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Text des Beschlusses
4 U 523/09;
Verkündet am: 
 14.03.2011
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
10 O 1048/06
Landgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
§ 321 a ZPO ist als sog. Anhörungsrüge ein Sonderfall einer Verfahrensrüge und unterliegt daher denselben Anforderungen, wie sie an eine Revisionsbegründung oder Wiedereinsetzungsbegründung gestellt werden
Leitsatz des Gerichts:
§ 321 a ZPO

1. § 321 a ZPO ist als sog. Anhörungsrüge ein Sonderfall einer Verfahrensrüge und unterliegt daher denselben Anforderungen, wie sie an eine Revisionsbegründung oder Wiedereinsetzungsbegründung gestellt werden.

2. Der Prüfungsmaßstab verlangt daher eine substantiierte Darstellung des (angeblichen) Gehörsverstoßes und seiner Entscheidungserheblichkeit. In der Rügebegründung sind mithin die einzelnen Umstände darzulegen, aus denen sich eine relevante Gehörsverletzung ergibt und ferner, warum die Entscheidung ohne diese Verletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Fehlt es hieran, kann die Rüge bereits als unzulässig verworfen werden.
In dem Rechtsstreit
A. S.
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen
1. Dr. D.-M. G.
2. Dr. med. O. H.
3. S.- und H. Klinikum W. gGmbH,
4. S. B.
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Landgericht von Schmettau am 14.03.2011 beschlossen:

Die Anhörungsrüge der Beklagten zu 1. und 3. vom 19.01.2011 gegen das Urteil des Senats vom 04.01.2011 wird kostenpflichtig verworfen.


Gründe:


I.

Die Klägerin hat in dem durch das o.g. Senatsurteil beendeten Rechtsstreit die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen; und zwar wegen (streitiger) Behandlungs-, Aufklärungs- und Organisationsfehler im Zusammenhang mit der Totgeburt eines Kindes im März 2000.

Das Landgericht Erfurt hatte die Klage mit Urteil vom 27.05.2009 – Az.: 10 O 1048/06 – abgewiesen. Der Senat hat das von der Klägerin angefochtene Urteil im Ergebnis der in zweiter Instanz ergänzten Beweisaufnahme (nochmalige Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. Spätling) abgeändert und die Beklagten zu 1. und 3. (als Gesamtschuldner) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 7.500 € verurteilt. Die tragenden Erwägungen hierfür lauten (eingangs der Entscheidungsgründe zusammengefasst) wie folgt:

„In Gesamtwürdigung der erstinstanzlichen, insbesondere aber der zweit-instanzlich ergänzten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Spätling steht zur Überzeugung des Senats fest, dass den Beklagten zu 1. und 3. ein haftungsrelevantes Organisationsverschulden im Notfallmanagemanagement anzulasten ist, das deswegen als grob eingeschätzt werden muss, weil im Fall der (risikoschwangeren) Klägerin eine zeitnahe Notsectio (Notschnittentbindung) mit Überlebenschancen für das Kind nicht gewährleistet war. Der grobe Organisationsfehler liegt darin, dass die (zu) weite Entfernung der Normalstation von dem – zwei Etagen höher gelegenen – Kreißsaal- und Operationstrakt nicht mit einem auf diese schlechten baulichen Voraussetzungen zugeschnittenen (besonderen) Notfallmanagement ausgeglichen wurde. Auf die im Fall der Klägerin eingetretene Notfallsituation konnte deshalb nur zeitlich verzögert reagiert werden. Die Entscheidung zur Notsectio (um 19.48 Uhr) fiel zu spät erst 13 Minuten nachdem die starke Blutung (um 19.35 Uhr) von der Stationsschwester bemerkt worden war; deshalb hat es bis zur Entbindung (um 20.09 Uhr) zu lange und nicht tolerierbare 34 Minuten gedauert; eine Überlebenschance für das Kind bestand bei dieser Sachlage nicht.

Unter dem vorstehend skizzierten Aspekt des generalisierten Qualitätsmangels (Organisations- und Koordinierungsverschulden) haften zwar die Beklagten zu 1. und 3. (§§ 280 Abs. 1, 278, 823 Abs. 1 und 2, 31, 89, 831, 253 BGB, 229 StGB), nicht aber die Beklagten zu 2. und 4. auf immateriellen Schadensersatz; für letztere besteht weder ein vertraglicher, noch ein deliktischer Haftungstatbestand.“


Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigtem am 05.01.2011 zugestellte Berufungsurteil wenden sich die Beklagten zu 1. und 3. mit ihrer – an diesem Tag eingegangenen – Anhörungsrüge vom 19.01.2011.

Zur Begründung der Rüge beziehen sie sich im Wesentlichen auf die Behandlungsunterlagen und den dort dokumentierten Verlauf der letzten (kritischen) 34 Minuten von 19.35 Uhr bis zur Geburt um 20.09 Uhr, den sie – z.T. unter Berufung auf als unerledigt monierte Beweisangebote (Zeugnis der Stationsschwestern etc.) – anders bewerten als es der Senat getan hat. Auf der Grundlage der eigenen (anderen) Bewertung des zeitlichen Ablaufs der Ereignisse und mit dem (zusätzlichen) Argument, der Sachverständige habe das Klinikgebäude nicht selbst in Augenschein genommen, erhebt die Rügebegründung den Vorwurf der nicht hinreichend geklärten bzw. falschen Anknüpfungstatsachen; „ohne genaue Kenntnis der Örtlichkeiten und der seinerzeitigen tatsächlichen Abläufe“ sei der Sachverständige gar nicht in der Lage gewesen, zur Frage eines Organisationsverschuldens fundiert Stellung zu nehmen. Das rechtliche Gehör der Beklagten sei aber nicht nur wegen des angetretenen, aber nicht ausgeschöpften Sachverständigenbeweises verletzt, sondern – so die Rügeschrift abschließend – auch deshalb, weil die rechtliche Bewertung des (vom Senat angenommenen) Organisationsverschuldens als „grob“ nicht von dahingehenden Äußerungen des Sachverständigen gestützt werde.


II.

Die Anhörungsrüge (Gehörsrüge) bleibt ohne Erfolg.

Sie ist bereits unzulässig; im Übrigen wäre sie aber auch (jedenfalls) unbegründet.

Die Gehörsrüge gegen das im Instanzenzug unanfechtbare und deshalb rügefähige Senatsurteil vom 04.01.2011 ist zwar von den allein rügeberechtigten – zur Schmerzensgeldzahlung verurteilten und deshalb „beschwerten“ – Beklagten zu 1. und 3. statthaft (§ 321 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch fristgerecht (§ 321 Abs. 2 Satz 1 ZPO) eingelegt worden. Dennoch scheitert der Rechtsbehelf schon an einem formalen Mangel; nämlich daran, dass der Inhalt der Rügeschrift den Anforderungen an die Darlegung einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung nicht genügt.

Wie aus § 321 a Abs. 2 Satz 5, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO folgt, muss die Rüge das Vorliegen eines Falls der entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die angegriffene Entscheidung darlegen. Hierbei handelt es sich um den Sonderfall einer Verfahrensrüge. Es gelten daher dieselben Grundsätze wie bei der Zulässigkeitsprüfung einer Revisionsbegründung nach § 551 Abs. 3 Nr. 2b ZPO oder einer Wiedereinsetzungsbegründung nach § 236 Abs. 2 ZPO (Zöller, ZPO, 28. Aufl., Rdnr. 13 zu § 321 a). Zusätzlich hat sich die Gehörsrüge nach § 321 a ZPO stets auch auf die Beruhensfrage zu erstrecken; insoweit gehen die gesetzlichen Prüfungskriterien sogar noch über die strengen Anforderungen an die strafprozessuale (revisionsrechtliche) Verfahrensrüge des § 337 StPO hinaus (OLG Bamberg, Beschluss v. 30.03.2010 – Az.: 4 U 138/09 -, zitiert nach juris).

Der sich hieraus ergebende besondere (strenge) Prüfungsmaßstab verlangt eine substantiierte Darstellung des (angeblichen) Gehörsverstoßes und seiner Entscheidungserheblichkeit. In der Rügebegründung sind die einzelnen Umstände (Tatsachen, Verfahrenssituation u.a.) darzulegen, aus denen sich die (behauptete) Gehörsverletzung ergibt, ferner, warum die Entscheidung ohne die Gehörsverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre (Zöller a.a.O.; Musielak, ZPO, 6. Aufl., Rdnr. 9 zu § 321 a; MK-ZPO, 3. Aufl., Rdnr. 5 zu § 321 a).

Im Ergebnis bedeutet das, dass die den behaupteten Verstoß enthaltenden Tatsachen – einschließlich der den Bezugsrahmen der Bewertung bildenden Verfahrenssituation (Zöller a.a.O.) – so detailliert und genau dargestellt werden müssen, dass das Vorliegen (oder auch Fehlen) des in Rede stehenden Verfahrensmangels allein auf Grundlage der Rügeschrift beurteilt werden kann. Das angegangene Gericht – wie gegebenenfalls später auch das Bundesverfassungsgericht – muss bei seiner Prüfung und Entscheidung ohne Weiteres an die Rügebegründung anknüpfen können. Dabei schließt der (strenge) Darlegungsmaßstab auch ein, dass der Rügeführer auch die ihm nachteiligen Tatsachen nicht verschweigen darf; das gilt selbst für Fakten, die seiner Rüge (möglicherweise) den Boden entziehen könnten (OLG Bamberg a.a.O.).

Von der Einhaltung dieser Vorgaben ist die hier zu beurteilende Rügeschrift weit entfernt. Es fehlt am Vortrag einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung. Die Rügeschrift beschränkt sich vielmehr darauf, die rechtliche Bewertung des (weitgehend) unstreitigen, aus den Behandlungsunterlagen folgenden zeitlichen Ablaufs der Ereignisse sowie die Würdigung der (erst- und insbesondere zweitinstanzlichen) Ausführungen des Sachverständigen durch den Senat als falsch anzugreifen. Angriffe dieser Art sind aber für die auf die Gehörskontrolle beschränkte Rüge des § 321 a ZPO nicht geeignet. Rügegegenstand kann nur (jede) Verletzung des rechtlichen Gehörs sein; also des aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruchs, dass das erkennende Gericht das Parteivorbringen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht.

Dass der Senat diesen (verfassungsrechtlichen) Anforderungen mit dem angefochtenen Urteil nicht gerecht geworden sein soll, ist nicht dargetan; und zwar auch nicht für den im tatsächlichen (zeitlichen) Ablauf einzigen Punkt der abweichend vom Beklagtenvortrag erfolgten Feststellung (die Klägerin habe nicht selbst zur zeitlichen Verzögerung der Notsectio beigetragen).

Wie aus S. 20f. der Urteilsgründe folgt, hat sich der Senat sehr wohl mit dem Prozessvortrag der Beklagten auseinandergesetzt, die Klägerin habe ihren Transport in die 5. Etage (zum Kreiß- und OP-Saal) selbst um „mindestens drei Minuten“ verzögert. Diesen im Widerspruch zu den Behandlungsunterlagen stehenden (streitigen) Vortrag hat der Senat aus den im Urteil näher dargelegten Gründen – was die Rügebegründung verschweigt – als „völlig aus der Luft gegriffenen“ und deshalb unbeachtlichen (nicht beweisbedürftigen) Vortrag eingestuft. Fehlt es damit bereits an der gehörigen Darlegung einer Gehörsverletzung, ist im Übrigen auch deren Entscheidungserheblichkeit nicht substantiiert ausgeführt. Dass bei einer den Beklagten anzulastenden zeitlichen Verzögerung der Entscheidung zur Notsectio von immer noch beträchtlichen 10 Minuten – statt der im angegriffenen Urteil angenommenen 13 Minuten – eine den Beklagten zu 1. und 3. günstige (klageabweisende) Entscheidung nicht ausgeschlossen gewesen wäre, ist nicht ansatzweise dargetan.

Bei den sonstigen mit der Rügeschrift geführten Angriffen steht außer Frage, dass sie sich nur gegen die Beweiswürdigung und rechtliche Bewertung des Senats richten; d.h. allenfalls Gegenstand von (hier aber nicht möglichen) Revisionsrügen (§ 551 Abs. 3 ZPO), nicht aber der Gehörsrüge des § 321 a ZPO sein könnten.

Da die Rügebegründung – was aus § 321 a Abs. 4 Satz 1 ZPO („gesetzliche Form“) folgt – Zulässigkeitsvoraussetzung ist, war die Gehörsrüge der Beklagten zu 1. und 3. nach alledem als unzulässig zu verwerfen.

Lediglich ergänzend merkt der Senat an, dass die Gehörsrüge auch in der Sache haltlos ist, d.h. im Übrigen – wenn nicht bereits unzulässig – jedenfalls unbegründet wäre. Der Senat hat seiner Verpflichtung aus Art. 103 Abs. 1 GG genügt und das Vorbringen (auch) der Beklagten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.

Für den mit der Rügeschrift herausgegriffenen Punkt der (streitigen) Verzögerung durch die Klägerin selbst wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

Bei dem zweiten Punkt, dem sich die Rügebegründung näher widmet, gilt es zu sehen, dass das Gericht nicht alle, sondern nur die entscheidungserheblichen (wesentlichen) Einzelpunkte des Parteivorbringens in den Gründen der Entscheidung auch ausdrücklich bescheiden muss (BVerfGE 96, 205; BGH NJW-RR 2005, 1051). Unter dieser Prämisse waren Feststellungen und Ausführungen zu der – wie es die Rügeschrift formuliert – „genauen Ausgestaltung der Örtlichkeiten“ nicht veranlasst. Dass die Station, von der die stark blutende Klägerin in den Kreißsaal- und OP-Trakt gebracht werden musste, zwei Stockwerke entfernt lag und der Transport deshalb – Nutzung des Fahrstuhls als Vorzugsfahrt hin oder her – geraume Zeit dauern musste, stand und steht außer Frage. Im konkreten Fall war allein entscheidungserheblich, dass es vom Auffinden der stark blutenden Klägerin um 19.35 Uhr bis zu ihrer „Ablieferung“ im Kreißsaal um 19.46 Uhr und der dort (erst weitere zwei Minuten später) um 19.48 Uhr getroffenen Entscheidung zur zwingend indizierten schnellstmöglichen Notsectio (zu) lange 13 Minuten gedauert hat. Allein an diesen zeitlichen Rahmen – und dies unter der ausdrücklichen Prämisse des nicht zögerlich gehandhabten Transports von der 3. in die 5. Etage – knüpft die rechtliche (Be-)Wertung des grob fehlerhaften Notfallmanagements an. Konkreten Feststellungen zu der (genauen) baulichen Ausgestaltung des Klinikgebäudes bedurfte es deshalb nicht.

Die weiteren Angriffe der Rügeschrift sind – was ihre Begründetheit beträfe – ersichtlich haltlos. So bedarf es beispielsweise keiner weiteren Ausführung, dass es sich bei der Einstufung eines Qualitätsmangels als „grob“ oder (nur) „einfach“ um eine (allein) dem Gericht vorbehaltene Rechtsfrage handelt, die der Senat vorliegend – wie im Urteil ausführlich auf S. 21f. dargestellt – auf der (tatsächlichen) Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen beantwortet hat.


III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Wegen der Erfolgslosigkeit ihrer Gehörsrüge haben die Beklagten zu 1. und 3. die im Verfahren nach § 321 a ZPO angefallenen Gerichtskosten zu tragen. Eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten findet hingegen nicht statt, weil die Klägerin im Rügeverfahren von demselben Prozessbevollmächtigten wie in der Berufungsinstanz vertreten wurde; weitere Anwaltskosten sind mithin nicht angefallen (vgl. Zöller a.a.O., Rdnr. 17, 20 zu § 321 a).

(Müller) (von Schmettau) (Friebertshäuser)
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