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Text des Beschlusses
2 Ws Reh 8/10;
Verkündet am: 
 22.10.2010
OLG Oberlandesgericht
 

Naumburg
Vorinstanzen:
Reh 5715/06
Landgericht
Magdeburg;
Rechtskräftig: unbekannt!
Hat die Rehabilitierungskammer den Antrag des Betroffenen trotz örtlicher Unzuständigkeit in der Sache abgelehnt, hebt der Rehabilitierungssenat des OLGs diese Entscheidung auf die Beschwerde auf und verwirft den Rehabilitierungsantrag als unzulässig
Leitsatz des Gerichts:
1. Hat die Rehabilitierungskammer den Antrag des Betroffenen trotz örtlicher Unzuständigkeit in der Sache abgelehnt, hebt der Rehabilitierungssenat des Oberlandesgerichts diese Entscheidung auf die Beschwerde auf und verwirft den Rehabilitierungsantrag als unzulässig. Eine Verweisung an das zuständige Gericht kommt nicht in Betracht.

2. Der ununterbrochene Aufenthalt in verschiedenen Kinderheimen der DDR stellt einen Sachzusammenhang i. S. v. §§ 8 Nr. 1, 15 StrRehaG und § 13 Abs. 1 StPO dar.

3. Zur Rehabilitierung im Falle der Heimeinweisung durch die DDR-Jugendhilfe.
In dem Rehabilitierungsverfahren
…
Betroffener, Antragsteller und Beschwerdeführer,

hat der Senat für Rehabilitierungssachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 22. Oktober 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Braun, des Richters am Oberlandesgericht Krause sowie der Richterin am Oberlandesgericht Ewald beschlossen:

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg vom 21. Dezember 2007, soweit darin über Heimeinweisungen des Betroffenen nach 1966 entschieden wurde, teilweise aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen als unzulässig verworfen. Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben; die notwendigen Auslagen des Betroffenen sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Der Betroffene war nach seiner Darstellung zwischen 1961 und 1972 in verschiedenen Kinderheimen der ehemaligen DDR untergebracht.

Ein bereits in Brandenburg betriebenes Rehabilitierungsverfahren betraf die Einweisung in den geschlossenen Jugendwerkhof T. und den vorausgegangenen und sich anschließenden Aufenthalt im Jugendwerkhof Hn. bis April oder Mai 1972. Darüber hinaus begehrte der Betroffene seine Rehabilitierung wegen einer Inhaftierung.

Mit Beschluss vom 31. Juli 2001 stellte das Landgericht Cottbus die Rechtsstaatswidrigkeit der Inhaftierung für die Zeit vom 26. Oktober 1972 bis zum 10. November 1972 fest. Der weitergehende Antrag wurde zurückgewiesen, wobei das Gericht davon ausging, dass die den Heimaufenthalten zugrunde liegenden Entscheidungen vom Jugendhilfeausschuss H. stammten.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht hob den Beschluss des Landgerichts Cottbus am 26. Mai 2003 bezüglich der Unterbringung im geschlossenen Jugendwerkhof T. auf. Insoweit zuständig sei das Landgericht Berlin. Im Übrigen verwarf es die Beschwerde des Betroffenen. Wegen des Aufenthaltes in T. wurde der Betroffene schließlich durch Beschluss des Kammergerichts vom 15. Dezember 2004 rehabilitiert. Die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung stellte der dortige Senat für Rehabilitierungssachen für den Zeitraum vom 17. September 1971 bis zum 31. Januar 1972 fest.

Am 14. Dezember 2006 ging beim Landgericht Magdeburg ein erneuter Rehabilitierungsantrag des Betroffenen mit nachfolgender Sachverhaltsschilderung ein:

Im Jahre 1961 habe die Jugendhilfe in B. seine Heimerziehung angeordnet und ihn im Kinderheim „E. „ in M. untergebracht. 1963 sei er in das Kinderheim „W. „ in Bf. bei Bn. verlegt und 1964 in das Kinderheim „K. „ in A. bei Mn. gebracht worden. Von dort sei er 1966 in das Aufnahmeheim des Kombinates der Sonderheime zur Beobachtung gelangt. Im Juni 1966 habe man ihn nach H. zur Mutter entlassen.

Gegen den Willen der Mutter sei im Jahre 1967 oder 1968 seine Einweisung in das Kombinat für Sonderheime erfolgt. Nach Aufenthalten in den Heimen W. und Bo. sei er schließlich im Juli 1970, mittlerweile 14-jährig, im Jugendwerkhof Hn. gelandet, von wo aus man ihn auch in den geschlossenen Jugendwerkhof T. verbracht habe. Seine Entlassung sei am 21. April 1972 erfolgt.

Der Betroffene hat im Wesentlichen geltend gemacht, Opfer von Fehlentscheidungen der Jugendhilfe geworden zu sein. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso man die für ihn und seine Mutter untragbaren häuslichen Zustände aufrechterhalten und beide dem häufig betrunkenen und gewalttätigen Vater ausgesetzt habe. Trotz der schließlich Mitte 1959 ausgesprochenen Scheidung habe die Jugendhilfe B. für ihn die Heimerziehung angeordnet, was nur dem Umstand geschuldet gewesen sein könne, dass man sich den vom Vater in Westwährung (monatlich 90,00 DM) geschuldeten Unterhalt habe einverleiben und einer Ausreise der Mutter mit dem Kind nach Westdeutschland vorbeugen wollen. In seinem Leben sei auf Grund eines von verschrobenen Ansichten einzelner oder mehrerer Jugendamtsmitarbeiter geprägten Willküraktes eingegriffen worden, ohne dass dem von ihm oder seiner Mutter gesetzte Ursachen zugrunde gelegen hätten.

Der Heimaufenthalt habe bei ihm zu schweren Schäden geführt. Schon bei seiner ersten Entlassung im Jahre 1966 sei er zu einer normalen Lebensführung nicht mehr in der Lage gewesen. Der Missbrauch in den Heimen, die ständige Zerstörung der Privatsphäre sowie die durch mehrfache Verlegung bedingte Kontaktlosigkeit hätten bereits seelische und körperliche Schäden hinterlassen. Er habe einen ausgeprägten Milieuschaden erlitten.

Die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg hat den Antrag des Betroffenen, ihn wegen der Unterbringung in Kinderheimen der DDR durch die Jugendhilfe B. für den Zeitraum von 1961 bis 1970 zu rehabilitieren, als unbegründet zurückgewiesen. Schon die Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg sei zweifelhaft. Spätestens für die dem Kinderheim in Bf. folgenden Heimaufenthalte sei nicht ersichtlich, dass eine zum Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Magdeburg gehörende Behörde gehandelt habe. In jedem Falle sei der Antrag allerdings unbegründet, da die angestrengten Ermittlungen keinerlei Vorgänge zur Person des Betroffenen zu Tage gefördert hätten. Selbst nach seiner Darstellung sei die Einweisung in das Kinderheim „E. „ und die folgenden Einrichtungen keine Freiheitsentziehung gewesen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Einweisung in ein Kinderheim im Hinblick auf den damaligen Stand der pädagogischen Wissenschaften mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sei. Insbesondere sehe die Kammer keinen Hinweis auf eine politische Verfolgung des Betroffenen.

Gegen diese, ihm am 15. Januar 2008 zugestellte Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der am 5. Februar 2008 beim Landgericht eingegangenen Beschwerde. Seine Heimunterbringung sei eine gezielte Freiheitsberaubung gewesen. Das Leben in den Einrichtungen - speziell im Kombinat der Sonderheime - habe unter haftähnlichen Bedingungen stattgefunden, geprägt durch Gruppenzwang, Anstaltskleidung, kontrollierten Postverkehr, Rundfunk- und Fernsehverbot, finanzielle Abhängigkeit, vergitterte Fenster und Türen sowie räumliche Bedingungen, ähnlich einer Haftanstalt. Auch in anderen Heimen sei eine selbstbestimmte Nutzung der Räume durch Verschließen und Sichern der Türen und Fenster unterbunden worden sowie eine freie Bewegung innerhalb des Objektes ohne Wissen des Aufsichtspersonals nicht möglich gewesen. Urlaub oder Heimreisen hätte es nur mit Billigung des Heimpersonals gegeben.

Das Jugendamt habe es nicht für nötig befunden, die katastrophalen Verhältnisse im Elternhaus zu ändern. Nach der Ehescheidung sei die Jugendhilfe wegen der nach 16:00 Uhr nicht mehr sicher gestellten Betreuung und der Weigerung des Kindergartens, deshalb auch die tägliche Aufsicht zu übernehmen, trotz seiner wahrscheinlich schon vorhandenen schweren seelischen Probleme zunächst auf die Idee gekommen, ihn vorzeitig einzuschulen, und anschließend, als das zu einer massiven Überforderung bei ihm geführt habe, ihn infolge festgestellter Fehlentwicklungen und Versäumnisse in ein Heim einzuweisen.

Das Heim und die Trennung von der Mutter hätten ihn zusätzlich traumatisiert. Es habe sich um einen bedenklichen Verwaltungsakt gehandelt. Die angeführten negativen Verhaltensauffälligkeiten und Vorkommnisse seien durch nichts belegt. Niemand habe sich Gedanken darüber gemacht bzw. Gedanken machen wollen, dass eventuelle Verhaltensauffälligkeiten den Verhältnissen im Elternhaus geschuldet gewesen seien und eine Behandlung des traumatisierten Kindes eher geboten sei, als die Heimeinweisung. Jedenfalls habe das Heim die durch die väterliche Gewalt bei ihm hervorgerufenen Beeinträchtigungen von Seele und Körper nur noch verstärkt.

Dort habe man auf Grund des strukturierten Tagesablaufs, des Fehlens jeglicher Intimsphäre, der Unterordnung und des Gruppenzwangs aufgehört, als Individuum zu existieren. Gewalt durch das Heimpersonal und die anderen Kinder sowie das Strafen habe die dortige Erziehung geprägt. Die Selbsterziehung der Kinder sei von Heim zu Heim immer nachhaltiger und intensiver bis hin zur Abartigkeit praktiziert worden. Man habe die Post geöffnet und zugeteilt. Das Verweigern der Post sei eine beliebte Strafmethode gewesen. Schließlich sei er in der Psychiatrie gelandet, was nach seiner Rückkehr in das Heim die Probleme mit anderen Kindern nur noch verstärkt habe.

Dann nach H. in den Haushalt der Mutter entlassen, habe er auch dort keinen Ruhe- und Rückzugsraum vorgefunden und es sei ihm nicht gelungen, mit der neuen Freiheit klarzukommen. Außerdem habe man ihn permanent zum Sündenbock gemacht und seine Einweisung in das Kombinat der Sonderheime betrieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsmittelbegründung wird auf die Beschwerdeschrift vom 22. Januar 2008 Bezug genommen.


II.

1. Die zulässige Beschwerde des Betroffenen führt hinsichtlich der nach 1966 stattgefundenen Heimeinweisungen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 15 StrRehaG i.V.m. § 309 Abs. 2 StPO).

Die vom Landgericht geäußerten Bedenken zur örtlichen Zuständigkeit greifen spätestens ab der Entlassung des Betroffenen nach H. durch. Die Kammer durfte daher die Frage der Zulässigkeit des Antrages nicht offen lassen. Genauso wenig hat das Landgericht berücksichtigt, dass in den vom Antrag umfassten Zeitraum schon Rehabilitierungsentscheidungen des Landgerichts Cottbus, des Brandenburgischen Oberlandesgerichts und des Kammergerichts fallen, deren materielle Rechtskraft einer erneuten Rehabilitierungsentscheidung entgegen steht.

a) Für die strafrechtliche Rehabilitierung ist das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk nach den Bezirksgrenzen der ehemaligen DDR das erstinstanzliche Straf- oder Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde (§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StrRehaG).

Für die Fälle des § 2 StrRehaG bedeutet das die Zuständigkeit des Landgerichts, in dessen Bezirk die Behörde die Heimeinweisung verfügte. Das ist für alle Maßnahmen nach der Entlassung des Betroffenen im Jahre 1966 nicht mehr das Landgericht Magdeburg. Aus dem Beschluss des Jugendhilfeausschusses des Rates des Bezirkes C. vom 19. November 1969 ergibt sich, dass die am 12. Januar 1968 erneut angeordnete Heimerziehung des Betroffenen auf einen Beschluss des Jugendhilfeausschusses des Rates der Stadt H. zurück geht.

Die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Magdeburg führt zur teilweisen Unzulässigkeit des Rehabilitierungsantrages, die über § 15 StrRehaG gemäß § 309 Abs. 2 StPO auszusprechen ist. War das Gericht des ersten Rechtszuges örtlich unzuständig, muss das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben und den gestellten Antrag ablehnen. Die Verweisung an das örtlich zuständige Gericht ist grundsätzlich ausgeschlossen (KK/ Engelhardt, StPO, 6. Aufl. 2008, § 309 Rn. 10; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 309 Rn. 6 m.w.N.).

b) Soweit bereits Rehabilitierungsentscheidungen anderer Gerichte vorliegen, ist sowieso jede erneute Entscheidung in der Sache ausgeschlossen, was ebenfalls die Zurückweisung des Antrags als unzulässig bedeutet.

2. Sachlich zu befinden bleibt über die Heimunterbringung des Betroffenen der Jahre 1961 bis 1966.

a) Diesbezüglich konnte keine behördliche Entscheidung ausfindig gemacht werden, sodass auch insoweit an der Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg Zweifel aufkommen könnten.

Denn in derartigen Fällen spricht mehr für die Zuständigkeit des Gerichts am Ort der letzten freiheitsentziehenden Maßnahme (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2002, 2 ARs 272/02 – zitiert in juris), die - je nach Sichtweise - in A. oder Bn. stattfand.

Der Betroffene trägt allerdings vor, die Einweisung in das Kinderheim „E. „ M. habe die Jugendhilfe B. angeordnet. Dies ist im Hinblick auf den damaligen Wohnort des Betroffenen wahrscheinlich. Da sich die weiteren Heimaufenthalte in Bf. , A. und Bn. -N. hieran anschlossen, besteht, wie der Senat an anderer Stelle bereits entschieden hat, ein Sachzusammenhang im Sinne von § 13 Abs. 1 StPO, der die Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg begründete.

b) Ist der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen für die Zeit zwischen 1961 und 1966 zulässig, hat die Beschwerde in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat es insoweit zutreffend abgelehnt, die Heimeinweisung des Betroffenen gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; 1 Abs. 1 StrRehaG für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Der Heimaufenthalt war keine mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung oder ein ihr gleich gestelltes Leben unter haftähnlichen Bedingungen.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sowie dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 2009 (2 BvR 718/08) kann auch die Anordnung der Heimerziehung als behördliche Entscheidung dem Anwendungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes unterliegen, wenn mit ihr eine Freiheitsentziehung oder ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen verbunden war (§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StrRehaG).

Diese Ausdehnung der strafrechtlichen Rehabilitierung geht auf das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsge¬setz (Art. 6 Nr. 1) vom 23. Juni 1994 (BGBl. I. S. 1311, 1320) zurück. Als Hauptanwen¬dungs¬fall sah der Gesetzgeber die Verurteilung zur Arbeitserziehung, wenn diese die Einweisung in ein Arbeitslager bedeutete (BT-Drs. 12/4994 S. 20, 53). Freiheitsentziehung sei, so der Gesetzentwurf, eine vollständige und nachhaltige Absonderung von der Umwelt mit Beschränkung auf einen eng begrenzten Raum (BT-Drs. 12/4994 S. 53). Dem war der Betroffene nicht ausgesetzt.

Eine Freiheitsentziehung liegt immer dann vor, wenn die Bewegungsfreiheit allseitig und umfassend durch Einschließen oder Einsperren für eine gewisse Dauer auf einen räumlich begrenzten Raum reduziert ist (Huber, in: MünchKomm.-BGB, 5. Aufl. 2008, § 1631b Rn. 4; Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1631b Rn. 2, § 1906 Rn. 3). Das trifft auf geschlossene Einrichtungen, wie Kliniken, Abteilungen oder Heime, durchaus zu (Huber a.a.O.; Palandt/Diederichsen a.a.O.; Schwer, in: jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2008, § 1631b Rn. 5). Auch Spezialheime der Jugendhilfe der DDR, insbesondere die Jugendwerkhöfe, waren u.U. derart abgeschlossen (KG, Beschluss vom 6. März 2007, 2/5 Ws 246/06 REHA - zitiert in juris Rn. 4 m.w.N.; OLG Jena, Beschluss vom 21. Juli 2008, 1 Ws Reha 10/08 - zitiert in juris Rn. 19 m.w.N.). Normale Kinderheime, wie das Heim in M. , das immer noch existiert, waren dagegen „offen“ (Veit, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. Januar 2008, § 1631b Rn. 4; Palandt/ Diederichsen a. a. O., § 1906 Rn. 5 m.w.N.). Hier herrschten für die Kinder nur die Einschränkungen, wie sie im Rahmen der allgemeinen Erziehungs- und Aufsichtspflicht des Heimpersonals angemessen und üblich waren. Das sind altersgerechte Freiheitsbeschränkungen (vgl. Huber, § 1631b Rn. 5; Palandt/ Diederichsen, a.a.O.), die vom Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nicht erfasst sind.

Der Betroffene war bei seiner Heimeinweisung knapp sieben Jahre alt. Auch ein Kind, das nicht im Heim lebt, muss sich in diesem Alter in hohem Maße den Anordnungen der sorgeberechtigten Eltern oder Personen beugen. Damit sind zwangsläufig Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit verbunden, wie sie wohl jeder beispielsweise in Form der Aufforderung, sich in einem bestimmten Zimmer oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten, kennt. Dazu gehören genauso Verbote fern zu sehen oder Radio zu hören. Das Haus oder die Wohnung dürfen Kinder in diesem Alter im eigenen Interesse in der Regel nicht ohne Erlaubnis der Eltern verlassen. Verschlossene Türen und Fenster sind also nichts, was über das hinaus ging, was für Kinder im Alter des Betroffenen an Freiheitsbeschränkungen weitestgehend üblich war, womit es an einer Freiheitsentziehung fehlte (Veit a. a. O., § 1631 Rn. 3).

Welche Verhältnisse in den Kinderheimen „W. „ und „K. „ herrschten, konnte nicht aufgeklärt werden. Deshalb geht der Senat vom Vorbringen des Betroffenen aus. Dieses lässt eine Freiheitsentziehung nicht erkennen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Kinder im Alter zwischen acht und knapp elf Jahren erzogen sowie betreut und diesem Zusammenhang beaufsichtigt und kontrolliert werden müssen. Dazu gehören Verbote, wie auch Lob, Tadel und ggf. Strafe. Dass der Heimaufenthalt des Betroffenen weitestgehend durch Verbote und Strafen geprägt war, ist bedauerlich, geht aber nicht über das hinaus, was Kinder an üblichen Freiheitsbeschränkungen in dieser Zeit erfuhren. Es muss bei der Prüfung, ob über normale Freiheitsbeschränkungen hinaus gegangen wurde, berücksichtigt werden, dass in den Jahren zwischen 1963 und 1966 ganz andere Erziehungsansätze und –methoden an der Tagesordnung waren. Dazu gehörten auch körperliche Züchtigungen. Diese galten als adäquates Mittel der Erziehung. Selbst in der Bundesrepublik stellte erst das Kindschaftsreformgesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2942, 2946) in § 1631 Abs. 2 BGB mit Wirkung vom 1. Juli 1998 die Unzulässigkeit körperlicher und seelischer Misshandlungen klar, bevor das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl. I S. 1479) erstmals explizit das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung postulierte und körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen als unzulässig bezeichnete. Ein solches Verbot enthielt die Heimordnung der DDR in § 21 Abs. 4 bereits seit dem 1. Januar 1970 (Anordnung über die Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Heimen der Jugendhilfe vom 1. September 1969, GBl. I S. 555, 560).

Ein Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sowie eine Informationsfreiheit konnten und können Kinder im damaligen Alter des Betroffenen im Verhältnis zu den Sorgeberechtigten nicht beanspruchen. Es stand dem Heimpersonal im Rahmen des ihm übertragenen Erziehungsrechts zu, über Kontakte des Betroffenen zu entscheiden und diese ggf. als Erziehungsmittel einzusetzen. Das wurde und wird auch in Familien nicht anders gehandhabt. Die Entwicklung gruppendynamischer Prozesse und deren Ausnutzung durch die Erzieher war ebenso wenig eine Besonderheit der Heimerziehung und des Heimaufenthaltes des Betroffenen. Jeder machte in der Regel solche Erfahrungen, im Kindergarten, in der Schule, der Sportgruppe, der NVA. Deshalb ist der Begriff der Freiheitsentziehung eng zu interpretieren, als eine ungewöhnliche allseitige und umfassende Bewegungsbeeinträchtigung, die der Haft zumindest ähnlich ist. Dem entspricht die Heimerziehung des Betroffenen bis 1966 nicht.

Zu seinem wohl dreiwöchigen Aufenthalt im Kombinat der Sonderheime für Psychodiagnostik und pädagogisch-psychologische Therapie Bn. -N. zum Zwecke der Beobachtung trägt der Betroffene nichts vor. Im Anschluss an die Begutachtung erfolgte seine Entlassung zur Mutter. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass dort über die üblichen Freiheitsbeschränkungen, die mit der Anfertigung eines Gutachtens verbunden waren, hinausgegangen wurde.

An die ungünstigen Familienverhältnisse des Betroffenen, denkbare Fehler der Jugendhilfe und die Einflüsse, die diese Fehler möglicherweise auf den Lebensweg des Betroffenen hatten, knüpft das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nicht an. Allein die hier nicht gegebene Freiheitsentziehung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StrRehaG eröffnet den Anwendungsbereich des Gesetzes.

bb) Aber selbst wenn der Betroffene eine Freiheitsentziehung erlitten hätte, würde sich hieraus keine Rehabilitierung für den Heimaufenthalt zwischen 1961 und 1966 ergeben.

Die zur Freiheitsentziehung führende Entscheidung der Jugendhilfe wäre nicht mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar.

aaa) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG sind insbesondere Entscheidungen, die der politischen Verfolgung dienten, für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Einer solchen politischen Verfolgung war der Betroffene nicht ausgesetzt. Es ging bei der Anordnung der Heimerziehung nicht um die politische Haltung des damals sechs Jahre alten Jungen. Nach den Schilderungen des Betroffenen zu seinen familiären Verhältnissen und den wahrscheinlich bereits hierdurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen lag es nahe, dass man das Kindeswohl bzw. die Erziehung und Entwicklung des Betroffenen gefährdet und ihn deshalb in einem Heim besser aufgehoben sah.

Anhaltspunkte für die Vermutung des Betroffenen, man habe durch die Heimerziehung die Ausreise der Mutter mit dem Sohn in Richtung Westdeutschland verhindern wollen, gibt es nicht. Es sind keinerlei Gründe der Mutter ersichtlich, diesen Schritt in Erwägung zu ziehen. Die Ausreise des ungeliebten Ehemannes, von dem sie nach mehreren erfolglosen Versuchen 1959 geschieden wurde, kommt dafür nicht in Betracht. War die Mutter des Betroffenen vor 1961 nicht mit dem Kind nach Westdeutschland übergesiedelt, spricht nichts für einen dahingehenden Versuch nachdem die Grenze umfangreich gesichert wurde.

Soweit der Betroffene im Zuge seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des ersten Senats für Rehabilitierungssachen vom 10. März 2008 gemeint hat, ihm sei sachwidrig ein sozialistisches Menschenbild aufgezwungen worden, vermag der Senat nicht auszumachen, worin sich dieses Menschenbild von anderen unterschied und in welcher Hinsicht der Betroffene hierdurch einer politischen Verfolgung oder sachwidrigen Maßnahme ausgesetzt gewesen sein soll. Wie der Senat bereits an anderer Stelle mehrfach betont hat, gibt es kein Recht eines Minderjährigen nicht oder nach bestimmten Grundsätzen erzogen zu werden. Die Entscheidung über die Erziehung obliegt vielmehr den Erziehungs- bzw. Sorgeberechtigten, solange dies nicht zu einer Gefährdung des Kindeswohls führt.

bbb) Die Unterbringung im Kinderheim stand zudem in keinem groben Missverhältnis zum Anlass des Beschlusses der Jugendhilfe i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009, 2 BvR 718/08 – zitiert in juris Rn. 21).

Es konnte im Einzelnen nicht ermittelt werden, warum der Betroffene 1961 ins Kinderheim musste. Nach seinem eigenen Vorbringen hatte er allerdings im Elternhaus bereits massive Gewalt und ein ungünstiges Umfeld kennen gelernt und erste Beeinträchtigungen in seiner Verfassung davon getragen. Die notwendige Berufstätigkeit der allein lebenden Mutter gestaltete die weitere Erziehung schwierig, da nach Darstellung des Betroffenen seine ganztägige Betreuung nicht sichergestellt war. Wahrscheinlich machten die schlechten Erfahrungen des Betroffenen aus der Vergangenheit sogar eine viel umfangreichere Fürsorge erforderlich. In jedem Fall lag es nicht fern, die Erziehung und Entwicklung des Betroffenen gefährdet zu sehen.

Auch der Rechtsstaat macht von der Heimerziehung als Hilfe zur Erziehung Gebrauch (vgl. § 34 SGB VIII). Sogar freiheitsentziehende Maßnahmen sind gegenüber Kindern zulässig (vgl. § 42 Abs. 5 SGB VIII und §§ 1631b, 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 6; 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn das Wohl des Kindes sie im Einzelfall erfordert. Nichts anderes fand im Falle des Betroffenen in der ehemaligen DDR statt. Es kommt im Rahmen der strafrechtlichen Rehabilitierung nicht darauf an, ob die damalige Entscheidung der Jugendhilfe richtig war. Fehlbeurteilungen kommen in diesem Zusammenhang vor und führen nicht zu einer Rehabilitierung, weil sie auch einem Rechtsstaat immanent sind.

Selbstverständlich musste sich der Betroffene als Minderjähriger den Anordnungen im Heim beugen, Ordnung sowie persönliche Hygiene halten, sich einem streng geregelten Tagesablauf unterwerfen und sich an der häuslichen Arbeit beteiligen. Dies ergab sich aus dem Erziehungs- und Betreuungszweck seines Aufenthaltes und lässt die Entscheidung der Jugendhilfe keineswegs rechtsstaatswidrig erscheinen. Mit der Heimerziehung hatte das Heimpersonal die elterliche Sorge wahrzunehmen. Die dabei zum Teil möglicherweise praktizierte Erziehung von „harter Hand“, lässt die zum Heimaufenthalt führende Entscheidung der Jugendhilfe nicht als rechtsstaatswidrig erscheinen. Exzesse in der konkreten Einrichtung kamen auch im Rechtsstaat vor (vgl. Künast ZRP 2008, 33), ohne dass sie die angeordnete Heimerziehung und deren Ziel, Gefahren für die Erziehung und Entwicklung oder die Gesundheit Minderjähriger abzuwenden, grundsätzlich in Frage stellen. Die Beurteilung von Maßnahmen der Jugendhilfe in der ehemaligen DDR muss, wie bereits oben dargelegt, dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die Anschauungen zum Umgang mit Kindern seither grundlegend gewandelt haben. Was damals in ganz Deutschland gängige Praxis war, ist weder zu rehabilitierendes staatliches Unrecht der DDR noch mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar. Daran ändern auch die sozialistischen Vorzeichen dieser Erziehung nichts.

ccc) Auch darüber hinaus ist die Entscheidung der Jugendhilfe mit den wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung vereinbar. Es gibt keine Anhaltspunkte für sachfremde Zwecke (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG). Ein Rechtsstaat übernimmt ebenfalls die Verantwortung für gefährdete Kinder und Jugendliche im Wege der Heimerziehung oder schränkt im Interesse des Kindeswohls deren persönliche Freiheit bis hin zur Freiheitsentziehung ein (vgl. §§ 1666 Abs. 1, Abs. 3; 1666a Abs. 1 Satz 1, 1631b BGB und §§ 27, 34, 42 Abs. 5 SGB VIII). Die vom Betroffenen dargestellten Besonderheiten seiner Person und familiären sowie Betreuungssituation würden grundsätzlich die Annahme einer hierfür erforderlichen Kindeswohlgefährdung rechtfertigen (Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1666 Rn. 10, 13, 15, 22). Aus dem Schreiben des Spezial-Kinderheims „K. „ an die Mutter des Betroffenen vom 18. Mai 1966 (Bl. 62 d.A.) geht ausdrücklich hervor, dass man dort eine Entlassung zum 2. Juli 1966 befürwortete, weil der Erziehungserfolg nicht mehr auszubauen war. Es sollte - trotz befürchteter Schwierigkeiten - der Versuch der Familienerziehung unternommen werden.

Sachfremd von der Behörde verfolgte Zwecke, wie das Erzielen von monatlich 90,00 Westmark Unterhalt, schließt der Senat danach aus. Hierfür gibt es nicht die Spur eines Anhaltspunktes. Das den Vater des Betroffenen zur Unterhaltszahlung anhaltende Urteil des Amtsgerichts Wedding stammt vom 3. Oktober 1967, erging also nach der ersten Heimentlassung. Außerdem konnten die Behörden der DDR im Jahre 1961 nicht wissen, ob sie überhaupt in der Lage sein würden, den Unterhalt in Westdeutschland durchzusetzen. Schließlich gestaltete sich der Rechtshilfeverkehr nicht ganz unproblematisch. Es ist unvorstellbar und damit gänzlich unwahrscheinlich, dass man den Betroffenen allein in der Hoffnung, durch ihn monatlich 90,00 DM zu erhalten, jahrelang grundlos in ein Heim steckte.


III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und 4 StrRehaG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.

Der Senat sieht keinen Anlass, eine zu Lasten der Staatskasse gehende Auslagenentscheidung zu treffen.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass dieser Beschluss unanfechtbar ist.

gez. Braun gez. Ewald gez. Krause
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