Text des Beschlusses
11 TaBV 4/11;
Verkündet am:
29.06.2011
LAG Landesarbeitsgericht
München
Vorinstanzen:
40 BV 142/10
Arbeitsgericht
München;
Rechtskräftig: unbekannt!
Für regelmäßige Betriebsratswahlen ist Betriebsstruktur des Betriebsverfassungsgesetzes zugrunde zu legen, wenn ein Tarifvertrag zu einem Zeitpunkt innerhalb des Wahlzeitraums gekündigt worden ist + dieser Tarifvertrag keine Nachwirkung hat
Leitsatz des Gerichts:
§§ 3, 13 BetrVG
Für die regelmäßigen Betriebsratswahlen ist die Betriebsstruktur des Betriebsverfassungsgesetzes zugrunde zu legen, wenn ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BetrVG zu einem Zeitpunkt innerhalb des gesetzlichen Wahlzeitraums gekündigt worden ist und dieser Tarifvertrag keine Nachwirkung hat. Dies folgt aus den gesetzlichen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes, denen die Regelungen des einschlägigen Tarifvertrages nicht entgegenstanden.
In dem Beschlussverfahren
mit den Beteiligten
1. Firma H. R. G. GmbH & Co. KG
- Antragstellerin, Beteiligte zu 1 und Beschwerdeführerin -
Verfahrensbevollmächtigte:
2. Regionalbetriebsrat Süd 2 der H. R. G. GmbH & Co. KG
- Beteiligter zu 2 -
Verfahrensbevollmächtigte:
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Anhörung vom 8. Juni 2011 durch die Richterin am Arbeitsgericht Dr. Eulers und die ehrenamtlichen Richter Abbold und Gebhardt für Recht erkannt:
Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 20.12.2010 - Gz. 40 BV 142/10 - wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert:
Die am 23. März 2010 durchgeführte Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 1 begehrt die Feststellung der Nichtigkeit der im März 2010 in ihrem Betrieb in M. stattgefundenen Wahl des Betriebsrats und Beteiligten zu 2, hilfsweise diese Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären und hilfshilfsweise die Feststellung, dass der Betriebsrat mit Ablauf des Tarifvertrages nach § 3 BetrVG ein sechsmonatiges Übergangsmandat innehatte.
Die Arbeitgeberin, deren Hauptsitz in K. ist, bietet spezialisierte Unternehmensdienstleistungen im Bereich des Reise-, Event- und Meeting-Managements an und unterhält bundesweit Betriebe, in denen sie ca. 790 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Jahr 2002 führten die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin und die mit ihr verbundenen Unternehmen ihre bundesweiten Betriebe durch sog. Regionalleitungen für die Regionen Süd, Mitte/West und Nord/Ost. Um die betriebsverfassungsrechtlichen Gremien auf Regionalebene zu installieren, schlossen die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, die mit ihr verbundenen Unternehmen und die Gewerkschaft v. am 11.04.2002 einen Tarifvertrag zur Bildung einheitlicher Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsstrukturen. Im Frühjahr 2002 fand die Betriebsratswahl auf der Grundlage dieses Tarifvertrages statt.
Im April 2004 gab die Arbeitgeberin ihre Regionalstruktur auf und schaffte die Regionalleitungen ab. Seitdem trägt die Leitung „Operations“ mit Sitz in K. die bundesweite Verantwortung für den operativen Bereich im Bundesgebiet. Die sog. Business-Travel-Center vor Ort werden von sog. BTC-Managern geführt, die nach Angaben der Arbeitgeberin „in zunehmendem Maße“ die Steuerung des Mitarbeiter- und Betriebsmitteleinsatzes vor-nehmen. Daneben bestehen sog. Implants, d. h. Mitarbeiter, die in den Geschäftsräumen des jeweiligen Kunden tätig sind. Am 25.10.2004 schlossen die Tarifvertragsparteien mit Ausnahme eines ausgeschiedenen Unternehmens erneut nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 b und Nr. 3 BetrVG einen Tarifvertrag zur Bildung einheitlicher Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsstrukturen (im Folgenden: TV „einheitliche Betriebsratsstrukturen“). Danach werden die einzelnen Betriebsstätten in Wahlregionen zusammengefasst, wobei das Bundesgebiet in neun Wahlregionen unterteilt ist: Mitte, Nord, Ost, Süd 1, Süd 2, Süd-West 1, Süd-West 2, West 1 und West 2. Nach § 3 Abs. 2 des Tarifvertrages werden neu hinzukommende Betriebsstätten, in denen ein Betriebsrat errichtet ist, den jeweiligen Regionen bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl zugeordnet. Neu hinzukommende Betriebsstätten, in denen kein Betriebsrat errichtet ist, werden sofort den jeweiligen Regionen zugeordnet. Die sog. Wahlregionen gelten als Betriebe i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes, § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages. Der von den Arbeitnehmern innerhalb der Wahlregion gewählte sog. Regionalbetriebsrat entsendet Mitglieder in einen Gesamtbetriebsrat, der alle Mitarbeiter der vom Geltungsbereich des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ erfassten Betriebe und Unternehmen vertritt. Der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ vom 25.10.2004 trat mit Unterzeichnung in Kraft und war mit einer Frist von sechs Monaten zum Quartalsende, erstmals zum 31.03.2006, ordentlich kündbar, § 7 Abs. 3 des Tarifvertrages. Ein außerordentliches Kündigungsrecht war u. a. für den Fall vorgesehen, dass die vereinbarte Betriebsratsstruktur nicht mehr der sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dienlich sei. Für den Fall einer Kündigung schlossen die Tarifvertragsparteien eine Nachwirkung aus, § 7 des Tarifvertrages a. E.
Im Jahr 2006 wurden in den vorstehend genannten Wahlregionen Regionalbetriebsräte neu gewählt, wobei die Wahl des Regionalbetriebsrats Süd 2 am 03.05.2006 stattfand. Die konstituierende Sitzung dieses Betriebsrats erfolgte Mitte Mai 2006. Die Region Süd 2 umfasste die Betriebsstätten in M., B.-Straße und Ha.-Straße, Ec., G. und L.
Im Wege der Verschmelzung gingen die Betriebsstätten A., Ob., Es. und Of. im Jahr 2007 auf die Arbeitgeberin über. Für sie war ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden, der nach § 3 des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ fortbestand. Bei der Betriebsstätte in A. handelt es sich um ein aus zehn Arbeitnehmern bestehendes sog. Implant.
Mit Schreiben vom 17.09.2009 kündigten die Arbeitgeberin sowie die anderen noch beteiligten Gesellschaften den Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ fristgemäß zum 31.03.2010. Die Wirksamkeit der Kündigung ist seitens der Gewerkschaft mit Schreiben vom 13.10.2009 bestätigt worden.
Am 11.01.2010 bestellte der Regionalbetriebsrat Süd 2 für die Wahl eines Betriebsrats für die Region Süd 2 einen Wahlvorstand, bestehend aus Arbeitnehmern der Betriebsstätte M., B.-Straße. Dieser Wahlvorstand bat die Arbeitgeberin mit E-Mail vom 22.01.2010 um Zusendung der „Wählerliste gemäß des bis zum 31. März 2010 gültigen Tarifvertrages zur Bildung einheitlicher Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsstrukturen bei H. R. G., Region Süd 2“. Daraufhin teilte ihm die Arbeitgeberin am 26.01.2010 mit, dass nach Kündigung des Tarifvertrages Betriebsräte nunmehr innerhalb der gesetzlichen Strukturen zu wählen seien. Die Mitarbeiterdaten seien daher nach den betriebsverfassungsrechtlichen Einheiten i. S. d. §§ 1, 4 BetrVG geordnet.
Am 03.02.2010 machte der Wahlvorstand in den bisherigen Betriebsstätten der Region Süd 2 sowie in den Betriebsstätten A. und Ho. ein Wahlausschreiben bekannt, nach dem am 18.03.2010 die Wahl eines siebenköpfigen Betriebsrats für die Region Süd 2 stattfinden solle. Am 05.02.2010 gab der Wahlvorstand den neuen Wahltermin 23.03.2010 bekannt. Die Arbeitnehmer der Betriebsstätte Ho. wurden nicht mehr in die Wahl einbezogen.
Am 26.02.2010 trat der Betriebsrat der Betriebsstätte A., am 01.03.2010 der Betriebsrat der Region Süd 2 von seinem Amt zurück.
Am 05.03.2010 versandte der Wahlvorstand die Wahlvorschlagsliste an die Arbeitnehmer der Betriebsstätte der bisherigen Region Süd 2 und an die der Betriebsstätte A.
Am 23.03.2010 fand die Betriebsratswahl statt. Der Wahlvorstand machte das endgültige Wahlergebnis am 29.03.2010 bekannt. Am 31.03.2010 fand die konstituierende Sitzung des Betriebsrats statt.
Am 06.04.2010 hat die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht München beantragt, die Nichtigkeit der Wahl festzustellen, hilfsweise die Unwirksamkeit der Wahl zu erklären und hilfshilfsweise festzustellen, dass der Betriebsrat ab dem 01.04.2010 ein Übergangsmandat i. S. v. § 21 a BetrVG innehabe und verpflichtet sei, unverzüglich Wahlvorstände zu bestellen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die Betriebsratswahl vom 23.03.2010 in derart grober Weise gegen Wahlvorschriften verstoßen habe, dass sie nichtig sei. Die Wahl sei unter grober Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt worden. Sie hätte nach den gesetzlichen Strukturen der §§ 1, 4 BetrVG vorgenommen werden müssen. Der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ sei wegen Wegfalls der Sachdienlichkeit schon vor dem Wahltermin unwirksam geworden. Jedenfalls sei der bislang geltende Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ vor Bestellung des Wahlvorstands mit Wirkung eines Termins im gesetzlichen Wahlzeitraum gekündigt worden. Der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ habe deshalb nicht Grundlage für die Wahl eines Betriebsrats sein können, der sein Amt von vornherein nicht innerhalb des Geltungszeitraums des Tarifvertrages habe antreten können. In entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 4 Satz 1 BetrVG sei bei den nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen zu den gesetzlichen Strukturen zurückzukehren. Diese Auslegung entspräche auch dem Willen der Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“. Die Tarifvertragsparteien hätten die Nachwirkung ausdrücklich ausgeschlossen und mit der erstmaligen Kündigungsmöglichkeit „31.03.2006“ unter Berücksichtigung der bei der Arbeitgeberin üblichen Wahltermine die sofortige Anwendbarkeit der gesetzlichen Strukturen bei den auf die Kündigung folgenden regulären Betriebsratswahlen ermöglicht.
Die Nichtigkeit der Wahl begründe sich schließlich aus der fehlerhaften Besetzung des Wahlvorstands. Der ausschließlich aus Mitgliedern der M. Betriebsstätte bestehende Wahlvorstand sei nicht berechtigt gewesen, Betriebsratswahlen in der eigenständigen, betriebsratsfähigen Einheit A. einzuleiten.
Bei Verkennung des Betriebsbegriffs sei die Wahl jedenfalls aufgrund Anfechtung unwirksam, § 19 Abs. 1 BetrVG. Der Verstoß habe auch das Wahlergebnis beeinflusst, weil statt eines einheitlichen Regionalbetriebsrats jeweils selbstständige Betriebsräte für die Betriebe M. (inklusive Ec., G., Ho. und Of.) sowie A. hätten gewählt werden müssen. Die Betriebsstätte in A. sei zumindest selbstständiger Betriebsteil i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die räumliche Distanz zur M. Betriebsstätte von ca. 71 km führe zu einer reinen Fahrtdauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln von ca. 1 Stunde 30 Minuten bis 1 Stunde 50 Minuten zzgl. Fußwegezeiten.
Sollte die Wahl weder nichtig noch anfechtbar sein, so habe der Betriebsrat jedenfalls nur ein Übergangsmandat i. S. d. § 21 a BetrVG inne. Mit Ablauf des Tarifvertrages habe der gewählte Betriebsrat analog der Rechtsnorm ein Übergangsmandat inne, bis die Betriebsräte aufgrund des Gesetzes neu gewählt werden würden. Es liege eine der Betriebsspaltung vergleichbare Situation vor, weil mit Ablauf des Tarifvertrages am 31.03.2010 der Wahlbetrieb Süd 2 in mehrere gesetzliche Wahlbetriebe „aufgespalten“ worden sei.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
1. festzustellen, dass die am 23.03.2010 durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist,
2. hilfsweise, die am 23.03.2010 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären,
3. hilfsweise festzustellen, dass der Antragsgegner ab dem 01.04.2010 ein Übergangsmandat i. S. v. § 21 a BetrVG inne hat und mit Entstehung dieses Übergangsmandats verpflichtet ist, unverzüglich Wahlvorstände zu bestellen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass die Wahl vom 23.03.2010 weder nichtig noch anfechtbar sei. Die Betriebsratswahl sei nicht unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt worden. Im Zeitpunkt der Wahl habe der noch mit normativer Wirkung bestehende Tarifvertrag die entsprechenden allgemeinen gesetzlichen Grundlagen des Betriebsverfassungsgesetzes zur Betriebsratswahl verdrängt. Aus dem vereinbarten Ausschluss der Nachwirkung und der Kündigungsmöglichkeit zum Quartalsende könne nicht der Wille der Tarifvertragsparteien entnommen werden, dass bei anstehenden Neuwahlen die gesetzlichen Betriebsratsstrukturen gültig wären. Die Kündigungstermin 31.03. sollte nach dem Willen der Gewerkschaft gerade ermöglichen, dass im März 2006 noch neue Betriebsräte unter Berücksichtigung des gekündigten und sich im Auslaufen der Kündigungsfrist befindlichen Tarifvertrages zu wählen sind.
Auf die Amtszeiten der bisherigen regionalen Betriebsräte komme es nicht an, weil sowohl der A. Betriebsrat als auch der Betriebsrat Süd 2 am 26.02.2010 bzw. 01.03.2010 und damit vor der Betriebsratswahl am 23.03.2010 zurückgetreten seien.
Der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ sei nicht nachträglich wegen Wegfalls der Sachdienlichkeit unwirksam geworden. Die Arbeitgeberin habe in Kenntnis des Wegfalls der Regionalleiterstrukturen den Tarifvertrag im Oktober 2004 erneut abgeschlossen und damit seine Sachdienlichkeit bestätigt. Im Übrigen hätte sie von der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung Gebrauch machen können.
Die Nichtigkeit der Betriebsratswahl sei auszuschließen, da sie nur in extremen Ausnahmefällen - wie er hier nicht vorliege - in Betracht käme. Die bloße Verkennung des Betriebsbegriffs führe regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der Wahl.
Der Hilfsantrag auf Feststellung eines Übergangsmandats sei unbegründet. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 21 a BetrVG lägen nicht vor.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 20.12.2010 die Anträge zurückgewiesen. Der Hauptantrag sei unbegründet, weil die Verkennung des Betriebsbegriffs nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führe. Sie sei auch nicht anfechtbar gem. § 19 Abs. 1 BetrVG. Es läge kein Verstoß gegen wesentliche Bestimmungen des Wahlrechts, der Wählbarkeit und des Wahlverfahrens vor. Die Betriebsratswahl sei am 23.03.2010 unter Anwendung des gekündigten, aber bis zum 31.03.2010 fortgeltenden Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ durchgeführt worden. Die Rückkehr zu den gesetzlichen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes sei erst nach Ablauf der Kündigungsfrist angezeigt gewesen. Dabei stelle die Ausnutzung der Rechtsposition keinen Verstoß gegen das Wahlrecht dar. Der Betriebsrat habe noch vor Ablauf der Kündigungsfrist des Tarifvertrages seine konstituierende Sitzung durchführen können. Der Tarifvertrag sei auch nicht aufgrund einer Änderung in den Leitungsstrukturen nachträglich unwirksam geworden. Der Betriebsrat habe nach Ablauf des Tarifvertrages nicht nur ein Übergangsmandat i. S. d. § 21 a BetrVG inne. Diese Rechtsnorm sei nicht analog auf Sachverhalte wie dem vorliegenden anwendbar.
Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 12.01.2011 zugestellten Beschluss am 18.01.2011 Beschwerde eingelegt und diese am 04.03.2011 begründet. Sie wiederholt im Wesentlichen ihre bereits in der ersten Instanz vertretene Rechtsauffassung. Die Betriebsratswahl hätte am 23.03.2010 nicht auf der Grundlage des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ durchgeführt werden dürfen. Das Gesetz treffe keine Regelung darüber, wie bei Neuwahlen die Rückkehr von einem gekündigten Tarifvertrag zu den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes zu vollziehen sei. Mangels anderweitiger Willensäußerung des Gesetzgebers sei der umgekehrte Fall, der in § 3 Abs. 4 Satz 1 BetrVG geregelt sei, entsprechend anzuwenden. Sei der Tarifvertrag bereits vor Bestellung des Wahlvorstands gekündigt worden, habe die Wahl im nachfolgenden gesetzlichen Wahlzeitraum nach den gesetzlichen Strukturen zu erfolgen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Kündigungsfrist des Tarifvertrages in den gesetzlichen Wahlzeitraum hineinrage oder nicht. Entscheidend sei, dass die Kündigungsfrist - wie vorliegend - noch während des nächsten regelmäßigen Wahlzeitraums ablaufe. Dies folge aus einem Vergleich der gegenteiligen Situation. Sähen die Parteien eines Tarifvertrages i. S. v. § 3 BetrVG vor, dass dieser zum 01.04. innerhalb des nächsten gesetzlichen Wahlzeitraums in Kraft trete, bestünde ohne weiteres Einigkeit aller Beteiligten darüber, dass bei einer Wahl im März nicht nach den gesetzlichen, sondern nach den tarifvertraglichen Strukturen gewählt werde. Hiermit übereinstimmend hätten die Arbeitnehmer beim erstmaligen Abschluss des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ am 11.04.2002 keine Wahlen im März der Wahlperiode 2002 durchgeführt, sondern erst nach dem Inkrafttreten des Tarifvertrages entsprechende Regionalbetriebsräte gewählt. Zudem könne der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ keine Legitimationsgrundlage für einen Regionalbetriebsrat schaffen, der sein Amt entweder gar nicht innerhalb des Geltungszeitraums des Tarifvertrages antreten oder nur kurze Zeit im Geltungszeitraum des Tarifvertrages ausüben könne, bevor dieses in ein sechsmonatiges Übergangsmandat übergehe. Schließlich widerspreche die Wahl eines Regionalbetriebsrats bei Kündigung des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ zum 31.03.2010 dem Willen der Tarifvertragsparteien. Andernfalls käme es auch zu einer „gespaltenen“ Betriebsratswahl, da im März auf der Basis des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ und im April und Mai Betriebsräte innerhalb der gesetzlichen Betriebsstrukturen zu wählen wären. Eine solche uneinheitliche Situation hätten die Tarifvertragsparteien offensichtlich nicht bezweckt. Hieraus begründe sich die Nichtigkeit der Wahl, weil der Wahlvorstand nicht nur gesetzliche Betriebe oder selbstständige Betriebsteile fehlerhaft bei Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes abgegrenzt, sondern eine falsche Legitimationsgrundlage für die Wahl herangezogen habe. Jedenfalls sei die Wahl aus den oben genannten Gründen anfechtbar i. S. v. § 19 Abs. 1 BetrVG. Hilfsweise vertritt die Arbeitgeberin die Auffassung, dass der Betriebsrat ab dem 01.04.2010 höchstens noch ein sechsmonatiges Übergangsmandat entsprechend § 21 a BetrVG inne habe. Dies folge bereits aus dem allgemeinen Rechtsprinzip, dass eine auf der Grundlage einer besonderen Rechtsnorm gebildete und ausgestaltete Organisationseinheit nur so lange bestehen könne, wie auch die Rechtsnorm bestehe.
Die Arbeitgeberin beantragt,
1. den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 20.12.2010 - 40 BV 142/10 - abzuändern,
2. festzustellen, dass die am 23.03.2010 durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist,
3. hilfsweise, die am 23.03.2010 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären,
4. hilfsweise festzustellen, dass der Antragsgegner ab dem 01.04.2010 ein sechsmonatiges Ãœbergangsmandat inne hatte.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er meint, die Betriebsratswahl vom 23.03.2010 habe zu Recht den Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ zugrunde gelegt, da jener Tarifvertrag unstreitig erst mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31.03.2010 außer Kraft getreten sei. Dabei habe die normative Wirkung des Tarifvertrages während der gesamten Betriebsratswahl bis zur konstituierenden Sitzung des Betriebsrats angedauert, da gem. § 21 Satz 2 Alt. 1 BetrVG aufgrund des Rücktritts der bisherigen Betriebsräte am 26.02. und 01.03.2010 die Amtszeit mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 29.03.2010 begonnen habe. Die Bestimmung des Wahltermins 23.03.2010 durch den Wahlvorstand sei zulässig gewesen, da dieser Termin im regelmäßigen Wahlzeitraum gelegen habe und keine tarifliche oder gesetzliche Regelung darüber bestehe, einen Wahltermin abhängig von der Amtszeit des amtierenden Betriebsrats zu bestimmen. Der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ begründe keinen entgegenstehenden Willen der Tarifparteien. Es sei gerade Wille der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft gewesen, mit dem erstmöglichen Kündigungstermin 31.03.2006 zu ermöglichen, dass im März noch neue Betriebsräte unter Berücksichtigung des sich im Auslaufen befindlichen Tarifvertrages gewählt werden können. Auf die vereinbarte Nachwirkung komme es nicht an, da diese lediglich den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zu einer Neuregelung betreffe. Im vorliegenden Fall sei die Wahl noch während des Laufs der Kündigungsfrist durchgeführt und abgeschlossen worden. Eine entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, die grundsätzlich abgelehnt werde, rechtfertige vorliegend keine Betriebsratswahl nach den gesetzlichen Strukturen. Es ergebe sich aus § 3 Abs. 4 Satz 1 BetrVG analog lediglich, dass der Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl anzuwenden sei. Bei Kündigung eines Tarifvertrages zum 31.03. des Jahres, in dem regelmäßige Betriebsratswahlen stattfinden, sei die nächste regelmäßige Betriebsratswahl diejenige in vier Jahren.
Ein Übergangsmandat analog § 21 a BetrVG bestehe nicht. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 21 a BetrVG lägen nicht vor. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.
Bezüglich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin vom 04.03.2011 und ihren weiteren Schriftsatz vom 31.05.2011, auf die Beschwerdeerwiderung des Betriebsrats vom 05.04.2011 sowie auf die zu Protokoll genommenen Erklärungen in der mündlichen Anhörung vom 08.06.2011.
II.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 1 u. 2, 89 Abs. 1 u. 2, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und damit zulässig.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nur bezüglich des Hilfsantrags zu 1 begründet. Die Wahl des Betriebsrats ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam, nicht aber nichtig.
1. Die Anträge sind zulässig.
Die Arbeitgeberin ist beteiligtenfähig und antragsbefugt, §§ 19 Abs. 2 BetrVG, 81 Abs. 1 ArbGG. Sie hat auch das notwendige Interesse an der begehrten Feststellung der Nichtigkeit der Wahl. Die Antragsfrist des § 19 Abs. 2 BetrVG ist gewahrt, weil die Arbeitgeberin bereits am 06.04.2010 das am 29.03.2010 bekannt gegebene Wahlergebnis angefochten hat.
2. Der Antrag zu 1. ist unbegründet.
Die Betriebsratswahl vom 23.03.2010 ist nicht nichtig.
a) Eine Nichtigkeit der Wahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen.
Sie setzt voraus, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt (vgl. BAG, B. v. 19.11.2003 - 7 ABR 24/03 -, NZA 2004, 395; LAG Niedersachsen, B. v. 22.08.2008 - 12 TaBV 14/08 -, BeckRS 2008, 57010; LAG Düsseldorf, B. v. 07.09.2010 - 16 TaBV 57/10 -, BeckRS 2010, 74572; LAG Baden-Württemberg, B. v. 09.03.2010 - 15 TaBVGa 1/10 -, BeckRS 2010, 67126; LAG München, B. v. 10.03.2008 - 6 TaBV 87/07 -, BeckRS 2009, 67730). Es muss sowohl ein offensichtlicher als auch ein besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegen (vgl. BAG, B. v. 15.11.2000 - 7 ABR 23/99 -, veröffentlicht in Juris). Die Betriebsratswahl muss den „Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (so plakativ BAG, B. v. 17.01.1978 - 1 ABR 71/76 -, AP BetrVG 1972, § 1 Nr. 1). Ist ein Verstoß gegen Wahlvorschriften erst nach Beantwortung schwieriger rechtlicher Fragestellungen feststellbar, ist er nicht mehr offensichtlich (vgl. BAG, B. v. 29.04.1998 - 7 ABR 42/97 -, NZA 1998, 1133).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die am 23.03.2010 durchgeführte Betriebsratswahl nicht als nichtig anzusehen.
Selbst wenn der Auffassung der Arbeitgeberin zu folgen und die Wahl des Betriebsrats einschließlich der Bestellung des Wahlvorstands auf der Grundlage des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ zu Unrecht erfolgt wäre, wäre der Fehler nicht offensichtlich. Dies ergibt sich bereits aus den umfassenden rechtlichen Erwägungen der Beteiligten zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt es für die Bestimmung der maßgeblichen Betriebsstruktur und des zu wählenden Betriebsrats ankommt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ zur Zeit der Wahl noch formell in Kraft war, sodass eine etwaige Verkennung des Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes für die Bestimmung betrieblicher Strukturen nicht offenkundig war (vgl. zur Verkennung des Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes nach § 118 Abs. 2 BetrVG BAG, B. v. 29.04.1998, aaO). Bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs und seiner Anwendung auf die konkrete betriebliche Situation ist eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu beachten, die eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Entscheidung erfordern. Unterlaufen dabei Fehler, sind diese in der Regel nicht so grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht besteht (vgl. BAG, B. v. 19.11.2003 - 7 ABR 25/03 -, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 55). Schließlich ist die Betriebsratswahl nicht deshalb nichtig, weil die Bestellung des Wahlvorstands nichtig gewesen wäre. Im vorliegenden Fall hängt, worauf der Betriebsrat zu Recht hingewiesen hat, die Zulässigkeit der Bestellung des Wahlvorstands zur Durchführung der Betriebsratswahl in der Region Süd 2 ebenso wie die Zulässigkeit der Betriebsratswahl selbst allein davon ab, wie der Betrieb konkret zu bestimmen war (vgl. für den gleichgelagerten Fall BAG, B. v. 19.11.2003, aaO).
3. Jedoch ist der Antrag zu 2. begründet.
Die Wahl des Betriebsrats ist aufgrund Anfechtung unwirksam, § 19 Abs. 1 BetrVG.
a) Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Betriebsratswahl gerichtlich angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, der Verstoß hätte das Wahlergebnis nicht ändern oder beeinflussen können (vgl. BAG, B. v. 21.02.2001 - 7 ABR 41/99 -, NZA 2002, 282; B. v. 29.07.2009 - 7 ABR 91/07 -, NZA-RR 2010, 76).
Zu den Vorschriften über das Wahlverfahren gehören alle Bestimmungen, die für die Bildung des Betriebsrats von Bedeutung sind (vgl. Ricardi/Thüsing, BetrVG, 12. Aufl. 2010, § 19 Rn. 13). Wird der Betriebsbegriff falsch bestimmt, liegt ein wesentlicher Verstoß gegen das Wahlverfahren vor (vgl. Fitting, BetrVG, 25 Aufl. 2010, § 19, Rn. 22; Ricardi/Thüsing, aaO, Rn. 17; ErfK/Koch, 11. Aufl. 2011, § 19 BetrVG Rn. 4; BAG, B. v. 31.05.2000 - 7 ABR 78/98 -, AP BetrVG 1972, § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12). Des Weiteren kann ein Mangel im Wahlverfahren vorliegen, wenn der Wahlvorstand nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt ist (vgl. Fitting, aaO).
b) Im vorliegenden Fall ist die Betriebsratswahl vom 23.03.2010 unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt worden.
Aufgrund der Kündigung des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ zum 31.03.2010 war für die regelmäßigen Betriebsratswahlen des Jahres 2010 die Betriebsstruktur des Betriebsverfassungsgesetzes zugrunde zu legen. Dies folgt aus den gesetzlichen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes, aber auch aus dem Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ selbst.
aa) Das Wahlverfahren ist eingeleitet worden für die regelmäßigen Wahlen i. S. d. § 13 Abs. 1 BetrVG.
Die regelmäßigen Wahlen dienen der Wahl des Betriebsrats, der mit Ablauf der Amtszeit des vorherigen Betriebsrats, spätestens am 31.05. des Jahres, in dem regelmäßige Betriebsratswahlen stattfinden, seine Amtszeit beginnt und nach vier Jahren beendet, § 21 BetrVG. Diese Regelung gilt grundsätzlich wegen § 3 Abs. 5 Satz 2 BetrVG auch für die Amtszeit der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gewählten Betriebsräte (vgl. Fitting, aaO, § 21 Rn. 2).
bb) Das betriebsverfassungsrechtliche Organisationsrecht wird von einem Tarifvertrag nach § 3 BetrVG nur für die Zeit von dessen voller zwingender normativer Wirkung verdrängt (vgl. Ricardi/Ricardi, aaO, § 3 Rn. 65 unter Bezugnahme auf T-Wiszmann, Tarifvertragliche Gestaltung, S. 175; Thüsing, ZIP 2003, 693, 704).
Endet der Tarifvertrag, dessen Nachwirkung - wie vorliegend - ausgeschlossen worden ist, entfällt die Rechtsgrundlage für die tarifliche Betriebs- und Betriebsratsstruktur. Die aufgrund des Tarifvertrages gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten gelten nicht mehr als Betriebe i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes (argumentum e contrario aus § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG).
cc) Sinn und Zweck der Normen des Betriebsverfassungsgesetzes ist es, Betriebsratswahlen für tatsächlich bestehende betriebliche Einheiten durchzuführen.
Dem dienen die Regelungen in § 1 Abs. 2 BetrVG zum gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen wie auch die Regelungen in § 4 BetrVG zu den Voraussetzungen, unter denen Betriebsteile als selbstständige Betriebe anzusehen sind. § 3 BetrVG ist dementsprechend als Ausnahme zu dem ansonsten unabdingbaren Prinzip der Anknüpfung der Betriebsverfassung an den Betrieb zu verstehen (vgl. Kloppenburg in Hümmerich/Boecken/Düwell, Kommentar Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 1). Auch bestimmen sich Wahlberechtigung und Wählbarkeit i. S. d. §§ 7, 8 BetrVG nach der betrieblichen Einheit, die sich nach Kündigung eines Tarifvertrages i. S. d. § 3 BetrVG auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes ergibt (vgl. LAG Schleswig-Holstein, B. v. 19.03.2010 - 4 TaBVGa 5/10 -, BeckRS 2010, 70580). Im gleichen Sinne regelt § 21 a Abs. 1 Satz 2 BetrVG, dass in den neuen, durch Betriebsspaltung entstandenen Betriebsteilen Betriebsratswahlen durchzuführen sind. Die Betriebsratswahlen i. S. d. § 13 BetrVG sind deshalb für diejenigen Betriebe durchzuführen, die in der damit bestimmten Amtsperiode tatsächlich bestehen.
dd) Diese Auslegung bestätigt sich durch folgende Überlegungen:
Der auf der tarifvertraglichen Grundlage gewählte Betriebsrat hat mit Auslaufen des Tarifvertrages nach herrschender Meinung lediglich ein Übergangsmandat analog § 21 a BetrVG inne mit der Folge, dass gem. § 21 a Abs. 1 Satz 2 BetrVG unverzüglich Wahlvorstände zu bestellen und in den Betrieben i. S. d. §§ 1, 4 BetrVG ein neuer Betriebsrat zu wählen ist. Bei Kündigung eines Tarifvertrages nach § 3 Abs. 1 BetrVG zum 31.03., ohne dass diesem Nachwirkung zuzumessen wäre, würde das Amt des „tariflichen“ Betriebsrats per 31.03. enden und es wäre eine Betriebsratswahl nach gesetzlichen Strukturen durchzuführen (vgl. Preis in Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 4. Aufl. 2009, § 3 Rn. 3; Ricardi/Ricardi, aaO; § 3 Rn. 65; ErfK/Koch, 11. Aufl. 2011, § 3; Kloppenburg in Düwell, BetrVG, 3. Aufl. 2010, § 3 Rn. 82). Auch nach der von Fitting und Trümner vertretenen Mindermeinung sind durch Kündigung des Tarifvertrages veranlasste Wahlen im Zeitraum der regelmäßigen Betriebsratswahlen vom 01.03. bis 31.05. auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes durchzuführen. Denn wenngleich sie die Auffassung vertreten, dass der bisherige Betriebsrat bis zum Ende der regelmäßigen Amtszeit fortbesteht, sein Amt mithin nicht automatisch mit Beendigung des Tarifvertrages endet, so sprechen sie sich dafür aus, dass bei der folgenden regelmäßigen Betriebsratswahl wieder das Gesetz maßgeblich sein soll (vgl. Fitting, aaO § 3 Rn. 84 a. E.: „Bei der folgenden regelmäßigen Betriebsratswahl ist allerdings - soweit kein neuer Tarifvertrag nach Abs. 1 geschlossen wurde - wieder das Gesetz maßgeblich.“). Entscheidend ist für sie der Vorrang der Gesetzesregelung (vgl. Trümner in Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 12. Aufl. 2009, § 3 Rn. 16). Maßgeblich ist mithin, ob die reguläre Amtszeit eines auf tariflicher Grundlage gewählten Betriebsrats im Fall der Kündigung des Tarifvertrages während des gesetzlichen Wahlzeitraums endet. Der für die nachfolgende Amtsperiode zu wählende Betriebsrat wäre dann nach der Regelung in § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG wieder für Betriebe i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes zu wählen. Die jeweilige tarifvertragliche Vereinbarung könnte mithin bis spätestens 31.05. desjenigen Jahres gekündigt werden, in dem die regelmäßigen Betriebsratswahlen von § 13 Abs. 1 BetrVG stattfinden, um eine Wahl auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes möglich zu machen (in diesem Sinne ausdrücklich Hohenstatt/Dzida, DB 2001, 2498, 2502).
ee) Der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ enthält keine abweichende Bestimmung von diesen allgemeinen Grundsätzen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel ist derjenigen Tarifauslegung der Vorrang zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, U. v. 06.07.2006 - 2 AZR 587/05 -, NZA 2007, 167; U. v. 17.02.2009 - 9 AZR 611/07 -, NJOZ 2009, 2740 jew. m. w. N.; ErfK/Franzen, 11. Aufl. 2011, § 1 TVG, Rn. 92 f.).
Nach Maßgabe dieser Auslegungsgrundsätze trifft der Tarifvertrag „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ keine andere Regelung für die Frage, welcher Betriebsbegriff den im Frühjahr 2010 anstehenden Betriebsratswahlen zugrunde zu legen war.
§ 2 Abs. 2 des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ wiederholt die Regelung des § 3 Abs. 5 BetrVG und normiert damit zugleich die umgekehrte Rechtsfolge, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten, die aufgrund des Tarifvertrages gebildet worden sind, nicht als Betriebe i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes gelten, wenn die normative Wirkung des Tarifvertrages endet.
Der ausdrückliche Ausschluss der Nachwirkung in § 7 des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ zeigt, dass die Tarifvertragsparteien unmittelbar nach Ablauf des Tarifvertrages wieder zur gesetzlichen Struktur zurückkehren wollten. Dabei zeigt der erstmalig zulässige Kündigungstermin 31.03.2006, dass ein Kündigungstermin während des gesetzlichen Wahlzeitraums 01.03. bis 31.05. Wahlen auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes bedingt. Denn andernfalls wären bei Wahlen bis zum 31.03.2006 „tarifliche“ Betriebsräte und nach dem 31.03.2006 „gesetzliche“ Betriebsräte zu wählen. Diese Mischstruktur führt im Ergebnis zu einer Verzerrung der Vertretungsstrukturen, weil durch die Bildung größerer organisatorischer Einheiten u. a. Einfluss auf die Anzahl der zu wählenden Betriebsräte, §§ 1, 4 BetrVG, und die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder genommen wird, § 9 BetrVG. Wegen der Regelung in § 47 Abs. 2 BetrVG, auf die § 5 des Tarifvertrages „einheitliche Betriebsratsstrukturen“ verweist, wirken sich diese auch auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats aus. Diese Tarifauslegung widerspräche deshalb einer vernünftigen, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung.
ff) Diesem Auslegungsergebnis steht endlich nicht entgegen, dass der Betriebsrat der Region Süd 2 und A. am 01.03. bzw. 26.02.2010 zurückgetreten sind.
Denn zur Zeit ihres Rücktritts war das Wahlverfahren zur regelmäßigen Wahl des Betriebsrats Süd bereits eingeleitet und blieb aufrechterhalten. Der Rücktritt der Betriebsräte hatte allein zur Folge, dass ihre Amtszeit vorzeitig mit der Wahl des neuen Betriebsrats endete, §§ 21 Satz 2 Alt. 1, 22 BetrVG. Die Rechtslage, nach der wegen Auslaufens des Tarifvertrages im Wahlzeitraum ein Betriebsrat nach den gesetzlichen Bestimmungen zu wählen ist, blieb davon unberührt. Die organisatorischen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes sind zwingend (vgl. BAG, B. v. 10.11.2004 - 7 ABR 17/04 -, NJOZ 2005, 3038).
c) Der Verstoß gegen das Wahlverfahren hat auch Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt.
Unstreitig ist die Betriebsstätte in A. in die Wahl des Betriebsrats Süd 2 einbezogen worden. Gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG gilt das dortige „Implant“ bei einem Kunden der Arbeitgeberin mit zehn Arbeitnehmern als Betriebsteil, weil er ca. 71 km weit vom Hauptbetrieb in M. entfernt liegt und eine reine Fahrtzeit von ca. 1 Stunde 30 Minuten bis 1 Stunde 50 Minuten zuzüglich Fußwege nach dort benötigt werden (vgl. ErfK/Koch, 11. Aufl. 2011, § 5 BetrVG Rn. 3).
Nach allem war die Wahl des Betriebsrats am 23.03.2010 infolge Anfechtung für unwirksam zu erklären, § 19 Abs. 1 BetrVG. Mit dieser Entscheidung war eine Entscheidung über den weiteren Hilfsantrag nicht mehr zu treffen.
4. Die Beschwerdekammer hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss können die Arbeitgeberin und der Betriebsrat Rechtsbeschwerde einlegen.
Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses.
Die Rechtsbeschwerde muss beim Bundesarbeitsgericht Hugo-Preuß-Platz 1 99084 Erfurt Postanschrift: Bundesarbeitsgericht 99113 Erfurt Telefax-Nummer: 0361 2636-2000 eingelegt und begründet werden.
Die Rechtsbeschwerdeschrift und die Rechtsbeschwerdebegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände
- für ihre Mitglieder
- oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
oder
von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen,
- wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt
- und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben.
Zur Möglichkeit der Rechtsbeschwerdeeinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de/.
Dr. Eulers Abbold Gebhardt-----------------------------------------------------
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