Text des Beschlusses
1 Ws 346/11;
Verkündet am:
09.08.2011
OLG Oberlandesgericht
Jena
Vorinstanzen:
StVK 137/11
Landgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
§ 454b Abs. 3 StPO ist entsprechend auf Halbstrafengesuche nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzuwenden
Leitsatz des Gerichts:
StGB § 57; StPO § 454b Abs. 3; EGGVG §§ 23 ff; StrVollstrO §§ 21, 43 Abs. 4
§ 454b Abs. 3 StPO ist entsprechend auf Halbstrafengesuche nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzuwenden: Auch über die Aussetzung einer Strafe zum Halbstrafenzeitpunkt gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist erst bei Aussetzungsreife aller zu vollstreckenden Freiheitsstrafen zu entscheiden.
gegen
A--- B---,
Verteidiger: Rechtsanwalt
wegen
versuchten Totschlags u. a.
hier: Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe
hat auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der des Landgerichts vom 3.6.2011 der des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 9. August 2011 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde wird mit folgenden Maßgaben verworfen:
a) Der Beschluss der des Landgerichts vom 3.6.2011 wird aufgehoben.
b) Der Antrag auf Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 18.4.2008 nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wird zurückgewiesen.
2. Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Merseburg vom 7.12.2005 zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Az.: 715 Js 25723/05).
Durch Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 18.4.2008 wurde er sodann in hiesiger Sache zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt (Az.: 120 Js 52171/07).
Wegen dieser Verurteilung widerrief das Amtsgericht Sondershausen mit Beschluss vom 27.11.2008 die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Merseburg (Az.: 1 BRs 46/06).
Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Mühlhausen begann am 17.10.2008. Unter Berücksichtigung der in dieser Sache erlittenen Untersuchungshaft wird der Verurteilte am 1.7.2012 zwei Drittel der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt haben. Die weitere Vollstreckung dieser Strafe soll zu diesem Zeitpunkt zugunsten der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Merseburg in Verbindung mit dem Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Sondershausen unterbrochen werden. In dieser weiteren Sache werden zwei Drittel der verhängten Strafe am 21.10.2012 vollstreckt sein. Am 1.1.2013 wird er diese und am 14.6.2015 die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Mühlhausen vollständig verbüßt haben.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.1.2011 hat der Verurteilte im hiesigen Verfahren beantragt, „zum einen beide nebeneinander vollstreckende Strafen zusammenzuziehen und … nach Verbüßung der Halbstrafe die Strafvollstreckung der Restfreiheitsstrafe zu erlassen und die weitere Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen.“
Die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Erfurt hat den Verurteilten am 3.6.2011 in beiden Verfahren in Anwesenheit seines Verteidigers angehört. Dabei ging es um das Vorliegen besonderer Umstände i.S.d. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB ebenso wie um die Frage der Prognose.
Mit Beschlüssen vom nämlichen Tage hat die Kammer die Restfreiheitsstrafen aus den genannten Verurteilungen jeweils nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die Beschlüsse sind dem Verteidiger am 29.6.2011 zugestellt worden.
Mit am nämlichen Tage eingegangenen Schriftsätzen seines Verteidigers vom 6.7.2011 hat der Verurteilte gegen die Beschlüsse jeweils sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 25.7.2011 in hiesiger Sache,
die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache im Ergebnis ohne Erfolg.
Der Antrag vom 14.1.2011 ist jedenfalls unter Berücksichtigung der Erörterungen im Anhörungstermin vor der Kammer vom 3.6.2011 als ein solcher auf Reststrafenaussetzung nach Verbüßung der Hälfte der gegen den Verurteilten mit Urteil des Landgerichts Mühlhausen verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten auszulegen.
Über diesen Antrag hätte die Kammer nicht in der Sache entscheiden dürfen.
Er ist unzulässig, weil er der in § 454b Abs. 3 StPO vorgesehenen Verfahrenskonzentration widerspricht.
Nach dieser Norm darf im Falle der Anschlussvollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen eine gerichtliche Entscheidung über die Reststrafenaussetzung (§ 57 StGB) erst zu dem Zeitpunkt getroffen werden, in dem über die Aussetzung aller Freiheitsstrafen entschieden werden kann. Vorweggenommene Einzelentscheidungen sieht das Gesetz in diesem Falle nicht vor. Darauf gerichtete Anträge sind unzulässig (Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 454b Rz. 11).
§ 454b Abs. 3 ist vorliegend anwendbar.
Zwar betrifft er nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nur die in § 454b Abs. 2 StPO genannten Fälle der Unterbrechung der Vollstreckung, für die Halbstrafenaussetzung dementsprechend nur den Fall des Erstverbüßerprivilegs nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Eine Reststrafenaussetzung zum Halbstrafentermin kommt vorliegend jedoch wegen der vom Landgericht Mühlhausen verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren allein aufgrund besonderer Umstände nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht.
§ 454b Abs. 3 StPO ist aber entsprechend auch auf Halbstrafengesuche nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzuwenden (ebenso etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.3.2003, Az.: 2 Ws 36/03, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.10.1996, Az.: 3 Ws 825/96, juris; wohl auch KK-Appl, StPO, 6. Auflage, § 454b Rz. 15; a. A. etwa OLG Oldenburg, Beschluss vom 9.10.1986, Az.: 2 Ws 429/86, juris; LG Hamburg, Beschluss vom 14.11.1990, Az.: 605 StVK 723-725/90, juris; LR-Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Auflage, § 454b Rz. 22).
Zunächst einmal könnte die Norm andernfalls leicht durch ein abweichend von der gesetzgeberischen Entscheidung in § 454b Abs. 2 StPO, Freiheitsstrafen grundsätzlich nur im Falle des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB schon nach Verbüßung der Hälfte, andernfalls erst nach Ablauf von zwei Dritteln zu unterbrechen, angebrachtes Halbstrafengesuch nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB umgangen werden.
Abgesehen davon kann bei Beachtung des Grundsatzes der Entscheidungskonzentration dem von § 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Nr. 2 StGB postulierten Gebot der Berücksichtigung des Verhaltens beziehungsweise der Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug wesentlich besser und umfassender Rechnung getragen werden. Müsste über ein Halbstrafengesuch nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB trotz Anschlussvollstreckung sofort entschieden werden, könnte die weitere Entwicklung bei der zu treffenden Entscheidung nicht berücksichtigt werden.
Überdies könnte es sich bei einer sofortigen Entscheidung aufgrund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände als notwendig erweisen, die vormals getroffene Aussetzungsentscheidung zu korrigieren (vgl. § 454a Abs. 2 StPO). Dies würde den bei Nichtanwendung des Grundsatzes der Entscheidungskonzentration ohnehin schon höheren Verfahrensaufwand weiter erhöhen.
Schließlich wäre auch nicht klar, auf welchen Zeitpunkt die anzustellende Prognose auszurichten wäre, auf einen fiktiven Entlassungszeitpunkt nach Ablauf der Hälfte der zunächst vollstreckten Strafe oder auf den Zeitpunkt der tatsächlich möglichen Entlassung nach dem Halbstrafen- beziehungsweise Zwei-Drittel-Termin im Rahmen der Anschlussvollstreckung.
§ 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB läuft bei der hier vertretenen entsprechenden Anwendung des § 454b Abs. 3 StPO auch nicht leer. Vielmehr hat der Verurteilte die Möglichkeit, bei der Vollstreckungsbehörde um eine in § 454b Abs. 2 StPO nicht vorgesehene Unterbrechung zum Halbstrafentermin wegen des Vorliegens besonderer Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nachzusuchen. Deren Entscheidung nach § 43 Abs. 4 StrVollstrO kann er dann gerichtlich überprüfen lassen, wobei die hiesige Sache dem Senat keine Veranlassung gibt zu entscheiden, ob dies im Verfahren nach § 458 StPO oder in demjenigen nach § 21 StrafVollstrO in Verbindung mit §§ 23 ff. EGGVG zu erfolgen hat (vgl. hierzu nochmals OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.3.2003, Az.: 2 Ws 36/03, juris).
Der Senat weist allerdings darauf hin, dass ein solcher Antrag bei der Vollstreckungsbehörde vorliegend kaum aussichtsreich erscheint, weil die Voraussetzungen einer Halbstrafenaussetzung in vorliegender Sache aus den insoweit zutreffenden Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung nicht gegeben sind. Schon allein aufgrund der Schwere und der Rücksichtslosigkeit der vom Verurteilten begangenen Straftaten sowie aufgrund seines Bewährungsversagens kann die Restsstrafenaussetzung nach Verbüßung der Hälfte der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe selbst angesichts des Erstverbüßerstatus des Verurteilten unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Erst recht ergibt die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des (bisherigen) Strafvollzuges nicht das Vorliegen besonderer Umstände (§ 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Dafür genügen insbesondere das beanstandungsfreie Arbeits- und das (ohnehin nicht vollständig beanstandungsfreie) Vollzugsverhalten des Verurteilten ebenso wenig wie sein (überdies nicht unproblematischer) sozialer Empfangsraum.
Die Kostenentscheidung beruht aufgrund der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Beschwerdeführer hat sein letztlich angestrebtes Ziel einer Halbstrafenaussetzung nicht erreicht.-----------------------------------------------------
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