Text des Beschlusses
1 VAs 5/11;
Verkündet am:
05.07.2011
OLG Oberlandesgericht
Jena
Vorinstanzen:
1 VRJs 268/08
Amtsgericht
A;
Rechtskräftig: unbekannt!
Rechtmäßigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten entlassener Sexualstraftäter an die Haftentlassenen-Auskunftsdatei-Sexualtäter (HEADS) beim Thüringer Landeskriminalamt
Leitsatz des Gerichts:
StPO §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 2, 17 Nr. 3, 19 Abs. 1, 22, 23
Rechtmäßigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten entlassener Sexualstraftäter an die Haftentlassenen-Auskunftsdatei-Sexualtäter (HEADS) beim Thüringer Landeskriminalamt.
In dem Antragsverfahren auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG
des S K,
- Antragsteller -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt R
gegen
das Thüringer Justizministerium,
hat der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch , und am 5. Juli 2011 beschlossen:
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers verworfen.
2. Der Gegenstandswert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Durch das seit dem 14.08.2008 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts E vom selben Tage (Az.: 130 Js 5319/08 562 Ls jug.) ist der Antragsteller wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person im besonders schweren Fall unter Einbeziehung der im Urteil des Amtsgerichts E vom 24.05.2006 (Az.: 730 Js 609/06 564 Ls jug), rechtskräftig seit dem 01.06.2006, gegen den Antragsteller wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung, versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Diebstahls, Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie schwerer räuberischen Erpressung verhängten Jugendstrafe von einem Jahr und 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, zu einer Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten verurteilt worden.
Diese Jugendstrafe hat der Antragsteller vollständig verbüßt.
Noch vor Ende des Strafvollzugs ist durch die vom Antragsteller angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts A vom 08.04.2011 die HEADS-Zentralstelle beim Landeskriminalamt Thüringer über die bevorstehende Haftentlassung des Antragstellers informiert und um Aufnahme des Antragstellers in die Haftentlassenen-Auskunftsdatei-Sexualtäter ersucht worden. Diese Entscheidung des Amtsgerichts A erging aufgrund einer Weisung des Thüringer Justizministeriums vom 23.03.2011, Gz.: 4030-2/07, an die als Vollstreckungsbehörde zuständige Vollstreckungsleiterin der JSA I.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10.05.2011 hat der Antragsteller beantragt,
die Entscheidung des Amtsgerichts A vom 08.04.2011 aufzuheben und eventuell bereits an die HEADS-Zentralstelle des Thüringer Landeskriminalamtes übermittelte Daten des Antragstellers aus dieser Datei zu löschen.
Hierzu hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft am 16.06.2011 mit dem Antrag Stellung genommen, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
Mit bei Gericht am 20.06.2011 eingegangenem Schreiben vom 14.06.2011 hat der Präsident des Landeskriminalamts Thüringen mitgeteilt, dass auf die Entscheidung des Amtsgerichts A vom 08.04.2011 die Zentralstelle HEADS eine Bewertung der Rückfallgefahr des Antragstellers vorgenommen und eine HEADS-Akte zur Person angelegt habe. Der Antragsteller sei in die Kategorie II (hohes Gefahrpotenzial) eingestuft worden. Auf der Grundlage des Thüringer PAG seien der Polizeidirektion E folgende Präventivmaßnahmen vorgeschlagen worden:
- erste Gefährderansprache zum schnellstmöglichen Zeitpunkt
- turnusmäßige Gefährderansprache einmal im Quartal und
- Aktualisierung des Lichtbildes.
II.
Die gestellten Anträge sind gem. § 22 EGGVG i.V.m. §§ 23 bis 30 EGGVG statthaft und auch zulässig angebracht.
In der Sache haben sie jedoch keinen Erfolg.
Der Bescheid des Amtsgerichts A vom 08.04.2011 findet seine Rechtsgrundlage in § 17 Nr. 3 EGGVG.
Gemäß § 17 Nr. 3 EGGVG ist die Übermittlung personenbezogener Daten zulässig, wenn die Kenntnis der Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist.
Dabei ist unter öffentlicher Sicherheit die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der grundlegenden Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sowie die Unversehrtheit von Gesundheit, Ehre, Freiheit, Eigentum und sonstiger Rechtsgüter der Bürger zu verstehen (Löwe-Rosenberg/Böttcher, StPO, 26. Aufl., § 17 EGGVG Rdnr. 4).
Dabei ist die übermittelnde Stelle auf eine ‚Schlüssigkeitsprüfung’ beschränkt und hat § 13 Abs. 2 EGGVG sowie besondere Verwendungsregelungen im Sinne des § 12 Abs. 3 EGGVG zu beachten (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 17 EGGVG Rdnr.1).
Nach diesem Maßstab ist der Bescheid des Amtsgerichts A vom 08.04.2011 nicht zu beanstanden.
In diesem Bescheid ist eine zutreffende Persönlichkeitseinschätzung des Verurteilten vorgenommen worden, aus der sich herleiten lässt, dass die Übermittlung der Daten zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit deshalb erforderlich ist, weil die konkrete Gefahr besteht, dass der Antragsteller mit der Begehung auch schwerer Sexualstraftaten rückfällig wird.
Der Antragsteller ist vorbestraft und Bewährungsversager
Am 24.05.2006 hat das Amtsgericht E (Az.:730 Js 609/06 564 Ls jug.) den Antragsteller wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit versuchtem gemeinschaftlichen Diebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit Diebstahl in Tatmehrheit mit Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die Bewährungszeit war auf 2 Jahre festgesetzt und der Antragsteller für die Dauer der Bewährung der Aufsicht und Leitung der für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshilfe unterstellt worden. Dem Antragsteller ist aufgegeben worden, mit dem Bewährungshelfer zusammenzuarbeiten, die festgesetzten Sprechstunden und Termine einzuhalten und die von dort erteilten Anweisungen zu befolgen. Ferner ist er angewiesen worden, dem Gericht oder dem Bewährungshelfer jeden Wohnsitzwechsel unter Angabe der neuen Anschrift unverzüglich mitzuteilen, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit binnen 4 Monaten ab Rechtskraft des Urteils nach Weisung der Bewährungshilfe abzuleisten und ab sofort regelmäßig an dem BVJ teilzunehmen.
Die Auflagen und Weisungen hat der Antragsteller nicht eingehalten.
Unter Einbeziehung der Strafe aus dem vorerwähnten Urteil ist gegen den Antragsteller durch das seit dem 14.08.2008 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts E vom selben Tage (Az.: 130 Js 5319/08 562 Ls jug.) wegen in laufender Bewährungszeit begangenen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person im besonders schweren Fall eine Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten verhängt worden, die der Antragsteller voll verbüßen musste.
Bereits mit Beschluss vom 01.03.2011 war Führungsaufsicht angeordnet worden, zu deren näherer Ausgestaltung unter Buchstabe e) des Beschlusses folgende Weisung erteilt worden war:
„Der Verurteilte soll keinen Alkohol trinken und darf keine illegalen Drogen konsumieren. Er hat bis auf Weiteres mindestens einmal monatlich die ambulante Suchtberatung in E zu Beratungsgesprächen aufzusuchen und dies durch Bescheinigung der Beratungsstelle monatlich gegenüber der Bewährungshilfe nachzuweisen. Der Verurteilte hat vier Mal jährlich einen Drogentest zu absolvieren. Darüber hinaus hat er sechs Mal jährlich eine Alkoholuntersuchung (ETG-Test/Urin) zu absolvieren. die Zeitpunkte der Untersuchung bestimmt die Bewährungshilfe. Die Kosten fallen jeweils der Staatskasse zur Last.“
Nachdem der Verurteilte am 10.05.2011 mit Alkoholgeruch bei der Bewährungshilfe erschienen war und auf Nachfrage eingeräumt hatte, in der Zeit vom 09.05.2011 ca. 23:00 Uhr bis 10.05.2011 ca. 04:00 Uhr insgesamt zehn Flaschen Bier konsumiert zu haben, hat das Amtsgericht A mit Beschluss vom 06.06.2011 die Weisung e) aus dem Beschluss vom 01.03.2011 dahin geändert, dass dem Verurteilten der Konsum von Alkohol untersagt wird. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, beim Antragsteller sei keine Alkoholabgängigkeit sondern Alkoholmissbrauch diagnostiziert worden und das Gericht gehe davon aus, dass sich die Gefahr eines Rückfalls hinsichtlich der Begehung einschlägiger Straftaten unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol deutlich erhöhe.
Die der Verurteilung durch das Amtsgericht E am 14.08.2008 (Az.: 130 Js 5319/08 562 Ls jug.) zugrundeliegende Tat des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person im besonders schweren Fall hat der Antragsteller nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B, J, in seinem Gutachten vom 02.04.2008 im Zustand eines toxisch bedingten Durchgangssyndroms auf der Grundlage eines Alkoholrausches (eventuell in Wechselwirkung mit THC-Konsum) begangen. Zwar führt der Sachverständige in seinem Gutachten weiter aus, dass sich Hinweise für das Vorliegen einer Sexualstörung nicht ergeben haben. Zugleich stellt er jedoch fest, dass bei dem Antragsteller als psychiatrisch relevante Erkrankungen eine Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen und Polytoxikomanie vorliege, was die Gefahr, dass – wie geschehen - der Antragsteller schwere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begeht, erheblich erhöhe. Dabei übersieht der Senat nicht, dass der Sachverständige Prof. Dr. B in seinem Gutachten vom 02.04.2008 ausgeführt hat, dass sich Hinweise für das Vorliegen einer Sexualstörung nicht ergeben haben und die Angaben des Antragstellers zur Bewertung seines tatzeitbezogenen Verhaltens im Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen gegen ein substanziell erhöhtes Risiko der künftigen Begehung vergleichbarer rechtswidriger Taten (Verbrechen des sexuellen Missbrauchs) sprechen. Grundlage für diese Einschätzung des Sachverständigen war, „dass in diesem Kontext auch gesehen werden muss, dass der Antragsteller außer der im Raum stehenden Straftat bislang keine sexuellen Übergriffshandlungen begangen hat“. Dies trifft indes nicht zu. Ausweislich des Aktenvermerks der KPI E vom 27.02.2008 über ein Gespräch der KK’in B mit der Mutter des Antragstellers, Frau K in dem diese über die Festnahme ihres Sohnes informiert worden ist, gab Frau K nach vorheriger Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ungefragt an, dass sie sich nun einiges erklären könne, und schilderte, dass sie im letzten Jahr von ihrem Sohn „angegrabbelt“ worden sei, als sie auf der Wohnzimmercouch geschlafen habe. Sie habe ihrem Sohn sofort „eine geklatscht“ und habe sich auch nicht getraut, mit ihrem Mann darüber zu reden. Die Mutter des Antragstellers äußerte weiter, dass es keineswegs normale Berührungen waren, die zwischen Mutter und Sohn üblich seien. Konkret habe der Antragstellersteller an die Brust gefasst. Er sei betrunken gewesen.
Selbst wenn es zutreffend sein sollte, dass – wie der Sachverständige Prof. Dr. B ausführt – beim Antragsteller eine Sexualstörung bzw. ein abnormes Sexualverhalten auszuschließen ist, besteht bei dem Antragsteller infolge seiner psychiatrisch relevanten Erkrankung (Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen und Polytoxikomanie) die konkrete Gefahr der Begehung schwerer Sexualstraftaten. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller die deliktsspezifische Tataufarbeitung ohne nachvollziehbare Gründe abgebrochen hat, weshalb keine hinreichende Auseinandersetzung mit der Tat erfolgt ist. Sein Vollzugsverhalten war auch ansonsten nicht beanstandungsfrei. Ausweislich des Berichts des Leiters der sozialtherapeutischen Abteilung der JSA I, Dr. P, vom 30.12.2009 ist der Antragsteller mehrfach disziplinarisch aufgefallen (körperliche Misshandlung von Mitgefangenen, Aufbruch eines Haftraumschranks eines anderen Gefangenen mit Diebstahl und Arbeitsverweigerung). Dieses Verhalten hat der Antragsteller nach der Entlassung aus der sozialtherapeutischen Abteilung fortgesetzt, weshalb auch noch Strafverfahren gegen den Antragsteller anhängig sind.
Es ist nicht zu erkennen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen der Datenmitteilung entgegenstehen (§ 13 Abs. 2 EGGVG).
Ebenso wenig stehen entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelung entgegen (§ 12 Abs. 3 EGGVG).
Aus der Mitteilung des Präsidenten des Landeskriminalamts Thüringen vom 14.06.2011 ergibt sich, dass auch die Vorschrift des § 19 Abs. 1 EGGVG wonach die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dessen Erfüllung sie übermittelt worden sind, beachtet worden ist.
Wegen des Vorhandenseins einer förmlichen gesetzlichen Grundlage für die Datenübermittlung kommt es nicht darauf an, dass der Erlass des Thüringer Justizministeriums vom 04.10.2010 als bloße Verwaltungsvorschrift nicht taugliche Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung sein kann und darüber hinaus auch Jugendvollzugsverfahren nicht erfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 1 EGGVG; die Bestimmung des Geschäftswertes hat ihre Grundlage in den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2, 3 KostO.-----------------------------------------------------
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