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Pressemitteilung
C-119/09;
Verkündet am: 
 05.04.2011
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
EU-Dienstleistungs-RL: Nationale Regelung darf für Wirtschaftsprüfer kein absolutes Verbot von Kundenakquisehandlungen vorsehen
Leitsatz des Gerichts:
Eine nationale Regelung darf für Wirtschaftsprüfer kein absolutes Verbot von Kundenakquisehandlungen vorsehen

Ein solches durch die „Dienstleistungs“-Richtlinie untersagtes Verbot stellt eine Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Dienstleistungsverkehrs dar
Die „Dienstleistungs“-Richtlinie1 dient der Errichtung eines freien und wettbewerbsfähigen Dienstleistungsmarkts zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union. Sie sieht hierzu die Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten vor, wie absoluter Verbote aller Formen von kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe2, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbildes eines Unternehmens dienen. Im Übrigen soll die Richtlinie die Interessen der Verbraucher schützen, indem sie die Qualität der Dienstleistungen der reglementierten Berufe im Binnenmarkt verbessert.

Der französische Kodex der Standespflichten der Wirtschaftsprüfer untersagt den Angehörigen dieses Berufs Kundenakquisehandlungen, d. h. jegliche unaufgeforderte Kontaktaufnahme mit einem Dritten zu dem Zweck, diesem seine Dienstleistungen anzubieten. Ihre Teilnahme an Kolloquien, Seminaren oder anderen universitären oder wissenschaftlichen Veranstaltungen ist zulässig, soweit sie bei dieser Gelegenheit keine Handlungen vornehmen, die mit Kundenakquise gleichzusetzen sind.

Die Société fiduciaire ersuchte den Conseil d’État, diese Regelung für nichtig zu erklären, da sie der Ansicht ist, dass das darin enthaltene Verbot der „Dienstleistungs“-Richtlinie zuwiderlaufe.

Der Conseil d’État beschloss, den Gerichtshof um Auskunft hinsichtlich der Auslegung dieser Richtlinie zu ersuchen, und legte ihm die Frage vor, ob die Mitgliedstaaten Angehörigen eines reglementierten Berufs – wie des Wirtschaftsprüferberufs – allgemein verbieten dürfen, Kundenakquisehandlungen vorzunehmen.

Nach Ansicht des Gerichtshofs erweist sich zunächst, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass dieser Richtlinie zum einen absolute Verbote jeglicher Form von kommerzieller Kommunikation für Angehörige reglementierter Berufe beseitigen wollte. Zum anderen beabsichtigte er die Beseitigung von Verboten, eine oder mehrere Formen der kommerziellen Kommunikation, wie insbesondere Werbung, Direktmarketing und Sponsoring, zu verwenden. Als gemäß der Richtlinie untersagte absolute Verbote sind auch Berufsregeln anzusehen, nach denen es untersagt ist, in einem Medium oder in einer Reihe von Medien Informationen über den Dienstleister oder seine Tätigkeit zu veröffentlichen.

Es steht den Mitgliedstaaten jedoch frei, für reglementierte Berufe Verbote hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation vorzusehen, wobei die vorgesehenen Regelungen gerechtfertigt und verhältnismäßig sein müssen, um die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses zu gewährleisten.

Der Gerichtshof prüft sodann die Bedeutung des Begriffs der „Kundenakquise“, um festzustellen, ob diese als „kommerzielle Kommunikation“ anzusehen ist, für die ein Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie kein allgemeines und absolutes Verbot aufstellen darf.

Da das Unionsrecht keine Legaldefinition des Begriffs der „Kundenakquise“ enthält, legt der Gerichtshof diese aus als eine Form der Übermittlung von Informationen mit dem Ziel der Gewinnung neuer Kunden, die einen personalisierten Kontakt zwischen Dienstleistungserbringer und potenziellem Kunden impliziert, um diesem ein Dienstleistungsangebot zu unterbreiten. Sie lässt sich daher als Direktmarketing qualifizieren. Die Kundenakquise ist somit kommerzielle Kommunikation im Sinne der Richtlinie.

Der Gerichtshof antwortet daher, dass das für Wirtschaftsprüfer geltende Verbot, Kundenakquisehandlungen vorzunehmen, als nach der Richtlinie untersagtes absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation angesehen werden kann.

Das in der französischen Regelung weit gefasste Verbot untersagt nämlich jegliche Kundenakquisetätigkeit unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt oder den verwendeten Mitteln. Dieses Verbot untersagt somit alle Kommunikationsmittel, die die Durchführung von Kundenakquisetätigkeiten ermöglichen.

Ein solches Verbot ist daher als absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation anzusehen und stellt somit eine Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Dienstleistungsverkehrs dar. Dieses Verbot kann nämlich Berufsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten stärker beeinträchtigen, indem es ihnen ein wirksames Mittel nimmt, um in den französischen Markt einzudringen.

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1 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36). Die Mitgliedstaaten mussten diese Richtlinie spätestens bis zum 28. Dezember 2009 umsetzen.
2 Ein reglementierter Beruf ist „eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist …“

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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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