Text des Beschlusses
2 Ws Reh 92/10;
Verkündet am:
06.10.2010
OLG Oberlandesgericht
Naumburg
Vorinstanzen:
Reh. 131/10 (A)
Landgericht
Magdeburg;
Rechtskräftig: unbekannt!
Auch Strafgefangene können eine besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG erhalten
Leitsatz des Gerichts:
Auch Strafgefangene können eine besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG erhalten. Ihnen fehlt nicht von vornherein die besondere Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Lage (entgegen OLG Rostock, Beschluss vom 8. April 2009, I WsRH 5/09).
In dem Ausgleichsleistungsverfahren
…
hat der Senat für Rehabilitierungssachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 6. Oktober 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Braun, des Richters am Oberlandesgericht Krause sowie der Richterin am Oberlandesgericht Ewald beschlossen:
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Fehlt es Berechtigten im Sinne von §§ 17 Abs. 1, 16 Abs. 1, Abs. 3 StrRehaG an einer besonderen Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Lage nach § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG, wenn und solange sie sich im Strafvollzug befinden?
Gründe:
I.
Der Betroffene wurde im Jahre 1992 rehabilitiert. Der 2. Senat für Rehabilitierungsverfahren des Bezirksgerichts Magdeburg hob mit Beschluss vom 23. Juni 1992 das Urteil des Kreisgerichts Wolmirstedt vom 28. August 1970 in der Fassung des Urteils des Bezirksgerichts Magdeburg vom 9. Oktober 1970 in Bezug auf den Betroffenen auf und erkannte ihm einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen zu. Die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung wurde auf die Zeit vom 6. April 1970 bis zum 8. Januar 1973 und vom 7. März 1974 bis zum 1. Juni 1974 bestimmt.
Im November 2007 stellte der Betroffene, der sich seit dem 18. Mai 1999 in Strafhaft befindet, den Antrag auf Gewährung einer besonderen monatlichen Zuwendung (Opferpension) unter Vorlage von Verdienstbescheinigungen der JVA N. . Mit Bescheid vom 2. April 2008 wurde dem Antrag stattgegeben. Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt gewährte dem Betroffenen unter Zugrundelegung eines in der JVA gewährten monatlichen Arbeitseinkommens von höchstens 367,47 Euro vom 1. Dezember 2007 an eine monatliche Opferpension in Höhe von 250,00 EUR. Im Januar 2010 vertrat die Behörde dann die Auffassung, dass Strafgefangene während der Zeit der Haft in ihrer wirtschaftlichen Lage nicht besonders beeinträchtigt seien, womit die Opferpension in diesem Zeitraum nicht zu zahlen sei. Hierzu wurde der Betroffene, dessen Einkommen sich bisher nicht erhöht hat, angehört.
Mit Bescheid vom 9. März 2010 nahm das Landesverwaltungsamt den Bescheid über die Gewährung der Opferpension mit Wirkung für die Zukunft ab April 2010 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid vom 2. April 2008 sei rechtswidrig, da der Betroffene inhaftiert und deshalb in seiner wirtschaftlichen Lage nicht besonders beeinträchtigt sei. Während der Haft werde der Betroffene angemessen und ausreichend aus Mitteln des Staates versorgt. Hierzu wurde u.a. auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Rostock verwiesen. Das Vertrauen des Betroffenen auf die Weitergewährung der besonderen Zuwendung sei jedenfalls für die Zukunft nicht schutzwürdig. Insoweit überwiege das öffentliche Interesse an der Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes.
Gegen diesen Bescheid wandte sich der Betroffene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der zurückgenommene Bescheid über die Gewährung der Opferpension sei nicht rechtswidrig, da er, der Betroffene, die Voraussetzungen des § 17a StrRehaG erfülle. Insbesondere sei er in seiner wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock, die sich der Antragsgegner zu Eigen mache, ignoriere den Wortlaut des Gesetzes. Dem Gesetzgeber sei durchaus bekannt gewesen, dass sich potentiell Berechtigte auch im Strafvollzug befänden. Gleichwohl sehe das Gesetz, abgesehen vom hier nicht einschlägigen § 16 Abs. 2 StrRehaG, keine Einschränkung ihres Anspruches vor. Das Oberlandesgericht Rostock verkenne zudem, dass Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ebenfalls eine Grundversorgung erhielten, ohne dass sich dies auf ihren Pen-sionsanspruch nach § 17a StrRehaG auswirke. Der Ausschluss von Personen im Strafvollzug sei daher willkürlich.
Die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 18. Juni 2010 unter Hinweis auf die Auffassung des Oberlandesgerichts Rostock zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am 13. Juli 2010 zugestellt. Am 20. Juli 2010 ging beim Landgericht die bisher nicht begründete Beschwerde des Betroffenen ein. Dem Landesverwaltungsamt wurde die Beschwerde in Abschrift übersandt.
II.
Die Beschwerde des Betroffenen ist gemäß §§ 25 Abs. 1 Satz 4, 13 Abs. 1 StrRehaG zulässig.
Hierfür kommt es nur auf die rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels durch den Schriftsatz vom 20. Juli 2010 beim Landgericht an (§ 15 StrRehaG i.V.m. §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO). Begründen musste der Betroffene die befristete Beschwerde nicht.
In der Sache führt das Rechtsmittel gemäß §§ 25 Abs. 1 Satz 4, 13 Abs. 4 StrRehaG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 GVG zur Vorlage beim Bundesgerichtshof. Der Senat will der Beschwerde stattgeben und den angefochtenen Bescheid des Antragsgegners vom 9. März 2010 gemäß §§ 25 Abs. 1 Satz 4, 15 StrRehaG und § 309 Abs. 2 StPO aufheben. Hieran sieht er sich jedoch in der für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides vom 2. April 2008 maßgeblichen Rechtsfrage, ob auch Personen im Strafvollzug in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sein und damit Anspruch auf eine besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG haben können, durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 8. April 2009, I WsRH 5/09, gehindert.
Der gemäß § 2 Abs. 1 StrRehaGDV LSA (GVBl. LSA 2007, S. 320) zuständige Antragsgegner hat seinen Bescheid über die Gewährung der Opferpension nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwVfG LSA und § 48 VwVfG zurückgenommen. Der Rücknahmebescheid ist vom Betroffenen rechtzeitig angefochten worden (§§ 25 Abs. 1 Satz 5, 15 StrRehaG i.V.m. § 43 StPO). Das von der Behörde ausgeübte Rücknahmeermessen wäre nicht zu beanstanden. Es kommt danach allein auf die Frage an, ob der Bescheid über die Gewährung der Opferpension für den sich im Strafvollzug befindenden Betroffenen rechtswidrig ist, weil Strafgefangene nicht in den Genuss einer besonderen Zuwendung für Haftopfer kommen können. Diese Auffassung des Antragsgegners geht auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock vom 8. April 2009 (I WsRH 5/98 - zitiert nach juris) zurück, wonach in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebrachte Personen während der Dauer ihres dortigen Aufenthaltes nicht in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt im Sinne von § 17a StrRehaG seien. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Nach § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalten Berechtigte nach § 17 Abs. 1 StrRehaG, zu denen der Betroffene unzweifelhaft zählt, auf Antrag eine monatliche Zuwendung für Haftopfer, wenn sie - neben einer erlittenen rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung von mindestens sechs Monaten - in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Rostock (dort Rn. 42) hält der Senat diese, auf die Bedürftigkeit abstellende Tatbestandsvoraussetzung nicht für auslegungsfähig, weil es bereits keinen Auslegungsbedarf gibt. Der Gesetzgeber hat, was das Oberlandesgericht Rostock nicht verkennt (vgl. dort Rn. 38), ausdrücklich und mit eindeutigem Inhalt geregelt, wann eine besondere Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage vorliegt. Alleinstehende Berechtigte, wie der Betroffene, gelten als in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt, wenn ihr nach § 82 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB XII zu ermittelndes Einkommen den dreifachen Eckregelsatz nach § 28 Abs. 2 und § 40 SGB XII nicht übersteigt (§ 17a Abs. 2 StrRehaG). Dies lässt keinen Raum für die vom Oberlandesgericht Rostock vorgenommene Interpretation, zumal diese bereits im Ausgangspunkt unzutreffend ist.
An eine ausreichende Versorgung, die das Oberlandesgericht Rostock bei Strafgefangenen von vornherein gewährleistet sieht, knüpft § 17a StrRehaG nicht an. Den Berechtigten wird, um noch als „bedürftig“ im Sinne von § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG zu gelten, erheblich mehr, nämlich der dreifache Eckregelsatz zugebilligt, der keine Leistungen für Unterkunft und Heizung enthält (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Nach § 1 Nr. 1 der Verordnung über die Festsetzung von Regelsätzen im Land Sachsen-Anhalt vom 23. Juni 2009 (GVBl. LSA S. 325) wären das 3 x 359,00 EUR, mithin 1.077,00 EUR. In dieser Höhe erhalten Strafgefangene keine Sachbezüge. Dies zeigt ein Vergleich mit den vom Bundesministerium der Justiz nach § 50 Abs. 2 StVollzG zuletzt für das Jahr 2009 bekannt gemachten Haftkostenbeiträgen (BAnz 2008, Nr. 153, S. 3601). Diese entsprechen dem monatlichen Wert der Sachbezüge für den Lebensunterhalt, Verpflegung und sogar Unterbringung (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StVollzG) und erreichen trotzdem das Dreifache des Eckregelsatzes nicht annähernd (373,30 EUR bei Einzelunterbringung mit Vollverpflegung). Auch wenn man das Arbeitseinkommen des Betroffenen von höchstens 367,47 Euro hinzuzählt, bleiben seine Geld- und Sachbezüge bei weitem hinter dem Dreifachen des Eckregelsatzes zurück.
Im Ergebnis entbehrt die zum Ausschluss der Opferpension für Strafgefangene führende Auslegung nicht nur der ausreichenden Grundlage. Sie führt auch zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung in der Rechtsanwendung. Die Anerkennung und Würdigung des Widerstandes (vgl. BT-Drs. 16/4842 S. 1) kann im Rahmen der durch § 17a Abs. 2 StrRehaG abgesteckten Bedürftigkeit nicht davon abhängig sein, wie und wo der Berechtigte untergebracht ist. Es wäre Sache des Gesetzgebers gewesen, in seinem sicherlich weiten Regelungsspielraum den Kreis der Berechtigten durch Konkretisierung des Widerstandsbegriffs oder durch besondere Ausschließungs- oder Verwirkungsgründe enger zu ziehen. Als im Jahre 2007 der Entwurf des Dritten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR im Bundestag beraten und schließlich beschlossen wurde, war hinlänglich bekannt, dass nicht jede rehabilitierungsfähige Verurteilung Ausdruck anzuerkennenden und zu würdigenden Widerstandes war. Die Rechtsprechung darf nicht versuchen, die wünschenswerte Differenzierung zwischen den Berechtigten im Wege der (rechtsfortbildenden) Auslegung in den eindeutigen § 17a StrRehaG hineinzuinterpretieren (BVerfG NJW 1986, 2242, 2243).
gez. Braun gez. Ewald gez. Krause-----------------------------------------------------
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