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Text des Urteils
1 Sa 135/2000;
Verkündet am: 
 07.12.2000
LAG Landesarbeitsgericht
 

Erfurt
Vorinstanzen:
1 Ca 1802/99
Arbeitsgericht
Gotha;
Rechtskräftig: unbekannt!
Fristlose Kündigung eines Rettungssanitäters nach angeblicher Weigerung, außerhalb der Arbeitszeit einen Einsatz zu fahren
Leitsatz des Gerichts:
Fristlose Kündigung eines Rettungssanitäters nach angeblicher Weigerung, außerhalb der Arbeitszeit einen Einsatz zu fahren.
Entscheidungstenor


1) Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gotha vom 01.03.2000, Az.: 1 Ca 1802/99, wird zurückgewiesen.

2) Der vom Beklagten gestellte Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.

3) Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4) Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d


Zwischen den Parteien ist die Rechtswirksamkeit einer vom Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung streitig.

Der Kläger ist beim Beklagten seit dem 01.04.1985 als Rettungssanitäter beschäftigt.

Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.10.1999, dem Kläger zugegangen am gleichen Tage, fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.06.2000 gekündigt.

Wegen der Unterrichtung des Betriebsrats wird auf die dem Betriebsrat mit Schreiben vom 05.10.1999 (Bl. 59 d. A.) und 13.10.1999 (Bl. 60 - 63 d. A.) mitgeteilten Gründe Bezug genommen. Der Betriebsrat hat der Kündigung widersprochen.

Die Begründung des Kündigungsschreiben vom 19.10.1999 lautet (Bl. 5 d. A.):

Sie haben am 28.09.1999 um 16.36 Uhr Kenntnis von einem schweren Verkehrsunfall mit 3 eingeklemmten Personen erhalten. Die entsprechende Alarmierung ist über die zuständige Rettungsleitstelle erfolgt. Zum Zeitpunkt der Alarmierung waren Sie in der Rettungswache I. anwesend und erreichbar. Trotz Ihrer Erreichbarkeit und der Kenntnisnahme von dem Notfall mit eingeklemmten Personen haben Sie keinerlei Reaktionen unternommen. Wir sehen darin ein unverantwortliches und nicht akzeptables Verhalten eines Mitarbeiters eines Rettungsdienstes. Das erforderliche Vertrauensverhältnis für eine weitere Zusammenarbeit ist nicht mehr vorhanden.

Der Beklagte hatte bereits vor dem Ausspruch der Kündigung unter dem 04.10.1999 folgendes Schreiben an den Kläger gerichtet (Bl. 73 d. A.):

Letztmalige Abmahnung

Sehr geehrter Herr G.,

bereits mit Schreiben vom 21. Oktober 1998 und 27. Oktober 1998 mußten wir Sie wegen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit den arbeitsvertraglichen Pflichten eines Rettungsdienstmitarbeiters abmahnen. Offensichtlich haben unsere deutlichen Hinweise bei Ihnen nicht den erhofften Erfolg gehabt. Wir mußten durch ein Schreiben des Landrats des I.-Kreises feststellen, daß sie am 28.09.1999 einen Transportauftrag der Rettungsleitstelle nicht ausführten. Sie haben mit deutlicher Sprache und mit dem Hinweis auf den Feierabend den Einsatzauftrag zu einem tragischen Verkehrsunfall abgelehnt.

Wir sind nicht mehr bereit, dieses untragbare Verhalten länger hinzunehmen. Ausschließlich aus sozialen Gründen sehen wir heute davon ab, Ihnen zu kündigen. Sie werden hiermit letztmals abgemahnt mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß Ihr Arbeitsverhältnis bei dem nächsten Fehlverhalten unweigerlich gekündigt wird und Sie mit weiterer Nachsicht nicht mehr rechnen können.

Dem Schreiben des Beklagten vom 04.10.1999 war folgendes Schreiben des Landrats des I.-Kreises vom 29.09.1999, gerichtet an den Geschäftsführer des Beklagten, als Anlage beigefügt (Bl. 25, 26 d. A.):

Sehr geehrter Herr S.,

am 28. September 1999 kam es auf der B 88 zwischen I. und L. zu einem tragischen Unglücksfall mit drei eingeklemmten Personen.

Von der Leitstelle wurde der RTW 14/83/2 um 16.36 Uhr zu diesem Unfall alarmiert, rückte aber nicht aus. Nach Rückfrage der Leitstelle bei der anderen RTW-Besatzung gaben diese die Auskunft über folgende Äußerung der Besatzung des 14/83/2: "Die Leitstelle solle sie am A... lecken, wir haben jetzt Feierabend!"

In dieser Handlung sehe ich eine Arbeitsverweigerung, wenn nicht sogar eine unterlassene Hilfeleistung.

Ich fordere Sie hiermit als Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes auf, entsprechende angemessene Disziplinarmaßnahmen einzuleiten.

Teilen Sie mir bitte bis zum 04. Oktober 1999 die Namen und Privatanschriften der Besatzung des RTW 14/83/2 sowie die von Ihnen beabsichtigten Disziplinarmaßnahmen mit.

Anhand dieser Mitteilung werde ich entscheiden, ob seitens des Trägers eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erfolgt.

Sollten weitere Probleme in personeller Hinsicht auftreten, so sehe ich mich veranlaßt, entsprechend § 15 ThürRettG zu prüfen, ob eine weitere Genehmigung zur Durchführung des Rettungsdienstes aufrechterhalten werden kann.

Die Abmahnung vom 04.10.1999 ist vom Beklagten mit Schreiben vom 07.10.1999 zurückgenommen worden. Dieses Schreiben wurde nicht zu den Akten gereicht.

Der Kläger hat sich mit seiner Klage vom 25.10.1999 gegen die Kündigung vom 19.10.1999 gewandt. Er hat beantragt,

1) festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 19.10.1999 beendet worden ist;

2) den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhaltes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe die Kündigung auf das Verhalten des Klägers gestützt, das er vorher abgemahnt habe. Mit der Abmahnung habe er auf sein Kündigungsrecht verzichtet. Darauf, daß er die Abmahnung später "zurückgenommen" habe, komme es nicht an. Der Arbeitnehmer dürfe darauf vertrauen, daß der Arbeitgeber wegen noch nicht einmal vorher abgemahnter Vorwürfe keine Kündigung aussprechen werde.

Der Beklagte wendet sich gegen das ihm am 22.03.2000 zugestellte Urteil mit der am 19.04.2000 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 05.05.2000 begründeten Berufung.

Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe nicht darauf vertrauen können, daß nach Ausspruch der Abmahnung keine Kündigung ausgesprochen werde. Die Abmahnung sei mit Schreiben vom 07.10.1999 zurückgenommen worden. Der Betriebsrat sei bereits mit Schreiben vom 05.10.1999 zur Kündigungsabsicht angehört worden. Der Betriebsrat habe unverzüglich Kontakt mit dem Kläger aufgenommen, so daß es dem Kläger habe bewußt sein müssen, daß es nicht bei der Abmahnung bleibe. Im übrigen könne nur durch eine wirksam ausgesprochene Abmahnung, nämlich eine Abmahnung, die das gesamte abzumahnende Fehlverhalten ausführlich beschreibe, das Kündigungsrecht verbraucht sein. Der Abmahnung vom 04.10.1999 habe der Kläger jedoch nicht entnehmen können, welches Verhalten abgemahnt werden sollte. Es sei weder der genaue Rettungseinsatz noch das konkrete Fehlverhalten des Klägers bezeichnet worden.

Die Kündigungsausspruchsfrist sei gewahrt, da erst mit einer Anhörung des Klägers durch den Landrat am 13.10.1999 die Überprüfung des kündigungsrelevanten Sachverhaltes abgeschlossen gewesen sei.

Für den Fall, daß die Kündigung rechtsunwirksam sei, sei das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Der Kläger habe durch sein Verhalten das im Bereich des Rettungsdienstes erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört. Das Verhalten des Klägers habe auch dazu geführt, daß der Landrat ihm - dem Beklagten - mit dem Entzug des Rettungsdienstauftrages gedroht habe. Dadurch habe der Kläger die Arbeitsplätze von mehr als 20 Mitarbeitern des Rettungsdienstes gefährdet.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 11.400,00 DM nicht übersteigen sollte, zum 19.10.1999 aufzulösen.

Der Kläger beantragt, die Berufung und den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil mit den aus der Berufungsbeantwortung vom 07.06.2000 (Bl. 118, 119 d. A.) ersichtlichen Gründen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e


Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.

Der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht gestellte Auflösungsantrag ist ebenfalls zurückzuweisen.

I) Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung des Beklagten aufgelöst worden. Es liegt weder ein wichtiger Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor, noch ist die ordentliche Kündigung gem. § 1 Abs. 1 und 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Beklagte durch den Ausspruch der Abmahnung vom 04.10.1999 auf die Geltendmachung des abgemahnten Verhaltens als Kündigungsgrund verzichtet hat.

Eine Kündigung ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann gerechtfertigt, wenn andere Mittel nicht mehr ausreichen (ultima ratio). Insofern geht die Abmahnung als das mildere Mittel einer Kündigung vor. Der Arbeitgeber, der wegen eines bestimmten Verhaltens eine Abmahnung ausspricht, gibt damit zu erkennen, daß er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, daß ihm eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht mehr möglich ist. Er verzichtet dann konkludent auf ein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren. Folglich kann eine spätere Kündigung nicht allein auf die abgemahnten Gründe gestützt werden, auf sie kann vielmehr nur unterstützend zurückgegriffen werden, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände hinzutreten oder aber dem Arbeitgeber nachträglich bekannt werden (vgl. zu allem: BAG vom 10.11.1988, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; KR, Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG Rnr. 273; KR, Fischermeier, § 626 BGB Rnr. 62).

Die Gründe für die Abmahnung und die Gründe für die später ausgesprochene Kündigung sind identisch. Die Behauptung des Beklagten, mit der Abmahnung sei auf das Kündigungsrecht bereits deshalb nicht verzichtet worden, weil das abgemahnte Verhalten nicht hinreichend konkret bezeichnet worden sei, ist unerheblich. Auch ein nur ungefähr bezeichnetes Fehlverhalten ist identifizierbar, wenn der abgemahnte Arbeitnehmer weiß, um welchen konkreten Vorgang es bei der Abmahnung geht.

Der Beklagte spricht aber seiner eigenen Abmahnung auch zu Unrecht die hinreichende Bestimmtheit ab. Der Abmahnung war nämlich das Schreiben des Landrats des I.-Kreises vom 29.09.1999 beigefügt. Darin wird der Vorgang, auf den die spätere Kündigung gestützt wurde, sehr genau und deutlich angesprochen.

Auch die unstreitige Tatsache, daß die dem Kläger erteilte Abmahnung im Nachhinein mit Schreiben vom 07.10.1999, also noch vor Ausspruch der Kündigung, zurückgenommen wurde, beseitigt nicht den mit der Abmahnung konkludent erklärten Verzicht auf das Kündigungsrecht. Mit der Abmahnung übt der Arbeitgeber ein vertragliches Rügerecht aus. Die Rüge kann er als einseitige Erklärung, wenn sie einmal ausgesprochen ist, rein tatsächlich nicht zurücknehmen. Die "Rücknahme" stellt vielmehr inhaltlich eine Erklärung dergestalt dar, daß der Arbeitgeber ein rügenswertes Fehlverhalten von Anfang an als nicht gegeben ansieht. Dann ist jedoch der Beklagte mit der Rücknahme der Abmahnung, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hinweist, auch von der Annahme abgerückt, es liege überhaupt ein pflichtwidriges Verhalten des Klägers vor. Die Rücknahme der Abmahnung beseitigt folglich nicht den Verzicht auf das Kündigungsrecht, sondern bekräftigt ihn im Gegenteil.

Unerheblich ist die Behauptung des Beklagten, der Betriebsrat sei bereits mit Schreiben vom 05.10.1999 über die Kündigungsabsicht unterrichtet worden und habe aus diesem Grunde auch unverzüglich Kontakt mit dem Kläger aufgenommen, so daß dieser nicht darauf habe vertrauen können, daß es bei der Abmahnung bleibe. Der Arbeitgeber wird an dem mit der Abmahnung konkludent erklärten Verzicht auf die Geltendmachung des abgemahnten Verhaltens als Kündigungsgrund in erster Linie nicht deshalb festgehalten, weil das Vertrauen des Arbeitnehmers nicht enttäuscht werden soll, sondern weil er selbst das abgemahnte Verhalten nicht als kündigungsrelevant angesehen hat, also selbst davon ausgegangen ist, daß keine Kündigungsgründe vorliegen. In der Zeit zwischen der Abmahnung vom 04.10.1999 und der Unterrichtung des Betriebsrats mit Schreiben vom 05.10.1999 sind für den Beklagten auch keine neuen Kündigungsgründe hinzugetreten, denn der Beklagte bezieht sich für die dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe, wie vorher bereits bei der Abmahnung, auf das Schreiben des Landrats vom 29.09.1999. Der Beklagte hat also den gleichen Sachverhalt lediglich unterschiedlich bewertet. Dann aber ist er an der Bewertung festzuhalten, die ihn zum Ausspruch der Abmahnung als dem milderen Mittel veranlaßt hat.

II) Der von der Beklagten zulässig gem. § 9 Abs. 1 S. 3 KSchG in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht gestellte Auflösungsantrag ist unbegründet.

1) Soweit der Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Termin der fristlosen Kündigung am 19.10.1999 begehrt, ergibt sich dies bereits aus § 13 Abs. 1 S. 3 KSchG, da das Auflösungsrecht bei einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung nur dem Arbeitnehmer, nicht aber dem Arbeitgeber zusteht.

2) Der Beklagte hat jedoch das Arbeitsverhältnis vorsorglich ordentlich gekündigt, so daß zu prüfen ist, ob das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten gem. § 9 Abs. 2 KSchG zum Termin der ordentlichen Kündigung, dem 30.06.2000, aufzulösen ist.

a) Der bei festgestellter Sozialwidrigkeit der ordentlichen Kündigung grundsätzlich mögliche Auflösungsantrag ist unbegründet, da sich der Beklagte durch seinen mit dem Ausspruch der Abmahnung konkludent erklärten Verzicht auf das Kündigungsrecht auch der Möglichkeit begeben hat, Auflösungstatsachen geltend zu machen. Der Ausspruch einer Kündigung ist Voraussetzung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Im Verzicht auf das Kündigungsrecht liegt daher auch ein Verzicht auf das Recht, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen.

b) Unabhängig davon liegen aber auch keine Tatsachen vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen dem Beklagten und dem Kläger i. S. des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht erwarten lassen.

Als Auflösungsgründe können auch solche Umstände geeignet sein, die die Kündigung selbst nicht rechtfertigen können (Spilger, KR, a. a. O., § 9 KSchG Rnr. 58). Der Beklagte beruft sich insoweit darauf, daß der Kläger durch sein Verhalten gerade die für den Beruf des Rettungssanitäters erforderliche Vertrauensgrundlage zerstört habe und im übrigen die Genehmigungsbehörde dazu veranlaßt habe, den Entzug der Betriebserlaubnis anzudrohen mit den entsprechenden Folgen für sämtliche im Betrieb vorhandenen Arbeitsplätze.

aa) Das beanstandete Verhalten des Klägers war nicht geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die Zuverlässigkeit des Klägers als Rettungssanitäter zu beeinträchtigen.

Der Beklagte behauptet, der Kläger sei am 28.09.1999 nach einer um 16.36 Uhr erfolgten Alarmierung durch die Leitstelle über einen Verkehrsunfall mit drei eingeklemmten Personen nicht zur Unfallstelle ausgerückt. Er habe auf die Alarmierung vielmehr mit dem Götz-Zitat und der Bemerkung reagiert: Wir haben jetzt Feierabend. Der Beklagte sieht darin eine Arbeitsverweigerung, ggf. eine unterlassene Hilfeleistung infolge der Garantenstellung des Klägers.

Diese Bewertung ist unzutreffend. Der Kläger hat sich mit seiner Weigerung, zum Einsatzort zu fahren, nicht arbeitsvertragswidrig verhalten.

Eine Arbeitspflicht des Klägers bestand zum Zeitpunkt der Alarmierung nicht mehr, denn der Dienst des Klägers endete am 28.09.1999 um 16.30 Uhr. Das Fahrzeug des Klägers war auch nicht im Schichtbetrieb eingesetzt, so daß deshalb der Dienst bis zur Übernahme durch die nächste Schicht noch angedauert hätte. Der Umstand, daß sich der Kläger noch in den Diensträumen aufhielt und auch noch die Dienstkleidung trug, begründet entgegen der Auffassung des Beklagten keine Dienstpflicht, denn die Dauer der Arbeitszeit ist zeitbestimmt und hängt nicht von zufällig gegebenen sonstigen Umständen ab.

Der Kläger konnte auch die Alarmierung durch die Leitstelle nicht als Aufforderung zur Ableistung von Mehrarbeit ansehen. Zwar steuert die Leitstelle gem. § 8 Abs. 2 S. 2 ThürRettG den Einsatz der Rettungsmittel, so daß der Rettungssanitäter grundsätzlich den Einsatzbefehlen der Leitstelle nachzukommen hat. Auf der anderen Seite koordiniert die Leitstelle die Dienstpläne der Rettungswachen, so daß sie Kenntnis über den Stand der aktuell zur Verfügung stehenden Rettungsmittel besitzt. Unter dieser Prämisse und aufgrund weiterer Umstände ist davon auszugehen, daß die Alarmierung der Besatzung des Rettungswagens 2 (RTW 2), zu der der Kläger gehörte, irrtümlich erfolgte, wenn sie sich denn überhaupt präzise auf den RTW 2 bezog, was der Kläger bestreitet. Selbst wenn letzteres unterstellt wird, hat die Leitstelle auf den unterbliebenen Einsatz hin den RTW 2 nicht nachalarmiert, wie dies nach der Darstellung des Arbeitskollegen M. des Klägers sonst praktiziert wird.

Die unterlassene Nachalarmierung ist allein deshalb plausibel, weil die Leitstelle nicht davon ausgehen konnte, daß die Alarmierung die Besatzung des RTW 2 überhaupt erreicht hat. Die Leitstelle wußte, daß der Dienst der Besatzung des RTW 2 am fraglichen Tag um 16.30 Uhr geendet hatte. Die Besatzung hat sich auch unstreitig mit "Funk aus" bei der Leitstelle gemeldet. Mit dieser Meldung wird angezeigt, daß das im Fahrzeug installierte Funkgerät ausgeschaltet ist.

Der Beklagte behauptet, die Besatzung des RTW 2 hätte sich bei der Leitstelle zusätzlich vom Dienst abmelden müssen. Worauf eine solche Verpflichtung beruhen soll, hat der Beklagte nicht angegeben. Sie wäre auch wenig einsichtig, da die Leitstelle ohnedies die Dienstpläne und damit die Einsatzzeiten der Besatzungen kennt. Hinzu kommt aber, daß der diensthabende Mitarbeiter der Leitstelle, ein Herr S., dem Geschäftsführer der Beklagten gegenüber am 19.10.1999 folgende schriftliche Stellungnahme abgegeben hat (Bl. 31 d. A.): Die von dem Kameraden S., Leiter DRK I., aufgestellte Behauptung, das Fahrzeug 14/83/2 hätte sich nicht freigemeldet, kann von mir nicht so bestätigt werden. Löst man die Negationen dieser Mitteilung auf, so sagt Herr S.: Die Besatzung hat sich freigemeldet, was wohl heißen soll, "arbeitsfrei" gemeldet. Davon geht letztlich auch der Beklagte aus, denn in der Unterrichtung des Betriebsrats vom 13.10.1999 wird als Ergebnis eines Gespräches zwischen dem Landrat und der Besatzung des RTW 2 festgehalten, daß die Behauptung der Besatzung, der RTW 2 habe sich bei der Leitstelle bereits vor der Alarmierung abgemeldet, zur Kenntnis genommen wird. Dabei beläßt es der Beklagte für die Unterrichtung des Betriebsrats, macht diesem gegenüber also nicht geltend, der Kläger habe sich nicht bei der Leitstelle vom Dienst abgemeldet, wie später im Prozeß behauptet wurde. Die Behauptung ist folglich bereits deshalb unbeachtlich, weil weder Kündigungsgründe noch Auflösungsgründe (für diese: KR, a. a. O., § 9 KSchG Rnr. 58 a) berücksichtigt werden können, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurden.

Es kommt hinzu, daß der Notfalleinsatz durch die erfolglose Alarmierung des RTW 2 zu keinem Zeitpunkt gefährdet war. Die Leitstelle erhält nämlich per Funk die Bestätigung, welches Fahrzeug zum Einsatz ausgerückt ist. Deshalb hat die Leitstelle auch, nachdem die Besatzung des RTW 2 den Einsatz nicht per Funk angezeigt hat, den RTW S. alarmiert, der im übrigen nach der unwidersprochenen Behauptung des Klägers noch vor dem RTW des Beklagten am Unfallort eintraf, weil er sich zufällig in der Nähe aufgehalten hatte.

Anzumerken ist desweiteren, daß die Leitstelle aus der Tatsache, daß der RTW 2 den Einsatz nicht gefahren hat, keinerlei Konsequenzen gezogen hat. Es ist daher auch unzutreffend, wenn der Landrat des I.-Kreises in seinem Schreiben vom 29.09.1999 behauptet, die Leitstelle habe bei der anderen RTW-Besatzung (RTW 1) nach dem Verbleib des RTW 2 gefragt. Richtig ist vielmehr, daß der Arbeitskollege S. des Klägers, er ist der Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeuges, den Arbeitskollegen H., dieser gehört zur Besatzung des RTW 1, noch am Unfallort nach dem Verbleib des RTW 2 fragte. H., der vorher mit dem Kläger einen Disput hatte, berichtete von der Bemerkung des Klägers einschließlich des Götz-Zitats. Daraufhin fragte S. bei der Leitstelle an, ob denn der RTW 2 auch alarmiert worden sei. Als dies bestätigt wurde, informierte S. die Leitstelle über die Bemerkung des Klägers. Die behauptete Arbeitsverweigerung und die Wortwahl des Klägers wurde demnach überhaupt erst durch einen Hinweis seines Arbeitskollegen S. gegenüber der Leitstelle nach außen getragen und so auch dem Träger des Rettungsdienstes bekannt. Dieser wiederum ging bei seiner mit Schreiben vom 29.09.1999 verfügten Anweisung an den Beklagten davon aus, daß eine Beanstandung der Leitstelle vorläge, was jedoch nicht zutraf.

Nach allem ist festzuhalten, daß der Kläger nach Dienstschluß von der Leitstelle alarmiert wurde, obwohl die Leitstelle wußte, daß die Dienstzeit des Klägers geendet hatte und sich der Kläger auch arbeitsfrei gemeldet hatte. In dieser Situation hat der Kläger eine Alarmierung durch die Leitstelle ignoriert. Es wäre folglich zu prüfen, ob der Kläger der Alarmierung allein deshalb nicht nachkommen mußte, weil er nicht mehr im Dienst war oder ob er zumindest aus dem Grund der Alarmierung (Verkehrsunfall mit drei eingeklemmten Personen) hätte ersehen können, daß sein Einsatz ausnahmsweise auch außerhalb der Dienstzeit angeordnet worden war. Dabei ist wiederum zu berücksichtigen, daß die Leitstelle auf die Sondersituation, daß nämlich ein Einsatz des Klägers trotz Dienstschluß erforderlich sei, nicht hingewiesen hat und im übrigen auch den RTW 2 nicht erneut alarmiert hat. Dies bedeutet, daß die Leitstelle den RTW 2 entweder irrtümlich oder aber nur vorsorglich alarmiert hat und ohne weiteres auf andere im Dienst befindliche Rettungskräfte ausweichen konnte, als sie feststellte, daß der RTW 2 des Klägers nicht zum Einsatz ausgerückt war. Dem Kläger wäre dann in erster Linie vorzuwerfen, daß er mit der Leitstelle keinen Kontakt aufgenommen hat, um auf seinen Dienstschluß hinzuweisen oder nicht zumindest die den Einsatz fahrenden Kollegen gebeten hat, der Leitstelle eine entsprechende Nachricht zu übermitteln. Dieser Vorwurf könnte jedoch weder die Kündigung noch den Auflösungsantrag rechtfertigen.

bb) Vergegenwärtigt man sich die Umstände zum Zeitpunkt der Alarmierung, so liegt die Vermutung nahe, daß der Beklagte und insbesondere der Landrat als Träger des Rettungsdienstes, nicht nur durch die angebliche Arbeitsverweigerung des Klägers, sondern vor allem durch die ihnen hinterbrachte Art und Weise, in der der Kläger die Alarmierung kommentierte, zu einer scharfen Reaktion gegenüber dem Kläger veranlaßt wurden.

Der Kläger war um 16.30 Uhr von einem 4-stündigen Einsatz zurückgekehrt und dabei, sein Essen vorzubereiten, das er nach Dienstschluß einnehmen wollte. Es entstand ein Streit zwischen ihm und dem Arbeitskollegen H., der zu einem Wortwechsel führte. In diese emotional bereits aufgeladene Situation hinein erfolgte um 16.36 Uhr die Alarmierung durch die Leitstelle. Wenn der Kläger sie mit der Feststellung kommentiert hätte: wir haben jetzt Feierabend, hätte man ihm daraus wohl kaum einen Vorwurf machen können. Das in diesem Zusammenhang gefallene Götz-Zitat ist jedoch eine Unmutsäußerung, die auch dann unangebracht wäre, wenn der Kläger damit nur zum Ausdruck hätte bringen wollen, daß die Alarmierung des RTW 2 nicht mehr hätte erfolgen dürfen. Für den Auflösungsgrund i. S. des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG ist jedoch nicht nur die Bemerkung selbst erheblich, sondern auch die Tatsache, daß der Kläger die Äußerung im Kollegenkreis getätigt hat und nicht etwa gegenüber den Mitarbeitern der Leitstelle. Der vom Kläger im Streit geschiedene Arbeitskollege H., dieser wiederum über den Mitarbeiter S., hat dafür gesorgt, daß die Leitstelle davon erfahren hat, auf welche Art und Weise der Kläger die Alarmierung kommentiert hat. Das in der Benutzung des Götz-Zitats liegende Fehlverhalten des Klägers ist demnach ebenfalls nicht so schwerwiegend, daß eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht erwartet werden kann.

cc) Ein Auflösungsgrund kann schließlich nicht darin gesehen werden, daß der Landrat des I.-Kreises das Verhalten des Klägers zum Anlaß genommen hat, dem Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 29.09.1999 anzukündigen, er werde für den Fall weiterer Probleme in personeller Hinsicht prüfen, ob die Genehmigung zur Durchführung des Rettungsdienstes aufrechterhalten werden kann.

Der Landrat hat mit seinem Eingriff in die Entscheidungsfindung des Beklagten seine Kompetenzen überschritten und auch unzulässigen Druck auf den Beklagten ausgeübt.

Der Landrat hat dem Beklagten mit Schreiben vom 29.09.1999 aufgegeben, Disziplinarmaßnahmen gegenüber der Besatzung des RTW 2 einzuleiten. Eine solche Weisungsbefugnis stand dem Landrat nicht zu, denn er ist nicht Arbeitgeber des Klägers.

Gem. § 3 Abs. 1 ThürRettG ist die Sicherstellung des bodengebundenen Rettungsdienstes Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise. Der Landkreis ist Aufgabenträger und insoweit gem. § 4 Abs. 2 ThürRettG auch befugt, den Rettungsdiensten (Durchführende i. S. des § 4 Abs. 1 ThürRettG) Weisungen zu erteilen. Diese Weisungen können sich aber nur auf die Tätigkeit des Rettungsdienstes selbst, nicht aber auf die arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen dem Rettungsdienst und den bei ihm beschäftigten Rettungssanitätern beziehen. Von daher entscheidet der Arbeitgeber des Rettungssanitäters über Disziplinarmaßnahmen, nicht aber der Aufgabenträger.

Es ist auch nicht Sache des Aufgabenträgers, anstelle des Arbeitgebers die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer beabsichtigten Kündigung durchzuführen. Daher war auch das Gespräch, das der Landrat am 13.10.1999 mit dem Kläger und dem Arbeitnehmer M. unter Hinzuziehung des Betriebsratsvorsitzenden über die Vorfälle vom 28.09.1999 geführt hat, nicht durch seine Weisungsbefugnis gedeckt. An diesem Gespräch hat bezeichnenderweise der eigentlich Kündigungsberechtigte, nämlich der Geschäftsführer des Beklagten, nur teilweise und auch nicht auf Einladung durch den Aufgabenträger, sondern auf eigenen Wunsch teilgenommen.

Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Beklagte, handelnd durch seinen Geschäftsführer, die Anordnungen des Landrats sowohl bei der Disziplinarmaßnahme als auch beim späteren Ausspruch der Kündigung umgesetzt hat, ohne eine eigene umfassende Bewertung der Kündigungsgründe vorzunehmen.

Soweit der Landrat eine Überprüfung der Genehmigung zur Durchführung des Rettungsdienstes gem. § 15 ThürRettG im Zusammenhang mit dem hier streitigen Sachverhalt für den Fall weiterer personeller Probleme angekündigt hat, hat der Landrat gem. § 19 Abs. 1 ThürRettG als untere staatliche Verwaltungsbehörde gehandelt. In seiner Eigenschaft als Genehmigungsbehörde ist der Landrat an die in § 15 Abs. 6 und 7 ThürRettG aufgeführten Widerrufsgründe und im übrigen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden. Von daher hätte der Beklagte auch dann nicht mit dem Widerruf der Betriebsgenehmigung rechnen müssen, wenn er nach eigener pflichtgemäßer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß für die vom Landrat verlangten personellen Maßnahmen eine ausreichende Rechtsgrundlage überhaupt nicht gegeben war. Das Schreiben des Landrats vom 29.09.1999 war im übrigen vor einer Anhörung der Beteiligten verfaßt worden und daher als erste Reaktion auf möglicherweise unvollständige Informationen erkennbar.

Der Beklagte hat gem. § 97 ZPO die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
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