Pressemitteilung
T-12/06;
Verkündet am:
09.09.2011
EuG-1. Inst. Europäisches Gericht erster Instanz
Rechtskräftig: unbekannt!
EuGI bestätigt die Entscheidung Kommission über Verhängung einer Geldbuße von 30 Mio. Euro gegen Deltafina wegen deren Beteiligung an einem Kartell auf dem italienischen Rohtabakmarkt
Leitsatz des Gerichts:
Das Gericht bestätigt die Entscheidung der Kommission über die Verhängung einer Geldbuße von 30 Mio. Euro gegen Deltafina wegen deren Beteiligung an einem Kartell auf dem italienischen Rohtabakmarkt
Es handelt sich um den ersten Fall, in dem die Kommission dem Unternehmen, das im Rahmen der Kronzeugenregelung als erstes das Bestehen eines Kartells aufgedeckt hat, keinen endgültigen Erlass der Geldbuße gewährt hat, weil es gegen seine Pflicht zur Zusammenarbeit verstoßen hat
Deltafina ist eine zu 100 % von der amerikanischen Gesellschaft Universal Corp. kontrollierte italienische Gesellschaft, die auf dem Gebiet der Verarbeitung von Rohtabak und der Vermarktung von verarbeitetem Tabak tätig ist.
Im Jahr 20051 verhängte die Kommission Geldbußen in Höhe von insgesamt 56 Mio. Euro gegen mehrere Unternehmen2 wegen deren Beteiligung an einem Kartell auf dem italienischen Rohtabakmarkt zwischen 1995 und 2002. Das Kartell betraf insbesondere Absprachen über die den Tabakerzeugern und Zwischenhändlern zu zahlenden Preise und die Aufteilung der Lieferanten3.
Deltafina hatte im Rahmen der in der Mitteilung der Kommission über Zusammenarbeit von 20024 vorgesehenen Kronzeugenregelung als erstes Unternehmen die Kommission auf das Bestehen des Kartells hingewiesen. Die Kommission hatte ihr deshalb zu Beginn des Verwaltungsverfahrens einen bedingten Erlass der Geldbuße gewährt.
In der in Rede stehenden Entscheidung vertrat die Kommission jedoch die Auffassung, dass Deltafina gegen die ihr als Antragstellerin auf Erlass der Geldbuße obliegende Pflicht zur Zusammenarbeit verstoßen habe, da sie bei einer Sitzung der Associazione professionale trasformatori tabacchi italiani (Berufsverband der italienischen Rohtabakverarbeiter) freiwillig und ohne die Kommission zu unterrichten gegenüber ihren Wettbewerbern ihren bei der Kommission gestellten Antrag auf Erlass der Geldbuße offengelegt habe, bevor diese Gelegenheit gehabt habe, Nachprüfungen in Bezug auf das betreffende Kartell vorzunehmen. Am Ende des Verwaltungsverfahrens gelangte die Kommission daher zu dem Ergebnis, dass Deltafina die Geldbuße nicht erlassen werden könne und wegen ihrer Beteiligung an dem betreffenden Kartell somit eine Geldbuße gegen sie zu verhängen sei. Die Kommission würdigte allerdings die Mitwirkung von Deltafina an der Untersuchung als mildernden Umstand und setzte deren Geldbuße um 50 % herab. Sie verurteilte Deltafina somit gesamtschuldnerisch mit ihrer Muttergesellschaft Universal Corp. zur Zahlung einer Geldbuße von 30 Mio. Euro.
Es handelt sich um die erste Entscheidung, in der die Kommission, nachdem sie zu Beginn des Verwaltungsverfahrens einen bedingten Erlass gewährt hatte, nicht anschließend am Ende des Verwaltungsverfahrens einem Unternehmen, das im Rahmen der Kronzeugenregelung als erstes das Bestehen des Kartells aufgedeckt hatte, auch einen endgültigen Erlass der Geldbuße gewährte.
Mit ihrer Klage vor dem Gericht hat Deltafina die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung in Zweifel gezogen.
Das Gericht weist zunächst darauf hin, dass die von der Kommission eingeführte Kronzeugenregelung darauf abzielt, Unternehmen, die bei Untersuchungen von die Union betreffenden geheimen Absprachen mit der Kommission zusammenarbeiten, Rechtsvorteile zu gewähren. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass das Interesse der Verbraucher und Bürger, dass die geheimen Absprachen festgestellt und untersagt werden, größer ist als das Interesse an der Auferlegung von Geldbußen gegenüber Unternehmen, die mit der Kommission zusammenarbeiten und es ihr auf diese Weise ermöglichen, derartige Absprachen zu verfolgen und zu untersagen.
Ferner kann einem Unternehmen, das im Rahmen der Kronzeugenregelung im Sinne der erwähnten Mitteilung über Zusammenarbeit als erstes das Bestehen eines Kartells aufdeckt und das an der Untersuchung durch die Kommission mitwirkt, unter bestimmten Voraussetzungen die Geldbuße erlassen werden, die wegen der Beteiligung an dem Kartell andernfalls verhängt worden wäre. Um jedoch in den Genuss eines solchen Erlasses zu kommen, der eine Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln der Union darstellt, ist dieses Unternehmen u. a. während des gesamten Verwaltungsverfahrens zur Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet, die nach dem Wortlaut dieser Mitteilung „in vollem Umfang kontinuierlich und zügig“ erfolgen muss.
Das Gericht weist hierzu darauf hin, dass sich nach der Rechtsprechung aus dem Begriff der Zusammenarbeit, wie er in dieser Mitteilung verwendet wird, ergibt, dass eine niedrigere Festsetzung und erst recht ein Erlass jeglicher Geldbußen auf der Grundlage der Kronzeugenregelung nur gewährt werden kann, wenn das Verhalten des betreffenden Unternehmens von einem echten Geist der Zusammenarbeit zeugt. Daher darf ein Unternehmen, das in den Genuss eines vollständigen Erlasses von Geldbußen aufgrund seiner Mitwirkung an der Untersuchung kommen möchte, es nicht versäumen, der Kommission ihm bekannte maßgebende Tatsachen mitzuteilen, die – und sei es auch nur potenziell – Einfluss auf den Ablauf des Verwaltungsverfahrens und auf die Effizienz der Ermittlungen der Kommission haben können.
Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, dass das Verhalten von Deltafina, die die Stellung eines Antrags auf Erlass der Geldbuße offengelegt hatte, ohne die Kommission hiervon zu unterrichten, nicht von einem echten Geist der Zusammenarbeit zeugt. Daher entscheidet es, dass die Kommission in ihrer Entscheidung keinen Fehler begangen hat, indem sie Deltafina keinen endgültigen Erlass der Geldbuße gewährte, weil diese gegen ihre Pflicht zur Zusammenarbeit verstoßen hatte.
Das Gericht weist ferner darauf hin, dass die Kommission vor dem Erlass der endgültigen Entscheidung Deltafina keinen endgültigen Erlass der Geldbuße zusichern konnte. Obwohl ihr ursprünglich ein bedingter Geldbußenerlass gewährt worden war, war es Deltafina, da sie in der Folgezeit die ihr obliegende Pflicht zur Zusammenarbeit nicht erfüllte, daher nicht möglich, in den Genuss des endgültigen Erlasses der Geldbuße im Sinne der Mitteilung zu gelangen. Unter diesen Umständen konnte Deltafina daraus, dass sie zuvor einen bedingten Erlass erwirkt hatte, kein berechtigtes Vertrauen darauf erwerben, dass ihr die Geldbuße endgültig erlassen würde.
Das Gericht prüft abschließend insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Geldbuße. Es entscheidet insoweit, dass die Kommission das horizontale Kartell zu Recht als sehr schwerwiegend einstufen konnte und dass die von ihr gegen Deltafina verhängte Geldbuße nicht außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung und zu den übrigen Umständen des Einzelfalls stand.
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1 Entscheidung K(2005) 4012 endg. vom 20. Oktober 2005.
2 Außer Deltafina haben vier weitere, von der Kommission wegen desselben Kartells belangte Gesellschaften (Romana Tabacchi, Mindo, Alliance One International und Transcatab) Klage gegen die Kommissionsentscheidung erhoben (derzeit sind die Rechtssachen T-11/06, Romana Tabacchi/Kommission, T-19/06, Mindo/Kommission, T-25/06, Alliance One International/Kommission, und T-39/06, Transcatab/Kommission, beim Gericht anhängig).
3 Im Oktober 2004 hatte die Kommission auch wegen eines Kartells auf dem Rohtabakmarkt in Spanien Geldbußen verhängt. Das Gericht hat mit seinem Urteil (Rechtssache T-29/05, Deltafina/Kommission) die gegen Deltafina verhängte Geldbuße von 11,88 Mio. Euro auf 6,12 Mio. Euro herabgesetzt (siehe Pressemitteilung Nr. 79/10).
4 Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3).
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HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.
HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.
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