Text des Beschlusses
1 Verg 10/10;
Verkündet am:
04.11.2010
OLG Oberlandesgericht
Naumburg
Rechtskräftig: unbekannt!
Bei Vergabe von Rettungsdienstleistungsaufträgen handelt es sich aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage in Sachsen-Anhalt nicht um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen, sondern um Dienstleistungsaufträge nach dem sog. Submissionsmodell
Leitsatz des Gerichts:
Bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungsaufträgen handelt es sich aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage in Sachsen-Anhalt nicht um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen, sondern um Dienstleistungsaufträge nach dem sog. Submissionsmodell, die den Regeln des europäischen Vergaberechts unterliegen.
Erfolgt die Auftragserteilung außerhalb eines Vergabeverfahrens, kommt zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes nur eine Neuausschreibung in Betracht.
In dem Vergabenachprüfungsverfahren über die Erteilung eines Auftrags zur Durchführung des Rettungsdienstes (Notfallrettung und qualifizierten Krankentransport) im Landkreis B. Kreis für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2015 mit den folgenden Verfahrensbeteiligten:
1. …
a) …
b) …
c) …
Beigeladene und Beschwerdeführerin I,
Verfahrensbevollmächtigter zu 1: …
2. …
Vergabestelle, Antragsgegner und Beschwerdeführer II
Verfahrensbevollmächtigte zu 2: …
gegen
3. …
a) …
b) …
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin I und II,
Verfahrensbevollmächtigte zu 3: …
sowie
…
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und Grimm sowie die Richterin am Oberlandesgericht Göbel nach mündlicher Verhandlung vom 14. Oktober 2010 am 4. November 2010 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen und die sofortige Beschwerde der Vergabestelle gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 09./23.06.2010 werden zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin tragen die Beigeladene und die Vergabestelle je zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Auslagen tragen die Vergabestelle und die Beigeladenen jeweils selbst.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 1.550.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Vergabestelle schrieb zunächst mit Bekanntmachung vom 17.01.2008 (Vergabe-Nr. 38/01/2007 L) einen Auftrag zur Durchführung des Rettungsdienstes (Notfallrettung und qualifizierten Krankentransport) im Wege des offenen Verfahrens auf Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen im Supplement des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften aus.
Als Leistungszeit wurde der Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2014 angegeben, bezogen auf den gesamten Rettungsdienstbereich des B. Kreises. Nachdem insgesamt 10 Bewerber, darunter auch die Antragstellerin und die Beigeladene, die Vergabeunterlagen abgefordert hatten, gab lediglich die Beigeladene fristgerecht ein Angebot ab. Dieses Angebot wurde durch die Vergabestelle wegen einer abgelaufenen Versicherungsbescheinigung ausgeschlossen. Daraufhin hob die Vergabestelle das Vergabeverfahren mit Schreiben vom 20.03.2008 gemäß § 26 Nr. 1 a VOL/A auf und gab dies europaweit bekannt.
Nach Aufhebung der Ausschreibung führte die Vergabestelle Vertragsverhandlungen mit der Beigeladenen über den identischen Vertragszeitraum, ohne dass dem eine öffentliche Bekanntmachung eines Verhandlungsverfahrens vorausgegangen wäre. Mit Schreiben vom 07.04.2008 forderte sie ausschließlich von der Beigeladenen ein Angebot für den Leistungszeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2014 an, das unter dem Datum des 14.04.2008 am 23.04.2008 eingereicht wurde. Mit Schreiben vom 23.07.2008 bat die Vergabestelle die Beigeladene aufgrund eines noch nicht geklärten Sachverhalts um eine Verlängerung der Bindefrist bis zum 15.09.2008. Zu einem Vertragsschluss innerhalb dieser Frist kam es aber ebenso wenig wie zu einer weiteren Verlängerung der Frist.
Vielmehr leitete die Vergabestelle ein neues Vergabeverfahren ein. Nach einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts Halle vom 25.09.2008, die ein an dem vorliegenden Nachprüfungsverfahren nicht beteiligter Mitbewerber erwirkt hatte, schrieb die Vergabestelle mit Bekanntmachung im Supplement vom 17.12.2008 den Auftrag zur Durchführung des Rettungsdienstes erneut im Wege eines offenes Verfahrens aus. Die Leistung wurde in dieser Ausschreibung territorial in die Rettungswache N. (Los A), die Rettungswache B. (Los B), Rettungswache W. (Los C) und Rettungswache Z. (Los D) aufgeteilt. Als Leistungszeitraum wurde der 01.01.2010 bis 31.12.2015 bestimmt.
Auf diese Ausschreibung reichten fünf Bieter, darunter auch die Antragstellerin und die Beigeladene, auf verschiedene Lose ihre Angebote ein. Im weiteren Verlauf stellte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13.05.2009 Nachprüfungsanträge zu drei der vier ausgeschriebenen Lose. Nach mündlicher Verhandlung vom 22.10.2009 vor der Vergabekammer hob die Vergabestelle die streitbefangenen Vergabeverfahren mit Schreiben vom 27.10.2009 gegenüber den Bietern auf und begründete dies damit, dass sich die Grundlage der Ausschreibung infolge von Mängeln in der Leistungsbeschreibung wesentlich geändert hätte.
Eine weitere Ausschreibung der Rettungsdienstleistungen fand nicht statt.
Mit Schreiben vom 10.11.2009 erteilte die Vergabestelle der Beigeladenen den Auftrag für die Rettungsdienstleistungen im gesamten Landkreis für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2015 auf Grundlage des Angebots der Beigeladenen vom 14.04.2008. Die übrigen Bieter des vorausgegangenen offenen Vergabeverfahrens wurden über die Zuschlagserteilung nicht informiert.
In Unkenntnis der Auftragserteilung äußerte die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.11. und 18.11.2009 gegenüber der Vergabestelle weiterhin ihr Interesse am Erhalt der Aufträge über Rettungsdienstleistungen im B. Kreis und bat um Auskunft, wann mit einer Neuausschreibung zu rechnen sei.
Auch auf diese Nachfragen teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit Schreiben vom 19.11.2009 lediglich mit, dass mit Auslaufen der gegenwärtigen Verträge über Rettungsdienstleistungen mit einem neuen Vergabeverfahren über die Durchführung des Rettungsdienstes im B. Kreis zu rechnen sei. Die Vergabestelle sicherte weiterhin zu, die Antragstellerin rechtzeitig hierüber in Kenntnis zu setzen.
Nach einer entsprechenden Mitteilung der Tagespresse rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 19.11.2009 eine in der Presse angedeutete Interimsverlängerung des schon früher mit der Beigeladenen bestehenden Vertrages über die Erbringung der Rettungsdienstleistungen und vertiefte ihre Rechtsansicht über die Vergaberechtswidrigkeit einer solchen Verlängerung mit Schreiben vom 23.11.2009. Daraufhin stellte die Vergabestelle mit Schreiben vom 24.11.2009 klar, dass der Auftrag zur Leistungserbringung an die Beigeladene nicht nur als Vertragsverlängerung erteilt worden sei.
Am 09.12.2009 stellte die Antragstellerin die vorliegenden Nachprüfungsanträge bei der Vergabekammer des Landesamts (1 VK LVwA 69/09, 70/09, 71/09 und 72/09). Sie hat die Erteilung des Zuschlags für die Rettungsdienstleistungen im B. Kreis an die Beigeladene für vergaberechtswidrig gehalten, da ein förmliches Vergabeverfahren nicht durchgeführt worden sei. Nach Aufhebung des zuletzt eingeleiteten offenen Vergabeverfahrens hätte die Vergabestelle, so hat die Antragstellerin gemeint, den Auftrag nicht ohne Durchführung eines neuen förmlichen Vergabeverfahrens erteilen dürfen. Ein von der Vergabestelle behaupteter Rückgriff auf ein etwaiges früheres Verhandlungsverfahren sei jedenfalls durch die Neuausschreibung des Auftrags Ende 2008 hinfällig gewesen, denn damit habe der Antragsgegner dokumentiert, dass er aufgrund der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen ein offenes Vergabeverfahren habe durchführen wollen. Der nachträgliche Rückgriff auf das vorangegangene Verhandlungsverfahren verstoße daher gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Rechtlich liege letztlich eine De-facto-Vergabe vor, mit der die Vergabestelle gegen das Transparenzgebot und das Diskriminierungsverbot verstoßen habe.
Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Vergabe von Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransports für den Zeitraum ab 01.01.2010 im Gebiet der Vergabestelle unwirksam ist,
hilfsweise,
durch geeignete Maßnahme dafür Sorge zu tragen, dass die Vergabe von Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransports für den Zeitraum ab dem 01.01.2010 im Gebiet der Vergabestelle nur unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer im Wege eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens vergeben werden.
Die Vergabestelle hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, die Auftragserteilung an die Beigeladene sei rechtmäßig erfolgt. Mit Aufhebung des letzten offenen Verfahrens habe dem Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen vom 14.04.2008 nichts mehr entgegengestanden. Außerdem habe sich kein anderer Bieter oder Bewerber gegen das mit der Beigeladenen geführte Verhandlungsverfahren gewandt, was inzwischen wegen Fristablaufs auch nicht mehr möglich sei.
Die Vergabestelle hat ihr Vorgehen damit begründet, dass das Angebot der Beigeladenen im offenen Verfahren nicht nach § 23 Nr. 4 VOL/A ausgeschlossen worden sei. Auch habe sich keine grundlegende Änderung der ursprünglichen Bedingungen des Auftrags ergeben und die Beigeladene habe die Voraussetzungen des § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A erfüllt. Die Auftragsvergabe habe demnach nicht ohne Ausschreibung stattgefunden. Zur weiteren Erläuterung des Hintergrunds ihrer Vorgehensweise hat die Vergabestelle auf die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts vom 25.09.2008 verwiesen, welches zunächst die vorausgegangenen Verfahrensversuche ohne Losauf¬teilung als unzulässig erachtet habe. Nachdem das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt aber auf die Beschwerde der Beigeladenen die einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 31.07.2009 aufgehoben hätte, habe sie davon ausgehen dürfen, dass das Verhandlungsverfahren mit der Beigeladenen fortgeführt werden könne.
Die Beigeladene hat beantragt,
die Nachprüfungsanträge zurückzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Anträge der Antragstellerin seien unzulässig. Zum einen habe die Antragstellerin mit ihren Nachprüfungsanträgen nur einen sogenannten „Interimsvertrag“ gerügt, der aber gerade nicht abgeschlossen worden sei. Vielmehr habe es sich hier um eine reguläre Zuschlagserteilung aufgrund eines ordnungsgemäß durchgeführten Verhandlungsverfahrens gehandelt. Außerdem, so hat die Beigeladene gemeint, fehle es an einem Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin. Sie habe sich ausschließlich gegen die Zuschlagserteilung gewandt, nicht jedoch gegen die auf Grundlage des § 11 RettDG LSA erteilten Genehmigung zur Erbringung von Rettungsdienstleistungen. Diese Genehmigung berechtige die Beigeladene aber erst zur eigentlichen Leistungserbringung und hätte auf dem Verwaltungsgerichtsweg angegriffen werden müssen. Da der Antragstellerin die Genehmigungserteilung gegenüber der Beigeladenen vom 10.11.2009 seit 19.11.2009 bekannt sei, sei ihr eine Anfechtung nicht mehr möglich.
Die Vergabekammer hat die Nachprüfungsanträge 1 VK LVwA 69/09, 70/09, 71/09 und 72/09 der Antragstellerin mit Beschluss vom 30.04.2010 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen 1 VK LVwA 69/09 verbunden.
Mit einem weiteren Beschluss, der in der mündlichen Verhandlung vom 09.06.2010 verkündet und am 23.06.2010 schriftlich niedergelegt wurde, hat die Vergabekammer den Nachprüfungsanträgen der Antragstellerin in den verbundenen Verfahren stattgegeben und festgestellt, dass die Vergabe von Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes für den Zeitraum ab dem 01.01.2010 im Gebiet der Vergabestelle unwirksam ist. Die Vergabekammer hat die Vergabestelle außerdem verpflichtet, im Falle der zukünftigen Erbringung von Rettungsdienstleistungen durch Dritte, diesen Dritten im Wege eines offenen Verfahrens zu ermitteln.
Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, alle von der Vergabestelle abgeschlossenen Verträge über die Erbringung von Rettungsdienstleistungen entfalteten keine rechtliche Bindungswirkung, da die Verträge zwischen den Vertragspartnern ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens und somit außerhalb des Wettbewerbs geschlossen worden seien. Soweit die Vergabestelle die Vertragsschlüsse mit dem durchgeführten Verhandlungsverfahren zu begründen suche, könne offenbleiben, ob diese Vergabeart zulässig gewesen sei. Jedenfalls stehe jenes Verhandlungsverfahren zu der später getroffenen Vereinbarung über die Durchführung von Rettungsdienstleistungen in keiner rechtlichen Beziehung. Dies ergebe sich schon daraus, dass nach Verlängerung der Bindefrist des Angebots im Verhandlungsverfahren bis zum 15.09.2008 keine weitere Verlängerung vorgenommen worden sei und der Zuschlag sich außerdem auf einen anderen Leistungszeitraum beziehe als das damalige Angebot der Beigeladenen. Da das Verhandlungsverfahren nicht Grundlage der Vertragsschlüsse gewesen sei, handele es sich bei der Zuschlagserteilung um rechtlich unwirksame De-facto-Vergaben außerhalb des Wettbewerbs.
Die Antragstellerin habe, so hat die Vergabekammer weiter ausgeführt, die Unwirksamkeit auch rechtzeitig gemäß § 101 b Abs. 2 GWB gerügt. Denn erst durch das Schreiben der Vergabestelle vom 19.11.2009 habe sie von den Vertragsschlüssen Kenntnis erlangt. Mit dem Eingang der Nachprüfungsanträge am 09.12.2009 sei demnach die Frist gewahrt. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nachprüfungsanträge hat die Kammer nicht gesehen. Sowohl für die Beigeladene als auch für die Vergabestelle sei spätestens durch die Nachprüfungsanträge ersichtlich gewesen, dass die Antragstellerin sich gegen jede Form der Leistungserbringung außerhalb eines geordneten Vergabeverfahrens wenden wollte. Dass sie in Unkenntnis der wahren Vertragsinhalte nur den Begriff eines Interimsvertrags verwendet habe, sei daher unschädlich.
Die Verpflichtung, im Falle der zukünftigen Leistungserbringung durch Dritte ein offenes Verfahren durchzuführen, hat die Vergabekammer für erforderlich gehalten, um „weiteren rechtlich durchaus fragwürdigen Initiativen der Antragsgegnerseite vorzubeugen und letztlich eine schnelle und ordnungsgemäße Vergabe derartiger Leistungen sicherzustellen.”
Hiergegen richten sich die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und der Vergabestelle. Die Beigeladene ist nach wie vor der Ansicht, die Nachprüfungsanträge der Antragstellerin seien unzulässig, da der vermeintliche Verstoß nicht rechtzeitig binnen 6 Monaten und nicht korrekt geltend gemacht worden sei. Die Vergabekammer habe übersehen, dass der zugrundeliegende Dienstleistungsvertrag zwischen der Beigeladenen und der Vergabestelle spätestens bei der protokollarisch festgehaltenen Besprechung zum Abschluss der Entgeltvereinbarung am 09.11.2009 konkludent geschlossen worden sei, ohne dass es auf einen Zuschlag ankäme. Da die Antragstellerin außerdem keine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage gegen die Genehmigung über die Erbringung von Rettungsdienstleistungen erhoben habe, bestehe für das Verfahren vor der Vergabekammer auch kein Rechtsschutzinteresse mehr. Ihrem Ziel, eine neue Ausschreibung zu erreichen, stehe vielmehr eine bestandskräftige Genehmigung entgegen. Im Hinblick auf die Auslegung der Nachprüfungsanträge, die nach Ansicht der Beigeladenen lediglich eine Verlängerung von einem Jahr, also eine Interimsvergabe, zum Gegenstand gehabt hätten, beruft sich die Beigeladene auf den Umstand, dass die Antragstellerin anwaltlich vertreten gewesen sei, so dass an die Auslegung von Willenserklärungen entsprechend erhöhte Anforderungen zu stellen seien.
Die Beigeladene beantragt zuletzt,
die Entscheidung der Vergabekammer vom 23.06.2010 zum Az. 1 VK LVwA 69/09 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Entscheidung der Vergabekammer vom 23.06.2010 zum Az. 1 VK LVwA 69/09 aufzuheben und die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenats über die Sache erneut zu entscheiden.
Die Vergabestelle beantragt,
den Beschluss der 1. Vergabekammer vom 09.06.2010 zum Az. 1 VK LVwA 69/09 in vollem Umfang aufzuheben und den vergaberechtlichen Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Vergabestelle hält den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin schon deshalb für unzulässig, weil bereits ein Vertrag abgeschlossen worden sei. Die Zuschlagserteilung sei wirksam und könne auch nicht mehr aufgehoben werden. Wegen des Inhalts der Rügen der Antragstellerin vom 19.11. und 23.11.2009, die sich nur auf eine Interimsvergabe von einem Jahr bezogen hätten, und auch im Hinblick auf die Bedenken gegen das Rechtsschutzinteresse wegen der für die Beigeladene erteilten Genehmigung nach § 11 RettDG LSA teilt die Vergabestelle die Rechtsauffassung der Beigeladenen. Sie betont außerdem, dass sie sehr wohl eine Ausschreibung durchgeführt habe, die von der Antragstellerin dieses Verfahrens auch zu keinem Zeitpunkt angegriffen worden sei. Hierzu wiederholt und vertieft die Vergabestelle ihre Schilderung des Hintergrunds ihrer Verfahrensweise im Hinblick auf die Verhandlungen mit der Beigeladenen und die nach¬folgenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Halle vom 25.09.2008 und des Oberverwaltungsgerichts vom 31.07.2009. Kein einziger Bieter habe einen vergaberechtlichen Nachprüfungsantrag bezogen auf die Verhandlungen mit der Beigeladenen gestellt. Die Antragstellerin handele nun treuwidrig, wenn sie erst nach einem Jahr Mängel jenes früheren Verhandlungsverfahrens geltend mache. Dieses Vergabeverfahren sei auch nie aufgehoben worden. Die Einleitung eines neuen offenen Verfahrens sei vielmehr allein der damaligen Entscheidung des Verwaltungsgerichts geschuldet gewesen. Nach dem diese durch das Oberverwaltungsgericht aufgehoben worden sei, habe die Antragsgegnerin hieran nicht mehr festhalten können und darauf vertraut, dass das frühere Verhandlungsverfahren nicht mehr angreifbar sei.
Die Antragstellerin tritt beiden Beschwerden entgegen und beantragt,
die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und der Vergabestelle zurückzuweisen.
Sie hält die Beschwerde der Beigeladenen bereits für unzulässig. Diese habe nicht ansatzweise schlüssig aufgezeigt, warum die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer vom 09.06.2010 rechtsfehlerhaft sein solle. Der Einwand der Beigeladenen, die Unwirksamkeit des im November 2009 abgeschlossenen Vertrages sei von der Antragstellerin später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden, ist nach Ansicht der Antragstellerin nicht nachvollziehbar begründet, da sie ja schon im Dezember 2009 den Nachprüfungsantrag eingereicht habe. Sollte ein Vertragsschluss im November 2009 mündlich bzw. konkludent erfolgt sein, wie die Beigeladene behaupte, wäre der Anfang Dezember 2009 und damit innerhalb eines Zeitraumes von weniger als einem Monat eingereichte Nachprüfungsantrag der Antragstellerin erkennbar nicht verfristet im Sinne der Neuregelung in § 101 b Abs. 2 Satz 1 GWB. Der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen lasse sich auch nicht entnehmen, weshalb eine vermeintlich fehlende verwaltungsgerichtliche Klage der Antragstellerin gegen die Genehmigung zur Durchführung von Rettungsdienstleistungen zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages führen solle.
Die Antragstellerin rügt auch die Beschwerde der Vergabestelle als unzulässig. Da ihr der angefochtene Beschluss der Vergabestelle per Telefax schon am 23.06.2010 zugegangen sei, sei die am 12.06.2010 eingelegte Beschwerde verfristet.
In der Sache hält die Antragstellerin beide Beschwerden für unbegründet und verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Sie meint insbesondere, der von der Beigeladenen behauptete konkludente Vertragsschluss im November 2009 sei rechtlich auch nicht wirksam gewesen, selbst wenn man einen solchen Vertragsschluss unterstellte. Nach § 59 Abs. 1 der Landkreisordnung für das Land Sachsen-Anhalt bedürften Erklärungen, durch welche der Landkreis verpflichtet werden solle, ausdrücklich der Schriftform. Sie seien nur rechtsverbindlich, wenn sie von dem Landrat handschriftlich unterzeichnet und mit dem Dienstsiegel versehen seien. Dieser gesetzlich vorgeschriebenen Formvorschrift genüge der hier abgeschlossene Vertrag zwischen der Beigeladenen und dem Antragsgegner nicht, er wäre daher auch gemäß § 125 BGB nichtig.
Die Antragstellerin ist ferner der Ansicht, die fehlende Anfechtung der angeblich erteilten Genehmigung nach § 11 RettDG sei unerheblich. Zum Einen könne eine Anfechtung der Genehmigung zulässigerweise auch heute noch erfolgen, weil die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO, die für alle Verwaltungsakte gelte, noch nicht abgelaufen sei, zum Anderen verkenne die Beigeladene, dass mit der ihr von dem Antragsgegner erteilten Genehmigung nach § 11 RettDG LSA kein Ausschließlichkeitsrecht zur Erbringung von Rettungsdienstleistungen verbunden sei.
In der Sache, so meint die Antragstellerin, führe die Beigeladene den Rettungsdienst im Hoheitsgebiet der Vergabestelle durch, ohne dass die Auswahl der Beigeladenen als Vertragspartner im Rahmen eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens erfolgt sei. Das erste und das dritte Vergabeverfahren seien förmlich aufgehoben worden. Das zweite, nicht förmliche Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung sei jedenfalls konkludent durch die nachfolgende Neuausschreibung Ende 2008 beendet worden.
Durch ihre weiteren Verfahrensbevollmächtigten lässt die Antragstellerin ihren bisherigen Vortrag weiter vertiefen und erläutert insbesondere, warum nach ihrer Ansicht die verwaltungsrechtliche Genehmigung der Leistungserbringung einer vergaberechtlichen Anfechtung nicht entgegenstehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Akten der Vergabekammer Bezug genommen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig.
Sie wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann ihrem Inhalt sehr wohl entnommen werden, aus welchen rechtlichen Gründen und mit welcher Argumentation die Beigeladene die angefochtene Entscheidung für falsch hält. Ob die mit der Beschwerdebegründung zum Ausdruck gebrachte rechtliche Argumentation schlüssig oder gar zwingend erscheint, ist für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Bedeutung.
2. Auch die sofortige Beschwerde der Vergabestelle ist zulässig.
Soweit die Antragstellerin hier eine Verfristung annimmt, weil der Beschluss den Parteien schon am 23.06.2010 per Fax übersandt wurde, folgt der Senat der Rechtsauffassung der Antragstellerin nicht. In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses, die für den Fristlauf maßgeblich ist, hat die Vergabekammer den Lauf der Beschwerdefrist ausdrücklich an die Zustellung des Beschlusses geknüpft. Hierunter versteht die Vergabekammer eine Zustellung gegen Postzustellungsurkunde, die hier an die Vergabestelle am 28.06.2010 erfolgte. Hätte die Vergabekammer die Übersendung per Fax als Zustellung angesehen, hätte es einer nachträglichen Versendung gegen Zustellungsurkunde nicht mehr bedurft.
III.
Die Beschwerden der Beigeladenen und der Vergabestelle sind jedoch in der Sache unbegründet.
Die Nachprüfungsanträge der Antragstellerin jeweils vom 09.12.2009 sind zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt. Eine Verletzung ihrer Rügeobliegenheiten liegt nicht vor. Die Einleitung der vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren war auch nicht verwirkt oder mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Wie die Vergabekammer im Ergebnis zu Recht angenommen hat, fehlt es in der Sache an einer vergaberechtlichen Grundlage für eine Zuschlagserteilung an die Beigeladene. Daher handelt es sich bei der Auftragserteilung um eine wettbewerbswidrige und deshalb nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB nichtige De-facto-Vergabe. Zur Herstellung der vergaberechtlichen Rechtmäßigkeit des Verfahrens kommt nur eine vollständige Neuausschreibung in Betracht. Auch insoweit stimmt der Senat der Vergabekammer zu.
1. Die Übertragung der Durchführung der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports ist - jedenfalls nach der derzeitigen Gesetzeslage in Sachsen-Anhalt - zwingend als Vergabeverfahren nach den §§ 97 ff GWB durchzuführen, wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 23.04.2009, 1 Verg 7/08, VergabeR 2009, 793 bis 798).
Auch die Argumente im vorliegenden Verfahren bieten keine Veranlassung, von der jüngsten Rechtsprechung des Senats abzuweichen.
a) Bis 2008 war allerdings in der Rechtsprechung der beteiligten Obergerichte des Landes Sachsen-Anhalt einheitlich entschieden worden, dass eine Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung im Rettungswesen nicht bestehe (Rechtsprechung des Senats seit dem Beschluss vom 19.10.2000, 1 Verg 9/00, zuletzt Beschluss v. 15.07.2008, 1 Verg 5/08, VergabeR 2008, 821 bis 826, sowie des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Sachsen-Anhalt vom 21.12.2000, 1 M 316/00), weil der sachliche Anwendungsbereich des Vierten Teils des GWB nicht eröffnet sei.
Dabei wurde festgestellt, dass die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB über öffentliche Aufträge nicht anwendbar seien, da die im Rettungsdienstgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (zuletzt in der Fassung vom 21.03.2006, GVBl. 2006 S. 84, im Folgenden kurz: RettDG LSA) festgelegte, hoheitlich zu erteilende Berechtigung zur Leistungserbringung nicht mit der Rechtsnatur eines Auftragsverhältnisses vereinbar sei. Der erkennende Senat sah damals auch erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der nationale Gesetzgeber quasi selbstverständlich davon ausging, dass Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des § 99 GWB fallen (vgl. Senatsbeschluss vom 23.04.2009, a.a.O.). Auch der Landesgesetzgeber ging, nicht zuletzt auf Grund der ihm bei der Neufassung des Gesetzes 2006 bekannten Rechtsprechung davon aus, dass die Einhaltung der Regeln des Vierten Teils des GWB nicht zwingend sei, wie sich schon aus der Tatsache ergibt, dass er in § 11 Abs. 2 RettDG LSA nur eine analoge Anwendung der Vorschriften des Vierten Teils des GWB erwähnt, und auch diese nur als eine Möglichkeit vorgesehen hat.
b) Danach hat jedoch der X. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 01.12.2008 (vgl. X ZB 31/08, BGHZ 179, 84 ff.) festgestellt, dass das zur Übertragung der Durchführung der Notfallrettung und des (qualifizierten) Krankentransports nach sächsischem Recht (§ 31 SächsBRKG) vorgesehene Auswahlverfahren als Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 1 GWB durchzuführen ist, wenn der Wert des abzuschließenden Vertrages den Schwellenwert im Sinne von § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 2, 3 VgV erreicht.
Nach dieser grundlegenden Entscheidung des BGH ist für den Bereich des nationalen Rechts geklärt, dass das Vergaberecht zumindest für das sogenannte Submissionsmodell im Rettungsdienstwesen anwendbar ist (so auch OVG Sachsen-Anhalt, s. Beschluss vom 03.12.2009, 3 M 307/09).
c) Die maßgeblichen Erwägungen der zitierten Entscheidung des BGH vom 01.12.2008 sind auch auf das Rettungswesen in Sachsen-Anhalt und damit auch auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar.
Der erkennende Senat hat daher erstmals mit Beschluss vom 23.04.2009 (a.a.O.) entschieden, dass die Übertragung der Durchführung der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports auch in Sachsen-Anhalt als Vergabeverfahren nach den §§ 97ff GWB durchzuführen ist.
d) Dabei kann nach derzeitiger Rechtslage in Sachsen-Anhalt offen bleiben, ob für Rettungsdienstleistungen im Rahmen eines sogenannten „Konzessionsmodells“ etwas anderes gelten könnte.
Denn entgegen der zuletzt geäußerten Ansicht des Antragsgegners handelt es sich bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungsaufträgen in Sachsen-Anhalt jedenfalls nicht um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
aa) In den Bundesländern bestehen für die Vergütung der Dienstleistungserbringer zwei unterschiedliche Modelle.
Beim ersten, dem sogenannten „Submissionsmodell“, werden Vergütungen oder andere Leistungen unmittelbar durch die Gebietskörperschaft erbracht. Beim zweiten, dem sogenannten „Konzessionsmodell“, hat der Dienstleistungserbringer durch Erhebung von Entgelten bei den Patienten oder den Sozialversicherungsträgern selbst für seine Vergütung zu sorgen.
bb) Nach Art. 1 Abs. 4 der RL 2004/18/EG (VKR) sind Dienstleistungskonzessionen Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.
Diese Definition ist, wie schon das OLG München dargelegt hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 02.07.2009, Verg 05/09, VergabeR 5/2009, S. 781; NZBau 10/2009, S. 666), letztlich auf die EuGH-Entscheidung vom 7.12.2000 – C-324/98 (Tel-Austria) zurückzuführen und vom EuGH in weiteren Entscheidungen bestätigt worden (EuGH vom 30.5.2002 – C-358/00 und vom 21.7.2005 – C-231/03). Dienstleistungsaufträge sind dagegen nach Art. 1 Abs. 2a VKR die zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen.
Während die Dienstleistungskonzession nach Art. 17 VKR grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen ist, unterfällt ein Dienstleistungsauftrag den Regeln der Richtlinie. Es kommt daher entscheidend darauf an, wie die beiden Vertragstypen voneinander abzugrenzen sind. (vgl. OLG München, a.a.O.).
Für die Dienstleistungskonzession ist dabei grundsätzlich eine Dreierbeziehung typisch, in welcher der öffentliche Auftraggeber dafür, dass der Auftragnehmer die Dienstleistung anbietet, keine unmittelbare Gegenleistung erbringt, sondern dem Auftragnehmer lediglich die Möglichkeit zur Nutzung zur Verfügung stellt (vgl. OLG München. a.a.O.).
cc) Legt man zutreffenderweise diesen Maßstab an, kann von einer Dienstleistungskonzession im Hinblick auf § 12 RettDG LSA keine Rede sein.
In Sachsen-Anhalt besteht vielmehr ein „Submissionsmodell“, wenn es auch von dem sächsischen Modell abweicht, das Gegenstand der Entscheidung des BGH vom 01.12.2008, X ZB 31/08, war. Schon die Kosten werden nicht im Verhältnis zwischen Leistungserbringer und Kostenträger ermittelt, sondern gemäß § 12 Abs. 1 RettDG LSA durch den Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes, also den öffentlichen Auftraggeber, und die Leistungserbringer. Auch die nach dem Gesetz vorgesehenen Benutzungsentgelte bedürfen der Vereinbarung u.a. mit dem Träger des Rettungsdienstes als öffentlichem Auftraggeber und einem anderen öffentlichen Auftraggeber, nämlich der Gesamtheit der Sozialversicherungsträger (Kostenträger). An das Ergebnis dieser dreiseitigen Vereinbarung sind die Auftragnehmer gebunden. Diese zentrale und gesetzlich normierte Einbindung des Rettungsdienstträgers in die Entgeltvereinbarung steht der Annahme einer Dienstleistungskonzession ebenso entgegen wie § 5 RettDG LSA, der dem Träger des Rettungsdienstes den Betrieb der Rettungsleitstellen aufträgt.
dd) Der EuGH hat ohnehin schon ausdrücklich entschieden, dass es sich bei der Vergabe von Aufträgen über öffentliche Notfall- und qualifizierte Krankentransportleistungen nach dem Rettungsdienstgesetz in Sachsen-Anhalt um Vergaben nach dem „Submissionsmodell“ handelt (so Rdn. 131 des Urteils des EuGH vom 29.04.2010, Kommission/Deutschland C-160/08, VergabeR 4/2010, S. 617):
„Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Vergabe von Aufträgen über öffentliche Notfall- und qualifizierte Krankentransportleistungen nach dem Submissionsmodell in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 10 der Richtlinie 92/50 in Verbindung mit Art. 16 dieser Richtlinie bzw., seit 1. Februar 2006, aus Art. 22 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 4 dieser Richtlinie verstoßen hat, dass sie keine Bekanntmachungen über die Ergebnisse des Verfahrens zur Auftragsvergabe veröffentlicht hat.“
Entgegen der Ansicht der Beigeladenen und der Vergabestelle hat der EuGH mit diesem Urteil vom 29.04.2010 letztlich auch das Bestehen einer gemeinschaftsrechtswidrigen Praxis bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen für Rettungsdienstleistungen in Sachsen-Anhalt festgestellt und dabei das Vorliegen eines Submissionsmodells im Bereich des Rettungsdienstes in Sachsen-Anhalt bestätigt (s. o., Rdn. 131 des Urteils vom 29.04.2010, a.a.O.). Die Beschränkung der Feststellung des Gemeinschaftsrechtsverstoß auf die Verpflichtung zur Bekanntmachung vergebener Aufträge hatte dabei allein prozessuale Gründe.
ee) Das Bundesland Bayern könnte sich dagegen für ein Konzessionsmodell entschieden haben, so jedenfalls die Ansicht des Generalanwalts in der Rechtssache C-274/09.
Nur deshalb sieht der Generalanwalt, auf dessen Schlussanträge vom 09.09.2010 der Antragsgegner sich mehrfach ausdrücklich bezieht, die dortigen Rettungsdienstleistungen als vergaberechtsfrei an. Indem die Beigeladene und der Antragsgegner sich auf die Argumentation des Generalanwalts berufen, ignorieren sie den grundlegenden Unterschied zwischen den Rettungsdienstkonzepten in Bayern und Sachsen-Anhalt. Vor allem aber übersehen sie auch, dass der Generalanwalt selbst im sachsen-anhaltischen Rettungsdienstgesetz gerade kein Konzessionsmodell verwirklicht sieht. Vielmehr benennt auch er indirekt das Rettungsdienstwesen in Sachsen-Anhalt als Beispiel eines Submissionsmodells (vgl. Fußnote 5 der Schlussanträge vom 09.09.2010, C - 274 / 09 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH und das Urteil des EuGH vom 29.04.2010, Kommission/Deutschland (C-160/08, VergabeR 4/2010, S. 617), für das nach der Rechtsprechung des EuGH die Regeln des Vergaberegimes gelten.
e) Der EuGH stellte in dem zitierten Urteil auch klar, dass Rettungsdienstleistungen grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG fallen:
„(…) ist zwischen den Verfahrensbeteiligten auch unstreitig, dass der Notfalltransport bzw. der qualifizierte Krankentransport, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, den Kategorien 2 bzw. 3 des Anhangs IA der Richtlinie 92/50 bzw. des Anhangs II Teil A der Richtlinie 2004/18 und zugleich der Kategorie 25 des Anhangs IB der Richtlinie 92/50 bzw. des Anhangs II Teil B der Richtlinie 2004/18 zuzurechnen sind, so dass die Aufträge, die derartige Dienstleistungen zum Gegenstand haben, in den Anwendungsbereich von Art. 10 der Richtlinie 92/50 bzw. von Art. 22 der Richtlinie 2004/18 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24.09.1998, Tögel, C-76/97, Slg. 1998, I-5357, Randnr. 40).“ (vgl. EuGH, Urt, v. 29.04.2010, a.a.O., Rdn. 92).
Der EuGH hat in diesem Urteil auch die Frage nach einer Bereichsausnahme gemäß Art. 51 AEUV (Art. 45 EG a.F.) und Art. 62 AEUV (Art. 55 EG a.F.) beantwortet und festgestellt, dass Rettungsdienstleistungen keiner solchen Bereichsausnahme unterfallen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.04.2010, a.a.O., Rdn. 76 bis 86).
f) In diese oben dargestellte Phase des „Paradigmenwechsels” (zwischen oben II. 1. a und c) fielen auch die Vergabeverfahren und die verwaltungsgerichtlichen Verfahren, auf die die Vergabestelle sich zur Begründung ihrer mehrfachen Aufhebung von Vergabeverfahren beruft.
Der Wechsel der für Sachsen-Anhalt maßgeblichen Rechtsprechung vermag zwar die nach Ansicht des Senats erkennbare Unsicherheit der Vergabestelle über die Notwendigkeit einer europaweiten Ausschreibung zu erklären. Diese Unsicherheit ändert aber letztlich nichts an der rechtlichen Notwendigkeit, die streitgegenständlichen Rettungsdienstleistungen innerhalb eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens nach den §§ 97ff. GWB zu vergeben.
2. Die Antragstellerin ist antragsbefugt und ihre Nachprüfungsanträge sind zulässig.
a) Die allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt und die Antragsbefugnis der Antragstellerin nach § 107 Abs. 2 GWB ergibt sich schon aus der Tatsache, dass sie mit der Abgabe eines Angebots im letzten förmlichen offenen Verfahren dokumentiert hat, dass sie zum Kreis potentieller Bieter für die streitgegenständlichen Dienstleistungen gehörte.
b) An einer neuerlichen oder weiteren Angebotsabgabe war die Antragstellerin gehindert.
Im Rahmen der Rechtsprechung zur Antragsbefugnis ist anerkannt, dass ein Nichtbieter gleichwohl sein Interesse am Auftrag hinreichend bekundet hat, wenn er berechtigt geltend machen kann, an der Abgabe eines aussichtsreichen Angebots gehindert worden zu sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 29.10.2008, VII-Verg 35/08; OLG München, Beschluss vom 02.08.2007, Verg 7/07, VergabeR 2007, 799; Thüringer OLG, Beschluss vom 06.06.2007, 9 Verg 3/07, VergabeR 2007, 678). Ein Angebot mit Zuschlagschancen konnte die Antragstellerin nachvollziehbar nicht abgeben, weil der Beschaffungsbedarf des Antragsgegners nach Aufhebung des letzten Vergabeverfahrens nicht transparent und für die Antragstellerin nicht erkennbar war.
c) Der Zugang der Antragstellerin zum vergaberechtlichen Primärrechtsschutz ist hier noch eröffnet.
Dass ein Auftrag an die Beigeladene bereits erteilt wurde, steht der Zulässigkeit der Nachprüfungsanträge nicht entgegen, denn die Parteien streiten im vorliegenden Verfahren gerade über die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung, von der auch die Begründetheit der Anträge abhängt. Der Vergabestelle ist zwar zuzustimmen, dass ein Nachprüfungsverfahren nicht mehr in Betracht kommt, wenn der Zuschlag bereits vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens wirksam erteilt wurde (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB). Die Vergabestelle verkennt aber, dass ein unwirksamer Zuschlag diese Folge nicht hat. Voraussetzung für die Unwirksamkeit eines Zuschlages nach § 101 b GWB ist, dass der Auftraggeber entgegen § 101a GWB die Benachrichtigung der Bieter entweder ganz unterlassen hat, diese Mitteilung nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt hat oder er den Auftrag vergaberechtswidrig ohne (jegliche) Ausschreibung erteilt hat (vgl. § 101 b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB). Die letzte Variante könnte hier vorliegen (s. dazu unten Ziff. II. 3), was im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung bei schlüssigem Vorbringen zu unterstellen ist.
d) Auch im Hinblick auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Rügen teilt der Senat die Auffassung der Vergabekammer.
Die Nachprüfungsanträge waren nach der Neuregelung in § 101 b Abs. 2 Satz 1 GWB fristgerecht.
aa) Wollte man demgegenüber mit einer der im Laufe des Verfahrens von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vertretenen Ansichten davon ausgehen, dass die Vergabestelle den Zuschlag noch auf das von der Beigeladenen in dem zweiten Vergabeverfahren offerierte Angebot vom 23.04.2008 erteilt hat, wäre die Frist ohnehin nicht maßgeblich, wie die Antragstellerin zu Recht betont.
Denn dann wäre das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner bis zum 22.04.2009 geltenden Fassung anzuwenden. Damals gab es eine der heutigen Regelung in § 101 b Abs. 2 Satz 1 GWB entsprechende Vorschrift nicht. Die Rügefrist des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. wäre gewahrt. Selbst nach dem Vorbringen der Vergabestelle ist eine positive Kenntnis von dem am 19.11.2009 gerügten Vergabeverstößen frühestens am 19.11.2009 begründet worden. Vorher bestand nicht einmal der Verdacht eines Vergabeverstoßes. Vielmehr hatte die Vergabestelle die Antragstellerin selbst auf deren Anfragen vom November 2009 noch mit Schreiben vom 19.11.2009 über die Einzelheiten der Auftragserteilung im Unklaren gelassen. Jedenfalls ist die Rüge noch am Tage nach Kenntnis verfasst und beim Antragsgegner angebracht worden, mithin unverzüglich im Sinne von § 121 BGB.
bb) Geht man mit dem Senat und in Übereinstimmung mit dem jüngsten Vorbringen der Vergabestelle und der Beigeladenen in rechtlich zutreffender Wertung ohnehin von einem Vertragsschluss am 9. oder 12. November 2009 auf der Grundlage der erst zu diesem Zeitpunkt mündlich bzw. konkludent abgegebenen oder zumindest notwendigerweise erneuerten Angebots- und Abnahmeerklärungen aus, beginnt der Fristlauf frühestens ab Zugang des Schreibens der Vergabestelle vom 24.11.2009.
Damit sind die am 09.12.2009 eingeleiteten Nachprüfungsverfahren nach neuem Recht ebenfalls rechtzeitig binnen eines Monats eingeleitet worden. Dies gilt erst Recht für die bei einer De-facto-Vergabe maßgebliche Höchstfrist von 6 Monaten nach § 101b Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GWB, auf die die Antragstellerin sich zu Recht beruft.
cc) Die Rügen der Antragstellerin waren auch inhaltlich ausreichend.
Ein Bieter, der im Rahmen einer De-facto-Vergabe eine Rechtsverletzung erkennt, kann nicht mehr rügen, als das, was ihm aufgrund der fehlenden Transparenz einer De-facto-Vergabe bekannt ist. Da die Antragstellerin aufgrund von Pressemitteilungen lediglich von einer Interimsvergabe ausging, konnte sie auch nur das zum Gegenstand ihrer Rüge machen. Es kommt hinzu, dass die Vergabestelle mit ihrem Schreiben vom 19.11.2009 die Antragstellerin über den tatsächlichen Inhalt der von der Vergabestelle mit der Beigeladenen geschlossenen Verträge und die Vertragsdauer im Unklaren gelassen hatte. Schließlich hat es an dem eigenen Verhalten der Vergabestelle gelegen, dass die Antragstellerin keine genauen Kenntnisse von der tatsächlichen Vertragsge- staltung hatte.
e) Soweit die Vergabestelle meint, sie könne sich auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis mit der Begründung berufen, dass kein einziger Bieter einen vergaberechtlichen Nachprüfungsantrag bezogen auf das frühere Vergabeverfahren gestellt habe, versucht sie, die tatsächlichen Verhältnisse umzudrehen.
In den Vergabeverfahren, die der Auftragserteilung vorausgingen, bestand letztlich keine Veranlassung für solche Anträge, weil die Verfahren von der Vergabestelle ohnehin aufgehoben worden waren. Selbst wenn ein Bieter in einem der Verfahren einen Nachprüfungsantrag gestellt hätte, wäre er spätestens mit der Aufhebung erledigt gewesen.
Daher trifft eher das Gegenteil der Argumentation der Vergabestelle zu. Wenn ein Bieter oder Interessent in einem der aufgehobenen Verfahren Nachprüfungsanträge gestellt hätte, hätte ihm letztlich in jenen Verfahren das Rechtsschutzinteresse gefehlt, nachdem die Vergabestelle von einer Zuschlagserteilung Abstand genommen und die Verfahren ausdrücklich aufgehoben hatte. Dass ein Bieter auf die erklärte Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch die Vergabestelle vertraut hat, schließt nicht aus, dass er sich später gegen eine direkte Zuschlagserteilung wendet, die außerhalb jedes Vergabeverfahrens umgesetzt wird.
f) Dem Ziel des Nachprüfungsverfahrens, eine erneute Ausschreibung der Dienstleistung zu erreichen, steht eine bestandskräftige Genehmigung nach § 11 RettDG LSA ebenfalls nicht entgegen.
aa) Soweit die Beigeladene und die Vergabestelle das Rechtsschutzbedürfnis der Nach¬prüfungsanträge - und damit die Antragsbefugnis der Antragstellerin - im vorliegenden Vergabeverfahren mit der Begründung in Zweifel ziehen, nach Erteilung einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung zur Durchführung von Rettungsdienstleistungen sei einer vergaberechtliche Anfechtung nicht mehr möglich, verkennen beide grundlegend die Bedeutung des § 11 RettDG LSA und das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher Genehmigung und vergaberechtlicher Zuschlagserteilung.
bb) Die Frage, ob die verfahrensrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/18/EG auch dann einzuhalten sind, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag in Form eines Verwaltungsaktes erteilt, hat der EuGH in der Rs. C-160/08 zwar nicht ausdrücklich entschieden.
Dem Urteil ist jedoch, wie die Antragstellerin zu recht vorträgt, zu entnehmen, dass der EuGH das Vorliegen einer Genehmigung jedenfalls nicht als Hindernis für die Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts ansieht (vgl. EuGH, Urt. v. 29.04.2010, a.a.O., Rdn. 20, 27). Das entspricht auch der allgemeinen Rechtsauffassung im Vergaberecht, dass die Anwendbarkeit des Vergaberegimes von der gewählten Rechtsform unabhängig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 01.12.2008, a.a.O.). Das Gemeinschaftsrecht kennt die im deutschen Recht herrschende strikte Unterscheidung zwischen Verwaltungsakt und Vertrag ohnehin nicht. Nach der Rechtsprechung des EuGH unterfällt jede vertragliche Vergabe, auch wenn ihr eine öffentlich-rechtliche Genehmigung vorausgehen oder folgen muss - ja selbst wenn die Genehmigung sie ersetzt - grundsätzlich dem europäischen Vergaberecht, EuGH, a.a.O., Rdn. 23, 90, 92).
Wie die Antragstellerin zutreffend ausgeführt hat, gibt es gemeinschaftsrechtlich keinen vergabefreien öffentlich-rechtlichen Vertrag oder Verwaltungsakt der die Anwendung des Vergaberechts trotz im Übrigen erfüllter Voraussetzungen ausschließen könnte (vgl. EuGH, Urteil vom 18.12.2007 - Rs. C-220/06, Rdn. 50, 54 f., VergabeR 2008, 196, 200).
cc) Dem steht auch die Rechtsprechung des OVG nicht entgegen.
Denn das OVG ist bei seinen Entscheidungen (vgl. zuletzt Beschluss vom 03.12.2009, 3 M 307/09) zu den Voraussetzungen des § 11 RettDG LSA davon ausgegangen, dass Verstöße gegen Bestimmungen des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der VOL/A oder der Vergabeverordnung für das Verwaltungsverfahren zur Erteilung der Genehmigung als solche nicht maßgeblich seien, da der Gesetzgeber dem Träger des Rettungsdienstes zwar vor der Erteilung einer Genehmigung nach §§ 3 Abs. 2, 11 Abs. 1 RettDG LSA die Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung auferlegt habe, nicht jedoch zwingend die Durchführung eines Vergabeverfahrens nach Maßgabe des Vierten Teils des GWB. Diese Entscheidung steht, da sie sich ausschlie߬lich auf die öffentlich-rechtliche Genehmigung der Leistungserbringung beschränkt, auch nicht im Widerspruch zur oben zitierten Rechtsprechung des BGH. Im nationalen Rechtskontext ist nicht die öffentlichrechtliche Genehmigung, ggf. eine Dienstleistung zu übernehmen, sondern nur die privatrechtliche Auftragserteilung selbst dem Vergaberegime unterworfen.
dd) Mit der vom Antragsgegner erteilten Genehmigung nach § 11 RettDG LSA ist sowohl nach dem RettDG LSA als auch nach dem Inhalt des Verwaltungsaktes nicht das Recht verbunden, die genehmigten Rettungsdienstleistungen ohne Ausschreibung zu erbringen oder gar andere Bieter auszuschließen.
Dementsprechend könnte der Antragsgegner jederzeit auch einem anderen Leistungserbringer eine entsprechende Genehmigung nach § 11 RettDG LSA erteilen, wenn er durch Erteilung des Zuschlags zum neuen Leistungserbringer im Sinne von § 11 Abs. 1 RettDG wird und die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Erteilung der Genehmigung in Gestalt eines Verwaltungsaktes einerseits und die Erteilung eines Zuschlags im Sinne des § 97 Abs. 5 GWB sind sowohl materiellrechtlich als auch verfahrensrechtlich streng zu unterscheiden und schließen sich in ihrer Wirksamkeit nicht gegenseitig aus, wie wohl auch das Oberverwaltungsgericht stets angenommen hat (vgl. Beschluss vom 02.02.2009, 3 M 555/08, NZBau 2009, 362 und zuletzt Beschluss vom 03.12.2009, 3 M 307/09).
3. Zu Recht hat die Vergabekammer im vorliegenden Fall festgestellt, dass die Auftragserteilung an die Beigeladene unter Verletzung der §§ 97 ff GWB außerhalb eines Vergabeverfahrens erfolgt ist.
a) Das erste Vergabeverfahren zur Erteilung des Auftrags für Rettungsdienstleistungen im B. Kreis wurde mit Bekanntmachung vom 17.01.2008 eingeleitet.
Es handelte sich um ein offenes Verfahren, das jedoch nicht zu Ende geführt wurde. Nach Ausschluss des einzigen eingegangenen Angebots hat die Vergabestelle das Verfahren ausdrücklich aufgehoben. Es konnte danach nicht mehr Grundlage für eine Zuschlagserteilung sein. Auf das Ergebnis jenes ersten offenen Verfahrens bezog sich die Auftragserteilung an die Beigeladene auch unstreitig nicht.
b) Daraufhin hat die Vergabestelle mit der Beigeladenen einseitig weiter verhandelt.
Ob in diesem Vorgehen überhaupt ein zulässiges Verhandlungsverfahren oder ggf. ein zweites Vergabeverfahren gesehen werden kann, obwohl es an einer Bekanntmachung fehlte, und ob die Verhandlungen allein mit der Beigeladenen ohne Weiteres zulässig waren, erscheint dem Senat sehr zweifelhaft. Diese Frage kann indes offen bleiben. Denn jedenfalls wurde das von ihr so genannte Verhandlungsverfahren mit der Beigeladenen durch die Vergabestelle beendet, als sie für die Vergabe derselben Leistungen erneut eine Ausschreibung im offenen Verfahren veranlasst hat.
aa) Die Vergabestelle kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, dass sie das Verhandlungsverfahren mit der Beigeladenen nicht ausdrücklich ihr gegenüber oder öffentlich beendet hat.
Denn zum einen hat sie schon die Einleitung dieses Verhandlungsverfahrens nicht bekannt gemacht. Zum anderen liegt jedenfalls in der Bekanntmachung eines neuen Vergabeverfahrens, das dieselbe Leistung zum Gegenstand hat, in der Regel für alle potentiellen Bieter erkennbar und zumindest konkludent auch die Aufhebung eines etwaigen vorausgegangenen Vergabeverfahrens über diese Leistung, die nur einmal vergeben werden kann.
bb) Von einem Wiederaufleben des Verhandlungsverfahrens nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 03.12.2009 kann ebenfalls keine Rede sein.
Denn für die Frage der Wirksamkeit der Beendigung des Verhandlungsverfahrens und der Neuausschreibung im offenen Verfahren kommt es nicht darauf an, ob die Vergabestelle sich hierzu aus freien Stücken entschlossen hat, oder ob die Maßnahme auf eine gerichtliche Entscheidung zurückgeht. Maßgeblich ist allein der Empfängerhorizont einer unbestimmten Zahl potentieller Bieter, die allein aus der Ausschreibung im offenen Ver¬fahren den Schluss ziehen durften, dass ein anderes Vergabeverfahren über dieselbe Leistung nicht oder jedenfalls nicht mehr besteht.
Ob ein beendetes Vergabeverfahren trotz dieser bieterschutzrechtlichen Aspekte „wieder aufleben” könnte, wenn dies durch ein Verwaltungsgericht ausdrücklich angeordnet wird, bedarf hier keiner Entscheidung, weil das Verwaltungsgericht eine Fortsetzung des Verhandlungsverfahrens nicht angeordnet hat.
c) Das neue, wieder auf einer Ausschreibung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 17.12.2008 beruhende offene Vergabeverfahren hatte zwar im Wesentlichen dieselbe Leistung zum Inhalt, die auch Gegenstand des später an die Beigeladene erteilten Auftrages ist, wenngleich die Leistung in dieser Ausschreibung territorial in die Rettungswache N. (Los A), die Rettungswache B. (Los B), Rettungswache W. (Los C) und Rettungswache Z. (Los D) aufgeteilt wurde.
Dennoch kann auch dieses letzte Vergabeverfahren keine rechtliche Grundlage für die streitige Zuschlagserteilung bieten, weil dieses neue Vergabeverfahren durch die Vergabestelle ebenfalls ausdrücklich ergebnislos aufgehoben wurde.
4. Fehlt es nach alledem an der notwendigen vergaberechtlichen Grundlage für die Auftragserteilung am 09.11.2009, so handelt es sich um eine wettbewerbswidrige und deshalb nichtige De-facto-Vergabe.
Denn ein Vertrag ist gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem zulässigen Nachprüfungsverfahren nach Absatz 2 festgestellt worden ist.
5. Aber selbst wenn man dem Senat in der Bewertung der Auftragserteilung als De-facto-Vergabe nicht folgen, sondern unterstellen wollte, dass der Zuschlag innerhalb eines Vergabeverfahrens erfolgt sei, wäre der Zuschlag nach der Rechtsansicht des Senats unwirksam.
Denn der Antragsgegner hat es jedenfalls pflichtwidrig versäumt, die Antragstellerin über die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene vorab zu informieren und die Wartefrist des § 101 a Abs. 1 GWB einzuhalten, weshalb der durch die Zuschlagserteilung geschlossene Vertrag auch in dieser theoretischen, vom Senat nicht festgestellten Variante nichtig wäre.
Eine entsprechende Anwendung der §§ 101 a und 101b GWB kommt wie früher diejenige des § 13 VgV (vgl. Senatsbeschluss vom 03.09.2009, 1 Verg 4/09, VergabeR 2009, 933 ff.) in Betracht für potenzielle Bieter, die an einer Beteiligung im Vergabeverfahren mit einem Angebot objektiv vergaberechtswidrig gehindert worden waren (vgl. Senatsbeschluss v. 25.09.2006, 1 Verg 10/06, VergabeR 2007, 255; OLG Dresden, Beschluss v. 14.02.2003, W Verg 11/01 - WuW 2004, 350; Noch, Vergaberecht kompakt, 4. Aufl. 2008, Rdn. 117, jeweils m.w.N.; a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.03.2008, 17 Verg 8/07, VergabeR 2008, 985 in einem obiter dictum; krit. auch Conrad, VergabeR 2007, 258). Denn ein Unternehmen, welches im Zusammenhang mit einem konkreten Vergabeverfahren sein Interesse am Auftrag bekundet hat und nur durch ein vergaberechtswidriges Verhalten der Vergabestelle von einer Angebotsabgabe abgehalten wurde, ist bereits Träger von subjektiven Rechten im Vergabeverfahren.
Die Antragstellerin gehörte deshalb auch bei Unterstellung der genannten Variante in entsprechender Anwendung des § 101 a GWB zum Kreis der vorab zu informierenden Beteiligten des Vergabeverfahrens. Denn die Rechtsprechung hatte schon vor Inkrafttreten des § 101 a GWB im Hinblick auf den Normzweck des damals entscheidenden § 13 VgV dessen entsprechende Anwendung in weiteren Fällen vorgenommen. Dies betrifft Unternehmen, die zwar im laufenden förmlichen Vergabeverfahren bzw. materiellen Vergabevorgang kein Angebot abgegeben haben, aber in einem vorangegangenen förmlichen Verfahren zur Vergabe desselben Auftrags eine Bieterstellung erlangt hatten (vgl. Senatsbeschluss vom 03.09.2009, 1 Verg 4/09; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. und 24.02.2005, VII-Verg 78/04, NZBau 2005, 537 f., IBR 2005, 231; Senatsbeschluss vom 15.03.2007, 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512), ebenso wie Unternehmen, die zwar im Rahmen der Auftragsverhandlungen über eine Zwischenlösung bis zur endgültigen Auftragserteilung nicht beteiligt worden waren, aber sich an der vorangegangenen aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hatten (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 24.01.2008, W Verg 0010/07, VergabeR 2008, 567).
So läge der Fall auch hier. Die zitierten Entscheidungen beruhen letztlich auf einer einheitlichen Betrachtung des gesamten materiellen Beschaffungsvorgangs. Stellt man diese an, käme man selbst bei Unterstellung eines schwebenden Vergabeverfahrens nicht umhin, eine Verpflichtung der Vergabestelle zur Unterrichtung der Antragstellerin zu bejahen, die sogar mit Schreiben vom 01.11. und 18.11.2009 gegenüber der Vergabestelle ausdrücklich ihr weiterhin bestehendes Interesse am Erhalt der Aufträge über Rettungsdienstleistungen im B. Kreis bekundete und um Auskunft bat, wann denn mit einer Neuausschreibung zu rechnen sei.
Die Entscheidung des OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.07.2010, Verg W 4/09, gebietet nicht die Vorlage gemäß § 124 Abs. 2 GWB, denn zum Einen beziehen sich die vorstehenden Ausführungen auf eine vom Senat hier nicht festgestellte Variante (obiter dictum), zum Anderen war die Wirksamkeit der dort zu beurteilenden Auftragserteilungen - anders als im Streitfall - nicht nach der für De-facto-Vergaben nunmehr geltenden Regelung des § 101 b GWB, sondern gem. § 131 Abs. 8 GWB n.F. nach den vor dem 24. April 2009 geltenden vergaberechtlichen Vorschriften zu beurteilen.
6. Zur Herstellung eines rechtmäßigen Vergabeverfahrens kommt nur eine Neuausschreibung der Rettungsdienstleistungen in Betracht, wie die Vergabekammer zu Recht festgestellt hat.
Der Auftrag ist, wie oben ausgeführt, nicht innerhalb eines Vergabeverfahrens erteilt worden und eine wirksame Zuschlagserteilung bzw. einen wirksamen Vertragsschluss liegen nicht vor. Da alle bisher geführten Vergabeverfahren ausdrücklich aufgehoben bzw. durch Neuausschreibung beendet wurden und im Übrigen das letzte offene Verfahren von der Vergabestelle selbst wegen Mängeln in der Leistungsbeschreibung als nicht durchführbar angesehen und ebenfalls aufgehoben wurde, wird die Vergabestelle die Rettungsdienstleistungen insgesamt neu ausschreiben müssen, wenn sie sie nicht selbst durchführen will.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO analog.
Die Bestimmung des Gebührenstreitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Die Höhe ergibt sich aus der Bruttoauftragssumme für 6 Jahre, wobei der Senat im Hinblick auf die Geheimhaltungsinteressen der Beigeladenen davon abgesehen hat, den exakten Wert des Vertragsangebots wiederzugeben. Für die Kostenberechnung reicht die Kenntnis der Gebührenstufe aus.
gez. Dr. Tiemann gez. Göbel gez. Grimm-----------------------------------------------------
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