Text des Beschlusses
10 W 32/10;
Verkündet am:
12.11.2010
OLG Oberlandesgericht
Naumburg
Vorinstanzen:
21 OH 9/09
Landgericht
Stendal;
Rechtskräftig: unbekannt!
Ist ein Hauptsacherechtsstreit noch nicht anhängig, so ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre
Leitsatz des Gerichts:
1. Ist ein Hauptsacherechtsstreit noch nicht anhängig, so ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre.
2. Der Antragsteller muss daher die Hauptsache als insoweit zuständigkeitsbegründende Tatsache in der Antragsschrift hinreichend konkretisieren und glaubhaft machen. Der Mindestgehalt der Konkretisierung kann dabei § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entnommen werden.
3. Stehen dem Antragsteller für das Hauptsacheverfahren materiell verschiedene Gestaltungsrechte zur Verfügung, die unterschiedliche Gerichtsstände begründen würden, kann er nicht offen lassen, welches er in der Hauptsache verfolgen will (hier näher ausgeführt für Kaufgewährleistungsansprüche).
In der Beschwerdesache
…
hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richterin am Oberlandesgericht Göbel als Einzelrichterin (s. § 568 Abs. 1 S. 1 ZPO) am 12.November 2010 gemäß § 127 Abs. 1 S.1 ZPO beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal vom 26. März 2010 wird zurück gewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 567 Abs.1 Nr.1 ZPO statthafte und gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 3, 569 Abs. 1 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Landgericht hat die für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens beantragte Prozesskostenhilfe in der angefochtenen Entscheidung zu Recht verweigert, weil es für die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens nicht nach § 486 Abs. 2 ZPO zuständig ist. Die Prozesskostenbewilligung obliegt gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 ZPO jedoch allein dem für das Hauptsacheverfahren zuständigen Prozessgericht.
Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das selbständige Beweisverfahren durch das angerufene Landgericht scheitert hier daran, dass aus dem Antrag nach § 485 ZPO die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stendal für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht zweifelsfrei hervorgeht. Auf diesen Umstand hat das mit dem Prozesskostenhilfegesuch befasste Landgericht den Antragsteller wiederholt, nämlich mit Verfügung vom 11. Januar 2010 und zuletzt vom 15. Februar 2010, hingewiesen und einen Verweisungs- bzw. einen Abgabeantrag angeregt. Dem ist der Antragsteller indessen nicht nachgekommen, so dass sein Prozesskostenhilfegesuch wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts abzulehnen war, da die Prozesskostenhilfebewilligung dem gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 ZPO für die Hauptsache zuständigen Prozessgericht vorbehalten bleiben muss (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2003, 621 zitiert nach juris; OLG Saarbrücken NJW-RR 1990, 575 zitiert nach juris; Geimer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 114 ZPO Rn. 22 a). Dass dies hier das Landgericht Stendal ist, hat der Antragsteller mit seinem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens jedoch nicht mit der gebotenen Substanz dargetan.
I.
Ist ein Hauptsacherechtstreit – wie auch hier - noch nicht anhängig, so ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 486 Abs. 2 S. 1 ZPO bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre.
Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, folgt hieraus die Notwendigkeit, dass der Antragsteller die Hauptsache in seiner Antragsschrift hinreichend konkretisiert und die insoweit zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nach § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft macht. Er muss deutlich machen, welches Ziel (z.B. Wandlung, Minderung, großer oder kleiner Schadenersatz) er mit der späteren Klage zu verfolgen beabsichtigt. Der Mindestgehalt der Konkretisierung kann dabei § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entnommen werden. Das heißt, Art und voraussichtlicher Umfang des Anspruchs samt der diesen begründenden Tatsachen müssen – wie bei § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Individualisierung des Streitgegenstandes – dargelegt werden (vgl. Huber in Musielak, ZPO, 7. Aufl., § 486 ZPO Rdn. 4 m.w.N.; Herget in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 486 ZPO Rdn. 4 m.w.N.; Fischer, Selbständiges Beweisverfahren – Zuständigkeits- und Verweisungsfragen, MDR 2001, 608, 609; Cuypers, Das selbständige Beweisverfahren in der juristischen Praxis, NJW 1994, 1988). Das Gericht muss erforderlichenfalls darauf dringen, dass der Antragsteller seinen Anspruch bezeichnet (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 486 ZPO Rdn. 4 m.w.N.). Seiner prozessualen Fürsorgepflicht hat das Landgericht hier entsprochen, indem es den Antragsteller mit Hinweisverfügung vom 11. Januar 2010 und erneut vom 15. Februar 2010 zur näheren Individualisierung des verfolgten Anspruchs aufgefordert hat.
II.
Dem Vorbringen des Antragstellers lässt sich nicht entnehmen, dass das Landgericht Stendal in einem beabsichtigten Hauptsacheverfahren zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre.
Soweit der Antragsteller dagegen meint, er müsse sich in diesem ein späteres Hauptsacheverfahren allenfalls vorbereitenden Verfahrensstadium hinsichtlich der ihm nach § 437 BGB zur Wahl stehenden Kaufgewährleistungsansprüche noch nicht festlegen, weil bei allen für ihn in Betracht kommenden Alternativen, nämlich Wandlung, Schadensersatz und Nacherfüllung, das angerufene Landgericht Stendal zuständig sei, geht er dagegen fehl. Der Gerichtsstand ist nicht für alle Gewährleistungsansprüche der gleiche.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stendal folgt hier insbesondere nicht aus dem besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO. Dass der Erfüllungsort der kaufvertraglichen Gewährleistungspflicht am Wohnsitz des Antragstellers liegt, geht aus dem Antragsvorbringen nämlich nicht hervor.
In seiner Antragsschrift macht der Antragsteller Schadensersatzansprüche gegen die Antragsgegnerin geltend und stützt diese in erster Linie auf einen Sachmangel der verkauften Shorts sowie auf die Verletzung von kaufvertraglichen Untersuchungs-, Aufklärungs- und Hinweispflichten.
Wäre mit dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch zugleich ein Rücktritt vom Kaufvertrag verbunden (sog. großer Schadensersatzanspruch nach §§ 437 Nr.3, 280, 281 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB), so wäre dem Antragsteller allerdings darin beizupflichten, dass Erfüllungsort und damit gemäß § 29 ZPO Gerichtsstand sein Wohnsitz wäre, da sich die Kaufsache nach dem Vertrag an seinem Wohnort befindet und auch dort zurück zu gewähren ist. Schadensersatzansprüche, die sich als sog. großer Schadensersatz auf die Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache richten, sind an dem Ort zu erfüllen, an dem sich der Kaufgegenstand nach dem Vertrag befindet (vgl. BayObLG MDR 2004, 646 – 647 zitiert nach juris; KG Berlin KGR 2008, 849; OLG Hamm MDR 1989, 63; Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 25 Stichwort: „Kaufvertrag“), hier mithin am Wohnsitz des Antragstellers.
Über eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages und damit zu dem großen Schadenersatz statt der Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 281 BGB hat sich der Antragsteller – trotz der wiederholten Hinweisverfügungen des Landgerichts – indessen nicht verhalten. Er meint vielmehr, sich im Hinblick auf sein zukünftiges Anspruchsbegehren noch nicht festlegen zu müssen. Soweit der Antragsteller seinen aber auf die Geltendmachung von Schadenersatz ohne Rückgängigmachung des Vertrages beschränkt (sog. kleiner Schadensersatzanspruch), worauf sein Sachvorbringen aus seiner Antragsschrift hinweist, wird der sog. Austauschort am Wohnsitz des Antragstellers nicht relevant.
Schadensersatzansprüche wegen Sachmängeln sind bei Geltendmachung des sog. kleinen Schadenersatzes ohne Rückgängigmachung des Kaufs am Ort der Primärverletzung, deren Nichterfüllung den Schadensersatzanspruch auslöst, zu erfüllen (vgl. BGHZ 98, 272; KG Berlin KGR 2008, 849; Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 23, Rdn. 25 Stichwort „Kaufvertrag“). Der Erfüllungsort für die Lieferpflicht gilt insoweit auch für die Schadensersatzpflicht wegen Schlechterfüllung (vgl. BGHZ 98, 272 zitiert nach juris; Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 23, Rdn. 25 Stichwort „Kaufvertrag“).
Die Parteien haben hinsichtlich der via Internet bestellten Waren einen Versendungskauf vereinbart. Im Versandhandel liegt im Zweifel gemäß § 269 Abs. 1, Abs. 3 BGB eine qualifizierte Schickschuld vor. Leistungsort für die von dem Antragsgegner zur Bewirkung der Leistung vorzunehmende Handlung war insoweit ihr Geschäftssitz in München (§ 269 Abs. 1, Abs. 3 BGB).
Leistungsort für die dem Verkäufer obliegende Verpflichtung zur Übergabe der Kaufsache an den Käufer und zur Verschaffung des Eigentums an ihr (§ 433 Abs. 1 BGB) ist im Zweifel der Sitz des Verkäufers, sofern ein anderer Ort für die Leistung weder von den Beteiligten bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur der Schuldverhältnisse, zu entnehmen ist (§ 269 Abs. 1 BGB). Dass die Parteien hier ausdrücklich oder stillschweigend einen vom Sitz der Antragsgegnerin abweichenden Erfüllungsort für die Lieferung der Shorts vereinbart haben, macht der Antragsteller nicht geltend und dies ist hier auch nicht ersichtlich. Aus den Umständen, etwa der Natur des vorliegenden Kaufvertrages, ergibt sich gleichfalls nichts Derartiges. Dass es im Versandhandel typischerweise Aufgabe des Verkäufers ist, die Versendung der Kaufsache – auf eigene oder fremde Kosten – zu veranlassen, begründet für sich allein nicht die Annahme, der Empfangsort solle auch Leistungsort (Erfüllungsort) für die Lieferpflicht des Verkäufers sein (arg. § 269 Abs. 3 BGB). Es bleibt daher bei der Vermutung des § 269 Abs. 1 BGB, wonach der Sitz der Antragsgegnerin Erfüllungsort für die ihr obliegende Verkäuferpflicht war (vgl. BGH NJW 2003, 3341 – 3342 zitiert nach juris). Die Tatsache, dass es sich vorliegend um einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 BGB handelt, ändert nichts an den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der qualifizierten Schickschuld. Der Erfüllungsort bestimmt sich vielmehr – mit allen materiellen und prozessualen Folgen – auch im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs nach § 269 BGB. Die streitige Lieferverpflichtung, wegen deren nicht gehörigen Erfüllung der Antragsteller Schadensersatz verlangt, war danach am Sitz der Antragsgegnerin zu erfüllen.
Für die Geltendmachung des kleinen, nicht auf eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages gerichteten Schadensersatzanspruches ist der Gerichtsstand nach § 29 ZPO in Verbindung mit § 269 Abs. 1, Abs. 3 BGB nach alledem am Sitz der Antragsgegnerin begründet.
Das Landgericht Stendal ist mangels Zuständigkeit für die in der Hauptsache beabsichtigte Schadensersatzklage dementsprechend auch nicht zur Entscheidung über den Antrag nach § 485 ZPO berufen (§ 486 Abs. 2 S. 1 ZPO). Eine Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe war dem Landgericht danach gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 ZPO ebenso verwehrt.
Da anhand des Vorbringens des Antragsstellers bereits nicht ersichtlich wird, dass ein Gerichtsstand bei dem Landgericht Stendal nach § 29 ZPO begründet ist, kommt es auf die zwischen den Parteien des weiteren streitige Frage, ob der Antrag – nach dem Vortrag des Antragstellers - die sachliche Zuständigkeitsgrenze des Landgerichts nach §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG zu erreichen vermag, nicht mehr an.
Da der Antragsteller eine Verweisung des Prozesskostenhilfeverfahrens entsprechend § 281 ZPO nicht beantragt hat, ist dem Antragsteller die beantragte Prozesskostenhilfe insgesamt zu versagen gewesen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht im Hinblick auf die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens auf § 97 Abs. 1 ZPO; im übrigen findet eine Kostenerstattung nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist nicht nach § 574 Abs. 1 ZPO zuzulassen gewesen, da die qualifizierten Zulassungsgründe nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
gez. Göbel-----------------------------------------------------
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