Vergleich, der im einstweiligen Anordnungsverfahren abgeschlossen wurde, stellt nur dann einen Titel i S des § 239 FamFG dar, wenn die Beteiligten dem Vergleich eine weitergehende Wirkung beigemessen haben
§ 127 Abs. 2 ZPO, § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG, § 239 FamFG, § 52 FamFG, § 54 Abs. 1 und 2 FamFG
Wahlrecht zwischen einem Vorgehen nach § 54 Abs. 1 und 2 FamFG oder einem Antrag auf negative Feststellung zur Abänderung eines im einstweiligen Anordnungsverfahren abgeschlossenen Vergleichs
1. Ein Vergleich, der im einstweiligen Anordnungsverfahren abgeschlossen wurde, stellt nur dann einen Titel i S des § 239 FamFG dar, wenn die Beteiligten dem Vergleich eine weitergehende Wirkung beigemessen haben.
2. Für den Abänderungsantragsteller besteht für den Fall, dass dem Vergleich keine weitergehende Wirkung beigemessen wurde, ein Wahlrecht zwischen einem Vorgehen nach § 54 Abs. 1 oder 2 FamFG oder einem Antrag auf negative Feststellung.
In der Familiensache
T. O., I.
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
gegen
P. O., B. S.
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin –
Insolventverwalter: Rechtsanwältin
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 22.03.2011, eingegangen am 23.03.2011, gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht Bad Salzungen vom 23.02.2011, Az. 2 F 62/11, zugestellt am 28.02.2011, Nichtabhilfeentscheidung vom 29.03.2011, durch Richterin am Oberlandesgericht Martin als Einzelrichterin am 29.07.2011
beschlossen:
Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Salzungen vom 23.02.2011, Az. 2 F 62/11, wird aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Antragstellers an das Amtsgericht - Familiengericht – Bad Salzungen zurückgegeben.
Das Gericht erster Instanz wird angewiesen, den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zu versagen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind seit Mai 2008 getrennt lebende Eheleute.
Beim Amtsgericht Bad Salzungen ist derzeit ein Ehescheidungsverfahren anhängig (Az. 2 F 122/09).
Im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens schlossen die Eheleute am 22.10.2009 einen Vergleich:
„1. In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Bad Salzungen vom 24.03.2005 (Az. 1 F 99/05) verpflichtet sich der Antragsgegner, ab dem 01.09.2009 für die Dauer des Getrenntlebens einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 700,- € an die Antragstellerin zu zahlen“.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 22.10.2009 (Az. 2 F 284/09, B. 59 – 60 d A) Bezug genommen.
Mit seinem Antrag vom 31.01.2011 beansprucht der Antragsteller den Wegfall der in dem vorgenannten Vergleich festgelegten Unterhaltsbeträge ab Januar 2011 aufgrund einer von ihm behaupteten Verringerung seines monatlichen Einkommens.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 23.02.2011 dem Antragsteller die begehrte Verfahrenskostenhilfe verweigert.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller beanspruche Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag wegen Änderung des Trennungsunterhalts mit dem er erreichen wolle, ab Januar 2011 keinen Unterhalt mehr an die Antragsgegnerin zahlen zu müssen. Er trage hierzu vor, dass er sich auf Grund des titulierten Trennungsunterhalts in einem finanziellen Notstand befinde. Sein für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehendes Einkommen betrage unter Berücksichtigung von Pfändungen, Miete und Versicherungen nur 527,10 €.
Verfahrenskostenhilfe könne mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht bewilligt werden. Der Abänderungsantrag sei bereits unzulässig. Der Vergleich sei in einem einstweiligen Anordnungsverfahren geschlossen worden. Gegen im einstweiligen Anordnungsverfahren geschaffene Titel finde ein Abänderungsverfahren nach § 238 oder § 239 FamFG nicht statt. Eine Umdeutung seines Antrages in einen Antrag nach § 54 Abs. 1 FamFG erscheine zweifelhaft.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
Der Antragsteller stützt nunmehr sein Begehren im Beschwerdeverfahren auf § 51 Abs. 1 FamFG und trägt vor, er begründe seinen Abänderungsantrag damit, dass erst nach Abschluss des Unterhaltsvergleichs im Oktober 2009 entsprechende Pfändungen auf Grund ehegemeinsamer Schulden durchgeführt worden seien, erstmals im Juli 2010. Im Einzelnen:
Das im hälftigen Miteigentum der Parteien stehende Wohngrundstück in der B. in B. S. sei zwangsversteigert worden und gegen den Antragsteller sei noch eine Restforderung in Höhe von 58635,15 € verblieben. Dass es sich hier um ehegemeinsame Schulden handele, werde glaubhaft gemacht mit der Niederschrift der Berichtigungsurkunde Nr. der Notarin M. vom 25.08.2008.
Dass die durchgeführten Pfändungen der Antragsgegnerin sich ständig gegen den Selbstbehalt des Antragstellers gerichtet haben, zeigten die entsprechenden Konto- bzw. Lohnpfändungen der Antragsgegnerin. Dies werde besonders deutlich im Januar 2011, wo hier zwei Pfändungen von insgesamt 888,01 € erfolgt seien, wobei die Antragsgegnerin vorrangig Kontopfändungen vorgenommen habe.
Im Streit stünden neben den ehegemeinsamen Schulden, die der Antragsteller zu bedienen habe noch berufsbedingte Fahrtkosten. Er zahle auf einen Leasingvertrag für das Auto monatlich 170,- €. Es fielen monatlich 250,- € für Fahrtkosten von I. nach W. an. Er habe monatlich 375,- € Miete, 65,39 € KFZ - Versicherung und 17,40 € Unfallversicherung zu zahlen, so dass ihm noch ein Betrag in Höhe von 372,27 € verbliebe. Davon seien noch 250,- € Fahrtkosten abzusetzen.
Der Antragsteller beantragt,
dass der geschlossene Vergleich des Amtsgerichts- Familiengericht – Bad Salzungen vom 22.10.2009 (Az. 2 F 284/09) bezüglich des Trennungsunterhalts für Frau P. O. ab Januar 2011 nicht mehr rechtswirksam sei und der Antragsgegner ab Januar 2011 keinen bzw. einen geringeren Trennungsunterhalt als 700,- € an die Antragstellerin zu zahlen hat.
Die Antragsgegnerin bestreitet, dass die von dem Antragsteller angeführten Pfändungen (ab Juli 2010) sich auf die ehegemeinsamen Verbindlichkeiten bei der Bank bezögen. Sie habe gegen den Antragsteller wegen der titulierten Trennungsunterhaltsansprüche eine Lohnpfändung eingeleitet. Das Amtsgericht Bad Salzungen habe am 30.06.2010 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, der der Arbeitgeberin des Antragstellers am 15.07.2010 zugestellt worden sei. Am 19.07.2010 habe diese die Drittschuldnererklärung abgegeben und in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass in das Arbeitseinkommen des Antragstellers bereits zwei weitere (zeitlich) vorrangige Zwangsvollstreckungen wegen einer Gesamtforderung in Höhe von 35500,- € durchgeführt werden.
Die ehegemeinsamen Verbindlichkeiten bei der Bank saldierten ausweislich des vom Antragsteller überreichten Schreibens vom 04.12.2009 auf 58635,15 €. Die beiden (im Verhältnis zur Antragsgegnerin) vorrangigen Zwangsvollstreckungen bezögen sich auf eine Gesamtforderung von 35500,- €.
Sie gehe davon aus, dass der Antragsteller weitergehende Verbindlichkeiten (z. B. wegen eines neuen Fahrzeugs) eingegangen sei und diese einen Unterhaltsabänderungsanspruch begründen sollten.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 113 Abs. 1 A. 1 FamFG, § 127 Abs. 2 ZPO statthaft und in zulässiger Weise eingelegt worden.
Das Rechtsmittel erzielt jedenfalls – wie aus dem Tenor ersichtlich – einen vorläufigen Erfolg. Der Senat geht davon aus, dass die Rechtsverfolgung des Antragstellers nicht von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg ist.
Der Antragsteller hat zunächst vor dem Amtsgericht die Abänderung des im einstweiligen Anordnungsverfahren geschlossenen Unterhaltsvergleichs vom 22.10.2009 (Az. 2 F 284/09) beantragt. Hierfür ist, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, der Abänderungsantrag nach § 239 FamFG nicht die statthafte Klageart.
Dem Abänderungsantrag kann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wen der Antragsteller die Abänderung eines in einem einstweiligen Anordnungsverfahren geschlossenen Unterhaltsvergleiches begehrt. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn im Rahmen eines einstweiligen Verfahrens – wie vorliegend – ein Vergleich geschlossen wird. Soweit der Vergleich nur die vorläufige Regelung der einstweiligen Anordnung übernimmt und den Unterhalt nicht endgültig regeln soll, hat er keine über die einstweilige Anordnung hinausgehende Wirkung und kann daher nicht als Titel i. S. d. § 239 FamFG gelten (BGH, FamRZ 1983, 892, 893; 1991, 1175, 1176; Johannsen/Henrich/Brudermüller, Familienrecht, 5. Auflage, § 239 FamFG, Rn. 6; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Auflage, § 239, Rn. 5).
Die Beteiligten können jedoch dem im einstweiligen Anordnungsverfahren geschlossenen Vergleich eine weitergehende Wirkung beilegen, wofür allerdings sichere Anhaltspunkte gegeben sein müssen. Ist der Vergleich - wenn auch nur zeitlich für die Dauer des Anordnungsverfahrens befristet - als endgültige Regelung gedacht, dann ist er nur den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage unterworfen und gemäß § 239 FamFG abänderbar(OLG Brandenburg, FamRZ 2000, 1377).
Der am 22.10.2009 geschlossene Vergleich trifft – mangels ersichtlicher Anhaltspunkte – keine endgültige Regelung über den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin. Er enthält eine Befristung für die Dauer des Getrenntlebens und regelt lediglich laufende Unterhaltsansprüche der Antragsgegnerin auf den am 11.09.2009 eingereichten Antrag ab September 2009, nachdem die Eheleute bereits seit Mai 2008 getrennt leben. Für den summarischen Charakter spricht auch, dass keine Vergleichsgrundlage aufgenommen wurde. Die inhaltliche Ausgestaltung lässt erkennen, dass keine endgültige Regelung zum Unterhalt der Ehefrau getroffen wurde. Die Abänderung gemäß § 239 FamFG ist somit nicht möglich.
Eine nach summarischer Prüfung getroffene, nur vorläufige – nicht der materiellen Rechtskraft fähige – Regelung, kann nicht Grundlage eines Abänderungsantrages sein (FamRZ 1983, 355, 356). Beide Beteiligten haben die Möglichkeit, das Bestehen des Unterhaltsanspruches daneben oder anschließend in einem ordentlichen Rechtsstreit klären zu lassen; der Unterhaltsgläubiger durch Leistungsantrag und der Unterhaltsschuldner durch einen negativen Feststellungsantrag (Johannsen/Henrich/Brudermüller, a.a.O., § 238 FamFG, Rn. 23; BGH, FamRZ 1995, 725).
Es wird die Ansicht vertreten, der Feststellungsantrag setze grundsätzlich voraus, dass ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis bestehe, weil der Pflichtige die Möglichkeit habe, die Erhebung eines Leistungsantrages in Höhe des Umfangs der einstweiligen Anordnung zu verlangen (vgl. Gerhardt, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 8. Auflage, 6. Kapitel, Rn. 887).
Weiter wird die Ansicht wird vertreten, dass kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Feststellungsantrag bestehe, wenn die Rechtsbehelfe nach § 54 Abs. 1 oder 2 in Betracht kommen (Keidel/Maier, a.a.O., vor §§ 246 – 248 FamFG, Rn. 9 unter Hinweis auf die Vorauflage zu § 620 b ZPO, Rn. 18).
Eine weitere Auffassung geht davon aus, dass nach § 52 FamFG ein Antrag auf Einleitung des Hauptsacheverfahrens uneingeschränkt zulässig sei. Daraus folgt, dass dem Antragsteller ein Wahlrecht zwischen einem Vorgehen nach § 54 Abs. 1 oder 2 FamFG einerseits oder einem Antrag auf negative Feststellung zusteht. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besteht somit bereits deshalb, weil sich die Ehefrau sich eines Unterhaltsanspruches berühmt und eine einstweilige Anordnung erwirkt hat (vgl. Johannsen/Maier, a.a.O., §§ 246 – 248 BGB, Rd. 9).
Der Senat schließt sich letzterer Auffassung an, da dem Antragsteller das gesetzlich vorgesehene Wahlrecht, eine abschließende Klärung in einem Hauptsachverfahren einzuleiten, nicht abgeschnitten werden kann.
Gleichwohl geht der Senat aufgrund der Antragstellung in dem Beschwerdeschriftsatz vom 18.04.2011 davon aus, dass der Antragsteller eine Änderung des im Termin vom 22.10.2009 geschlossenen Vergleiches gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 FamFG anstrebt, da er auf die gesetzliche Vorschrift Bezug nimmt.
Eine Abänderung im Sinne des § 54 Abs. 1 S. 1 FamFG kommt in Betracht bei einer geänderten Bewertung der tatsächlichen Umstände aufgrund neuer Erkenntnisse, bei Vorlage neuer Mittel der Glaubhaftmachung sowie neuer Erkenntnisse im Nachgang der Eilentscheidung sowie einer tatsächlichen Änderung der entscheidungserheblichen Umstände (Keidel/Büte, a.a.O., § 54 FamFG, Rn. 3).
Hierzu hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass er nach Vergleichsabschluss am 22.10.2009 von der Bank auf eine Schuld aus dem Verkauf des ehegemeinsamen Wohngrundstücks in Höhe von 58635,15 € in Anspruch genommen wird und dies durch ein Schreiben der Bank vom 04.12.2009 belegt. Die Antragsgegnerin hat die Verbindlichkeit dem Grunde und der Höhe nach nicht bestritten, bezweifelt aber, dass die Pfändungen die Bank betreffen, da gemäß dem Schreiben der Drittschuldnerin vom 19.07.2010 die Pfändungen lediglich in Höhe von 35500,- € valutieren. Allerdings hat der Antragsteller im Termin vom 22.10.2009 (Az. 2 F 284/09) angegeben, eine Abfindungsvereinbarung mit der Berufsgenossenschaft über seine Rente abgeschlossen zu haben und den ausgezahlten Betrag in Höhe von 40000,- € verwandt zu haben, um Schulden bei der Bank zurückzuführen.
Ob die ehebedingte Verbindlichkeit gegenüber der Bank im Antragszeitraum durch Pfändung von dem Antragsteller zurückgeführt wird und ob der Antragsteller die Rückführung dem Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin entgegen halten kann, bleibt der Klärung im Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht vorbehalten.
Da bislang die Bedürftigkeit des Antragstellers vom Familiengericht nicht geprüft wurde, ist eine Zurückverweisung der Sache in die 1. Instanz zur nochmaligen Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag sachgerecht.
Nebenentscheidungen für das Beschwerdeverfahren sind nicht zutreffen.
Martin