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Text des Urteils
4 U 648/08;
Verkündet am: 
 24.06.2009
OLG Oberlandesgericht
 

Jena
Vorinstanzen:
3 O 930/07
Landgericht
Meiningen;
Rechtskräftig: unbekannt!
Außerplanmäige Baumkontrolle bei Astabbruch aus Baumkrone
Leitsatz des Gerichts:
1. Die (in Thüringen hoheitlich ausgestaltete Straßenverkehrssicherungspflicht – §§ 10, 43 Abs. 1 ThStrG) erstreckt sich auch auf den Schutz vor Gefahren durch Straßenbäume; ihre Verletzung kann daher Amtshaftungsansprüche auslösen. Bei fehlender Standsicherheit (der Straßenbäume) und/oder der Gefahr herab stürzender Äste muss die (straßenverkehrssicherungspflichtige) Gemeinde solche Bäume oder Teile von ihnen entfernen, wenn hierdurch der Straßenverkehr gefährdet ist.

2. Besteht Anlass für eine außerplanmäßige Baumkontrolle – hier wegen eines abgebrochenen großen Astes, der eine Straßenlaterne erheblich beschädigt hatte – ist durch eine sorgfältige und umfassende Zustandsprüfung des Baumes abzuklären, ob weitere Astabbrüche drohen. In solchen Fällen reicht unter Umständen eine (nur einfache) Sichtkontrolle vom Boden nicht aus, wenn die potentiell gefahrträchtige Baumkrone dadurch nur oberflächlich von unten in Augenschein genommen wird. Vielmehr ist in einem solchen Fall eine (sorgfältige) äußere Kontrolle auch in der Baumkrone selbst, also zusätzlich von oben vorzunehmen.
In dem Rechtsstreit
K. N.
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
Stadt B. L.
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Amtsgericht Hütte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.05.2009 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 14.07.2008 – Az.: 3 O 930/07 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.676,92 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit der am 14.11.2007 eingetretenen Rechtshängigkeit zu zahlen.

Im Ãœbrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits (beider Instanzen) tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Berufungsstreitwert wird auf 5.515,38 € festgesetzt.


Gründe:


I.


Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen (behaupteter) Verkehrssicherungspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.

In der Nacht vom 26. zum 27.05.2007 gab es in Bad Liebenstein ein Gewitter. Durch den heftigen Sturm wurde eine an der Straße „Esplanade“ – in der die Klägerin wohnt – stehende Linde beschädigt. Aus der Baumkrone brach ein starker Ast ab, fiel auf eine Straßenlaterne und knickte diese um.

Am 27.05.2007 führten Mitarbeiter des Bauhofs der Beklagten Aufräumarbeiten durch. Sie entsorgten den abgebrochenen Ast und die defekte Straßenlaterne.

Eine Baumschau fand erst am 29.05.2007 – dem ersten Werktag nach Pfingsten – statt; und zwar durch die Zeugen K. (von Beruf selbständiger Forstwirt und Baumpfleger) und – als Vertreterin der Beklagten – die Zeugin N. (Mitarbeiterin im Ordnungsamt der Beklagten). Noch vor dieser „offiziellen“ Baumschau hatte auch der Zeuge J. (Leiter des Bauhofs der Beklagten) den Baum besichtigt. Beide Baumschauen beschränkten sich – was in zweiter Instanz außer Streit steht – auf eine Inaugenscheinnahme des Baumes von unten.

Sicherungsmaßnahmen fanden am 29.05.2007 nicht statt; die Zeugen bewerteten den Baum als ungefährlich. Im Ergebnis der Baumschau(en) sollte – nur aus optischen Gründen – am 01.06.2007 ein Kronenschnitt durchgeführt werden.

Am Morgen des 31.05.2007 brach ein weiterer (großer) Ast aus der Baumkrone ab. Der Ast fiel auf den Pkw der Klägerin, den diese unter der Linde abgestellt hatte. Es steht außer Streit, dass es weder zur Unfallzeit selbst, noch in den Tagen zuvor stürmisch oder – zumindest – windig war.

Die Klägerin verlangt nun Schadensersatz in Gesamthöhe von 5.515,38 €

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien in der ersten Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO).

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Beklagten sei keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen. Mit der anlassbezogenen Baumbesichtigung durch den als unabhängigen Fachmann hinzugezogenen Zeugen K. habe sie alles Erforderliche getan. Es sei weder ein Auswahlverschulden der Beklagten ersichtlich, noch habe sie ihre Kontrollpflichten verletzt. Der Zeuge J. habe nochmals eine eigenständige Prüfung des Baumes vorgenommen und die Zeugin N. habe die Baumschau des Zeugen Kästner begleitet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 19.07.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.08.2008 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis dahin verlängerten Frist am 17.10.2008 begründet.

Zentraler Berufungsangriff ist der Vorwurf, dass die Baumschau nur von unten nicht ausreichend gewesen sei. Der Baum habe vielmehr nach dem ersten schweren Schaden auch von oben und – zusätzlich – durch Endoskopie auch von innen untersucht werden müssen. Zu einer solchen gründlicheren Untersuchung hätte die Beklagte anweisen müssen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 14.07.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.515,38 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.


Die Klägerin hat ihre statthafte (§ 511 ZPO) Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 517,519, 520 Abs. 2, 3 ZPO).

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache – überwiegend – Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen (klageabweisenden) Urteils in eine Zahlungsverurteilung der Beklagten in Höhe von 3.676,92 €.
In dieser Höhe steht der Klägerin Schadensersatz zu.

Die in Thüringen hoheitlich ausgestaltete (§§ 10 Abs. 1, 43 Abs. 1 ThStrG) Straßenverkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf den Schutz vor Gefahren durch Straßenbäume. Ihre Verletzung ist daher geeignet, Amtshaftungsansprüche zu begründen. So liegt der Fall hier; die Beklagte haftet der Klägerin aus § 839 BGB iVm Art. 34 GG, §§ 10 Abs. 1, 43 Abs. 1 ThStrG auf Schadensersatz.

Die straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinde muss Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden; insbesondere, wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Anknüpfungspunkt für die der Beklagten vorzuwerfende schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist nicht, dass sie Anzeichen für eine Erkrankung oder Vermorschung der Linde und eine hierdurch begründete Gefahr verkannt oder übersehen hat. Auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder steht fest, dass die Linde „gesund“ war; im Übrigen steht dies zwischen den Parteien auch außer Streit. Aber nicht nur kranke, sondern auch gesunde Bäume können – wie der hier zu entscheidende Sachverhalt belegt – eine Gefahrenquelle darstellen.

Anlass dafür, den Baum als mögliche Gefahrenquelle zu betrachten und einer sorgfältigen äußeren Zustandsprüfung zu unterziehen, war der Sturm in der Nacht vom 26. zum 27.05.2007 und das in dieser Nacht eingetretene erste Schadensereignis. Der heftige Sturm hatte dazu geführt, dass ein großer und starker Ast aus der Baumkrone abgebrochen und herabgestürzt war. Wie massiv der Sturm auf die Linde eingewirkt hat, zeigt sich daran, dass der herabfallende Ast eine (stählerne) Straßenlaterne umgebogen hat. Haben demzufolge in der Nacht vom 26. zum 27.05.2007 massive Naturgewalten zu einem erheblichen Schadensbild geführt, lag es nahe, dass in der Baumkrone noch weitere Äste ab-, bzw. angebrochen waren und herabzustürzen drohten. Dies galt es durch eine sorgfältige Zustandsprüfung abzuklären.

Eine solche gründliche Baumschau erforderte zwar – wie die Beklagte zu Recht geltend macht - keine endoskopische Untersuchung des Bauminneren; wohl aber zwingend eine äußere Zustandsprüfung des Baumes, insbesondere der Baumkrone nicht nur von unten, sondern auch von oben. Weitere Astabbrüche oder Astanrisse in der dichtbelaubten Baumkrone konnten nur von unten nicht verlässlich erkannt werden.

Bei dieser Sachlage kann sich die Beklagte nicht damit entlasten, die Baumschau mit dem Zeugen K. auf einen erfahrenen Fachmann (vgl. hierzu die Anlagen B6 und B7) übertragen zu haben. Zwar ist ein Auswahlverschulden der Beklagten nicht ersichtlich, wohl aber ein Kontrollverschulden. Die den Zeugen Kästner bei der Baumschau als Vertreterin der Beklagten begleitende Ordnungsamtsmitarbeiterin – die Zeugin N. – hat gesehen, dass der Zeuge K. keine gründliche Baumschau durchgeführt hat, sondern die potentiell gefahrträchtige Baumkrone nur oberflächlich von unten in Augenschein genommen hat.

Liegt damit ein Kontrollverschulden der Beklagten vor, ist dieses auch kausal für den Schaden der Klägerin geworden. Nachdem zwischen den Parteien nicht nur außer Streit steht, dass der Baum bis zur „Sturmnacht“ gesund war, sondern auch unstreitig ist, dass in der Zeit nach der „Sturmnacht“ bis zum Morgen des 31.05.2007 Windstille geherrscht hat, streitet ein Anschein dafür, dass der auf den Pkw gefallene Ast durch den Sturm ab- bzw. angebrochen war und (nur) deshalb wenige Tage später herabgefallen ist. Dies wäre durch eine gründliche – auch von oben ausgeführte – Baumschau vermeidbar gewesen.

Steht damit fest, dass die Beklagte für den Schaden der Klägerin haftet, ist dieser aber ein Mitverschulden anzulasten, weil sie trotz Wissens um den sturmbedingten Astabbruch nur wenige Tage später das eigene Fahrzeug direkt unter dem Baum geparkt hat. Hiermit hat sie die ihr in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt verletzt; was in der Haftungsabwägung (§ 254 Abs. 1 BGB) dazu führt, dass sie mit einer Quote von 1/3 für ihren Schaden selbst aufkommen muss.

Im Ergebnis hat daher die Beklagte nur 2/3 des der Klägerin durch den Astabbruch vom 31.05.2007 in unstreitiger Höhe von 5.515,38 € entstandenen Schadens; d.h. 3.676,92 € zu ersetzen.

III.


Die Kosten- und die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Für eine Revisionszulassung besteht unabhängig davon, dass keine Partei einen entsprechenden Antrag gestellt hat, keine Veranlassung. Revisionszulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 1 GKG.

(Müller) (Hütte) (Friebertshäuser)
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