingehenden Hauptzweck kann die Kammer weder aus der Vereinbarung selbst noch aus dem Vortrag des Beklagten erkennen.

3. Ebenso scheidet die Anfechtung der getroffenen Vereinbarung nach § 146 Abs. 2, § 133 InsO aus. Nach dem Sachvortrag des darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten (BGH v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, NJW 2003, 3560; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 133 Rz. 22; Jaeger/Henckel, a.a.O., § 133 Rz. 32; HK-InsO/Kreft, a.a.O., § 133 Rz. 12) ist bereits nicht zu erkennen, dass die Schuldnerin mit den Zahlungen eine Gläubigerbenachteiligung beabsichtigt hatte.

Doch selbst wenn dem so gewesen sein sollte, fehlt es an einem ausreichenden Vortrag zur Kenntnis der Klagepartei hinsichtlich der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO) bzw. des Vorliegens der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO. Zur gesetzlichen Vermutung begründet der Beklagte allein, der Klagepartei habe die drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bekannt sein müssen; doch fehlt es am konkreten Vortrag hinreichender Beweisanzeichen, die für die tatsächliche Kenntnis sprechen.

a. Die allgemeinen Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO liegen vor.

Insbesondere war die streitgegenständliche Rechtshandlung (i.S.v. § 129 InsO; vgl. nur Braun/de Bra, a.a.O., § 133 Rz. 4 und oben II. 2. b. aa.) innerhalb der letzten 10 Jahre vor der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der ... AG vorgenommen worden. Mit dem Abschluss der Vereinbarung kann eine Gläubigerbenachteiligung unterstellt werden, da die Insolvenzmasse zulasten dieser um die Retention-Beträge geschmälert wurde.

b. Die Rechtshandlung, das Versprechen des Retention Payment, benachteiligte die Gläubiger der ... AG, denen die Summe der Retention-Zahlungen dann nicht mehr zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung steht.

c. Allerdings ist nicht zu erkennen, dass die Schuldnerin mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt hatte.

aa. Der Schuldner handelt mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er eine Benachteiligung seiner Gläubiger als Ergebnis seiner Rechtshandlung erstrebt oder – im Falle einer kongruenten Deckung – als mutmaßliche Folge erkennt und billigend hinnimmt (BGH v. 5. 3. 2009 – IX ZR 85/07, NJW 2009, 1601, 1602, unter Rz. 10 [juris]; BGH v. 18. 12. 2008 – IX ZR 79/07, NJW-RR 2009, 518, 521, unter Rz. 13 [juris]; BGH v. 10. 2. 2005 – IX ZR 211/02, NJW 2005, 1121, unter Rz. 26 [juris]; BGH v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, NJW 2003, 3347, unter Rz. 22 [juris]; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 133 Rz. 13 ff.; Braun/de Bra, a.a.O., § 133, Rz. 9 ff.; HK-InsO/Kreft, a.a.O., § 133 Rz. 10).

Der Schuldner muss entweder wissen, neben dem Anfechtungsgegner nicht alle Gläubiger innerhalb angemessener Zeit befriedigen zu können oder er muss sich diese Folge als möglich vorgestellt und diese in Kauf genommen zu haben, ohne sich dadurch von der Vornahme des Rechtsgeschäftes abhalten zu lassen (BGH v. 18. 12. 2008, a.a.O.; BGH v. 24. 5. 2007 – IX ZR 87/06, NJW-RR 2007, 1537, unter Rz. 8 [juris]). Dabei müssen die Gläubiger im Zeitpunkt der Vornahme der (anzufechtenden oder angefochtenen) Rechtshandlung noch nicht vorhanden gewesen sein (BGH v. 13. 8. 2009 – IX ZR 159/06, NZI 2009, 768, unter Rz. 5 [juris]). Aus einer vorhandenen Kenntnis des Schuldners von seiner (drohenden) Zahlungsunfähigkeit kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auf einen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden (BGH v. 27. 5. 2003, 18. 12. 2008, 5. 3. 2009, jeweils a.a.O.; BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 121/06, NJW 2008, 1067, unter Rz. 32 [juris]; BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, NJW 2006, 2701, unter Rz. 14 [juris]). Ein derartiger Vorsatz ist allein dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner aufgrund konkreter Umstände mit einer raschen Überwindung der Krise rechnen konnte (BGH v. 24. 5. 2007, 5. 3. 2009, jeweils a.a.O.; BGH v. 1. 4. 2004 – IX ZR 305/00, NZI 2004, 376, unter Rz. 24 [juris]; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 133 Rz.15). Diese konkreten Umstände müssen bei drohender Zahlungsunfähigkeit eine mögliche Abwendung der Krise nahe legen (BGH v. 24. 5. 2007, 18. 12. 2008, jeweils a.a.O.).

Modifizierte Voraussetzungen wegen einer lediglich inkongruenten Deckung (vgl. dazu BGH v. 27. 5. 2003, a.a.O.) sind nicht zu beachten, da vorliegend nach Ansicht der Kammer, abweichend von einer zwischenzeitlich im Hinweisbeschluss vom 26. Juli 2011 (Bl. 640 d. A.) geäußerten Ansicht, keine inkongruente Deckung anzunehmen ist. Darunter sind Rechtshandlungen zu verstehen, die einem Insolvenzgläubiger Sicherung oder Befriedigung in einer Art oder zu einer Zeit gewähren oder ermöglichen, die er nicht, nicht so oder nicht zu dieser Zeit hätte beanspruchen können (§ 131 InsO; zum Begriff im Einzelnen vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 131 Rz. 8 ff.; Braun/de Bra, a.a.O, § 131 Rz. 4 ff.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Denn das Retention Payment sollte für den Fall der weiteren Erbringung der Betriebs- bzw. Unternehmenstreue erfolgen. Es handelt sich dabei um eine gesonderte Vereinbarung der Parteien im Rahmen des bestandenen Arbeitsverhältnisses und nicht lediglich um eine Sicherung bestehender oder künftiger Ansprüche, auf welche die Klagepartei (noch) keinen Anspruch hatte. Auch hatte die Schuldnerin das Versprechen nicht zur Sicherung oder Erfüllung nicht klagbarer Ansprüche der Klagepartei abgegeben.

Ebenso kann die Inkongruenz nicht mit einer nachträglichen Abänderung des geschuldeten Leistungsprogrammes begründet werden. Zuzugeben ist, dass eine derartige nachträgliche Abänderung der Rechtslage in einem Schuldverhältnis eine Inkongruenz herbeizuführen geeignet ist. Allerdings handelt es sich vorliegend um keinen derartigen Fall. Denn die Vertragsparteien (Schuldnerin und Klagepartei) haben zwar in Ansehnung des bestandenen Arbeitsvertrages, aber von diesem rechtlich unabhängig, eine weitere Vertragsvereinbarung abgeschlossen. Diese beinhaltet eine (eigene) entgeltliche Leistung, nicht die (bloße) Modifizierung der bereits bestandenen Vertragsabreden, die nicht mehr insolvenzfest abänderbar gewesen wären (vgl. dazu BGH v. 10. 5. 2007 – IX ZR 146/05, NZI 2007, 456, unter Rz. 14; Cranshaw, juris-PR-InsR 23/2007 Anm. 2). Wenngleich die Klagepartei ihre Arbeitsleistung bereits kraft Arbeitsvertrages zu erbringen hatte und es dazu keiner weiteren Vertragsvereinbarung bedurfte, so bedeutete die Retention-Vereinbarung darüber hinaus den Verzicht der Klagepartei auf einen jederzeit möglichen Kündigungsausspruch vor den festgelegten Terminen, wollte sie die jeweils festgelegten Zahlungen erhalten. Damit ist eine über die arbeitsvertragliche hinausgehende weitere Verpflichtung der Klagepartei festgelegt.

bb. Vorliegend bestehen bereits Zweifel am Benachteiligungsvorsatz der ... AG gegenüber ihren Gläubigern.

aaa.An einer auf den Benachteiligungsvorsatz deutenden Indizwirkung fehlt es etwa, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung zweifelsfrei liquide war (BGH v. 1. 4. 2004, a.a.O.; BGH v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, NZI 2004, 201, unter Rz. 34 ff. [juris]; BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 329/97, NZI 1999, 152, unter Rz. 22 ff. [juris]) oder von einer mit Sicherheit erfolgenden Befriedigung sämtlicher Gläubiger, also einer baldigen Überwindung einer bestandenen Krise, ausging (BGH v. 1. 4. 2004, 5. 3. 2009, jeweils a.a.O.).

bbb.Bedenken gegen die Benachteiligungsabsicht ergeben sich für die Kammer schon aus dem Umstand, dass der Schuldnerin zwar die finanziell angespannte Lage des Unternehmens bewusst gewesen sein mochte. Die ... AG hatte, worauf der Beklagte zutreffend hinweist, spätestens 2 Tage vor der Retention-Vereinbarung durch das Gutachten der ... um ihre existenzbedrohende Situation gewusst. Doch hatte sie zu dieser Zeit auch bereits konkrete Planungen getroffen, wie das Unternehmen weiter geführt und dessen Bestand gesichert werden sollte. Sie besaß, vom Beklagten nicht bestritten, einen auf 5 Jahre angelegten Businessplan, der im Einzelnen sowohl die strategische Ausrichtung, die sich hieraus ergebenden finanziellen Effekte und die erforderliche Zufuhr von Liquidität darstellte. Dieser war von Fachexperten der ... (Auszug Anlage K 26, Bl. 703 ff. d. A.) in Zusammenarbeit mit den vom Freistaat ... benannten Experten Dr.Dr. F. und Dr. R. begutachtet worden; darauf aufbauend hatte die P. (Auszug Anlage K 24, Bl. 698 ff. d. A. und K 25, Bl. 702 d. A.) die risikomäßige Vertretbarkeit analysiert, mit dem Ergebnis, ein Engagement des Freistaats ... sei möglich, wenngleich mit hohen Risiken behaftet (Anlage K 26, Bl. 702 d. A.).

Letztlich bedarf es jedoch keiner abschließenden Entscheidung, inwieweit die ... AG angesichts dieser Umstände von einer baldigen Überwindung der Krise ausgehen durfte. Die Kenntnis der Klagepartei von einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin ist seitens des darlegungsbelasteten Beklagten jedenfalls nicht hinreichend dargetan (dazu nachfolgend d.).

d. Die Kenntnis der Klagepartei von einem – unterstellten – Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin im Zeitpunkt des Abschlusses des Retention Payment (§ 140 InsO) ist seitens des darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten nicht hinreichend dargetan.

Dies gilt sowohl für die positive Kenntnis des Vorsatzes (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO), als auch für das Vorliegen der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO.

aa.Eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Anfechtungsgegner – hier: die Klagepartei – zur Zeit der Vornahme der angefochtenen Handlung (§ 140 InsO) den Vorsatz des Schuldners – hier: der ... AG –, die Gläubiger zu benachteiligen, kannte.

Die positive Kenntnis (vgl. dazu BGH v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, NJW 2003, 3560, unter Rz. 18; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 133 Rz. 19; Braun/de Bra, a.a.O., § 133 Rz. 20) eines – unterstellten – (bedingten) Benachteiligungsvorsatzes seitens der Schuldnerin wird vom Beklagten ersichtlich nicht behauptet.

bb.Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird diese Kenntnis aber (widerleglich) vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die jeweilige Handlung die Gläubiger benachteiligte.

Aus der Argumentation des darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten sind allerdings ebenso keine hinreichenden Indiztatsachen abzuleiten, die einen Schluss dahingehend zuließen, die Klagepartei habe bei Vereinbarung des Retention Payments gewusst, die Schuldnerin drohe die Zahlungsunfähigkeit (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Insbesondere waren mit den Retention-Zahlungen – ersichtlich – der Geschäfts- oder Unternehmensleitung „fremde“ Personen, also keine Familienangehörigen oder Freunde, bedacht worden.

aaa.Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können als innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen regelmäßig nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. Hinsichtlich der Rechtsbegriffe, wie etwa der Zahlungsunfähigkeit, muss deren Kenntnis zudem meist aus der Kenntnis von Anknüpfungstatsachen erschlossen werden. Entsprechend steht nach der diesseits geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (z.B. Urt. v. 13. 8. 2009 – IX ZR 159/06, NZI 2009, 768, unter Rz. 8 [juris]) der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit auch im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO die Kenntnis derjenigen Umstände gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen (vgl. ferner BGH v. 20. 11. 2008 – IX ZR 188/07, NJW-RR 2009, 395, 396, unter Rz. 10 [juris]; BGH v. 24. 5. 2007 – IX ZR 87/06, NJW-RR 2007, 1537, unter Rz. 25 [juris]). Ausreichend ist die Kenntnis des Anfechtungsgegners – hier: der Klagepartei – von den tatsächlichen Umständen, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH v. 13. 8. 2009, a.a.O.; BGH v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, NJW 2009, 1202, unter Rz. 13 [juris]). Diese Tatsachen stellen jedoch, worauf der Bundesgerichtshof (Urt. v. 13. 8. 2009, a.a.O., unter Rz. 8 [juris]) hinweist, nur mehr oder weniger gewichtige Beweisanzeichen dar, welche weder eine Gesamtwürdigung entbehrlich machten noch schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürften.

bbb.Derartige Anknüpfungstatsachen, aus denen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ergäbe, dass die Klagepartei im Zeitpunkt des Abschlusses des Retention Payment von der drohenden Insolvenz der ... AG Kenntnis hatte, sind durch den darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht vorgetragen. Solche Umstände ergeben sich nach Ansicht der Kammer weder aus dem kurz vor Abschluss der Vereinbarung verkündeten Sparprogramm (Cash Improvement Project), das die Einsparung von 3.000 Stellen, davon allein 1.500 in Deutschland, umfasste, noch aus der Mitarbeiterinformation vom 13. Okt. 2008. Ebenso musste die Klagepartei aus dem Vorstelligwerden des Betriebsrats beim Sächsischen Wirtschaftsminister am 15. Okt. 2008 in Reaktion auf den im Zuge des Sparprogramms geplanten Stellenabbau nicht zwingend auf eine drohende Insolvenz des Unternehmens geschlossen werden. Die Pressemeldungen waren gleichfalls nicht geeignet, auf eine in die Insolvenz mündende Situation hinzuweisen. Dass die Klagepartei auf Grund ihrer Tätigkeit im Finanz- und Rechnungswesen weitergehende auf eine drohende Insolvenz hindeutende Kenntnisse besessen hatte, ist seitens des Beklagten nur gemutmaßt, nicht aber nachvollziehbar anhand konkreter Tatsachen dargestellt worden („Natürlich waren die von der ... vertretene Auffassung und das Schreiben vom 14. 10. 2008 dem Kläger bei Übergabe der Retention-Zusage bekannt“, Schriftsatz v. 7. März 2011, S. 20, Bl. 432 d. A., unten). Ebenso ist nicht konkret anhand von Tatsachen dargestellt, dass der Klagepartei auf Grund des „aus der Not geborenen Rocky-Projects“ und der zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten ... geführten Gespräche von der bevorstehenden Insolvenz wusste; es ist nicht ersichtlich, auf Grund welcher Tatsachen „bei lebensnaher Betrachtung“ dieser Schluss gerechtfertigt ist (Schriftsatz v. 7. März 2011, S. 21, Bl. 433 d. A., unten). Allerdings bestanden konkrete Planungen, wie das Unternehmen nach einer Restrukturierung/Sanierung weitergeführt werden sollte. Angesichts dessen durfte auch die Klagepartei von einer Unternehmensfortführung, nicht aber noch einer in die Insolvenz mündenden Situation ausgehen.

(1) Aus der Kenntnis der Klagepartei vom Cash Improvement Project, das mit der Einsparung von 3.000 Stellen, davon 1.500 Stellen in Deutschland verbunden war, musste diese nach Ansicht der Kammer nicht zwingend auf eine drohende Insolvenz des Unternehmens schließen. Die Klagepartei verweist aus Sicht der Kammer zutreffend darauf, im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Personalabbau werde zumeist seitens der Unternehmen von einer „kritischen Situation“ gesprochen, um Kostensenkungs- und Personalabbauprogramme der Belegschaft und dem Betriebsrat „verkaufen“ zu können. Ein zwingender Hinweis auf eine tatsächlich drohende Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz sei daraus allein nicht zu entnehmen gewesen. Insbesondere deutete der beabsichtigte Personalabbau zunächst auf eine geplante Fortführung des Unternehmens. Nur unter einer derartigen Prämisse macht ein Personalanpassungsplan überhaupt Sinn. Umstände, auf Grund derer hier eine weitergehende Vermutung drohender Zahlungsunfähigkeit gerechtfertigt oder zwingend gewesen wäre, und dass etwa die Personalanpassung erkennbar ein verzweifelter letzter Versuch („Strohhalm“) gewesen wäre, das Unternehmen doch noch zu retten, sind seitens des Beklagten nicht vorgetragen.

Auch aus der Mitarbeiterinformation (E-Mail vom 13. Okt. 2008) ergab sich kein Anhaltspunkt auf einen zwingenden Schluss auf eine bevorgestandene Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz der ... AG. Die – allein von der Klagepartei inhaltlich teilweise wiedergegebene und hinsichtlich der wiedergegebenen Auszüge beklagtenseits nicht bestrittene – E-Mail (vgl. Schriftsatz vom 4. Apr. 2011, Seite 2 f., Bl. 597 f. d. A.) weist allein auf die – als sicher dargestellte – Umsetzung eines strategischen Planes, um die ... AG in ein „schlankeres und fokussiertes Unternehmen zu transformieren und damit an die gegenwärtige und zu erwartende Umsatzgröße anzupassen“. Dazu sollte der vereinbarte Verkauf der...-Aktien an ... einen entscheidenden Schritt zur Restrukturierung und damit zur Absicherung des kurzfristigen Liquiditätsbedarfes darstellen. Künftig wollte sich das Unternehmen auf ausgewählte Marktsegmente konzentrieren, innerhalb derer die innovativen Technologien am Wirksamsten eingesetzt werden konnten. Das Unternehmen kündigte für die nächsten Wochen weitere Informationen über die Restrukturierung, die mit dem Verkauf der ...-Aktien als ersten und entscheidenden Schritt einer strategischen Neuausrichtung eingeleitet worden sei, an und verwies auf eine Stärkung des Unternehmens durch eine Verminderung des Liquiditätsabflusses durch den Verkauf der ...-Anteile mit der Folge, dass es zu einem künftig attraktiveren Geschäftspartner werde.

Diese – von der Klagepartei sicherlich nur auszugsweise wiedergegebenen – Inhalte der Mail deuten nach Ansicht der Kammer, trotz des enthaltenen Hinweises auf Liquiditätsprobleme und einen bislang zu hohen Liquiditätsabfluss, in keiner Weise auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz hin. Vielmehr kündigt die Schuldnerin ein Restrukturierungsprogramm an, das mit dem bereits sicher vereinbarten Aktienverkauf schon eingeleitet worden sei, an. Der Hinweis, sie werde künftig ein attraktiverer Geschäftspartner sein, bestätigt zwar die derzeit bestandene Zwangslage, implizierte aber zugleich, dass sich diese künftig nach einer schon in die Wege geleiteten Verschlankung und Neuausrichtung des Unternehmens bessern werde. Inwieweit der Belegschaft und damit auch der Klagepartei auf Grund dieser Information klar hätte gewesen sein müssen, wie der Beklagte meint, die Situation der ... AG sei dramatisch und ihre (gesamte) Existenz bedrohend, kann nicht nachvollzogen werden.

(3)Nichts anderes folgt aus dem Vorstelligwerden des Betriebsrats am 15. Okt. 2008 beim Sächsischen Wirtschaftsminister und aus dem unter dem 21. Okt. 2008 verfassten offenen Brief der Betriebsräte des Standortes D., der ... AG und der ... E. GmbH an den Aufsichtsrat (Anlage B 33, Bl. 235 f. d. A.). In letzterem brachten die Betriebsräte ihre Bestürzung über den erneut geplanten Personalabbau von ca. 1.500 Mitarbeitern und Leihkräften in D. und F-Stadt, nach einem bereits zum 30. Sept. 2008 abgeschlossen Personalabbau von etwa 860 Mitarbeitern und Leiharbeitnehmern in beiden Standorten zum Ausdruck und warfen die Frage auf, was danach komme. Ungeachtet des Umstandes, dass insbesondere der offene Brief erst nach Abschluss des Retention Payments verfasst worden war, kommt darin zwar die nachvollziehbare Sorge der Betriebsräte um die Arbeitsplätze der betroffenen und auch der geplant verbleibenden Beschäftigten zum Ausdruck. Doch gingen die Gremien, wie sich aus den abschließenden Ausführungen des offenen Briefes ergibt, keinesfalls von einer drohenden Insolvenz, sondern von einem Verkauf der ... AG aus. Für diesen Fall fragten sie nach der langfristigen Sicherung der beiden deutschen Standorte und die Einbindung der Arbeitnehmervertreter in den Prozess (Bl. 236 d. A.).

Umstände, auf Grund derer die Klagepartei, weitergehend als die Betriebsräte, von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz der ... AG hätte ausgehen müssen, sind daraus nicht zu erkennen.

(3) Der Umstand, dass die M. ... Inc. spätestens ab 13. Okt. 2008 nicht mehr als Übernehmer der ... AG in Betracht kam, musste den Mitarbeitern einschließlich der Klagepartei zugegebenermaßen bekannt sein, aber nicht allein aus irgendwelchen Presseverlautbarungen, sondern schon auf Grund der am 13. Okt. 2008 erfolgten Mitarbeiterinformation (vgl. oben (1)). Dort war ausdrücklich darauf verwiesen, dass ... nur die ...-Aktien, nicht aber das gesamte Unternehmen übernehmen werde. Ein Schluss auf eine drohend bevorgestandene Insolvenz war aus diesen Verlautbarungen aber nicht zwingend zu ziehen.

Im Übrigen ist es das Geheimnis des Beklagten, weshalb aus den angeführten Presseveröffentlichungen jedem Mitarbeiter der Schuldnerin ab dem 13. Okt. 2008 hätte klar gewesen sein müssen, dass der einzig noch in Betracht kommende Investor, die M. ... Inc., „vom Tisch“ sei (Schriftsatz v. 7. März 2011, Seite 23 f., Bl. 435 f. d. A.). Ungeachtet dessen, dass nur eine der angeführten Presseveröffentlichungen vom 13. Okt. 2008 stammt (Welt online v. 13. Okt. 2008, Anlage B 47, Bl. 518 d. A.), ergibt sich aus dieser allein, dass die M. ... Inc. angesichts der Übernahme der ...-Aktien „kein Interesse an einer ...-Übernahme haben dürfte“. Gleichlautend äußerte sich die ... Zeitung, …, vom 14. Okt. 2008, allerdings unter Hinweis auf weitergeführte Bemühungen des Verkaufes von ... an einen ausländischen Investor (Anlage B 15, Bl. 65 d. A.); Gleiches gilt für den Münchener Merkur vom 14. Okt. 2008 (Anlage B 16, Bl. 66 d. A.). Weitergehend sah die Welt vom 14. Okt. 2008 (Anlage B 14, Bl. 64 d. A.) einen Sanierungsfall in der ... AG, der allerdings auch nicht zwingend in eine Insolvenz münden hatte müssen.

Ungeachtet der Unsicherheiten hinsichtlich des tatsächlichen Kenntnisstandes bei Presseveröffentlichungen und der Frage, welche Zeitungsberichte die Klagepartei tatsächlich zur Kenntnis genommen hatte, deuteten die Artikel, insbesondere der „Welt“ vom 14. Okt. 2008 zwar eine Insolvenz als möglich an, verwiesen aber andererseits auf eine weitere Suche nach Investoren und weitere Verhandlungen. Auch die „…“ vom 14. Okt. 2008 verwies auf den Rückzug von ... aus der DRAM-Speicher-Produktion und die Konzentration auf Halbleiterproduktion für Server und Unterhaltungselektronik als möglichen, wenn auch keineswegs sicheren, Ausweg aus der Krise.

(4) Schließlich kann der Beklagte auch nicht aus der Stellung der Klagepartei im Unternehmen begründen, dass ihr die bevorgestandene Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz der ... AG bei Abschluss des Retention Payments hatte bekannt gewesen sein müssen. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass der Vortrag der Klagepartei (Schriftsatz vom 24. Nov. 2010, insbesondere Seite 29, Bl. 263 ff. d. A., unter Bezugnahme auf eine nicht vorgelegte Pressemitteilung der Schuldnerin vom 24. Juli 2008; ferner auch Schriftsatz vom 28. März 2011, Seite 7 ff., Bl. 519 ff, 525 ff. d. A.), bei Abschluss des Retention Payments sei die Liquidität der ... AG hervorragend gewesen und hätte für 10 Monate ausreichen können, rückschauend Zweifel aufkommen lassen können, auf Grund welcher Umstände der Verbleib der Klagepartei im Unternehmen so wesentlich gewesen war, wie der vereinbarte Retention-Betrag vermuten lässt. Allerdings kann der Beklagte keine tatsächlichen Umstände vortragen, auf Grund derer der Klagepartei die tatsächliche finanzielle Situation der Schuldnerin und die drohende Insolvenz hätte bekannt und klar sein müssen. Sein Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen in Vermutungen, die als solche auch keinem weiteren Beweis zugänglich sind.

Zwar war die Klagepartei als leitender Mitarbeiter im Finanz- und Rechnungswesen täglich mit Finanz- und Wirtschaftszahlen befasst. Es ist auch davon auszugehen, dass ihr die nicht mehr erfolgte Veröffentlichung des Ergebnisses des 3. Quartals 2008 nicht verborgen geblieben war. Allerdings ist seitens des Beklagten weder vorgetragen, wann, also mit welchem zeitlichen Abstand nach dem Ende eines Quartals die Veröffentlichung früher erfolgt war, weswegen nicht zu erkennen ist, ob der Klagepartei dies vor Abschluss des Retention Payments am 16. Okt. 2008 bereits hatte aufgefallen sein müssen, noch, auf Grund welcher Umstände sie den Grund für die unterbliebene Veröffentlichung des Ergebnisses, nämlich die Verweigerung des Testats zum 30. Sept. 2008 durch die ..., hätte wissen oder erkennen müssen. Der Beklagte führt allein aus, der Klagepartei sei „natürlich“ die von der ... vertretene Auffassung sowie deren Schreiben vom 14. Okt. 2008 bei Abschluss der Retention-Vereinbarung bekannt gewesen. Weswegen diese Kenntnis „natürlich“ vorgelegen habe, ist nach Ansicht der Kammer aber weder aus der Tätigkeit der Klagepartei noch aus deren behaupteter Stellung als Ansprechpartner für die externen Gutachter und Wirtschaftsprüfer nachvollziehbar. Denn die Klagepartei hält – unbestritten – entgegen, die monatlichen Konzernabschlüsse erstellt zu haben; mit der Kapitalausstattung und/oder der Fälligkeit bestehender Verbindlichkeiten habe sie nichts zu tun gehabt. Ihr hätten nur die Zahlen zum 30. Sept. 2009 vorgelegen, die eine Cross-Cash-Position von € 430 Millionen, deren Berechnung unbestritten nicht ihre Aufgabe gewesen war, ausgewiesen hätten. Auch habe sie keinen Einblick in die künftige Veränderung der Cash-Situation besessen. Zudem sei sie allein eine von mehreren Ansprechpartnern für Gutachter oder Wirtschaftsprüfer gewesen, ohne dass ihr deswegen besondere Erkenntnisse zugeschrieben werden könnten. Sie sei davon ausgegangen, die Zahlen dienten der Erstellung eines Gutachtens im Zusammenhang mit der Zielsetzung und Finanzierung der neuen Produktlinie. Von der Testatverweigerung für den Konzernabschluss durch die ... zum 30. Sept. 2008 habe sie nichts gewusst, ebenso nichts vom Schreiben der ... vom 14. Okt. 2008. Ihr Vorgesetzter ... mochte davon Kenntnis gehabt haben, doch sei dieser seitens der Geschäftsleitung zum Stillschweigen verpflichtet gewesen.

Insbesondere letztere, der Klagepartei durch den Beklagten zugeschriebenen Kenntnis handelt es sich um eine bloße, zur Annahme der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausreichende Mutmaßung. Der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat zumindest die Anknüpfungstatsachen, aus denen auf das Vorliegen der Kenntnis des Anfechtungsgegners geschlossen werden kann, vorzutragen und ggf. zu beweisen. Derartige tatsächliche Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Klagepartei von den behaupteten Umständen werden nicht vorgebracht. Eine Einvernahme des angebotenen Zeugen Thorsten ... verbot sich, da es sich dabei um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt hätte. Zwar behauptet der Beklagte regelmäßige Treffen und Fachgespräche zwischen der Klagepartei und dem angebotenen Zeugen ..., doch führt er nicht aus, welche Inhalte diese Gespräche hatten und welche Informationen der Klagepartei weitergegeben worden waren. Letztlich wäre eine Einvernahme des angebotenen Zeugen darauf hinausgelaufen, dass dieser die durch den Beklagten erforderliche Darlegung hätte vornehmen müssen. Auf den unzureichenden Vortrag (bloße Mutmaßung) hatte das Gericht bereits im Termin vom 5. Apr. 2011 hingewiesen, ohne dass nachfolgend insoweit eine weitere Präzisierung durch den Beklagten erfolgt wäre.

Schon auf Grund des letzteren Umstandes bedurfte es keiner weiteren Erhellung, wann die Veröffentlichung der Quartalszahlen in der Vergangenheit erfolgt war, um festzustellen, ob die unterbliebene Veröffentlichung zum 16. Okt. 2008 für die Klagepartei bereits hätte auffällig sein müssen.

Hinsichtlich der Ausführungen des Beklagten zum Rocky Projekt gilt das Vorerwähnte. Auch hier arbeitet er allein mit Mutmaßungen, ohne Anknüpfungstatsachen, die auf eine bestimmte Kenntnis der Klagepartei rückschließen ließen, anzuführen. Die Ausführungen, bei lebensnaher Betrachtung hätte die Klagepartei infolge des aus der Not geborenen Projekts auf eine drohende Insolvenz der Schuldnerin schließen müssen, stellt keinen Tatsachenvortrag dar. Insbesondere wird damit der klägerische Einwand, nicht am Rocky Projekt beteiligt gewesen zu sein und an keinem Board-Meeting teilgenommen zu haben, nicht entkräftet. Auch wenn, was hier bereits unterstellt worden war, keinerlei Anhaltspunkte für eine hervorragende Liquidität der Schuldnerin vor dem Zeitpunkt, zu dem dieses Projekt ins Leben gerufen worden war, vorhanden gewesen waren, so ist aus dem Projekt allein nicht auf eine drohende Insolvenz zu schließen. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte nicht konkret dartut, inwieweit der Klagepartei die Veranlassung, Inhalte und Ziele dieses Projekts bekannt gewesen waren; demzufolge ist auch kein Umstand ersichtlich, auf Grund dessen auf eine Kenntnis der Klagepartei von den Ergebnissen der Gruppe geschlossen werden könnte. Die Behauptung, die Klagepartei habe mit den angebotenen Zeugen ..., einem wesentlichen Mitglied der Rocky-Projekt-Gruppe, diverse Fachgespräche geführt, kann unterstellt werden; dass zu dem Inhalt der Gespräche „bei lebensnaher Betrachtung“ (Schriftsatz v. 7. 3. 2011, Seite 21 unten, Bl. 433 d. A.) auch die Liquiditätslage und die drohende Insolvenz der Schuldnerin gehört hatten, stellt allerdings keinen Tatsachenvortrag mehr dar, der insofern auch wegen damit verbundener Ausforschung nicht dem angebotenen Beweis zugänglich wäre. Der Beklagte behauptet damit nicht einmal einen bestimmten Inhalt der Gespräche zwischen der Klagepartei und Herrn ....

Vielmehr sind nach Ansicht der Kammer derartige Umstände, wie die prekäre Finanzlage der Schuldnerin, nur einem kleinen Kreis der Geschäftsleitung bekannt, die diese keinem größeren Personenkreis bekannt werden lassen will, um das Betriebsklima nicht unnötig und vor dem Ausschöpfen aller denkbaren Restrukturierungsmaßnahmen zu gefährden. Von daher erscheint es der Kammer auch nachvollziehbar, dass der seitens des Beklagten angebotene Zeuge ..., insoweit einer Schweigepflicht auch gegenüber der Klagepartei unterlegen war. Dass eine solche nicht bestanden hätte, trägt der Beklagte trotz des klägerischen Einwandes nicht vor.

ccc. Doch selbst, wenn man dem Vortrag des Beklagten hinreichende Anknüpfungstatsachen für eine ausreichende Kenntnis der Klagepartei von einer drohenden Insolvenz der Schuldnerin zur Zeit des Abschlusses der Retention-Vereinbarung annehmen wollte, mit der Folge, dass der Klagepartei die Kenntnis nach § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO über die gesetzliche Vermutung des Satzes 2 zuzurechnen wäre, hatte die Klagepartei die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO mit dem vorgetragenen schlüssigen Restrukturierungskonzept der Schuldnerin widerlegt.

(1) Ein sachgerechter Sanierungsversuch ist geeignet, die unmittelbare Gläubigerbenachteiligung für die zu diesem Zweck erbrachten Rechtshandlungen auszuschließen. Der Vorsatz kann nach der Lebenserfahrung (§ 286 ZPO) dann fehlen, wenn der Sanierungsversuch sich für den Schuldner, was in gleicher Weise hier für den Leistungsempfänger, die Klagepartei gilt, zwar als risikobelastet darstellt, jedoch die Bemühungen um eine Unternehmensrettung im Vordergrund stehen und auf Grund konkret benennbarer Umstände eine positive Prognose nachvollziehbar und vertretbar erscheinen lassen (MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 133 Rz. 37; ferner BGH v. 21. 6. 2007 – IX ZR 231/04, NJW-RR 2007, 1419, unter Rz. 12, 43 [juris]; BGH v. 18. 4. 1991 – IX ZR 149/90, NJW 1991, 2144, 2145, unter Rz. 27 [juris] ). Die sichere Überzeugung, der Sanierungsversuch werde gelingen, ist nicht erforderlich (BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, NJW-RR 1993, 238, unter Rz. 31 [juris]; MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O.). Das Unternehmen muss nur „nach pflichtgemäßer Einschätzung eines unvoreingenommen urteilenden, fachkundigen Dritten“ als sanierungsfähig erscheinen (so MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O.). Regelmäßig bedarf es dafür eines in sich schlüssigen und auf den Einzelfall bezogenen Sanierungskonzeptes, das sich zumindest bereits in den Anfängen seiner Umsetzung befindet und zur Zeit der Rechtshandlung eine ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg in überschaubarer Zeit rechtfertigen kann (BGH v. 26. 3. 1984 - II ZR 171/82, NJW 1984, 1893, 1894, insbesondere unter Rz. 50, 53 [juris]; BGH v. 12. 11. 1992, a.a.O.; BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1563, unter Rz. 28 [juris]). Selbst dann, wenn dem verfolgten Konzept nicht alle objektiv erforderlichen Sanierungsprüfungen vorausgegangen sind, kann der Benachteiligungsvorsatz ausgeschlossen sein. Denn ein Schuldner, der ernsthaft und mit aus seiner Sicht tauglichen Mitteln die Sanierung anstrebt, handelt subjektiv redlich und versucht gerade den Eintritt der Gläubigerbenachteiligung zu vermeiden bzw. nimmt sie nicht in Kauf (MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 133 Rz. 37a). Auch ein Scheitern eines ernsthaften Sanierungsversuches ist geeignet, den Benachteiligungsvorsatz auszuschließen (BGH v. 4. 12. 1997, a.a.O.).

Ein von vornherein erkennbar aussichtsloser Rettungsversuch oder ein bloßer Zahlungsaufschub allein, sind jedoch nicht ausreichend, solange die Krisenursachen nicht planmäßig beseitigt werden (MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O.). Die bloße Hoffnung, mit Hilfe neuer Kredite oder sonstiger Sanierungsmaßnahmen eine Insolvenz abzuwenden, genügt ebenso wenig (BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 329/97, NZI 1999, 152, unter Erz. 24 [juris]; BGH v. 26. 3. 1984, a.a.O.), wie die Investition irgendwelcher Geldmittel (BGH v. 17. 3. 2005 – IX ZR 112/03, juris).

(2) Entgegen der Annahme des Beklagten bestand bei der Klagepartei vorliegend keine bloße Sanierungshoffnung: Vielmehr lag ein konkreter und bereits im Beginn der Umsetzung befindlicher Restrukturierungsplan vor, der unstreitig im Unternehmen der Schuldnerin zur Zeit der Retention-Vereinbarung bestanden hatte. Diese hatte beabsichtigt, neben einer (drastischen) Personalanpassung das Unternehmen auf die Herstellung einer neuen Chipgeneration auszurichten. Inhalt dieses Konzeptes sei auch das Halten der wesentlichen Beschäftigten im Unternehmen gewesen.

Die Voraussetzungen eines schlüssigen Sanierungskonzeptes waren in dem auf 5 Jahre angelegten Businessplan der Schuldnerin gegeben. In diesem war sowohl geregelt, mit welchem Personal (Personaldecke) das Unternehmen fortgeführt werden sollte, als auch die Art der Fortführung des Unternehmens, beinhaltend eine Spezialisierung auf bestimmte Produkte. Dieses Konzept war durch anerkannte Gutachter ( ...) geprüft und, wenn auch mit Risiken behaftet, für durchführbar erachtet worden. Inwiefern es sich dabei um kein „im Ansatz tragfähiges oder umsetzbares Sanierungskonzept“ gehandelt haben sollte (Schriftsatz des Beklagten vom 7. März 2011, Seite 26, Bl. 438 d. A.), ist nicht zu erkennen. Allein dass diese vom Zuschuss weiterer Mittel abhängig waren, spricht nicht dagegen. Eine ernsthafte Sanierungsbemühung liegt nicht nur dann vor, wenn diese aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln des jeweiligen Unternehmens erfolgen kann. Die Unwahrscheinlichkeit des Erhaltes weiterer Mittel ist, abgestellt auf den damaligen Zeitpunkt, ebenso nicht ersichtlich, zumal die offiziellen Gespräche mit dem Freistaat ... noch nicht einmal begonnen hatten. Dass das Konzept letztlich nicht durchgeführt wurde oder werden konnte, steht der Annahme eines vorhandenen Konzeptes nicht entgegen (vgl. BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 329/97, NZI 1999, 152, unter Rz. 22 ff. [juris]).

Wenngleich bei Zustandekommen der Retention-Vereinbarung die (offiziellen) Verhandlungen mit dem Freistaat ... noch nicht begonnen hatten, hatte aber bereits vorher mit den Gesprächen zwischen der Schuldnerin und dem Freistaat ... im Sommer 2008 eine „inoffizielle Kommunikation“ stattgefunden (Schriftsatz vom 7. März 2011, Seite 25, Bl. 437 d. A.), die der Klagepartei unstreitig bekannt war. Wegen des inoffiziellen Charakters der Gespräche werden die Mitarbeiter, einschließlich der Klagepartei, wohl keine Ergebnisse oder Tendenzen erfahren haben. Insbesondere trägt der Beklagte nicht vor, eine ablehnende Haltung des Freistaates ... wäre zeitlich schon vor Abschluss der Retention-Vereinbarung kommuniziert worden. Vielmehr führt er aus, der Geschäftsführer de Tochtergesellschaft D. der Schuldnerin S. habe Anfang Oktober 2008 den Vorstand von der ablehnenden Haltung informiert. Eine damit verbundene Information auch der (leitenden) Mitarbeiter und hier in Sonderheit der Klagepartei, wird nicht behauptet. Diese durfte mithin wegen der bekannten und laufenden Gespräche sowie der bereits begonnenen Umsetzung des veränderten Personalkonzepts bei Abschluss der Retention-Vereinbarung berechtigterweise von einer möglichen Restrukturierung/Sanierung der Schuldnerin ausgehen.

Dabei muss nicht einmal auf die Richtigkeit der vom Beklagten bereits Anfang Oktober 2008 zutage getretenen Tendenz, der Freistaat ... werde wohl kein Geld zuschießen bzw. keine Bürgschaft erteilen und es sei auch keine Veränderung der Haltung zu erwarten, welche die Klagepartei in Abrede stellt, überprüft werden. Bereits die vom … Wirtschaftsminister am 21. Dez. 2008 verkündete Einigung spricht gegen die Richtigkeit einer behaupteten unverbrüchlichen Haltung des Freistaates ... im Oktober 2008.

Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Klagepartei die Liquiditätszahlen und damit auch der Cash-Flow, dessen Entwicklung sie auf Monatsbasis zu berechnen gehabt habe, bekannt waren und inwieweit sie in die Gutachtenerstellung von P. neben dem angebotenen Zeugen ... eingebunden war (Schriftsatz des Beklagten vom 31. März 2011, Seite 7, Bl. 565 d. A.). Gleiches gilt für eine unterstellte – Einbindung in den Jahresabschluss zum 30. Sept. 2008 (Testat; Gutachten ...). Selbst wenn man die Kenntnis der Zahlen unterstellt, durfte sie angesichts des vorhandenen und unabhängig zu überprüfenden Konzeptes von einer Abwendung der Insolvenz ausgehen.

(3) Gegen eine Kenntnis der Klagepartei von der drohenden Insolvenz der ... AG Mitte Oktober 2008 spricht zudem der Umstand, dass bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Retention-Vereinbarung keinerlei Zahlungsrückstände hinsichtlich der Arbeitnehmervergütungen, die vielfach erste Anzeichen für Zahlungsschwierigkeiten darstellen, die ggf. in eine Insolvenz münden, zu verzeichnen gewesen waren.

Die Kündigung der Betriebsvereinbarung über Firmenjubiläen und die Mitteilung, 2008 werde keine Tariflohnerhöhung weitergegeben werden, belegen – entgegen der Ansicht des Beklagten – nichts anderes. Sicherlich war allseits, auch der Klagepartei, bekannt, dass sich die Schuldnerin in einer angespannten Situation befand; darauf deuteten allein bereits die geplanten Kündigungsmaßnahmen. Es erscheint der Kammer dann aber nicht unüblich, dass im Zusammenhang mit geplanten Einsparungsmaßnahmen auch Jubiläumszahlungen gestrichen und Tariflohnsteigerungen, zu denen ein Unternehmen mangels Tarifbindung nicht verpflichtet ist, unterbleiben. Insbesondere hatte der Beklagte im Termin vom 20. Sept. 2011 auch nur erklärt, ihm sei nicht bekannt, ob in der Vergangenheit sämtliche Tariflohnerhöhungen seitens der – unstreitig – nicht tarifgebundenen Schuldnerin weitergegeben worden seien (Protokoll, Bl. 752 d. A.). Dies stellt keinen zureichenden Vortrag dahingehend, diese seien stets weitergegeben worden, dar, woraus ggf. auf Zahlungsschwierigkeiten geschlossen werden könnte, wenn dies 2008 nun (erstmals) nicht mehr hatte erfolgen sollen.

ddd. Fernerhin trägt auch der (mittelbare) Vorwurf des Beklagten, die Klagepartei habe den Beweis ihrer Kenntnis von der tatsächlichen Situation der Schuldnerin dadurch vereitelt, dass sie ihr betriebliches E-Mail-Postfach „leer geräumt“ habe, obschon ihr keine Befugnis zum Löschen des E-Mail-Verkehrs zugestanden habe, nicht. Trotz der seitens der Klagepartei zugestandenen Rekonstruktion des Postfaches war kein weitergehender Sachvortrag des Beklagten erfolgt, weswegen davon auszugehen ist, dass sich aus dem E-Mail-Verkehr nichts Nachteiliges für die Klagepartei ergeben hat.

Das persönliche Löschen des Mailverkehrs durch die Klagepartei ist zwar in keiner Weise tatsächlich belegt. Ungeachtet dessen hatte diese aber auf Aufforderung des Beklagten ihr Einverständnis zur Rekonstruktion des Postfaches erteilt (Schriftsatz vom 28. März 2011, Seite 11, Bl. 529 d. A.). Seitens des Beklagten war bis zur letzten mündlichen Verhandlung am 20. Sept. 2011 aber hierzu nichts weiter ausgeführt worden, weder dass eine Rekonstruktion nicht mehr möglich gewesen sei, noch dass eine mögliche Rekonstruktion ein der Klagepartei nachteiliges Ergebnis gezeitigt habe.

eee. Selbst die – bereits abgelehnte – Annahme einer inkongruenten Deckung der Retention-Zusage (vgl. oben B. II. 3. b. aa.) änderte nichts am festgestellten Ergebnis. Zwar führte diese Annahme zu einem starken Indiz für eine beabsichtigte Gläubigerbenachteiligung und zur Kenntnis des Anfechtungsgegners, also der Klagepartei (BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 121/06, NJW 2008, 1067, unter Rz. 35 [juris]; BGH v. 8. 12. 2005 – IX ZR 182/01, NJW 2006, 1348, unter Rz. 25 [juris]). Allerdings begründet die Annahme einer inkongruenten Deckung keine Beweislastumkehr (BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 82/02, unter Rz. 31 [juris]). Insbesondere wäre es der Klagepartei dann ebenso, wie hier, möglich gewesen, die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu widerlegen.

4. Die vereinbarten Voraussetzungen für die Auszahlung der beiden begehrten Retention-Beträge sind erfüllt.

Die Klagepartei war bis 31. Mai/30. Sept. 2009 im Arbeitsverhältnis verblieben.

5. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.


C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.


D. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil kann der Beklagte Revision einlegen.

Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden.

Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils.

Die Revision muss beim Bundesarbeitsgericht Hugo-Preuß-Platz 1 99084 Erfurt Postanschrift: Bundesarbeitsgericht 99113 Erfurt Telefax-Nummer: 0361 2636-2000 eingelegt und begründet werden.

Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände

- für ihre Mitglieder

- oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder

oder

von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen,

- wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt

- und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben.

Zur Möglichkeit der Revisionseinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de/.

Dr. Künzl Tolle Kohler
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