Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Pressemitteilung
C-28/09;
Verkündet am: 
 21.12.2011
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Das Fahrverbot für Lastkraftwagen, die bestimmte Güter befördern, auf der Inntalautobahn in Tirol ist mit dem freien Warenverkehr nicht vereinbar
Leitsatz des Gerichts:
Art. 28 EG und 29 EG; Richtlinien 96/62/EG und 1999/30/EG

Das Fahrverbot für Lastkraftwagen, die bestimmte Güter befördern, auf der Inntalautobahn in Tirol ist mit dem freien Warenverkehr nicht vereinbar

Die Ungeeignetheit der von der Kommission als weniger einschränkende Maßnahmen angeführten wichtigsten Alternativmaßnahmen wurde nämlich nicht eindeutig nachgewiesen
Die Autobahn A 12 im Inntal in Tirol (Österreich) ist einer der wichtigsten Verbindungswege zwischen Süddeutschland und Norditalien. Nachdem Österreich festgestellt hatte, dass der durch zwei europäischen Richtlinien1 festgelegte Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) auf dieser Autobahn überschritten worden war, ergriff es Maßnahmen, um die Schadstoffbelastung auf das in diesen Richtlinien vorgeschriebene Niveau zu reduzieren. Zu diesem Zweck erließen die österreichischen Behörden 2003 ein Fahrverbot für Lastkraftwagen über 7,5 t, die bestimmte Güter befördern (Abfälle, Steine, Erden, Kraftfahrzeuge, Rundholz und Getreide), auf einem 46 km langen Abschnitt der Autobahn A 12.

Auf eine Klage der Kommission entschied der Gerichtshof jedoch mit Urteil vom 15. November 20052, dass dieses Verbot mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs unvereinbar war, da es zu dem verfolgten Zweck, dem Schutz der Luftqualität, nicht in einem angemessenen Verhältnis stand.

Auf dieses Urteil hin brachten die österreichischen Behörden schrittweise neue Maßnahmen auf den Weg, um die Einhaltung des durch die Richtlinien festgelegten Grenzwerts für Stickstoffdioxid sicherzustellen. Diese Maßnahmen umfassten u. a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf einem Teilstück der A 12, die später durch eine variable Geschwindigkeitsbegrenzung ersetzt wurde, und ein Fahrverbot für Lastkraftwagen bestimmter Euro-Klassen3.

Da sich die Luftqualität auf der Autobahn A 12 nicht verbesserte, erließen die österreichischen Behörden ein Fahrverbot für Lastkraftwagen über 7,5 t, die bestimmte Waren befördern, diesmal auf einem 84 km langen Abschnitt der Autobahn. Ihrer Auffassung nach sollte nämlich der Transport dieser Waren – die nahezu identisch mit denjenigen sind, die unter das 2003 eingeführte Verbot fielen – im österreichischen Hoheitsgebiet über alternative und umweltfreundlichere Verkehrsträger wie die Schiene durchgeführt werden.

Die Kommission war jedoch der Ansicht, dass dieses neue sektorale Fahrverbot auf der Autobahn A 12 ebenfalls eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs darstelle. Daher hat sie sich mit dem Antrag an den Gerichtshof gewandt, diese behauptete Vertragsverletzung festzustellen.

In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass der in den Richtlinien festgelegte Grenzwert für Stickstoffdioxid in ihrem Hoheitsgebiet nicht überschritten wird. In diesem Zusammenhang erlauben die Richtlinien es den Mitgliedstaaten, die zur Einhaltung des Grenzwerts erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Zwar verfügen die Mitgliedstaaten für den Erlass dieser Maßnahmen über ein Ermessen, dieses muss jedoch unter Beachtung der Unionsvorschriften, u. a. unter Beachtung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, ausgeübt werden.

Im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass das sektorale Fahrverbot dem Transport bestimmter Güter auf der Straße im Inntal entgegensteht. Eine solche Maßnahme stellt somit bezüglich dieser Waren eine Beschränkung des freien Warenverkehrs dar. Dass es Ausweichlösungen für die Beförderung dieser Waren gibt – etwa den Schienenverkehr oder andere Autobahnen –, vermag das Bestehen einer Beschränkung nicht auszuschließen. Denn dadurch, dass das sektorale Fahrverbot die betroffenen Unternehmen zwingt, nach wirtschaftlich vertretbaren Ersatzlösungen für den Transport der betreffenden Güter zu suchen, ist es geeignet, den Warenverkehr zwischen dem nördlichen Europa und Norditalien erheblich zu beeinträchtigen.

Eine Beschränkung des freien Warenverkehrs kann jedoch gerechtfertigt sein, sofern sie eine geeignete und erforderliche Maßnahme zur Erreichung eines Gemeinwohlziels, wie etwa des Umweltschutzes, darstellt. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die österreichische Regelung tatsächlich zum Schutz der Umwelt beiträgt, da sie es ermöglicht, die Emission von Luftschadstoffen zu reduzieren, und zu einer Verbesserung der Luftqualität im Inntal führt. Somit stellt das streitige Verbot eine geeignete Maßnahme zur Verwirklichung des Gemeinwohlziels dar.

Sodann prüft der Gerichtshof, ob dieses Ziel durch weniger einschränkende Maßnahmen hätte erreicht werden können. Wie er in seinem Urteil aus dem Jahr 2005 hervorgehoben hat, haben die Mitgliedstaaten vor Erlass einer so radikalen Maßnahme wie der eines völligen Fahrverbots auf einem Autobahnabschnitt, der eine überaus wichtige Verbindung zwischen bestimmten Mitgliedstaaten darstellt, sorgfältig zu prüfen, ob nicht auf Maßnahmen zurückgegriffen werden könnte, die den freien Verkehr weniger beschränken, und dürfen solche nur ausschließen, wenn ihre Ungeeignetheit im Hinblick auf den verfolgten Zweck eindeutig feststeht.

Was die von der Kommission vorgeschlagenen Lösung betrifft, das Fahrverbot für Lastkraftwagen bestimmter Euro-Klassen auf solche anderer Klassen auszuweiten, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass diese Normen die tatsächlichen Emissionen von Fahrzeugen in Bezug auf die Stickstoffoxide zuverlässig wiedergeben. Es ist nicht nachgewiesen, dass eine solche Ausweitung nicht ebenso wirksam zur Erreichung des angestrebten Ziels hätte beitragen können wie die Einführung des sektoralen Fahrverbots.

Was schließlich die Lösung angeht, die variable Geschwindigkeitsbegrenzung durch eine ständige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h zu ersetzen, folgt der Gerichtshof dem Argument der österreichischen Regierung nicht, wonach diese Maßnahme in der Praxis von den Benutzern der Straße nicht befolgt werde. In diesem Zusammenhang kann Österreich nicht die tatsächlich in dieser Zone gemessene Durchschnittsgeschwindigkeit von 103 km/h zugrunde legen, um die Auswirkungen der Einführung einer ständigen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h zu beurteilen. Vielmehr sei Österreich verpflichtet, die tatsächliche Befolgung dieser Begrenzung durch – erforderlichenfalls sanktionsbewehrte – Zwangsmaßnahmen zu gewährleisten. Daher weist die von der Kommission vorgeschlagene Lösung ein Verringerungspotenzial für Stickstoffdioxidemissionen auf, das Österreich nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Folglich stellt der Gerichtshof fest, dass Österreich den freien Warenverkehr dadurch unverhältnismäßig beschränkt hat, dass es ein sektorales Fahrverbot erlassen hat, ohne die Möglichkeit, auf weniger einschränkende Maßnahmen zurückzugreifen, ausreichend zu prüfen.

-----------------------------------------------------
1 Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) und Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41) in der durch die Entscheidung 2001/744/EG der Kommission vom 17. Oktober 2001 (ABl. L 278, S. 35) geänderten Fassung. Diese Richtlinien wurden mit Wirkung vom 11. Juni 2010 durch die Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152, S. 1) aufgehoben. In Anbetracht des entscheidungserheblichen Zeitraums bleiben sie jedoch auf die vorliegende Rechtssache anwendbar.
2 Urteil des Gerichtshofs vom 15. November 2005, Kommission/Österreich (C-320/03), vgl. auch Pressemitteilung 97/05.
3 Europäische Emissionsnormen („Euro-Normen“).

_____________________________________
HINWEIS: Eine Vertragsverletzungsklage, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen.

Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Hat ein Mitgliedstaat der Kommission die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht mitgeteilt, kann der Gerichtshof auf Vorschlag der Kommission jedoch bereits mit dem ersten Urteil Sanktionen verhängen.
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).
       URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS ÜBER UNS IMPRESSUM