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Text des Beschlusses
1 Ss Bs 41/10;
Verkündet am: 
 30.09.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
420 Js 35554/09 – 93 OWi
Amtsgericht
Stadtroda;
Rechtskräftig: unbekannt!
Ordnungswidrigkeiten, Fahrverbot, existenzgefährdendes Fahrverbot, Existendgefährung, Verkehr, wirtschaftliche Verhältnisse
Leitsatz des Gerichts:
StVG § 25; OWiG § 17

Eine eingehende Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen kann erforderlich werden, wenn das Gericht ein Absehen vom Regelfahrverbot wegen Existenzgefährdung mit der Begründung ablehnt, der als Alleinunternehmer tätige Betroffene könne während der Dauer des dreimonatigen Fahrverbots einen Fahrer einstellen.
In dem Bußgeldverfahren

gegen
J N,
geboren am in P/ Polen,
wohnhaft: M
Verteidiger: Rechtsanwalt Z
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amts­ge­richts Stadtroda vom 11.02.2010 der Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger, Richterin am Oberlandesgericht Pesta und Richterin am Oberlandesgericht Dr. Arend am 30. September 2010 beschlossen:

Das Urteil des Amts­gerichts Stadtroda vom 11.02.2010 wird im Rechts­fol­genausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufge­ho­ben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Stadtroda zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.



Gründe:


I.

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, am 23.05.2009 gegen 04.32 Uhr auf der Bun­desautobahn 9 in Richtung Berlin bei Kilometer 187,0 als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen M die dort zulässige Höchst­ge­schwindigkeit von 100 km/h um 82 km/h überschritten zu haben.

Wegen die­ser Verkehrsordnungswidrigkeit wurden mit Bußgeldbescheid der Zen­tra­len Buß­geldstelle der Thüringer Polizei vom 04.08.2009 gegen den Betroffe­nen ei­ne Regelgeldbuße von 600,- € und ein Regelfahrverbot von 3 Monaten und damit die nach der Bußgeldkatalogverordnung für eine fahrlässige Ge­schwin­dig­keitsübertretung vorgesehenen Sanktionen fest­ge­setzt.

Auf den hiergegen form- und fristgerecht erhobenen Einspruch des Be­troffe­nen hat ihn das Amtsgericht Stadtroda am 11.02.2010 wegen vorsätzlicher Über­­­­schrei­tung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 82 km/h zu einer erhöhten Geldbuße von 1.000,- € und einem dreimonatigen Regel­fahr­­­ver­bot verurteilt.

Mit am 18.02.2010 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Ver­tei­­digers hat der Betroffene Rechtsbeschwerde gegen das Urteil erhoben und diese nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils am 17.03.2010 am 19.04.2010 mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Mit der Sach­rü­ge beanstandet der Betroffene insbesondere, dass die An­nahme einer vor­sätz­­lichen Geschwindigkeitsübertretung nicht gerechtfertigt sei. Auch enthal­te das Urteil nur unzureichende Feststellungen zu seinen wirtschaft­li­chen Ver­­hältnissen. Deren Ermittlung sei nicht nur wegen der Höhe der verhängten Geldbuße erforderlich gewesen. Vielmehr hätte der Tatrichter auch im Hin­blick auf die im Urteil erwogene Mög­lichkeit der Überbrückung des für ihn als selb­stän­digen Alleinunternehmer im Baugewerbe existenzbedrohenden drei­mo­natigen Fahrverbots durch Anstellung eines Fahrers prüfen müssen, ob seine wirtschaftlichen Verhältnisse dies überhaupt erlaubten, was nicht der Fall sei.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 09.08.2010 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Sie ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthaft, form- und fristgerecht erhoben und mit der erhobenen Sach­rüge form- und fristgerecht begründet.

2. Sie hat in der Sache insoweit einen (vorläufigen) Teilerfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch führt.

a) Dagegen ist das angefochtene Urteil im Schuldspruch nicht zu bean­stan­den.

Insoweit wird auf die Aus­füh­run­­­gen in der dem Verteidiger des Betroffe­nen übermittelten Stellungnahme der Thüringer Generalsstaatsanwaltschaft ver­­wiesen, denen sich der Senat an­­­schließt.

Insbesondere ist der Senat mit der Thüringer Generalstaatsan­walt­schaft der Auffassung, dass der Tatrichter rechtsfehlerfrei von einem vorsätz­li­chen Ge­schwin­­­digkeitsverstoß ausgegangen ist. Hierzu ist in dem ange­fochtenen Ur­teil festgestellt, dass die Verkehrszeichen 274, welche die Geschwindigkeit an der – senatsbekannt im Bereich des Hermsdorfer Kreuzes liegenden – Mess­stelle auf 100 km/h begrenzen, beidseitig der Richtungsfahrbahn des Be­troffenen vor der bei km 187,0 liegenden Messstelle an gleich zwei auf­ein­ander­fol­genden Stellen, und zwar bei km 189,0 und bei km 187,7, aufgestellt sind. Im Hinblick darauf hat es der Tatrichter auch unter Berücksichtigung der zum Tatzeitpunkt herrschenden Dunkelheit für ausgeschlossen gehalten, dass der Betroffene – was er ausweislich des Urteils auch nicht behauptet hat – die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung übersehen habe, wo­bei er auch darauf abgestellt hat, dass allgemein bekannt sei, dass „an der­art stark befahrenen Autobahnkreuzen in ganz Deutschland Geschwindig­keits­­beschränkungen vorhanden sind“ und eine derart große Geschwindig­keits­­überschreitung wie die vorliegende eine vorsätzliche Begehungsweise in­diziert. Dies ist nicht zu bemängeln, zumal umgekehrt die Annahme bloßer Fahr­lässigkeit bei einer solch ungewöhnlich großen Überschreitung der höchst­zulässigen Geschwindigkeit besonderer Begründung bedurft hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 07.06.2007, 1 Ss 51/07, bei juris).

b) Soweit es den Rechtsfolgenausspruch betrifft, hat der Tatrichter zu den per­sönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen Folgendes festgestellt:

„Der Betroffene ist 36 Jahre alt. Er ist ledig und hat 1 Kind. Er ist pol­ni­scher Staatsangehöriger. Nach eigenem Bekunden ist er als selb­stän­diger Fliesen- und Parkettleger als Alleinunter­neh­mer tätig. Er zahlt für seine ehemalige Freundin und seine derzeitige Freun­din die Mieten für deren Wohnungen. Dabei beläuft sich die Miete für seine Ex-Freundin alleine auf 600,- Euro. Somit kann von geordneten wirt­schaft­lichen Verhältnissen ausgegangen werden, da ansonsten neben dem eigenen Lebensbedarf solche hohen Kosten nicht gezahlt werden könnten.“

aa) Soweit es die Bemessung der Geldbuße betrifft, welche der Tatrichter – aus­­gehend von der nach der Bußgeldkatalogverordnung für eine ent­spre­chen­de fahrlässige Geschwindigkeitsübertretung vorgesehenen Regelgeld­bu­ße von 600,- € - wegen vorsätzlicher Begehung der Tat auf 1.000,- € erhöht hat, sind diese Feststellungen ausreichend.

Mit der Angabe der Berufstätig­keit des Be­troffenen, die mangels entgegenstehender Anhaltspunkte regel­mä­ßig auf durch­­schnitt­li­che wirtschaftliche Verhältnisse hinweist, hat der Tat­richter die­se nicht rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen, sondern vielmehr er­kennbar in Betracht gezogen. Zudem hat der Tatrichter den Umstand, dass der Be­troffene außer für den eigenen Lebensunterhalt auch für die Miet­zah­­lun­gen seiner jetzigen und seiner ehemaligen Freundin aufkommt, die nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen die Mutter seines unterhaltsberechtigten Kin­­des ist, zutreffend als Indiz für dessen vorhandene Leistungs­fä­hig­keit bzw. dafür gewertet, dass keine ungewöhnlich schlechten, der ange­ge­benen selb­ständigen Erwerbstätigkeit üblicherweise nicht entsprechenden wirt­schaft­­­li­chen Ver­hält­nisse vorliegen. Da sich die Regelsätze der Bußgeldkata­log­verordnung an durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen orientie­ren und auch die wegen Vorsatzes vorgenommene relativ moderate Erhöhung des ein­schlä­gigen Regelsatzes insgesamt nicht zu einer dazu unverhältnis­mäßig hohen Geldbuße führt, ist dies nicht zu beanstanden.

bb) Allerdings hätte es im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit dem ver­hängten Regelfahrverbot von drei Monaten ausnahmsweise einer ein­ge­hen­de­ren Erör­terung der persönlichen und wirtschaftlichen Ver­hält­nisse des Be­troffenen im angefochtenen Urteil bedurft, wobei vor allem auch dessen un­ge­fähre Ein­nahmen bzw. Umsätze festzustellen und zu berücksichtigen ge­we­sen wären.

Die im Urteil enthaltene Angabe, dass der Betroffene als selb­ständiger Alleinunternehmer im Bau­gewerbe tätig ist, legt eine existenz­ge­fähr­­dende Wirkung des verhängten Fahrverbots nahe. Denn ein Allein­unter­neh­mer kann sich – anders als ein Un­ternehmer, der über weitere Mitarbeiter ver­fügt und möglicherweise sogar Lehr­linge ausbildet – für die Zeit des Fahr­ver­bots kei­ner anderen Beschäftigten seines Unternehmens als Fahrer be­die­nen. Der Be­troffene, der aufgrund der Art seiner Tätigkeit zur Akquirierung und Ab­ar­beitung von Auf­trägen auf ein Fahrzeug angewiesen ist, müsste also zur Über­brückung des dreimonatigen Fahrverbots entweder Verwandte oder Bekannte ge­win­nen, die ihn ohne Entlohnung drei Monate lang täglich zu Baustellen fahren und von dort wieder abholen oder für diese Zeit einen Fahrer beschäftigen. Dem­ent­sprechend hat der Tatrichter im Zusammenhang mit dem Fahrverbot aus­ge­führt:

„Dabei sieht das Gericht schon die Problematik, dass er als Alleinunternehmer auf seine Fahrerlaubnis angewie­sen ist. Jedoch besteht für die Dauer von 3 Monaten durchaus die Mög­lich­keit, einen Fahrer zu beschäftigen und damit seinen Geschäfts­be­trieb fortzuführen.“

Ob diese Möglichkeit, die mit einem Kostenaufwand verbunden wäre, der den Be­trag der verhängten Geldbuße von 1.000,- € weit übersteigt, dem Betroffe­nen aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse tatsächlich offen stünde, kann indes mangels Urteilsangaben zu seinen Einnahmen oder Umsätzen nicht geprüft werden. Insoweit ist das Urteil lückenhaft, zumal der Tatrichter ge­rade auf die befristete Einstellung eines Fahrers zur Vermeidung einer ansonsten eintretenden Existenzbedrohung durch ein dreimonatiges Fahr­verbot verwiesen hat (vgl. auch Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 25.08,2003, 1 Ss 166/03, bei juris). Ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen eine (vollständige oder teilweise) Überbrückung des Fahrverbots auf diese Weise tatsächlich erlauben oder hierfür andere Möglichkeiten bestehen oder die Ver­hängung eines kürzeren Fahrverbots in Betracht gezogen werden muss, ist im Rahmen der neuen Hauptverhandlung zu klären.

Dr. Schwerdtfeger Pesta Dr. Arend
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Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).
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