Text des Beschlusses
5 U 92/10;
Verkündet am:
28.10.2010
OLG Oberlandesgericht
Naumburg
Vorinstanzen:
2 O 574/08
Landgericht
Dessau-Roßlau;
Rechtskräftig: unbekannt!
Partei verschuldet die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne von § 233 ZPO, wenn ihr Prozessbevollmächtigter wenige Minuten vor Fristablauf versucht, die zwanzigseitige Berufungsschrift dem Berufungsgericht per Telefax zu übermitteln
Leitsatz des Gerichts:
Eine Partei verschuldet die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne von § 233 ZPO, wenn ihr Prozessbevollmächtigter wenige Minuten vor Fristablauf versucht, die zwanzigseitige Berufungsschrift dem Berufungsgericht per Telefax zu übermitteln, statt auf gleichem Wege ein kurzes Fristverlängerungsgesuch anzubringen.
In dem Rechtsstreit
…
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 28. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Braun, die Richterin am Oberlandesgericht Ewald und den Richter am Landgericht Dr. Fichtner beschlossen:
Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den Stand vor der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 9. Juli 2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 102.500,00 €.
Gründe
I.
Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau verurteilte die Beklagte am 9. Juli 2010 zur Zahlung von 102.500,00 € nebst Zinsen an den klagenden Insolvenzverwalter des Vermögens der H. GmbH.
Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausweislich seines Empfangsbekenntnisses am 21. Juli 2010 zugestellt. Am 20. August 2010 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag vom 20. September 2010 wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Oktober 2010 verlängert. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten übermittelte die Berufungsbegründung per Telefax. Der Übermittlungsvorgang des 20 Seiten umfassenden Schriftsatzes begann am 5. Oktober 2010 um 23.53 Uhr. Das Original der Berufungsbegründung ging am 7. Oktober 2010 bei dem Oberlandesgericht Naumburg ein.
Der Senatsvorsitzende wies den Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Verfügung vom 7. Oktober 2010 darauf hin, dass die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der bis zum 5. Oktober 2010 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, sondern erst zu Beginn des 6. Oktober 2010 eingegangen sei, weswegen das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen sei.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nahm auf diesen Hinweis am 18. Oktober 2010 Stellung und beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung in den Stand vor der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Die Berufungsbegründung sei fristgerecht eingegangen. Ausweislich des Faxübertragungsprotokolls sei um 23.55 Uhr mit der Übertragung begonnen worden und sei diese um 0.02 Uhr beendet gewesen. Dabei sei sein Faxgerät um mehr als zwei Minuten gegenüber der offiziellen Zeit vorgestellt gewesen. Jedenfalls sei die Versäumung der Frist nicht durch die Beklagte oder durch ihn verschuldet. Er habe die Berufungsbegründungsschrift auf einem im Sommer 2009 erworbenen Computer gefertigt, der von ihm regelmäßig als Arbeitsgerät genutzt werde. Gegen 23.30 Uhr sei die Formulierung des Schriftsatzes im Wesentlichen abgeschlossen gewesen, als sich der Computer vor dem abschließenden Ausdrucken des Dokuments ohne erkennbare vorherige Anzeichen ausgestellt habe. Der Computer sei dann für ca. 15 Minuten nicht wieder zu starten gewesen. Danach habe er sehr langsam hochgefahren werden können. Um 23.48 Uhr sei der Zugriff auf die Textdatei wieder möglich gewesen. Nach einer kurzen Überprüfung, ob die Datei unbeschädigt und vollständig war, sei der Text sofort ausgedruckt worden, was zwei bis drei Minuten in Anspruch genommen habe. Nach dem Unterschreiben des Schriftsatzes habe er sofort mit der Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax begonnen. Der Übertragungsvorgang habe allerdings pro Seite 23,75 Sekunden in Anspruch genommen. Diese überlange Übertragungszeit könne nur an dem Empfangsgerät liegen. Mit einer solch langen Übertragungsdauer brauche üblicherweise nicht gerechnet werden. Spätere probeweise Übertragungen des gleichen Schriftsatzes an ein anderes Faxgerät hätten ganze zwei Minuten und zwei Sekunden bzw. zwei Minuten und 38 Sekunden gedauert.
II.
1. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den Stand vor der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist unbegründet.
a. Zwar ist der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zulässig.
Der statthafte Antrag wurde durch anwaltlichen Schriftsatz nach den formalen Anforderungen des § 236 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO gestellt, zudem gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ZPO fristgerecht.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft. Die Beklagte hat die mit der Zustellung des Urteils vom 9. Juli 2010 beginnende, gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich zwei Monate betragende und mit der Verfügung des Senatsvorsitzenden bis zum 5. Oktober 2010 verlängerte Berufungsbegründungsfrist versäumt. Zwar ging die erste Seite der Begründungsschrift per Telefax noch am 5. Oktober 2010 um 23.53 Uhr bei dem Oberlandesgericht Naumburg ein. Maßgeblich für die Beurteilung des rechtzeitigen Zugangs eines fristwahrenden Schriftsatzes durch Telefax ist aber die vollständige Übermittlung, also der Zeitpunkt, in dem die abschließende, die Unterschrift enthaltende Seite ausgedruckt ist (BGH, NJW 1994, 2097; BVerfG, NJW 2000, 574; Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 519 ZPO Rn.18d). Die Seite 20 der Begründung mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ging aber erst am 6. Oktober 2010 um 0.01 Uhr bei dem Oberlandesgericht Naumburg ein. Dies belegt das Faxjournal des Empfangsgeräts, das einen Beginn der Übertragung um 23.53 Uhr und eine Übertragungsdauer von acht Minuten und zwei Sekunden ausweist. Dies deckt sich überdies nahezu mit den Angaben in dem vorgelegten Faxjournal zu dem Faxgerät des Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Dort ist eine Übertragungsdauer von sieben Minuten und 55 Sekunden vermerkt. Bei einem unstrittigen Beginn der Übertragung um 23.53 Uhr standen bis 0.00 Uhr äußerstenfalls sieben Minuten zur Verfügung, nicht aber fast acht Minuten.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erlangte durch die Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 7. Oktober 2010 Kenntnis von dem Hindernis bzw. von dessen Behebung im Sinne von § 234 Abs. 2 ZPO. Innerhalb der nachfolgenden einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ging unter dem 18. Oktober 2010 per Telefax der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten bei dem Oberlandesgericht Naumburg ein. Die versäumte Prozesshandlung war mit dem Eingang der vollständigen Berufungsbegründungsschrift am 6. Oktober 2010 auch bereits nachgeholt im Sinne von § 236 Abs. 2 ZPO.
b. Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings gemäß § 233 ZPO unbegründet.
Die Beklagte war nicht ohne das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der rechtzeitigen Vornahme der Prozesshandlung, hier der fristgerechten Vorlage der Berufungsbegründung, gehindert. Das Verschulden orientiert sich an der üblichen Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts. Dabei muss die Beachtung dieser Sorgfalt im Einzelfall zumutbar sein (BGH, NJW 1985, 1710). Eine Fristversäumung ist daher regelmäßig verschuldet, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (Greger, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 233 ZPO Rn.13). Auch wenn die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen und der Prozessbevollmächtigte bestehende Fristen voll ausschöpfen darf, muss er jedoch bei sehr später Einreichung des Schriftsatzes die Fristwahrung besonders sichern. Übermittelt der Rechtsanwalt die Berufungsbegründungsschrift per Telefax an das Gericht, hat er mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 0.00 Uhr zu rechnen ist (BGH, NJW-RR 2001, 916; NJW 2004, 2525).
Dies ist hier nicht geschehen. Es sei unterstellt, dass es die geschilderten Computerprobleme verhindert haben, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor 23.53 Uhr den Übertragungsvorgang per Telefax einleiten konnte und dass ohne die Computerprobleme der gegen 23.30 Uhr im Wesentlichen fertiggestellte Schriftsatz noch rechtzeitig an das Gericht hätte übermittelt werden können. Allerdings konnte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei dem Absenden eines 20-seitigen Telefax um 23.53 Uhr und damit nur sechs bis sieben Minuten vor Fristablauf nicht begründet darauf vertrauen, dass die Übertragung bis 0.00 Uhr beendet werden würde. Mangels Kenntnis von der Leistungsfähigkeit des Empfangsgerätes konnte er nicht davon ausgehen, dass der Schriftsatz mit einer bestimmten Geschwindigkeit übertragen wird, deren Einhaltung erforderlich gewesen wäre, damit die Frist eingehalten wird. Diesbezüglich ist ein Vertrauen darauf, dass der Schriftsatz in einer Geschwindigkeit von wesentlich weniger als 30 Sekunden pro Seite übertragen wird, nicht schutzwürdig (BGH, NJW 2005, 678). Hier hätte sogar eine Geschwindigkeit von weniger als 18 Sekunden pro Seite erreicht werden müssen, um die Frist einzuhalten. Dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach seinem Vorbringen später in der Lage war, testweise den gleichen Schriftsatz in deutlich kürzerer Zeit an andere Faxgeräte zu übermitteln als an das Empfangsgerät des Oberlandesgerichts Naumburg, entlastet ihn nicht. Die Übertragungsdauer des hier eingesetzten Faxgerätes mit etwa 24 Sekunden pro Seite ist keinesfalls überlang. Der Prozessbevollmächtigte konnte nicht erwarten, dass ein schnelleres Gerät im Einsatz ist. Im übrigen bestehen für eine überlange, durch einen Fehler in der Funktion des Empfangsgeräts begründete Übermittlungsdauer keinerlei Anhaltspunkte.
Sah sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten daher in der Situation, dass der Schriftsatz wegen der Computerprobleme nur verzögert fertiggestellt werden konnte und dass bei sorgfältiger Betrachtung die fristwahrende Übermittlung der vollständigen Berufungsbegründung an das Oberlandesgericht nicht mehr sicher gestellt werden konnte, hätte er per Telefax einen Antrag auf Fristverlängerung stellen müssen. Ein solcher Antrag hätte zweifelsfrei in der bis 0.00 Uhr zur Verfügung stehenden Zeit noch an das Gericht übermittelt werden können. Die notwendige eingehendere Begründung des Antrages hätte in einem gesonderten Schriftsatz nach Fristablauf nachgereicht werden können.
2. Die Berufung der Beklagten war gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil - wie ausgeführt - die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten ist und der Beklagten wegen der Versäumung der Frist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertentscheidung hat ihre Grundlage in den §§ 3 ZPO, 39 Abs. 1, 43 Abs. 1, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG.
gez. Braun Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht gez. Ewald Richterin am Oberlandesgericht gez. Dr. Fichtner Richter am Landgericht-----------------------------------------------------
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