Text des Beschlusses
10 W 15/10;
Verkündet am:
01.10.2010
OLG Oberlandesgericht
Naumburg
Vorinstanzen:
21 O 211/07
Landgericht
Stendal;
Rechtskräftig: unbekannt!
Auch wenn spezielle Regelung für Untätigkeitsbeschwerde gegen Gericht noch nicht als Gesetz vorliegt, so folgt ein derartiger außergesetzlicher Rechtsbehelf jedoch aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes
Leitsatz des Gerichts:
Auch wenn eine spezielle Regelung für eine Untätigkeitsbeschwerde noch nicht in Gesetzesform vorliegt, so folgt ein derartiger außergesetzlicher Rechtsbehelf jedoch aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.
Dieses Rechtsmittel ist allerdings auf Fälle beschränkt, in denen das Verhalten des Gerichts praktisch einer völligen Verweigerung der Entscheidung oder einer Aussetzung des Verfahrens gleichkommt.
Es dient nicht dazu, um einzelne Verfahrenshandlungen im Rahmen eines laufenden, vom Gericht geförderten Verfahrens herbeizuführen und kommt nur dann in Betracht, wenn gegen die begehrte Entscheidung ihrerseits ein Rechtsmittel eröffnet wäre.
In der Beschwerdesache
…
hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Schubert, die Richterin am Oberlandesgericht Göbel und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Holthaus am 01. März 2010 beschlossen:
Die Untätigkeitsbeschwerde des Klägers vom 21. Januar 2010 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die von dem Kläger mit Schriftsatz vom 20. Januar 2010 wegen Nichtbescheidung seines Antrages auf Einholung eines neuen Gutachtens eines anderen Sachverständigen erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig.
Zwar steht der Statthaftigkeit des Rechtsmittels des Klägers nicht schon entgegen, dass er damit nicht eine vom Landgericht erlassene Entscheidung angreift, sondern lediglich eine von ihm als solche beanstandete Untätigkeit des Landgerichts rügen will. Auch wenn eine spezielle Regelung für eine Untätigkeitsbeschwerde gegenüber Gerichten noch nicht in Gesetzesform vorliegt, geht der Senat jedoch gleichwohl davon aus, dass ein derartiger außergesetzlicher Rechtsbehelf aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG folgt und den Rechtsschutzsuchenden im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. September 2007, 1 BvR 775/07, NJW 2008, 503 f.; BVerfG, Beschluss vom 06. Dezember 2004, 1 BvR 1977/04, NJW 2005, 739) sowie zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 13 EMRK (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 08. Juni 2006, Geschäftszeichen 75529/01, NJW 2006, 2389 - Stürmeli -) bei überlanger Verfahrensdauer zur Verfügung gestellt werden muss.
Im Interesse der Rechtssicherheit fordert das Rechtsstaatsprinzip, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden müssen (vgl. BVerfG FamRZ 2001, 753; BVerfG, Beschluss vom 02. März 1993, BVerfG-Entscheidung 88, 118). Um den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten zu können, ist die in der Gesetzessystematik der ZPO so nicht vorgesehene Untätigkeitsbeschwerde von der Rechtssprechung als außerordentlicher Rechtsbehelf geschaffen worden (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht Brandenburg, FamRZ 2008, 288, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, NJW 2009, 2388 - 2389, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, FamRZ 2007, 1030 - 1031, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2009, 183 - 184, zitiert nach juris; OLG Naumburg, FamRZ 2007, 2090 - 2091, zitiert nach juris; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 567 ZPO, Rn. 21 m. w. N.).
Dieses Rechtsmittel ist allerdings nur auf solche Fälle beschränkt, in denen das Verhalten des Gerichts praktisch einer völligen Verweigerung der Entscheidung oder einer Aussetzung des Verfahrens gleichkommt und angesichts einer ungewöhnlichen Verzögerung oder völliger Untätigkeit von einer willkürlichen Rechtsverweigerung des Gerichts ausgegangen werden muss (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 2009, 2388 - 2389, zitiert nach juris; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 288, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, FamRZ 2007, 1030 - 1031, zitiert nach juris; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 567 ZPO, Rn. 21 m. w. N.).
Diese Voraussetzung liegt hier indessen nicht vor.
Die Untätigkeitsbeschwerde des Klägers ist vielmehr schon deshalb unzulässig, weil eine über das Normalmaß hinausgehende unzumutbare Verzögerung des Verfahrens, die auf einen Rechtsverlust oder eine Rechtsverweigerung hinausläuft, weder schlüssig dargetan, noch hier nach Aktenlage ersichtlich ist. Der bisherige aktenkundige Verfahrensverlauf lässt eine unzumutbare Verfahrensverzögerung jedenfalls nicht erkennen.
Der Kläger hat den Sachverständigen Dipl.-Ing. W. mit Schriftsatz vom 28. Juli 2009 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und in diesem Zusammenhang zugleich beantragt, den Sachverständigen von seinem Gutachtenauftrag zu entbinden und ein neues Gutachten eines weiteren Sachverständigen einzuholen.
Mit richterlicher Verfügung vom 29. Juli 2009 hat das Landgericht zunächst das Befangenheitsgesuch dem Sachverständigen mit Gelegenheit zur Stellungnahme übermittelt.
Die am 20. August 2009 bei dem Landgericht eingegangene und an die Parteivertreter übermittelte ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen W. hat der Kläger daraufhin mit dem innerhalb der ihm bis zum 06. Oktober 2009 verlängerten Stellungnahmefrist eingegangenen Schriftsatz zum Anlass genommen, seinen Ablehnungsantrag um einen weiteren Ablehnungsgrund zu erweitern.
Die insoweit von dem Kläger zu seinem Befangenheitsgesuch erbetene ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen ist bei dem Landgericht am 28. Oktober 2009 eingegangen und mit gerichtlicher Verfügung vom gleichen Tage den Parteivertretern zur Kenntnisnahme übermittelt worden.
Mit dem am 25. November 2009 ergangenen Beschluss hat das Landgericht sodann die Ablehnungsgesuche des Klägers aus dessen Schriftsätzen vom 28. Juli 2009 und 06. Oktober 2009 zurückgewiesen und die zugleich beantragte Entpflichtung des Sachverständigen von seinem Gutachtenauftrag abgelehnt.
Gegen diesen, dem Kläger am 02. Dezember 2009 zugestellten Beschluss hat er mit einem am 09. Dezember 2009 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht mit Beschluss vom 13. Januar 2010 nicht abgeholfen hat.
Der Verfahrensablauf ist in keiner Weise zu beanstanden.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht das Verfahren nicht in der gebotenen Weise gefördert hat. Ein Nichtbetreiben des Verfahrens, das in zeitlicher Hinsicht auf einen Rechtsverlust oder aber eine Rechtsverweigerung hinauslaufen würde, ist keinesfalls erkennbar.
Eine Untätigkeitsbeschwerde ist aber nicht deshalb eröffnet, um einzelne Verfahrenshandlungen im Rahmen eines laufenden, vom erkennenden Gericht geförderten Verfahrens herbeizuführen (vgl. OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2009, 183 - 184, zitiert nach juris).
Eine Untätigkeitsbeschwerde kann im Übrigen anerkanntermaßen nur dann in Betracht kommen, wenn gegen die begehrte Entscheidung ihrerseits ein Rechtsmittel eröffnet wäre (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2007, 2090 - 2091, zitiert nach juris; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 567 ZPO, Rn. 21 m. w. N.).
Auch diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Gegen eine ablehnende Entscheidung über den Antrag auf Einholung eines Obergutachtens bzw. weiteren Sachverständigengutachtens ist die sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 1 ZPO nicht statthaft. Die im Rahmen des § 412 ZPO getroffene Entscheidung des Landgerichtes, eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen nicht anzuordnen, könnte der Kläger mit der sofortigen Beschwerde nicht isoliert angreifen. Denn weder ist eine diesbezügliche Beschwerdemöglichkeit ausdrücklich im Gesetz bestimmt (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), noch ergibt sich eine Zulässigkeit aus § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.
Durch eine ablehnende Entscheidung würde nämlich nicht ein das Verfahren betreffendes Gesuch im Sinne des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zurückgewiesen.
Dies folgt schon daraus, dass die Entscheidung über die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens nach § 412 ZPO vom Gericht von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen ist und ein Gesuch bzw. ein Antrag der Parteien nicht erfordert, und zwar auch dann, wenn ein solcher Antrag gleichwohl gestellt ist (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 2009, 588, zitiert nach juris; OLG Hamm, MDR 2010, 169; Ball in Musialek, ZPO, 6. Aufl., § 567 Rn. 14 m. w. N.; Heßler in Zöller, ZPO, § 567 ZPO, Rn. 31 und 34 m. w. N.). Sie kann daher lediglich mit der Berufung gegen ein darauf beruhendes Urteil angefochten werden (§§ 512, 529 ZPO; vgl. OLG Düsseldorf, MDR 2009, 588, zitiert nach juris; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 567 ZPO, Rn. 31 m. w. N.).
Nach alledem ist die Untätigkeitsbeschwerde des Klägers in jedem Fall unzulässig.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO für eine Zulassung nicht erfüllt sind.
gez. Schubert gez. Dr. Holthaus gez. Göbel-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur QuelleLink zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).