Pressemitteilung
C-434/09 ;
Verkündet am:
05.05.2011
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt!
EU-Bürger, die noch nie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, können sich nicht auf die Unionsbürgerschaft berufen, um den Aufenthalt ihres aus einem Drittstaat stammenden Ehegatten zu legalisieren
Leitsatz des Gerichts:
EU-Bürger, die noch nie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, können sich nicht auf die Unionsbürgerschaft berufen, um den Aufenthalt ihres aus einem Drittstaat stammenden Ehegatten zu legalisieren
Solange diesen Personen nicht ihr Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, verwehrt wird, steht ihre Situation in keinerlei Zusammenhang mit dem Unionsrecht
Das Unionsrecht erlaubt dem Ehegatten eines Angehörigen eines Mitgliedstaats, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, bei diesem zu bleiben, und zwar auch dann, wenn der Ehegatte nicht die Staatsangehörigkeit eines Staats der Union besitzt.
Shirley McCarthy, eine Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, besitzt auch die irische Staatsangehörigkeit. Sie ist im Vereinigten Königreich geboren und hat stets dort gelebt, ohne jemals ihr Recht, sich im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten der Union frei zu bewegen und aufzuhalten, ausgeübt zu haben.
Nach ihrer Eheschließung mit einem jamaikanischen Staatsangehörigen beantragte Frau McCarthy zum ersten Mal überhaupt einen irischen Reisepass, der ihr ausgestellt wurde.
Daraufhin beantragte sie als irische Staatsangehörige, die sich im Sinne des Unionsrechts im Vereinigten Königreich aufhalten möchte, bei den britischen Behörden eine Aufenthaltsurkunde.
Ihr Ehemann beantragte eine Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Unionsbürgerin.
Ihre Anträge wurden mit der Begründung abgelehnt, Frau McCarthy könne ihren Aufenthalt nicht auf das Unionsrecht stützen und sich nicht auf dieses Recht berufen, um den Aufenthalt ihres Ehegatten zu legalisieren, da sie noch nie ihr Recht, sich in anderen Mitgliedstaaten als dem Vereinigten Königreich zu bewegen und aufzuhalten, ausgeübt habe.
Der mit diesem Rechtsstreit befasste Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Vereinigtes Königreich) fragt den Gerichtshof, ob sich auch Frau McCarthy auf die unionsrechtlichen Vorschriften berufen könne, die die Freizügigkeit von Personen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erleichtern sollen.
In seinem heutigen Urteil erläutert der Gerichtshof zunächst, dass die Richtlinie über die Freizügigkeit von Personen1 festlegt, wie und unter welchen Bedingungen die Unionsbürger ihr Recht auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausüben können. So betrifft die Richtlinie Fälle, in denen sich eine Person in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, begibt oder sich dort aufhält.
Der Gerichtshof weist hierzu darauf hin, dass nach einem völkerrechtlichen Grundsatz, der durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten2 bekräftigt wurde, der Aufenthalt von Unionsbürgern, die – wie Frau McCarthy – in dem Mitgliedstaat wohnen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, in diesem Mitgliedstaat nicht an Bedingungen geknüpft ist. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die Richtlinie 2004/38 nicht dazu bestimmt sein kann, auf diese Personen Anwendung zu finden.
Auch der Umstand, dass ein Unionsbürger die Staatsangehörigkeit mehr als eines Mitgliedstaats besitzt, bedeutet nicht, dass er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte.
Folglich entscheidet der Gerichtshof, dass die Richtlinie auf die Situation von Frau McCarthy nicht anwendbar ist.
In Bezug auf den Ehemann von Frau McCarthy stellt der Gerichtshof fest, dass, da er nicht der Ehegatte eines Angehörigen eines Mitgliedstaats ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, auch er die durch die Richtlinie verliehenen Rechte nicht in Anspruch nehmen kann.
Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Person wie Frau McCarthy als Staatsangehörige mindestens eines Mitgliedstaats den Unionsbürgerstatus genießt und sich daher auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat auf die mit diesem Status verbundenen Rechte berufen kann, insbesondere auf das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten. Dass die nationalen Behörden die irische Staatsangehörigkeit von Frau McCarthy für die Zwecke außer Acht gelassen haben, ihr ein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich zuzuerkennen, berührt diese jedoch weder in ihrem Recht, im Vereinigten Königreich zu bleiben, noch in ihrem Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Auch bewirkt die nationale Entscheidung nicht, dass Frau McCarthy der tatsächliche Genuss des Kernbestands weiterer mit ihrem Unionsbürgerstatus verbundener Rechte verwehrt würde.
Dementsprechend – so die Antwort des Gerichtshofs – steht die Situation von Frau McCarthy in Ermangelung nationaler Maßnahmen, die bewirken, dass ihr der tatsächliche Genuss des Kernbestands der sich aus dem Unionsbürgerstatus ergebenden Rechte verwehrt oder die Ausübung ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde, in keinerlei Zusammenhang mit dem Unionsrecht und fällt ausschließlich unter das nationale Recht.
Demnach kann Frau McCarthy ihren Aufenthalt im Vereinigten Königreich nicht auf Rechte stützen, die an die Unionsbürgerschaft anknüpfen.
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1 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigte Fassung: ABl. 2004, L 229, S. 35)
2 Die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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