Text des Beschlusses
1 Ws 410/11;
Verkündet am:
30.09.2011
OLG Oberlandesgericht
Jena
Vorinstanzen:
7 BRs 44/08
Landgericht
E;
Rechtskräftig: unbekannt!
Zuständigkeit für den Bewährungswiderruf geht mit der Aufnahme des Verurteilten in den Strafvollzug auch dann auf die Strafvollstreckungskammer über, wenn bereits das erkennende Gericht mit dem Widerruf befasst war
Leitsatz des Gerichts:
StPO §§ 309 Abs. 2, 462a; GVG §§ 78a, 78b
Die Zuständigkeit für den Bewährungswiderruf geht mit der Aufnahme des Verurteilten in den Strafvollzug auch dann auf die Strafvollstreckungskammer über, wenn bereits das erkennende Gericht mit dem Widerruf befasst war.
Hat dennoch das erkennende Gericht über den Widerruf entschieden, hat das Beschwerdegericht die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen, selbst wenn das Beschwerdegericht sowohl für Beschwerden gegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts als auch für Beschwerden gegen Entscheidungen der Strafvollsteckungskammer zuständig ist.
In dem Strafvollstreckungsverfahren
gegen
C L,
Verteidiger: Rechtsanwalt F
Bewährungshelferin: H, Soziale Dienste in der Justiz, Außenstelle H
wegen
Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung
hat auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts E vom 28.07.2011 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichtes durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger, Richterin am Oberlandesgericht Dr. Arend und Richter am Landgericht Dr. Reichenbach am 30. September 2011 beschlossen:
1. Der Beschluss des Landgerichts E vom 28.07.2011 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zu erneuter Prüfung und Entscheidung an die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E zurückverwiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Der Verurteilte war durch Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts E vom 22.08.2008, rechtskräftig seit diesem Tage, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Jahre 2007 unter anderem zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt worden (830 Js 27208/08).
Zuvor war gegen den Verurteilten durch seit 12.03.2008 rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts E – Strafrichter – vom 04.03.2008 wegen gefährlicher Körperverletzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis in den Jahren 2006 und 2007 eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt worden.
Mit Beschluss der 7. Strafkammer des Landgerichts E vom 20.07.2009, rechtskräftig seit 12.08.2009, wurde aus den den beiden Verurteilungen zugrunde liegenden Einzelfreiheitsstrafen unter dem Aktenzeichen des erstgenannten Verfahrens nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren gebildet, die für die Dauer von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Am 04.08.2010 erging gegen den Verurteilten wegen des Verdachts der Verabredung zu einem Verbrechen des schweren Raubes in Gestalt eines Überfalls auf eine Sparkassenfiliale in K ein Haftbefehl des Amtsgerichts M, aufgrund dessen er am selben Tage in Untersuchungshaft genommen und in die Justizvollzugsanstalt T eingeliefert wurde. Das diesbezügliche Strafverfahren wurde unter dem Aktenzeichen 340 Js 52288/10 geführt.
Im Hinblick darauf beantragte die Staatsanwaltschaft Gera mit Verfügung vom 05.10.2010 bei der 7. Strafkammer des Landgerichts E, die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, wobei sie sich einverstanden erklärte, den Ausgang des Strafverfahrens 340 Js 52288/10 abzuwarten.
Durch Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts E vom 11.04.2011 wurde der Verurteilte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug eines Jahres der Gesamtfreiheitsstrafe und Anrechnung der in dem Strafverfahren 340 Js 52288/10 erlittenen Untersuchungshaft auf diese verurteilt (682 Js 22511/10). Ab Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung am 19.04.2011 verbüßte der Verurteilte im Rahmen des Vorwegvollzuges die Gesamtfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt T. In der Folgezeit gelangte eine am 28.04.2011 hergestellte Ausfertigung des Urteils mit Rechtskraftvermerk zum hiesigen Bewährungsheft, das der Vorsitzende der 7. Strafkammer hierauf mit Verfügung vom 29.04.2011 der Staatsanwaltschaft Gera zur Stellungnahme zuleitete.
Wegen dieser neuen Verurteilung beantragte die Staatsanwaltschaft Gera (erneut) mit Verfügung vom 04.05.2011 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.
Mit Beschluss vom 28.07.2011 hat die 7. Strafkammer des Landgerichts E die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Gesamtstrafenbeschluss vom 20.07.2009 nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerrufen, nachdem sie dem Verurteilten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem letzten Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft gegeben hatte. Der Widerrufsbeschluss ist dem Verurteilten, der am 03.08.2011 zur Vollstreckung der Maßregel in das Landesfachkrankenhaus H verlegt worden ist, dort am 10.08.2011 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seines Verteidigers hat der Verurteilte am 15.08.2011 sofortige Beschwerde gegen den Bewährungswiderruf erhoben.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlage der Akte an den Senat am 31.08.2011 beantragt,
die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist nach § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingelegt.
2. Sie hat auch in der Sache (vorläufig) Erfolg.
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil die 7. Strafkammer des Landgerichts E unzuständig war, über den Bewährungswiderruf zu entscheiden.
a) Vorliegend war nicht das Gericht des ersten Rechtszuges nach § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO, sondern die Strafvollstreckungskammer nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO für den Widerruf der Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung zuständig.
Nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, für die Entscheidung über den Bewährungswiderruf die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst ist, aufgenommen ist.
Der Verurteilte befand sich ab dem 19.04.2011 zur Verbüßung des vorweg vollzogenen Teils der Gesamtfreiheitsstrafe aus der Verurteilung vom 11.04.2011 in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt T mit der Folge, dass die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für den Bewährungswiderruf nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO begründet war.
An dem durch die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO eingetretenen Zuständigkeitsübergang auf die Strafvollstreckungskammer ändert auch der Umstand nichts, dass der erste, ausdrücklich an die 7. Strafkammer gerichtete Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft vom 05.10.2010 dieser schon vor dem 19.04.2011 und damit zu einem Zeitpunkt vorgelegt worden war, als sich der Verurteilte noch in anderer Sache in Untersuchungshaft befand. Denn eine Fixierung der zu diesem Zeitpunkt nach § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO noch gegebenen Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 29.01.1997, 1 ARs 13/97, bei juris) durch Befasstsein mit dem Widerrufsantrag kommt nicht in Betracht. Auch wenn das Erstgericht mit der Entscheidung in einer konkreten Frage befasst ist, hat vom Zeitpunkt der Aufnahme des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer stets Vorrang (vgl. KK-Appl, StPO, 6. Aufl., § 462a Rn. 16 m.w.N.).
Die 7. Strafkammer des Landgerichts E, der keine Strafvollstreckungssachen zugewiesen sind, war damit für eine erstinstanzliche Entscheidung über den Bewährungswiderruf der funktionell unzuständige Spruchkörper des örtlich zuständigen Landgerichts E. Zuständig für den Bewährungswiderruf war vielmehr die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E, deren Zuständigkeit nach § 462a Abs. 1 Satz 2 StPO ungeachtet der mittlerweile erfolgten Verlegung des Verurteilten in den Maßregelvollzug weiter fortbesteht.
b) Die Sache war nach Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an die für die Entscheidung zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E zurückzuverweisen.
Der Senat sieht sich gehindert, nach § 309 Abs. 2 StPO auf die sofortige Beschwerde selbst über den Bewährungswiderruf zu entscheiden.
Es kann dahinstehen, ob in anderen Fällen unzuständiger Vorinstanz das Beschwerdegericht in der Sache entscheiden kann, wenn es über Beschwerden gegen Entscheidungen sowohl des unzuständigen als auch des zuständigen Ausgangsgerichts zu befinden hat. Jedenfalls kommt eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts nach Auffassung des Senats dann nicht in Betracht, wenn anstelle der zuständigen Strafvollstreckungskammer die unzuständige Strafkammer entschieden hat. Dies ergibt sich aus dem nicht nur geschäftsplanmäßig, sondern gesetzlich in den §§ 78a und b GVG, 462a Abs. 1 StPO normierten Sonderstatus der im Übrigen im Falle des Bewährungswiderrufs auch nur mit einem anstatt mit drei Berufsrichtern besetzten Strafvollstreckungskammer (vgl. OLG Hamburg StV 1992, 587; a.A. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 309 Rn. 6; KG Berlin NStZ 2007, 422; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 111). Diese Auffassung, die dem Anspruch des Verurteilten auf den gesetzlichen Richter Rechnung trägt, hat der Senat bereits im Hinblick auf die Frage einer Umdeutung einer landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung über einen vom unzuständigen Amtsgericht ausgesprochenen Bewährungswiderruf in eine erstinstanzliche Entscheidung vertreten (vgl. Senatsbeschluss vom 13.04.2010, 1 Ws 108/10).
3. Wegen des Erfolgs der sofortigen Beschwerde fallen die Kosten des Beschwerdeverfahrens entsprechend § 467 StPO der Staatskasse zur Last.
Dr. Schwerdtfeger Dr. Arend Dr. Reichenbach-----------------------------------------------------
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