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Text des Beschlusses
1 Ws 433/11;
Verkündet am: 
 07.10.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
801 Js 43267/10-1 Ks
Landgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers ist statthaft
Leitsatz des Gerichts:
EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO §§ 140, 141 Abs. 1, 4, 304 Abs. 1, 305 Satz 1,

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers ist statthaft.

Bei der Bewertung, ob die Voraussetzungen für die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers erfüllt sind, ist dem gemäß § 141 Abs. 4 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsit-zenden ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der erst dann verletzt ist, wenn konkrete Ge-fahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverhandlung zu besorgen sind und diesen Gefahren anders als durch die Beiordnung eines zweiten Verteidigers nicht begegnet werden kann.
gegen
M E,

Verteidiger: Rechtsanwalt J
u.a.

wegen
Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung

hier: Beiordnung eines weiteren Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger

hat auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts vom 1.9.2011 der des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 7. Oktober 2011 beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.


Gründe:


I.

Mit der Anklageschrift vom 16.3.2011 legt die Staatsanwaltschaft Gera dem Angeklagten ein Vergehen der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5, 25 Abs. 2, 27 StGB zur Last.

Mit Beschluss vom 19.7.2011 hat das Landgericht Erfurt unter Zulassung der Anklage das Hauptverfahren eröffnet und dem Angeklagten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO Rechtsanwalt J in B zum Verteidiger bestellt.

Gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte findet seit dem 8.9.2011 die Hauptverhandlung statt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.8.2011 hat der Angeklagte beantragt, ihm als zweiten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt L in Z beizuordnen.

Diesen Antrag hat der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Erfurt mit Beschluss vom 1.9.2011 abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 1.9.2011, bei Gericht eingegangen am 2.9.2011, eingelegten Beschwerde.

Der Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluss vom 5.9.2011 nicht abgeholfen, sondern diese dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

In ihrer Zuschrift an den Senat vom 16.9.2011 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

die Beschwerde zu verwerfen.

Hierauf hat der Angeklagte durch den am 26.9.2011 eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage erwidert und mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 4.10.2011, eingegangen bei Gericht am 5.10.2011, zur Beschwerde weiter ausgeführt.


II.

1. Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch zulässig eingelegt.

§ 305 StPO steht ihrer Statthaftigkeit schon entgegen. Es entspricht mittlerweile herrschender Meinung, dass die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers Rechtswirkungen entfaltet, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen (Meyer-Goßner, StPO, § 305 Rdnr.5).

Dem Rechtsmittel fehlt es auch nicht an der Beschwer. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers neben einem Wahlverteidiger oder neben einem bereits beigeordneten Pflichtverteidiger dient zwar in erster Linie dazu, den reibungslosen Fortgang des Verfahrens zu sichern (OLG München NJW 1981, 2208 m.w.N.). Eine solche Bestellung erfolgt aber auch in Erfüllung des Beschleunigungsgebotes und deshalb auch zum Schutze des Beschuldigten gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK (OLG München a.a.O. m.w.N.).

2. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

Die Beiordnung mehrerer Pflichtverteidiger ist ausnahmsweise dann gefordert, wenn entweder aufgrund der außergewöhnlichen Schwierigkeit bzw. des außergewöhnlichen Umfangs des Verfahrensstoffes oder der außergewöhnlichen Dauer der Hauptverhandlung dafür ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine ausreichende Verteidigung zu gewährleisten (OLG Karlsruhe StraFO 2009, 5 ff. m.w.N.). Dabei kommt unter dem Gesichtspunkt des Umfangs und der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Bestellung eines Zweitverteidigers insbesondere dann in Betracht, wenn der Verfahrensstoff nur durch ein arbeitsteiliges Vorgehen zweier Verteidiger ausreichend beherrscht werden kann (OLG Karlsruhe a.a.O. m.w.N.).

Im Hinblick auf die erwartete Dauer der Hauptverhandlung ist dagegen zu fragen, ob bei einer unvorhergesehenen Verhinderung des schon bestellten Pflichtverteidigers eine sachgerechte Verteidigung nicht durch andere gesetzliche Reaktionsweisen (etwa Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers nach Eintritt einer möglichen Verhinderung), sondern nur durch die Vertretung durch einen bereits in das Verfahren eingearbeiteten und kontinuierlich in der Hauptverhandlung anwesend gewesenen Verteidiger sichergestellt werden kann (OLG Karlsruhe, a.a.O. m.w.N.).

Bei der Bewertung, ob die genannten Voraussetzungen vorliegen, ist dem gemäß § 141 Abs. 4 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 141 Rn. 9 m. w. N.), der erst dann verletzt ist, wenn konkrete Gefahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverhandlung zu besorgen sind und diesen Gefahren anders als durch die Beiordnung eines zweiten Verteidigers nicht begegnet werden kann.

Den so eingeschränkten Prüfungsmaßstab angelegt, hält die angefochtene Entscheidung der Überprüfung durch das Beschwerdegericht stand.

a) Dass der Verfahrensstoff unter dem Gesichtspunkt des Umfangs und der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nur durch ein arbeitsteiliges Vorgehen zweier Verteidiger ausreichend beherrscht werden kann, ist nicht zu erkennen.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, bemerkt zu haben, dass die Mitangeklagten R, W und L auf der Toilette gemeinsam auf den Geschädigten F eingeschlagen haben. Kurz vor dem Zeugen M soll er in die Toilette gelaufen und die Toilettentür zugehalten und damit zumindest die Zeugen M und P gehindert haben, dem Zeugen F zu Hilfe zu kommen und es den Mitangeklagten R, W und L dadurch ermöglicht zu haben, ungehindert weiter auf den Zeugen F einzuschlagen.

Dieser Tatvorwurf weist weder sachliche noch rechtliche Schwierigkeiten auf, die es rechtfertigen könnten anzunehmen, dass der Verfahrensstoff nur durch ein arbeitsteiliges Vorgehen zweier Verteidiger ausreichend beherrscht werden könnte. Daran ändert auch nichts, dass das Verfahren nicht nur gegen den Angeklagten sondern gegen drei weitere Mitangeklagte wegen anderer am 19.12.2010 gegen 1:45 Uhr/2:00 Uhr in der Bar „M“ in E, H, begangener Taten geführt wird und in der Anklageschrift als Beweismittel 93 Zeugen, 6 sachverständige Zeugen, 14 Polizeibeamte und weitere Beweismittel genannt sind.

b) Im Hinblick auf die erwartete Dauer der Hauptverhandlung (2 Hauptverhandlungstermine haben bereits stattgefunden, 12 weitere Hauptverhandlungstage sind terminiert, ca. 20 – 25 weitere Hauptverhandlungstage dürften darüber hinaus zur Durchführung der Beweisaufnahme erforderlich sein), kann bei einer unvorhergesehenen Verhinderung des schon bestellten Pflichtverteidigers eine sachgerechte Verteidigung durch andere gesetzliche Reaktionsweisen (in Betracht kommt insbesondere die Bestellung eines anderen Verteidigers bei Eintritt der Verhinderung) sichergestellt werden.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers alleine zu dem Zweck, eine gegenseitige Vertretung der beiden Verteidiger in der Hauptverhandlung zu ermöglichen, nicht gerechtfertigt ist (OLG Hamm NStZ 2011, 235, 236). Der bestellte Pflichtverteidiger kann sich bei einer lediglich nur vorübergehenden Verhinderung mit Genehmigung des Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen (OLG Hamm a.a.O.).

3. Die Beschwerde war deshalb mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen.
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