Text des Beschlusses
2 Ws (Reh) 112/11;
Verkündet am:
01.06.2011
OLG Oberlandesgericht
Naumburg
Vorinstanzen:
12 Reh 10124/10
Landgericht
Halle;
Rechtskräftig: unbekannt!
Wurden natürliche Handlungen aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt, ist das Urteil eines staatlichen Gerichts der DDR insoweit für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, selbst wenn der Schuldspruch wegen des weiteren Tuns Bestand hat
Leitsatz des Gerichts:
Wurden einzelne natürliche Handlungen aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt, ist das Urteil eines staatlichen Gerichts der ehemaligen DDR insoweit für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, selbst wenn der Schuldspruch wegen des weiteren, der Verurteilung zugrunde liegenden Tuns Bestand hat
In dem Rehabilitierungsverfahren
…
Betroffener, Antragsteller und Beschwerdeführer,
hat der Senat für Rehabilitierungssachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 1. Juni 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Henss, des Richters am Oberlandesgericht Krause sowie des Richters am Oberlandesgericht Becker beschlossen:
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Halle vom 16. März 2011 teilweise aufgehoben.
Das Urteil des Kreisgerichts Dessau vom 13. März 1980, Aktenzeichen: S 456/79, wird für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit der Betroffene auch wegen der Äußerung „in der BRD in der Gosse lebt es sich besser, als hier in der DDR“ der „Öffentlichen Herabwürdigung“ schuldig befunden und im Rechtsfolgenausspruch zu einer ein Jahr überschreitenden Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Der Betroffene hat Anspruch auf Erstattung der Hälfte der von ihm in jenem Verfahren getragenen Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen.
Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Der Betroffene begehrt seine Rehabilitierung wegen eines Heimaufenthaltes und einer Verurteilung durch das Kreisgericht Dessau zu einer Freiheitsstrafe.
Nach Darstellung des Betroffenen wurde er etwa im Jahr 1969 gegen den Willen der Eltern durch das Referat Jugendhilfe des Rates der Stadt D. in das Kinderheim P. „für eine nicht sehr lange Zeit“ eingewiesen. Nähere Einzelheiten sind nicht bekannt. Irgendwelche Akten konnten nicht ausfindig gemacht werden.
Am 13. März 1980 verurteilte das Kreisgericht Dessau den Betroffenen wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit im schweren Fall in Tateinheit mit öffentlicher Herabwürdigung und Beleidigung eines Bürgers wegen seiner staatlichen Tätigkeit gemäß §§ 214 Abs. 2, 216 Abs. 1 Nr. 4, 220 Abs. 1, 137, 139 Abs. 3, 63 Abs. 2 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Am Nachmittag des 15. November 1979 hatte sich der mehrfach u.a. wegen Rowdytums vorbestrafte und kurz vorher aus der Haft entlassene Betroffene nach vorangegangenem Alkoholgenuss in die Abteilung für Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt D. begeben. Hier beschimpfte er einen dort tätigen Mitarbeiter, den er für seinen bisherigen Lebensweg verantwortlich machte, laut hörbar als Schwein, das ihn immer wieder in den Knast bringe, was zu einer tumultartigen Situation führte. Er bot dem Mitarbeiter Schläge an, bis dieser in keinen Sarg mehr passe. Als ihn der aufmerksam gewordene Abteilungsleiter zu beruhigen versuchte und mit der Verständigung der Polizei drohte, erklärte der Betroffene, auch bei der Volkspolizei würde es sich um Schweine handeln und insgesamt seien die Mitarbeiter der Abteilung Inneres bzw. der Volkspolizei Bullen, Schweine und Fotzen. In diesem Zusammenhang äußerte der Betroffene auch, er werde in die BRD abhauen. Lieber dort in der Gosse verreckt, als in der DDR zu leben bzw. in der BRD lebe es sich in der Gosse besser, als in der DDR.
Am 16. November 1979 erging gegen den sofort vorläufig festgenommenen Betroffenen ein Haftbefehl. Der Betroffene bestritt die Tat zunächst. Im Zuge der Ermittlungen bestätigten allerdings mehrere Zeugen das ihm vorgeworfene Geschehen. Das Kreisgericht sah es - auch angesichts der mittlerweile geständigen Einlassungen des Betroffenen - als erwiesen an, dass der Betroffene den Mitarbeiter der Abteilung Inneres als Schwein beschimpfte, das ihn immer wieder in den Knast bringe. Er habe gedroht, den Mitarbeiter zum Krüppel zu schlagen, wenn er ihn erwische. Dieser werde in keinen Sarg mehr passen. Weiter habe er die Volkspolizei als „Bullen“ und „Fotzen“ bezeichnet und geäußert, in der BRD lebe es sich in der Gosse besser, als in der DDR. Gegenüber dem Abteilungsleiter habe sich der Betroffene allerdings äußerst korrekt verhalten.
Die Berufung des Betroffenen blieb ohne Erfolg. Das Bezirksgericht Halle verwarf das auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel am 9. April 1980 als offensichtlich unbegründet. Am 6. Oktober 1980 wurde die Reststrafe für den Betroffenen zur Bewährung ausgesetzt und er am 15. Oktober 1980 aus der Staatsbürgerschaft der DDR in die Bundesrepublik entlassen.
Die Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Halle hat den Antrag des Betroffenen mit Beschluss vom 16. März 2011 zurückgewiesen.
Es lasse sich nicht feststellen, dass das Urteil des Kreisgerichts Dessau mit den wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sei. Die dem Betroffenen vorgeworfene Tat sei auch nach heutigen Maßstäben strafbar. Zwar stelle die Verurteilung wegen der Äußerung, es lebe sich in der Gosse der BRD besser, als in der DDR, eine politische Verfolgung dar. Dies lasse den Schuldspruch allerdings unberührt, da tateinheitlich auch andere, unpolitische Erklärungen des Betroffenen bestraft worden seien. Der Rechtsfolgenausspruch stehe in keinem groben Missverhältnis zur Tat. Der zur Verfügung gestandene Strafrahmen habe die Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten hergegeben. Eine strafschärfende Wirkung des Vergleichs zwischen der BRD und der DDR lasse sich nicht feststellen. Auch darüber hinaus unterliege das Strafverfahren keinen rechtsstaatlichen Bedenken.
Eine Rehabilitierung für die Einweisung in ein Kinderheim komme nicht in Betracht. Es sei nicht ersichtlich, dass insoweit eine politische Verfolgung des damals zwölfjährigen Betroffenen stattgefunden habe. Mangels weitergehender Erkenntnisse zum Anlass der Heimunterbringung lasse sich deren Rechtsstaatswidrigkeit nicht feststellen.
Gegen diese, ihm am 21. März 2011 zugestellte Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der am 21. April 2011 beim Landgericht eingegangenen Beschwerde. Ohne den vergleichenden Satz wäre er nicht inhaftiert und keine so hohe Strafe ausgesprochen worden. Der politische Charakter des Ganzen folge bereits aus der späteren Abschiebung des Betroffenen in die BRD. Der Heimaufenthalt gehe auf eine staatliche Anordnung zurück. Er sei trotz vergitterter Fenster immer wieder aus dem Heim entwichen, sodass man ihn in die Psychiatrie gebracht habe.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache zum Teil Erfolg.
Der Betroffene ist teilweise zu rehabilitieren. Das Landgericht durfte im Hinblick auf den nach seiner zutreffenden Ansicht der politischen Verfolgung des Betroffenen dienenden Teils der Entscheidung des Kreisgerichts Dessau nicht von einer Rehabilitierung absehen (Ziff. 1.). Außerdem begegnet die verhängte Freiheitsstrafe über § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG rechtsstaatlichen Bedenken (Ziff. 2). Das weitergehende Rechtsmittel ist allerdings unbegründet. Das Urteil des Kreisgerichts Dessau vom 13. März 1980 entspricht im Schuldspruch und im Umfang einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung (Ziff. 3.). Der rechtsstaatswidrige Charakter der angeordneten Heimerziehung des Betroffenen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG) lässt sich, wie vom Landgericht richtig ausgeführt, nicht feststellen (Ziff. 6.). Der mit der Beschwerde erstmals erwähnte Aufenthalt des Betroffenen in der Psychiatrie ist dagegen als neuer Antrag zu behandeln, über den zunächst das Landgericht zu befinden haben wird (Ziff. 7.).
1. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass die Verurteilung des Betroffenen wegen öffentlicher Herabwürdigung auf Grund der Äußerung, in der Gosse der BRD lebe es sich besser, als in der DDR, der politischen Verfolgung diente (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 StrRehaG).
Die Kammer hat dennoch von einer Rehabilitierung abgesehen, weil der Straftatbestand des § 220 Abs. 1 StGB/DDR auch durch weitere, gegen die Volkspolizei als staatliches Organ gerichtete und diese verächtlich machende Bemerkungen des Betroffenen erfüllt worden sei. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz sieht auch in solchen Fällen einen Anspruch auf Rehabilitierung vor. Das Urteil des Kreisgerichts ist zumindest insoweit aufzuheben, als der Verurteilung wegen öffentlicher Herabwürdigung der Vorwurf zugrunde liegt, der Betroffene habe geäußert, in der Gosse der BRD lebe es sich besser als in der DDR.
Mit dem deutlich überspitzten Vergleich der Lebensverhältnisse in beiden deutschen Staaten nahm der Betroffene sein Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung wahr, das zum Kernbestand einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung zählt. Wurde der Betroffene hierfür strafrechtlich verfolgt, eröffnet dies den Weg der Rehabilitierung, zumal die staatliche Reaktion der DDR nach dem Inhalt der vom Betroffenen geäußerten Meinung eine politische Verfolgung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 StrRehaG nahe legt. Dass der Betroffene selbst unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit wegen weiterer, gleichzeitig getätigter Äußerungen im Ergebnis zu Recht der öffentlichen Herabwürdigung schuldig befunden wurde, darf nicht dazu führen, das Urteil des Kreisgerichts unangetastet zu lassen. Jede andere Sicht nimmt rechtsstaatswidriges Strafen hin und verengt den Anwendungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes entgegen dessen Wortlaut sowie dem auf Beseitigung von Justizunrecht gerichteten Zweck des Gesetzes. Die in dem Urteil des Kreisgerichts zum Ausdruck kommende Missbilligung der Wahrnehmung eines grundlegenden Menschenrechts muss beseitigt werden.
Die Entscheidung des Gesetzgebers zur Reichweite des Rehabilitierungsanspruchs ergibt sich im Falle des Betroffenen aus § 1 Abs. 1, Abs. 4 StrRehaG. Die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet ist für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. Angeknüpft wird an die der Verurteilung zugrunde liegende Handlung (BVerfG NJW 2000, 418, 420). Wurde diese aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt, sieht das Gesetz zwingend die Rehabilitierung vor, was nichts anderes heißt, als das Urteil des Kreisgerichts insoweit für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Dies stellt § 1 Abs. 4 StrRehaG nochmals ausdrücklich klar. Kommt eine vollständige Aufhebung nicht in Betracht, hebt das Gericht den Teil der Entscheidung auf, für den die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. Das betrifft auch einzelne zur Verurteilung herangezogene natürliche Handlungen, selbst wenn hierdurch der Schuldspruch nicht tangiert wird.
Mit dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz soll der Strafmakel aus einer Verurteilung, die die allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise missachtet, beseitigt werden. Niemand muss es hinnehmen, in der DDR aus politischen Gründen bestraft worden zu sein (BVerfG NJW 2000, 418, 419). Dazu gehört, all das aus einer Verurteilung zu tilgen, was legitime Rechtswahrnehmung als strafbares Unrecht behandelt. Insoweit ist § 1 Abs. 4 StrRehaG konsequent weiter gefasst als § 1 Abs. 3 StrRehaG. Die Aufhebung der Entscheidung kann nur in vollem Umfange erfolgen, wenn sich die Verurteilung bezüglich ganzer Strafvorschriften und hierdurch rechtlich bezeichneter Taten als rechtsstaatswidrig erweist. Eine Teilaufhebung kommt dagegen schon in Betracht, wenn einzelne (natürliche) Handlungen und damit möglicherweise nur Teile einer materiell-rechtlichen Tat nicht hätten zur Verurteilung führen dürfen, es also rechtsstaatswidrig war, die Handlung im Urteil als tatbestandsmäßig im Sinne von § 242 Abs. 1 StPO/DDR zu behandeln. § 12 Abs. 2 Nr. 2 StrRehaG spricht in diesem Sinne auch nicht von Taten, wie beispielsweise § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO nahe legen würde, sondern vom Vorwurf, der eher auf die Tat im prozessualen Sinne und damit auf den der Verurteilung zugrunde liegenden geschichtlichen Vorgang hinweist, der sich aus mehreren, den gesetzlichen Tatbestand erfüllenden strafbaren Handlungen des Verurteilten zusammen setzen kann (vgl. zum prozessualen Tatbegriff BGH NStZ-RR 1996, 203; 2003, 82; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 79 f.).
Nur so wird ohne Rückgriff auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG die Überprüfung der Strafzumessung möglich. Selbst wenn die Äußerung des Betroffenen für die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens nicht entscheidend war, so hatte sie Einfluss auf die Strafzumessung (vgl. § 61 Abs. 2 StGB/DDR). Ob dieser Einfluss, wie vom Landgericht erörtert, immer ausdrücklich als strafschärfend festzustellen sein muss (wohl eher nicht vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2006, 2 Ws (Reha) 19/06 - zitiert in juris Rdn. 12; OLG Jena, Beschluss vom 5. Mai 2008, 2 Ws Reha 7/08 - zitiert in juris Rdn. 12), kann an dieser Stelle offen bleiben. Der Rechtsfolgenausspruch des Kreisgerichts hält sowieso einer Überprüfung nicht stand.
2. Die Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten steht in einem groben Missverhältnis zur zugrunde liegenden Tat.
Dass strafbares Verhalten seine besondere Missbilligung in Form einer empfindlichen Strafe erfährt, ist im Rahmen der strafrechtlichen Rehabilitierung hinzunehmen (Senat, Beschluss vom 24. März 2010, 2 Ws Reh 24/10 - BeckRS 2010, 10655). Über § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG rückgängig zu machen sind nur die Rechtsfolgen einer Verurteilung, die gemessen am rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Grenze zum Unerträglichen überschreiten, ohne hierbei die Strafzumessungspraxis außerhalb des Beitrittsgebietes zum Maßstab zu erheben (Heinatz, NJW 2000, 3022, 3029 m.w.N.). Das trifft auf die Dauer der Freiheitsstrafe des Betroffenen zu.
Das damalige Verhalten des Betroffenen war ersichtlich Ausdruck einer spontanen, durch den vorangegangenen Alkoholgenuss möglicherweise geförderten Verärgerung, die sich erst an einem Mitarbeiter der Abteilung Inneres und später an weiteren Personen und der Volkspolizei entlud. Die dabei ausgesprochenen Beleidigungen und die Bedrohung sind nicht zu bagatellisieren. Sie wiegen aber auch nicht so schwer, dass sie ohne weiteres längere Freiheitsstrafen forderten. Allerdings hatte das Kreisgericht über §§ 63, 64 Abs. 1, Abs. 2 StGB/DDR die Strafe dem Strafrahmen der §§ 214 Abs. 2; 216 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 StGB/DDR zu entnehmen (BVerfG VIZ 2000, 308, 309; OLG Rostock, Beschluss vom 20. Februar 2003, I WsRH 28/01 - zitiert in juris Rdn. 30 ff.). Dieser sah Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vor. Hiervon ist auch in Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG auszugehen. Der Senat hat es unter rehabilitierungsrechtlichen Gesichtspunkten hinzunehmen, wenn die DDR als souveräner Staat staatlich oder gesellschaftlich tätige Bürger oder die öffentliche Ordnung unter besonderen strafrechtlichen Schutz stellte (BVerfG NJW 2000, 418, 419). Eine über die Mindeststrafe hinausgehende Verurteilung des Betroffenen kam allerdings nicht in Betracht. Jeder weitere Monat Freiheitsentziehung verstieß auch aus Sicht der Strafjustiz der DDR (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2006, 2 Ws (Reha) 10/06 - zitiert in juris Rdn. 12; OLG Jena, Beschluss vom 5. Mai 2008, 2 Ws Reha 7/08 - zitiert in juris Rdn. 12) gegen das Übermaßverbot und lässt auf politische Motive schließen. Dies hat die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches zur Folge, soweit er über eine Freiheitsstrafe von einem Jahr hinausgeht.
3. Im Ãœbrigen findet eine Rehabilitierung nicht statt.
Eine weitergehende politische Verfolgung des Betroffenen durch das Urteil des Kreisgerichts schließt der Senat aus. Es wurden Taten bestraft, die auch nach heutigen Maßstäben mit Strafe bedrohtes kriminelles Unrecht sind (vgl. KG VIZ 1993, 127, 128; 462). Für die Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz kommt es ohne Bindung an die Feststellungen der DDR auf die Tat an, wegen der die Verurteilung erfolgte (BVerfG DtZ 1995, 398, 399; NJW 2000, 418, 420 f.; Beschluss vom 13. Mai 2009, 1 BvR 718/08). Danach hat der Betroffene Mitarbeiter der Abteilung Inneres beleidigt und bedroht, die Mitarbeiter der Polizei beleidigt sowie sich darüber hinaus ggf. der Verleumdung und üblen Nachrede schuldig gemacht. In der DDR erfüllte dies die Straftatbestände der Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit und zwar im schweren Fall (§§ 214 Abs. 2, 216 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4 StGB/DDR), der öffentlichen Herabwürdigung nach § 220 Abs. 1 StGB/DDR und der Beleidigung (§§ 137, 139 Abs. 3 StGB/DDR). Diese sind nicht Bestandteil des Katalogs des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG, womit allein aus den angewandten Normen heraus keine politische Verfolgung des Betroffenen folgt.
Auch darüber hinaus lassen sich - mit Ausnahme des bereits angesprochenen Vergleichs und der über ein Jahr hinausgehenden Freiheitsstrafe - eine politische Dimension der Verurteilung oder eine Rechtsstaatswidrigkeit aus sonstigen Gründen nicht erkennen. Das Verfahren verlief strafprozessual ordnungsgemäß. Der Betroffene hatte einen Verteidiger, die Öffentlichkeit war gewahrt, die Tat wurde durch Zeugen belegt und schließlich räumte der Betroffene das angeklagte Geschehen ein. Dementsprechend richtete sich die damalige Berufung des Betroffenen auch lediglich gegen das Strafmaß.
4. Die Dauer der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 3 StrRehaG) bestimmt sich nach der Differenz zwischen dem verbüßten und dem nicht aufgehobenen, mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung vereinbaren Teil der erkannten Strafe, selbst wenn es zu einer Strafaussetzung zur Bewährung kam (BGH NJW 1995, 342 f.; a.A. Gropp NStZ 1995, 236 f.). In Haft befand sich der Betroffene vom 15. November 1979 bis zum 15. Oktober 1980. Danach hat er keine Freiheitsentziehung zu Unrecht erlitten.
5. Der Anspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen folgt aus §§ 12 Abs. 2 Nr. 4; 6 Abs. 1 StrRehaG.
Der Senat geht von einem hälftigen Erstattungsanspruch des Betroffenen aus.
6. Die Heimerziehung des Betroffenen führt zu keinem weitergehenden Anspruch auf Rehabilitierung.
Wie der Senat in letzter Zeit wiederholt ausgesprochen hat, kann nach der Änderung des § 2 StrRehaG durch das Vierte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 2. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1744) nicht mehr zweifehlhaft sein, dass die Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche als Freiheitsentziehung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG zu betrachten ist. Die Aufhebung einer solchen Maßnahme setzt jedoch weiterhin die politische Verfolgung oder sonstige sachfremde Zwecke voraus. Hierfür hat das Landgericht zutreffend keine Anhaltspunkte gesehen. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass ein zwölfjähriges Kind politisch verfolgt wurde. Für andere sachfremde Zwecke findet sich kein Anhaltspunkt.
7. Die mit der Beschwerde vorgebrachte Unterbringung des Betroffenen in der Psychiatrie ist neu und als weiterer Rehabilitierungsantrag auszulegen, dessen Sachverhalt zunächst ermittelt werden muss.
Hierfür sind die Landgerichte zuständig (§ 8 StrRehaG), wohin der Senat die Sache zur weiteren Veranlassung weiterleitet.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 StrRehaG und § 473 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG.
Abschließend weist der Senat auf die Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung hin.
gez. Henss gez. Becker gez. Krause-----------------------------------------------------
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