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Text des Urteils
1 U 40/10;
Verkündet am: 
 09.11.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Naumburg
Vorinstanzen:
36 O 246/09
Landgericht
Magdeburg;
Rechtskräftig: unbekannt!
Eine nachträgliche Überprüfung der vom Netzbetreiber bestimmten Netznutzungsentgelte nach § 315 Abs. 3 BGB ist regelmäßig auszuschließen, wenn der Netzbetreiber nur das nach § 23 a EnWG 2005 genehmigte Netznutzungsentgelt verlangt
Leitsatz des Gerichts:
1. Eine nachträgliche Überprüfung der vom Netzbetreiber bestimmten Netznutzungsentgelte nach § 315 Abs. 3 BGB ist regelmäßig auszuschließen, wenn der Netzbetreiber nur das nach § 23 a EnWG 2005 genehmigte Netznutzungsentgelt verlangt.

2. Wollte man dem nicht folgen, müsste das Vorliegen einer Genehmigung des Netznutzungsentgelts nach § 23 a EnWG 2005 im Rahmen einer Prüfung nach § 315 BGB zumindest zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast führen.

3. Der Senat lässt offen, ob § 111 EnWG auch einem auf Art. 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestützten kartellrechtlichen Anspruch entgegensteht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 102 S. 2 Buchstabe a) AEUV liegen nicht vor, wenn die Genehmigung der Preise im Falle der Stromnetznutzungsentgelte zunächst gegen einen Missbrauch einer Monopolstellung spricht und es dem Kläger nicht gelingt, diesen Anschein zu erschüttern.
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und Grimm sowie die Richterin am Oberlandesgericht Göbel auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2010 für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28.04.2010 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.


und beschlossen:

Der Streitwert wird auf bis zu ... Euro festgesetzt.


Gründe:


A.

Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Klage die Rückzahlung von Netznutzungsentgelten.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die „L. – Z. GmbH und Co. KG”, leitete in dem Zeitraum von Oktober bis Dezember 2006 Strom durch das Netz der Beklagten. Grundlage war ein Händlerrahmenvertrag zur Nutzung des Netzes der Beklagten vom 11.04.2003. Die Abrechnung der streitgegenständlichen Entgelte erfolgte auf Grundlage des ab 01.10.2006 gültigen Preisblattes der Beklagten das nach § 23 a EnWG n. F. (2005) durch die Aufsichtsbehörde genehmigt worden war.

Mit der Erteilung der ursprünglichen Einzugsermächtigung hatte die Rechtsvorgängerin der Klägerin einen Vorbehalt der Rückforderung für den Fall der Unzulässigkeit der angeforderten Beträge ausgesprochen.

Die Klägerin trägt vor, sie habe in dem genannten Zeitraum insgesamt ... Euro Netznutzungsentgelt an die Beklagte geleistet. Sie vertritt die Ansicht, die Nutzungsentgelte seien unbillig und meint, eine Überprüfung der Entgelte nach § 315 BGB oder den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen müsse auch bei einem genehmigten Preisblatt zulässig sein. Insofern habe sich die Rechtslage im Vergleich zu den Genehmigungen nach § 12 BTO ELT und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht geändert. Die Prüfung sei auch erforderlich, da die Aufsichtsbehörden nur eine Höchstpreiskontrolle durchführten.

Die Klägerin hat beantragt,

das Gericht möge das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige L. – Z. GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie in dem Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze bestimmen sowie die Beklagte zu verurteilen, die Differenz zwischen den ausweislich der Auflistung nach Anlage K 1 tatsächlich gezahlten Entgelte für die Netznutzung für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 in Gesamthöhe von ... Euro (netto) und dem von dem Gericht bestimmten billigen Entgelt für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 für die Netznutzung zzgl. Umsatzsteuer nebst gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen an die L. AG zu zahlen,

sowie hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe des vom Gericht nach § 287 ZPO festgestellten Schadens durch die kartellrechtswidrigen überhöhte Berechnung der Entgelte für die Netznutzung für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis 31.12.2006 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit des Hauptantrages zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, eine zusätzliche Kontrolle nach den Vorschriften des GWB oder des BGB sei nach der Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes aus dem Jahr 2005 aus rechtlichen Gründen unzulässig.

Dieser Ansicht hat sich das Landgericht in seinem Urteil vom 28.04.2010 angeschlossen. Die Kammer hat einen Anspruch der Klägerin auf Überprüfung der gezahlten Netzentgelte verneint. Zur Begründung hat das Landgericht auf die vorliegende Genehmigung der Entgelte nach § 23 a EnWG verwiesen. Da nach § 111 EnWG in der maßgeblichen Fassung die §§ 19 und 20 des GWB für nicht anwendbar erklärt worden seien, liege eine entsprechende abschließende Regelung vor. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Da die Bundesnetzagentur bzw. die entsprechenden Länderbehörden die geforderten Entgelte im Detail geprüft und genehmigt hätten und auch Regelungen vorgesehen seien, um Abschöpfungen vorzunehmen, wäre es kontraproduktiv, wenn mehrere Behörden sich mit dem gleichen Sachverhalt beschäftigen müssten und es zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen könnte. Wollte man dies zulassen, so das Landgericht, würde die Gesamtsystematik der gesetzlichen Regelung und die entsprechende Aufsicht konterkariert, was nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Aus diesem Grund sei auch eine Anwendung des § 315 BGB nicht anzunehmen. Ein Verstoß gegen europarechtliche Wettbewerbsregeln liege ebenfalls nicht vor. Im Hinblick auf Art. 86 Abs. 2 EGV sei ein Verstoß gegen Art. 82 EGV nicht gegeben, da angesichts der durchgeführten Prüfung der Entgelte der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nicht angenommen werden könne.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Sie vertritt nach wie vor die Auffassung, die durchgeführte Regulierung schließe eine Überprüfung nach § 315 BGB nicht aus. Zum einen beruhten die genehmigten Entgelte nur auf einer rasterhaften Überprüfung, so dass im Ergebnis die regulierten Entgelte nicht zwingend der Billigkeit i. S. d. § 315 BGB entsprächen. Außerdem hätte die Klägerin bei Versagung dieses Rechtsschutzes auch keine Möglichkeit, auf die Preisgestaltung Einfluss zu nehmen, da sie nicht die Möglichkeit hatte, zum Genehmigungsverfahren beigeladen zu werden.

Ein weiterer Grund dafür, dass auch die regulierten Entgelte überprüfbar sein müssten, so meint die Klägerin weiter, sei die Tatsache, dass die von der Regulierungsbehörde genehmigten Entgelte keine unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung für die Rechtsbeziehung zum Stromlieferanten hätten, sondern einer vertraglichen Umsetzung bedürften. Daher sei zu unterscheiden zwischen dem behördlichen Genehmigungsverfahren, in dessen Rahmen die kartellrechtliche Höchstgrenze festgesetzt werde und dem privatrechtlichen Verfahren nach § 315 BGB, in dem das billige Entgelt im konkreten Einzelfall bestimmt werden müsse. Da es sich bei den regulierten Preisen nur um Höchstpreise handele, gäbe es einen beträchtlichen Spielraum, der im Rahmen des billigen Ermessens auszufüllen sei. Der Billigkeit entspreche ein genehmigter Höchstpreis nur dann, wenn er auch tatsächlich erforderlich wäre. Die Genehmigung könne daher, so die Klägerin zuletzt, nur zu einer Erleichterung der Beweislast führen.

Die Klägerin vertieft ihre Argumentation auch im Hinblick auf § 111 EnWG, der nach ihrer Ansicht eine zivilrechtliche Überprüfung durch § 315 BGB nicht ausschließe, weil er nicht das Verhältnis zwischen Regulierungsbehörde und Zivilgericht zum Inhalt habe. Durch § 111 EnWG solle lediglich eine Doppelzuständigkeit dieser beiden Behörden verhindert, nicht aber der Zivilrechtsweg abgeschnitten werden. Letztlich stützt die Klägerin ihre Ansprüche hilfsweise auf einen europarechtlichen Anspruch aus Art. 102 AEUV, der durch die Regulierung nicht ausgeschlossen sei. Da die Beklagte zum ... -Konzern gehöre, sei für die Frage der marktbeherrschenden Stellung von einem wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes auszugehen. Denn mehrere nebeneinander bestehende, territorial begrenzte Monopole, die in ihrer Gesamtheit das staatliche Hoheitsgebiet umfassten, könnten hinsichtlich der Bedeutung für den Binnenmarkt wie ein einzelnes Monopolunternehmen behandelt werden. Den Missbrauchstatbestand des Art. 102 S. 2 Buchstabe a) AEUV sieht die Klägerin erfüllt durch Zugrundelegung einer überhöhten Eigenkapitalquote von 40 % bei der Berechnung der Entgelte, weil nie überprüft worden sei, ob eine kalkulatorische Eigenkapitalquote in dieser Höhe überhaupt erforderlich sei.

Durch die nach ihrer Ansicht kartellrechtswidrige Preisgestaltung der Beklagten sei der Klägerin ein Schaden entstanden. Die genaue Höhe, so meint die Klägerin, müsse nach § 287 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, da die Klägerin ohne Kenntnis der Kalkulationsunterlagen keine genauen Angaben zur Schadenshöhe machen könne.

Da die Klägerin die Unangemessenheit der streitgegenständlichen Entgelte behauptet habe, obliege es nun der Beklagten, im Wege der sekundären Darlegungs- und Beweislast den Nachweis der Angemessenheit der von ihr kalkulierten Entgelte zu führen. Da sie diesen Nachweis, der die Offenlegung ihrer Kalkulation erfordere, ausdrücklich verweigert habe, könne als angemessen nur ein Entgelt von 0,00 Euro angesehen werden.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige L. – Z. GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie in dem Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze durch das Gericht zu bestimmen,

sowie die Beklagte zu verurteilen, die Differenz zwischen den ausweislich der Auflistung nach Anlage K 1 tatsächlich gezahlten Entgelte für die Netznutzung für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 in Gesamthöhe von ... Euro (netto) und dem vom Gericht bestimmten billigen Entgelt für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 für die Netznutzung zzgl. Umsatzsteuer nebst gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen an die L. AG zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe des vom Gericht nach § 287 ZPO festgestellten Schadens durch die kartellrechtswidrigen überhöhte Berechnung der Entgelte für die Netznutzung für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis 31.12.2006 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit des Hauptantrages zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und teilt insbesondere die Ansicht des Landgerichts, dass nach dem EnWG 2005 genehmigte Netzentgelte von einer Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB ausgenommen seien. Die Klägerin berücksichtige bei ihrer Argumentation nicht, dass der Gesetzgeber des EnWG auf Basis der europäischen Vorgaben ein Regulierungssystem implementiert habe, das nicht nur einen strengeren inhaltlichen Ordnungsrahmen sondern auch eine nachhaltige Kontrolle der Netzentgelte eines Netzbetreibers zum Gegenstand habe. Entsprechend der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung sei ein missbräuchliches Verhalten eines Netzbetreibers, der genehmigte Entgelte verlange, nicht festzustellen. Im Gegenteil gelten die Entgelte qua gesetzlicher Anordnung als sachlich gerechtfertigt. Die im Rahmen einer Billigkeitsprüfung entscheidungserhebliche Frage der sachlichen Rechtfertigung des Entgelts sei damit durch den Gesetzgeber bereits entschieden. Dabei formuliere § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 EnWG eine unwiderlegbare Vermutung für die sachliche Rechtfertigung der Entgelte und damit deren Billigkeit. Ein Netznutzer habe außerdem über die Bestimmung des § 31 Abs. 1 EnWG die Möglichkeit, im Rahmen eines besonderen Missbrauchsverfahrens die Regulierungsbehörde zu einer Prüfung zu zwingen. Eine nachträgliche Überprüfung der genehmigten Netzentgelte im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens nach § 315 BGB sei demgegenüber mit dem Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar, der durch die Vorabgenehmigung der Entgelte habe Rechtssicherheit schaffen wollen.

Selbst wenn man der Auffassung der Klägerin folgen wollte, so argumentiert die Beklagte, nach der die erteilte Entgeltgenehmigung allenfalls eine Indizwirkung bezüglich der Billigkeit entfalte, sei auch diese gesetzliche Vermutung der Angemessenheit der Netzentgelte gemäß § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 EnWG durch die Klägerin nicht widerlegt worden.

Neben diesen allgemeinen rechtlichen Erwägungen stützt die Beklagte ihre Rechtsverteidigung auch auf die Rechtsprechung zur Mehrerlösabschöpfung. Die vom Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang aufgestellten Maßstäbe für die Zeit vor der Erteilung der ersten Netzentgeltgenehmigung seien auch auf die Zeit nach Erteilung einer Entgeltgenehmigung übertragbar. Sollten einem Netzbetreiber selbst bei erteilter Genehmigung noch unberechtigt Mehrerlöse zugeflossen sein, so meint die Beklagte, seien auch diese nur periodenübergreifend zu saldieren. Einen Rückforderungsanspruch im Individualverhältnis könne es jedoch auch nach dem neuen Ordnungsrahmen des EnWG 2005 nicht geben.

Auch die Klägerin hat sich in ihrer Replik mit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auseinandergesetzt und ihre rechtliche Argumentation vertieft. Ergänzend hat sie die Ansicht vertreten, eine Versagung des Zivilrechtsweges führe zu einem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Da sie keine Möglichkeit habe, am kartellrechtlichen Genehmigungsverfahren beteiligt zu werden, führe der Ausschluss des Zivilrechtsweges zu einer Rechtsschutzlücke.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.


B.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hat die Klägerin gegen die Beklagte einen individuellen Anspruch auf Rückzahlung von geleisteten Netznutzungsentgelten aus dem Zeitraum von Oktober bis Dezember 2006.


I.

Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB scheidet aus, denn dem individuellen Rückforderungsanspruch wegen vermeintlich überhöhter Netznutzungsentgelte in dem streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober bis Dezember 2006 stehen die Regelungen des Genehmigungsverfahrens, insbesondere § 23a Abs. 5 S. 1 EnWG, entgegen.

1. Gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 StromNEV hatten Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen ihre Netzentgelte spätestens ab dem für sie maßgeblichen Zeitpunkt am 29.10.2005 (§ 118 Abs. 1 b Satz 1 EnWG a. F.) auf der Grundlage der Stromnetzentgeltverordnung zu bestimmen.

Erfolgte die Antragstellung rechtzeitig, so durfte der jeweilige Netzbetreiber die in dem Zeitraum zwischen dem erstmaligen Antrag auf Genehmigung der Entgelte bis zur Entscheidung über die beantragte Genehmigung festgesetzten und veröffentlichen Entgelte beibehalten (§ 23 a Abs. 5 Satz 1 EnWG i. V. m. § 118 Abs. 1 b Satz 2 EnWG a. F.).

Diesen Regelungen, insbesondere § 23 a Abs. 5 Satz 1 EnWG, war zwar nicht zu entnehmen, dass die Netzbetreiber die in dem vorgenannten Zeitraum vereinnahmten Entgelte auch insoweit endgültig behalten durften, als sie über die entsprechend den Vorgaben der Stromnetzentgeltverordnung gebildeten und deswegen später genehmigten Höchstpreise hinausgingen (BGH, Beschluss vom 14.08.2008 – KVR 39/07, ZNER 2008, 217 ff. Tz. 19 – Vattenfall). Der Ausgleich des entstandenen Mehrerlöses, den der Netzbetreiber nicht behalten darf, der also eine ungerechtfertigte Bereicherung zu Lasten der Netznutzer darstellt, hat nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs aber nicht über § 812 BGB, sondern dadurch stattzufinden, dass er periodenübergreifend abzurechnen und wie sonstige Erlöse in der nächsten Genehmigungsperiode Entgelt mindernd in Ansatz zu bringen ist (BGH, a.a.O.). So hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG, auch wenn die Vorschrift keinen Rechtsgrund dafür schaffe, dass der Netzbetreiber zuviel erhobene Entgelte endgültig behalten dürfe, eine Rückabwicklung ausschließe (BGH, a.a.O. Tz. 21 f. – Vattenfall).

2. In Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Mehrerlösabschöpfung erscheint es dem Senat konsequent, ein nachträgliche Überprüfung der vom Netzbetreiber bestimmten Netznutzungsentgelte nach § 315 Abs. 3 BGB regelmäßig auszuschließen, wenn der Netzbetreiber nur das nach § 23a EnWG 2005 genehmigte Netznutzungsentgelt verlangt.

a) Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen getroffen werden muss (§ 315 Abs. 1 BGB).

Wie die Klägerin insoweit zu Recht betont, schließen die Regelungen des EnWG die Anwendung des § 315 BGB nicht ausdrücklich aus. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach - allerdings auf anderer Gesetzesgrundlage und für nicht genehmigte Entgelte - festgestellt, dass die von einem Netzbetreiber verlangten Netznutzungsentgelte gemäß § 315 BGB auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen sind. Jedenfalls nach altem Recht stand dem Netzbetreiber bei der Bestimmung des Netznutzungsentgelts im Falle einer entsprechenden vertraglichen Gestaltung ein vertragliches Leistungsbestimmungsrecht zu, das er regelmäßig nach billigem Ermessen auszuüben hatte und das hinsichtlich der Billigkeit der gerichtlichen Nachprüfung unterlag (vgl. BGH, Urteilen vom 18.10.2005, KZR 36/04, BGHZ 164, 336, 339 ff. – Stromnetznutzungsentgelt I - und vom 04.03.2008 (KZR 29/06, WuW/E DE-R 2279 Rdn. 18 ff. – Stromnetznutzungsentgelt III).

Die Anwendbarkeit von § 315 BGB galt also nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann, wenn die Tarifbestimmung nach altem Recht mit Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde getroffen worden war. Denn die rein öffentlich-rechtliche Wirkung einer Genehmigung nach altem Recht beschränkte sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und war für die privatrechtliche Überprüfung eines einseitig festgesetzten Entgelts anhand des § 315 Abs. 3 BGB nicht präjudiziell (vgl. nur BGHZ 115, 311, 315; BGH, Urt. v. 02.07.1998 - III ZR 287/97, NJW 1998, 3188, jeweils m.w.N.; so zuletzt: BGHZ 163, 321-324).

b) Schon vor der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Mehrerlösabschöpfung ist die Fortgeltung der parallelen Anwendbarkeit der Billigkeitskontrolle des § 315 Abs. 3 S. 2 BGB neben den preisrelevanten Regelungen des Energiewirtschaftsrechts über den 13.07.2005 hinaus auf Kritik gestoßen (vgl. die hier zitierten Nachweise bei Dreher, „Die richterliche Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB bei einseitigen Preiserhöhungen aufgrund von Preisanpassungsklauseln in der Energiewirtschaft“, ZNER 2007, 103 ff.:).

Es wurde da¬rauf verwiesen, dass § 23a EnWG n. F., der die „Grundsätze guter fachlicher Praxis” i.S.d. § 6 Abs. 1 EnWG a. F. abgelöst habe, ein Höchstpreisgenehmigungsverfahren für Netznutzungsentgelte durch die Bundesnetzagentur vorsieht. Mit dieser Genehmigung habe der Gesetzgeber ein Überprüfungsmonopol zugunsten der Bundesnetzagentur im Interesse der Rechtssicherheit schaffen wollen. Dies ergebe sich zum Einen aus § 111 Abs. 3 EnWG, nach dem die gleichzeitige Überprüfungskompetenz des Bundeskartellamts nunmehr gestrichen worden sei. Zum Anderen folge dies aber auch aus § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 HS 2 EnWG, wonach Entgelte, die die Obergrenzen einer dem betroffenen Unternehmen erteilten Genehmigung nach § 23a EnWG nicht überschreiten, als sachlich gerechtfertigt gelten (vgl. Bork, JZ 2006, 683). Eine Billigkeitskontrolle der Netznutzungsentgelte durch Gerichte im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB führe zu einer Aufweichung des Monopols der Bundesnetzagentur, zu einer Überforderung der Zivilgerichte und letztlich zu einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung der Rechtssicherheit. Zudem sehe das EnWG ein breit gefächertes Arsenal nachträglicher Preiskontrolle (§§ 30, 31,33 EnWG) vor, das dem Individualschutz, namentlich in § 32 EnWG, Rechnung trage und somit der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB „Ideologisch kein eigenständiges Anwendungsfeld” überlasse (vgl. Kühne, NJW 2006, 645, 656).

c) Demgegenüber wird die Ansicht vertreten, auch nach Inkrafttreten des EnWG 2005 sei die gerichtliche Billigkeitskontrolle des § 315 Abs. 3 BGB neben der Genehmigungspflicht des § 23 a EnWG und neben der energierechtlichen Preiskontrolle anwendbar.

aa) Dafür spreche zunächst, dass der Gesetzgeber in § 111 Abs. 1 S. 1 EnWG zwar die §§ 19, 20 GWB explizit von der Anwendung ausgenommen habe, § 315 BGB aber gerade nicht.

Dem Gesetzgeber zu unterstellen, er sei diesbezüglich nicht in „vollem Bewusstsein über die Durchschlagskraft des § 315 BGB gewesen”, (so Schebstadt, MMR 2006, 157 ff.) sei nicht gerechtfertigt. Dieses Argument wurde auch von der Klägerin im vorliegenden Verfahren angeführt. Die Verdrängungsthese verkenne auch, dass es sich bei § 315 Abs. 3 S. 2 BGB um einen schuldrechtlichen Anspruch handelt, der durch das gleichzeitige Bestehen deliktsrechtlicher Ansprüche (hier: § 32 i. V. m. § 30 Abs. l S. 2 Nr. 5 EnWG) nicht ausgehebelt werden könne. Deshalb bestehe zwischen den Ansprüchen Idealkonkurrenz (so insgesamt Dreher, a.a.O., zum letzten Argument unter Bezug auf Säcker, RdE 2006, 69).

bb) In diesem Sinne könnte auf den ersten Blick auch die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Stromnetznutzungsentgelt (Urteil vom 20.07.2010, EnZR 23/09 - NSW BGB § 315 - Stromnetznutzungsentgelt IV) interpretiert werden.

Dieser Schluss ginge aber fehl. Zwar hat der Bundesgerichtshof in jener Entscheidung in der gebotenen Kürze festgestellt, dass die dort geltend gemachten Ansprüche auch nicht durch die nur für die Netzentgeltregulierung geltende Regelung der § 23 a Abs. 5, § 118 Abs. 1 b EnWG in der Fassung des Gesetzes vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970) ausgeschlossen seien. Das liegt aber an der Tatsache, dass es sich im Fall des Bundesgerichtshofs nicht um die Rückforderung nach § 23 a EnWG 2005 genehmigter Entgelte handelte, sondern um die Billigkeitskontrolle von Entgeltabrechnungen aus den Jahren 2003 und 2004. Insoweit kommt der Regelung des § 23 a Abs. 5 in der Fassung des Gesetzes vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970) keine Rückwirkung auf zurückliegende Entgeltperioden zu. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.07.2010 (a.a.O., Stromnetznutzungsentgelt IV) steht daher bei zutreffender Würdigung der vorausgegangenen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs zur Mehrerlösabschöpfung, die Entgelte des Zeitraums vom 01.11.2005 bis 31.06.2006 betraf, und auch der Entscheidung im vorliegenden Fall über genehmigte Entgelte des Jahres 2006 nicht entgegen.

3. Im vorliegenden Fall bedarf aber die Frage, ob durch die Genehmigung der Entgelte nach § 23 a EnWG 2005 die Preise grundsätzlich der Billigkeitskontrolle des § 315 BGB entzogen sind, letztlich keiner Entscheidung.

Jedenfalls ist eine individuelle Rückforderung ausgeschlossen.

a) Zwar ergibt sich aus einer Gesamtschau der Entscheidungen bisher nicht, dass der Bundesgerichtshof die Anwendbarkeit des § 315 BGB auf Netzentgelte, die der Regulierung unterliegen, grundsätzlich ausgeschlossen hätte.

Er hat lediglich die Voraussetzungen eines individuellen Rückforderungsanspruchs verneint und festgestellt, dass in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern § 23 a Abs. 5 Satz 1 EnWG, eine Rückabwicklung ausschließe (BGH, Beschluss vom 14.08.2008, KVR 39/07, a. a. O. – Vattenfall).

b) Nur hierauf kommt es aber im vorliegenden Fall an, weil die Klägerin nur Ansprüche für die Vergangenheit geltend macht.

Jedenfalls diese zweite Frage nach der Möglichkeit einer individuellen Rückforderung durch den Netznutzer lässt sich auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verneinen.

aa) In der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen und vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 21.12.2009 (1 BvR 273/08, RdE 2010, 92 ff.)) bestätigten Auslegung lässt das Energiewirtschaftsrecht die zivilrechtlichen Regelungen nicht unberührt, sondern enthält z.B. mit der periodenübergreifenden Saldierung nach den §§ 9, 11 StromNEV analog ein spezielles Abwicklungsregime zur Abschöpfung der von dem Netzbetreiber vereinnahmten Mehrerlöse, die sogar im Falle einer echten Bereicherung dem zivilrechtlichen Anspruch entgegensteht.

Speziell aus § 23 a Abs. 5 Satz 1 EnWG hat der Bundesgerichtshof die Folge abgeleitet, dass der Netzbetreiber nicht verpflichtet ist, sämtliche Rechtsverhältnisse mit den Netznutzern nachträglich anzupassen (vgl. BGH, Beschluss vom 14.08.2008, KVR 27/07, RdE 2008, 334 ff. - Stadtwerke Engen - dort II. 3. c). Wenn also nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (KVR 39/07, Vattenfall, a.a.O, dort B. I. 2. b) die bestehende Genehmigung gemäß § 23 a Abs. 5 Satz 1 EnWG in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern eine Rückabwicklung ausschließt, selbst wenn eine Überhöhung der Preise und damit eine ungerechtfertigte Bereicherung i.S.d. § 812 BGB offensichtlich vorliegt (so auch die Auslegung des OLG Celle, Urteil vom 17.06.2010, 13 U 5/10 (Kart) und des OLG München, Urteil vom 20.05.2010, U (K) 4653/09), erscheint es folgerichtig, dass erst recht derjenige Netzbetreiber vor individuellen Rückforderungen geschützt ist, der nur Preise in genehmigter Höhe vereinnahmt hat. Die Genehmigung einer bestimmten Entgelthöhe durch die Regulierungsbehörde schließt folglich nach § 23 a Abs. 5 Satz 1 EnWG jedenfalls bis zum Ablauf der Befristung der Genehmigung eine Bereicherungskondiktion im Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Netznutzer aus.

bb) Für einen zivilrechtlichen Rückforderungsanspruch im Verhältnis zwischen Netznutzer und Netzbetreiber ist daher auch im Falle der streitgegenständlichen genehmigten Netznutzungsentgelte aus dem Jahr 2006 kein Raum.


II.

Selbst wenn man dieser Rechtsansicht nicht folgen, und einen Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB nicht schon aus rechtlichen Gründen ausschließen wollte, hätte die vorliegende Klage keinen Erfolg.

1. Auch wenn man die Genehmigung der Preise für die privatrechtliche Überprüfung eines einseitig festgesetzten Entgelts anhand des § 315 Abs. 3 BGB nicht als präjudiziell ansieht (s.o.), kann bei der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich nicht um den typischen Fall der einseitigen Bestimmung einer Leistung handelt.

Der vom BGB nicht vorgesehene Fall staatlicher Preisregulierung schränkt den Handlungsspielraum des Netzbetreibers erheblich ein und dient nicht zuletzt den Interessen der Netznutzer. Die behördliche Prüfung und Genehmigung der Netzentgelte hat deshalb zur Folge, dass sich die Darlegungs- und Beweislast ändert.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat allerdings grundsätzlich derjenige, dem das Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt ist und der typischerweise auch allein dazu in der Lage ist, die Billigkeit seiner Bestimmung darzutun.

Dies gilt auch für den Fall, dass die andere Vertragspartei die gerichtliche Bestimmung des angemessenen Entgelts und die Rückzahlung zuviel gezahlten Entgelts begehrt, wenn sie - wie hier - die Entgelte nur unter Vorbehalt gezahlt hat (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04, BGHZ 164, 336, 343 = NJW 2006, 684 ff. - Stromnetznutzungsentgelt I und vom 04.03.2008 - KZR 29/06, WuW/E DE-R 2279 Rn. 27 - Stromnetznutzungsentgelt III; so auch BGH, Urteil vom 20.07.2010, a.a.O.).

Dieser für die alte Rechtslage richtige Grundsatz beruht auf der Tatsache, dass die unregulierten Preisbestimmungen auf einer einseitigen Entscheidung des Netzbetreibers beruhten, der allein seine tatsächlichen Kosten kannte und selbst bewertet hat. Dem Bestimmungsunterworfenen dagegen fehlt es an Sachnähe und Einblickmöglichkeiten in die Kalkulation des Vertragspartners, so dass er die Unbilligkeit nur selten wird beweisen können (Sphärentheorie).

b) Die Interessenlage hat sich aber durch das EnWG 2005 für genehmigte Entgelte geändert.

aa) Wie bereits das Energiewirtschaftsgesetz 1998 bezweckt auch das Energiewirtschaftsgesetz 2005 eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Strom und Gas (§ 1 Abs. 1 EnWG 2005).

Die Entgelte für den Netzzugang müssen unter anderem angemessen sein (§ 22 Abs. 1 EnWG 2005) und dürfen keine Kosten oder Kostenbestandteile enthalten, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen würden (§ 22 Abs. 2 Satz 2 EnWG 2005). Die Entgeltbestimmungen der Regulierungsbehörden im Rahmen der Entgeltgenehmigungsverfahren sind deshalb auch im Hinblick auf die Prüfung der Billigkeit des Nutzungsentgelts nach § 315 BGB taugliche Vergleichsparameter (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2010, EnZR 23/09 - NSW BGB § 315 - Stromnetz¬nutzungsentgelt IV). Schon zuvor konnte man der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entnehmen, dass die energiewirtschaftlichen Anforderungen an die Entgeltgerechtigkeit den allgemeinen Maßstab des billigen Ermessens, den § 315 BGB vorsieht, nicht ausschließen, sondern konkretisieren (vgl. BGH, Stromnetznutzungsentgelt I und II, a.a.O.; vgl. insgesamt Dreher, a.a.O.)

bb) Es erscheint daher sachgerecht, zumindest die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 315 BGB umzukehren.

Davon geht auch die Klägerin in ihrem jüngsten Schriftsatz vom 15.10.2010 aus.

Zur Vermeidung wettbewerblicher Nachteile und zur Wahrung von Betriebs- sowie Geschäftsgeheimnissen hat eine Abwägung zwischen den beteiligten Interessen zu erfolgen. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen (vgl. insbesondere BVerfG Entscheidung v. 14.03.2006, BVerfGE 115, 205-259 - Telekom) ergeben sich auch im Zivilprozess Erleichterungen für die darlegungs- und beweisbelastete Partei bei der Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB. Sie führen nach Ansicht des Senates dazu, dass für die genehmigten Entgelte die Vermutung der Billigkeit streitet, die der Netznutzer widerlegen muss. Denn das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG schützt das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt (vgl. BVerfGE 32, 311, 317; 105, 252, 265 ff.; 106, 275, 298 f.; BVerfG, NJW 2005, S. 1917, 1919). Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen (vgl. BVerfGE 105, 252, 265; insgesamt BVerfGE 115, 205-259 - Telekom). Diese Funktionsbedingungen werden im Hinblick auf die Netznutzungsentgelte durch die Regeln des EnWG in dem auch dazu geschaffenen Genehmigungsverfahren festgelegt. Damit existiert ein gesetzliches Verfahren in dem der hier bestehende mehrseitige Rechtsgüterkonflikt eine angemessene Kollisionsbewältigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bewirken kann. Bei verfassungskonformer Auslegung der Beweislastregeln kann daher von dem Netzbetreiber nicht verlangt werden, auch außerhalb des dafür vorgesehenen Verfahrens gegenüber jedem Vertragspartner seine Kalkulation offenzulegen (vgl. insgesamt Dreher, a.a.O.).

2. Wurden die Preise in einem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren nach EnWG durch die zuständige Behörde genehmigt, so streitet die Genehmigung für deren Billigkeit.

Daher hat in einem Verfahren nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB der Netznutzer darzulegen, aus welchen Gründen er die genehmigten Preise nicht für billig hält.

3. Dieser Anforderung ist die Klägerin nicht gerecht geworden.

Sie begründet ihren Einwand überhöhter Preise allein mit der Höhe des Eigenkapitals von 40 %, das über dem Durchschnitt liege. Das allein ist allerdings per se kein schlüssiger Einwand. Denn gerade die Frage der Eigenkapitalhöhe ist im Rahmen des Genehmigungsverfahrens von den Regulierungsbehörden detailliert zu prüfen. Allein die Behauptung, dass eine Eigenkapitalquote von 40 % über dem Durchschnitt liege und nicht gerechtfertigt sei, lässt nicht per se auf ein Versäumnis der Behörde schließen, weil gerade bei dem Betrieb eines Stromnetzes in der Regel ein hoher Eigenkapitalanteil besteht, auch wenn der Betreiber nicht unmittelbar Eigentümer des Netzes ist. Die sachgerechte Begrenzung der Eigenkapitalquote auf das notwendige Maß (§ 21 Abs. 2 EnWG) ist gerade ein wesentliches Ziel des Genehmigungsverfahrens gewesen. Auch die Tatsache, dass die Beklagte in beiden Regulierungsrunden Kostenkürzungen hinnehmen musste, wie die Klägerin betont, spricht nicht dafür, dass die genehmigten Preise überhöht sind, sondern belegt eher, dass die Regulierungsbehörde ihre Aufgabe erfüllt hat. Die Annahme, im Falle der Beklagten könnten unzutreffende oder sachlich falsche Erwägungen zu einer überhöhten Eigenkapitalquote geführt haben, wurde nicht im Ansatz erläutert und stellt eine Behauptung ins Blaue hinein dar, die angesichts der behördlichen Prüfung und Genehmigung nicht mehr ausreicht, um den Netzbetreiber zur Offenlegung seiner Geschäftsgeheimnisse gegenüber jedem Netznutzer zu verpflichten.


III.

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß Art. 102 S. 2 Buchstabe a) AEUV (zuvor bis 30.11.2009 Art. 82 EG) i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 GWG scheidet im vorliegenden Fall aus.

a) Allerdings folgt der Senat nicht der Ansicht des Landgerichts, im Hinblick auf Art. 86 Abs. 2 EGV (neu: Art. 106 Abs. 2 AEUV) sei ein Verstoß gegen Art. 82 EG (neu: Art. 102 AEUV) nicht gegeben.

Dabei kann offen bleiben, ob die privaten Stromnetzbetreiber mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse „betraut” sind im Sinne der Norm. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, inwieweit die Wettbewerbsregeln des Art. 102 AEUV die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern sollten.

b) Ob eine Genehmigung der Netznutzungsentgelte nach § 23 a EnWG 2005 i.V.m. § 111 Abs. 3 EnWG auch eine kartellrechtliche Kontrolle nach europäischem Recht generell ausschließt, erscheint ebenfalls zweifelhaft.

aa) § 111 Abs. 3 EnWG, der die Prüfungskompetenz des Bundeskartellamtes einschränkt und bestimmt, dass die von Betreibern von Energieversorgungsnetzen nach § 20 Abs. 1 EnWG veröffentlichten Netzzugangsentgelte als rechtmäßig zugrunde zu legen sind, soweit nicht ein anderes durch eine sofort vollziehbare oder bestandskräftige Entscheidung der Regulierungsbehörde oder ein rechtskräftiges Urteil festgestellt worden ist, steht der Anwendung der nationalen kartellrechtlichen Vorschriften entgegen.

bb) Allerdings erscheint die weitergehende Argumentation der Beklagten zweifelhaft, die eine Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV durch das Entgeltgenehmigungsverfahren grundsätzlich verneint.

(1) Zwar wird auch in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, auch der auf Art. 102 AEUV beruhende kartellrechtliche Anspruch sei durch die Regelung des § 111 EnWG ausgeschlossen, denn § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG stehe jedenfalls einer Anwendung der nationalen kartellrechtlichen Vorschriften entgegen und dem nationalen Gesetzgeber sei es grundsätzlich nicht verwehrt, eine spezielle richtlinienkonforme abschließende Regelung zu treffen, die auch den Rückgriff auf entsprechende Bestimmungen des europäischen Kartellrechts ausschließe (vgl. OLG München, Urteil vom 20.05.2010, U (K) 4653/09).

(2) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses vergleichbaren Fällen kann ein derartiger indirekter Ausschluss des europäischen Kartellrechts indes nicht festgestellt werden. Die Regulierung des relevanten Marktes, die durch die Genehmigung der Entgelthöhe bewirkt worden ist, steht nicht bereits als solche einer Anwendung des Art. 102 AEUV entgegen (vgl. zu Art. 82 EG: BGH, Urteil vom 29.06.2010, KZR 24/08, WuW/E DE-R 2963-2973 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 10.4.2008, T-271/03, Slg. 2008, II-477 Tz. 107, 120 = WuW/E EU-R 1429 - Deutsche Telekom/Kommission). Insbesondere kann nicht allein wegen Erlasses von Verfügungen einer Regulierungsbehörde angenommen werden, dem betroffenen Unternehmen stehe ein für die Annahme eines Missbrauchs i.S. von Art. 102 AEUB (bzw. Art. 82 EG) erforderlicher Verhaltensspielraum auf dem regulierten Markt nicht mehr zu (vgl. BGH, a.a.O. und Urt. v. 10.2.2004 - KZR 7/02, WuW/E DE-R 1254, 1256 - Verbindung von Telefonnetzen).

Im vorliegenden Fall bedarf diese Frage jedoch keiner Entscheidung.

c) Denn die Voraussetzungen des Tatbestandes des Art. 102 S. 2 Buchstabe a) AEUV liegen nicht vor.

Die Genehmigung der Preise spricht im Falle der Stromnetznutzungsentgelte zunächst gegen einen Missbrauch einer Monopolstellung. Die Klägerin hat diesen Anschein nicht erschüttert.

aa) Auch wenn die Genehmigung der Entgelthöhe einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Missbrauchs einer Monopolstellung gemäß Art. 102 S. 2 Buchstabe a) AEUV nicht grundsätzlich ausschließen mag, hat sie doch Auswirkungen auf die Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten als Missbrauch der Monopolstellung im Sinne von Art. 102 AEUV anzusehen ist.

Denn die Tatsache, dass und in welchem Umfang der betreffende Markt durch gesetzliche Regelungen oder auf solchen beruhende Verfügungen einer staatlichen Stelle reguliert ist, muss bei der Bewertung des Tatbestandes berücksichtigt werden. Dabei ist vor allem von Bedeutung, wie sich die Regulierung als staatlicher Eingriff in den Markt auf die Wettbewerbsmöglichkeiten der Beteiligten auswirkt (vgl. BGH, a.a.O. zu Art. 82 EG). Ist, wie im vorliegenden Fall, das staatlich genehmigte Netznutzungsentgelt eines marktbeherrschenden Unternehmens zu beurteilen, so ist zu prüfen, ob die Verwendung dieser genehmigten Preise angemessen und verhältnismäßig ist. Für die insoweit gebotene Interessenabwägung ist der Grad der jeweiligen Reglementierung ein maßgeblicher Abwägungsfaktor (vgl. BGH, a.a.O. zwar zur Verweigerung des Marktzugangs, aber gerade unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 16.9.2008 - C-468/06 bis C-478/06, Slg. 2008, I-7139 = WuW/E EU-R 1463 Tz. 67 ff. - Sot. Lelos u.a./GlaxoSmithKline, zu missbräuchlichem Verhalten bei Preisreglementierung).

bb) Legt man diese Maßstäbe zu Grunde, kann die bloße Verwendung staatlich genehmigter Preise für die Nutzung eines Stromnetzes entgegen der Auffassung der Klägerin im Hinblick auf die Prüfung und Genehmigung der Preisgrundlagen allein nicht ohne Weiteres als missbräuchlich i.S.d. Art. 102 S. 2 Buchstabe a) AEUV angesehen werden.

Das marktbeherrschende Unternehmen handelt daher grundsätzlich nicht missbräuchlich, wenn es anderen Unternehmen den Zugang zu ihrem Netz nur zu den von der Regulierungsbehörde festgesetzten Preisen gewährt. Es ist nicht ersichtlich, dass im Streitfall besondere Umstände vorliegen, die eine davon abweichende Beurteilung rechtfertigen. Anhaltspunkte dafür, dass die hier zu Grunde liegenden Genehmigungen hinter den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben zurückbleiben sollen und die Beklagte darauf vorsätzlich hingewirkt hätte, liegen nicht vor (s.o. B. II. 3.).


C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat nach § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zugelassen. Die für die getroffene Entscheidung ausschlaggebende Frage, ob die Klägerin als Netznutzerin trotz Genehmigung der Entgelte nach § 23 a EnWG für den streitbefangenen Zeitraum in der Regulierungsperiode 2006 einen individuellen Rückforderungsanspruch gemäß § 812 BGB wegen möglicherweise unbillig überhöhter Preise geltend machen kann, und die weitere Frage, ob gegebenenfalls die erteilte Genehmigung zumindest zu einer Umkehr der Beweislast im Rahmen des § 315 BGB führt, ist von grundsätzlicher Bedeutung und für den streitgegenständlichen Zeitraum bisher ungeklärt, so dass eine Entscheidung dieser Fragen durch den Bundesgerichtshof außerdem zur Fortbildung des Rechts erforderlich erscheint.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts (Kostenwerts) beruht auf §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.

gez. Dr. Tiemann gez. Göbel gez. Grimm
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