Text des Urteils
8 Sa 288/98;
Verkündet am:
17.08.1998
LAG Landesarbeitsgericht
Erfurt
Vorinstanzen:
10 Ca 3861/98
Arbeitsgericht
Erfurt;
Rechtskräftig: unbekannt!
Zu den Voraussetzungen einer ohne Abmahnung ausgesprochenen ordentlichen Kündigung einer Agenturbetreuerin wegen unrichtiger Ausfüllung einer Reisekostenabrechnung
Leitsatz des Gerichts:
1) Zu den Voraussetzungen einer ohne Abmahnung ausgesprochenen ordentlichen Kündigung einer Agenturbetreuerin wegen unrichtiger Ausfüllung einer Reisekostenabrechnung (Spesenbetrug) sowie eines Auflösungsantrages wegen Verlustes des Vertrauens des Arbeitgebers in die Ehrlichkeit des Arbeitnehmers.
2) Zu den Grundlagen der richterlichen Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung einer Parteianhörung nach § 141 ZPO
Entscheidungstenor
Unter Zurückweisung des Hilfsantrages wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 27.02.1998 - 10 Ca 3861/97 - kostenpflichtig zurückgewiesen.
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten auf Unregelmäßigkeiten bei einer Spesenabrechnung gestützten Kündigung.
Wegen des erstinstanzlichen Parteivortrages, wegen der gestellten Anträge und wegen der richterlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils gem. § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Erfurt hat der Klage mit Urteil vom 27.02.1998 stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen.
Gegen dieses der Beklagten am 24.03.1998 zugestellte Urteil hat diese mit dem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 16.04.1998 Berufung eingelegt und die Berufung mit dem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 15.05.1998 begründet.
Sie wendet sich gegen die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung unter weitestgehender Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 27.02.1998, 10 Ca 3861/97, abzuändern und die Klage abzuweisen.
hilfsweise
das Arbeitsverhältnis zum 31.12.1997 gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch den Betrag vom DM 25.000,00 nicht überschreiten soll, aufzulösen.
Die Klägerin beantragt:
Die Berufungsklage wird abgewiesen.
Sie verteidigt die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung unter Eingehens auf den Berufungsvortrag und unter erheblicher Vertiefung ihrer erstinstanzlicher Darlegungen.
Das Berufungsgericht hat die Klägerin gem. § 141 ZPO angehört sowie Beweis durch Vernehmung der Zeugen F. S. und J. Z. erhoben; wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Blatt 165 ff der Akten verwiesen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung ist nicht begründet, weil das Arbeitsgericht der Klage zu Recht stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten zu Recht abgewiesen hat.
Auch das Berufungsgericht hat trotz der durchgeführten Beweisaufnahme nicht die Überzeugung gewinnen können, daß sich die Klägerin gegenüber der Beklagten eines Spesenbetrugs schuldig gemacht hat, und es vertritt ebenso wie das Arbeitsgericht die Auffassung, daß wegen der unstreitig unrichtigen Ausfüllung des Wochen- und Monatsberichts betreffend die Fahrt vom 30.06.1997 vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung hätte erfolgen müssen.
Der Auflösungsantrag ist nicht begründet, weil die Beklagte nicht zur Überzeugung des Berufungsgerichts nachgewiesen hat, daß sie in einer derartigen Weise das Vertrauen in die Klägerin an ihrer korrekten Berufsausübung verloren hat, daß eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Im einzelnen gilt folgendes:
1. Die ordentliche Kündigung eines in den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallenden Arbeitnehmers ist u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe im Verhalten dieses Arbeitnehmers gerechtfertigt ist.
Bei dem Begriff "sozial ungerechtfertigte Kündigung" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Eine solche Kündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn Umstände vorliegen, die sie bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es darauf an, ob auch ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber nach der gebotenen Interessenabwägung die Gründe zum Anlaß genommen hätte, die fragliche Kündigung auszusprechen.
Dabei setzt eine verhaltensbedingte Kündigung ebenso wie ein auf das Verhalten des Arbeitnehmers gestützte außerordentliche Kündigung in aller Regel voraus, daß der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat (so BAG, Urteil vom 16.03.1961, AP 2 zu § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung; BAG, Urteil vom 14.02.1996, 2 AZR 274/95, EzA § 626 n. F., Entsch. 160; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 332; einschränkend KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 383, 384, 388; Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, 2. Aufl., Seite 82).
Ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers kann aber als Kündigungsgrund nicht herangezogen werden, wenn die Kündigung als eine bloße Sanktion für dieses Verhalten ausgesprochen wird. Erforderlich ist demgegenüber stets, daß auch in Zukunft mit Störungen ähnlicher Art zu rechnen ist.
Der Kündigungszweck ist nämlich zukunftsbezogen ausgerichtet, weil mit der verhaltensbedingten Kündigung das Risiko weiterer Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden soll. Entscheidend ist, ob eine Wiederholungsgefahr besteht oder ob das vergangene Ereignis sich auch künftig weiter belastend auswirkt (so BAG, Urteil vom 10.11.1988, 2 AZR 215/88, EzA § 611 BGB, Abmahnung, Entsch. 18; BAG, Urteil vom 16.08.1991, 2 AZR 604/90, EzA § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung, Entsch. 41, sowie ganz deutlich zuletzt BAG, Urteil vom 21.11.1996, 2 AZR 357/95, EzA § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung, Entsch. 50; vgl. auch Bram in Bader-Bram-Dörner-Wenzel, KSchG § 1 Rz 68 f).
Die der sog. negativen Prognose zugrundeliegenden Tatsachen hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen, da sie zum Kündigungsgrund zählen und da er nach allgemeinen Grundsätzen die den wichtigen Grund oder die soziale Rechtfertigung ausfüllenden Tatsachen darlegen und im Bestreitensfall beweisen muß.
Eine Auswirkung dieses Prognoseprinzips ist die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel bestehende Verpflichtung, den Arbeitnehmer wegen seines pflichtwidrigen Verhaltens abzumahnen, bevor ihm aus diesem Grund eine Kündigung ausgesprochen wird (vgl. Berkowsky, a. a. O., m. w. Nachweisen aus der Rechtsprechung, Seite 117).
Dabei wird zwar von der Rechtsprechung eine Einschränkung gemacht, wenn nicht der sog. Leistungsbereich, sondern der Vertrauensbereich betroffen ist (dagegen allerdings mit gewichtigen Argumenten Berkowsky, a. a. O. Seite 119, von Hoyningen-Hühne, Recht der Arbeit 1990, 193 f, 200; Gerhards in BB, 96 794 f). Aber es ist keineswegs so, daß die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei einer Kündigung im Vertrauensbereich auch nur in der Regel eine vorherige Abmahnung für nicht erforderlich hält. Eine vorherige Abmahnung ist auch in diesem Bereich insbesondere dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig bzw. werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, dem Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (so BAG, Urteil vom 30.06.1983, 2 AZR 524/81, EzA § 1 KSchG, Tendenzbetrieb, Entsch. 14; BAG, Urteil vom 10.11.1988, a. a. O.; BAG, Urteil vom 14.02.1996, a. a. O. sowie Urteil vom 09.03.1995, 2 AZR 644/94, BB 96, 434).
Diese Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 04.06.1997 (2 AZR 526/96, EzA § 626 BGB n. F., Entsch. 168) dahin klargestellt, daß eine Abmahnung bei jeder Kündigung erforderlich ist, die wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, wenn also eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann.
2. Es ist richtig, daß grundsätzlich auch schon ein einmaliger und verhältnismäßig geringfügiger Fall von Spesenbetrug ein Kündigungsgrund sein kann, wobei das Bundesarbeitsgericht allerdings in seinen einschlägigen Entscheidungen aus den 60er Jahren hervorhebt, daß dies wohl nur dann gelten soll, wenn sich der Arbeitgeber in einer "besonderen und maßgeblichen Vertrauensstellung" befindet (vgl. BAG, Urteil vom 02.06.1960, 2 AZR 91/58, AP 42 zu § 626 BGB; BAG, Urteil vom 22.11.1962, 2 AZR 42/62, EzA § 626 BGB, Entsch. 3; zu einem Ausnahmefall vgl. LAG Frankfurt/Main, Urteil vom 05.07.1988, 5 Sa 585/88, LAGE § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung, Entsch. 20).
Ob diese Rechtsprechung auf die vorliegende Fallkonstellation angesichts der Aufgabenstellung der Klägerin anwendbar wäre, kann dahingestellt bleiben, weil das Berufungsgericht ebensowenig wie das Arbeitsgericht die Überzeugung gewonnen hat, daß sich die Klägerin eines vollendeten oder versuchten Spesenbetrugs schuldig gemacht hat.
3. Die Beklagte ist nämlich den ihr obliegenden Beweis für einen solchen Umstand fällig geblieben.
a) Nach § 263 StGB begeht "Betrug", wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält.
Die Begehung des Tatbestandes ist nur vorsätzlich möglich. Vorsatz ist Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Dem Täter des § 263 StGB muß das Vorhandensein aller Tatbestandsmerkmale bewußt sein; er muß wissen, daß sein Tun das Vermögen des Anderen schädigt, und er muß dies auch wollen (vgl. Dreher-Tröndle, StGB, 47. Aufl., § 263 Rz 40). Ob dazu bedingter Vorsatz genügt, ist streitig, weil § 263 StGB nach seinem eindeutigen Wortlaut die Absicht der Verschaffung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils voraussetzt, sich diese gesetzlichen Voraussetzungen aber nur schwer mit der bloßen "billigenden Inkaufnahme" der Tatbestandsmerkmale in Einklang bringen läßt.
Auch der Versuch ist nach § 263 Abs. 2 StGB strafbar; er erfordert die Vornahme einer auf Täuschung und Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale abzielenden, aber nicht zum Erfolg gelangenden Handlung (so Dreher-Tröndle, a. a. O., Rz 44).
b) Der Beweis für diejenigen Tatsachen, an die die Rechtsordnung den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge knüpft, ist erbracht, wenn das Gericht von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsachen überzeugt ist. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO) hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder unwahr zu erachten ist. Der Tatrichter darf sich dabei nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit begnügen, sondern er muß sich persönliche Gewißheit verschaffen (vgl. zuletzt BGH, Beschluß vom 09.02.1998, II ZB 15/97, MDR 98, 555 m. w. N.). Dies erfordert keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewißheit, sondern eine für das praktische Leben brauchbare Gewißheit, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so BAG, Urteil vom 26.08.1993, 2 AZR 154/93, EzA § 626 BGB n. F., Entsch. 148 unter B I 1 d mit Hinweisen auf die gleichlautende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
Dabei muß auch eine bloße Anhörung einer Partei zur Überzeugungsbildung des Gerichts berücksichtigt werden, und es kann ihr im Einzelfall größere Bedeutung für die Erlangung einer persönlichen Gewißheit im oben dargelegten Sinne zukommen als einer Zeugenaussage.
Dies gilt vor allen in den Fällen, in denen Tatsachen zu würdigen sind, die Gegenstand eines Vier-Augen-Gesprächs oder eines Telefongesprächs sind und in denen der von der beweisbelasteten Gegenpartei präsentierte Zeuge aus deren Lager kommt, insbesondere nur "formaler" Zeuge oder sonst eine Interessenverflechtung zu gewärtigen ist, und der anderen Partei ein anderer Zeuge nicht zur Verfügung steht (vgl. aus jüngster Zeit, BGH, Urteil vom 09.10.1997, VIII ZR 269/96, NJW 98, 306; OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.11.1997, 10 U 163/97, MDR 98, 493; OLG Zweibrücken, Urteil vom 18.03.1997, 5 U 4/96, NJW 98, 167).
Der in Art. 6 I EMRK verankerte und im Zivilprozeß zu wahrende Grundsatz der Waffengleichheit der Parteien gebietet es nämlich, daß jede Partei ihren Fall vor Gericht unter Bedingungen präsentieren kann, die für sie keine substantiellen Nachteile im Verhältnis zum Prozeßgegner bedeuten (so BGMR, Entsch. vom 27.10.1993, NJW 95, 1413). Ob es dazu einer Parteivernehmung der beweisbelasteten Partei nach § 448 ZPO bedarf, kann hier dahingestellt bleiben (ablehnend: LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.08.1997, 6 Sa 219/97, LAGE § 448 ZPO, Entsch. 2; OLG München, Urteil vom 13.03.1996, NJW-RR 1996, 958; Zöller-Greger, ZPO, 19. Aufl., § 448 Rz 2). Denn die Klägerin ist für das ihr von der Beklagten vorgeworfene Verhalten nicht beweisbelastet. Geht es - wie hier - nur um die Würdigung des zum Vortrag der beweisbelasteten Partei erhobenen Beweise, dann kann das Prinzip der Waffengleichheit häufig schon dadurch gewahrt werden, daß die andere Partei gem. § 141 ZPO von Amts wegen gehört wird und ihre Darlegungen bei der Würdigung der Zeugenaussage berücksichtigt werden.
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Gericht nicht die persönliche Gewißheit davon gewinnen können, daß die Klägerin eine strafbare Handlung im dargelegten Sinne zu Lasten der Beklagten vorgenommen hat.
Ihre Darlegungen, sie habe die Fahrt am 30.06.1997 zu den Agenturen in S. und B. angetreten, die vorgesehenen Besuche aber wegen ihres erheblich verschlechterten Gesundheitszustandes nicht durchführen können und deshalb die Fahrt abbrechen müssen, konnte durch die Beklagte nicht widerlegt werden. Dieser Vortrag ist um so glaubhafter, als die Beklagte die Behauptung der Klägerin, sie habe sich am 30.06. und an den Folgetagen wegen eines grippalen Infekts sehr schlecht gefühlt, eine Krankschreibung durch den behandelnden Arzt aber wegen wichtiger Termine abgelehnt und sich wegen ihrer Bronchitis Antibiotika verschreiben lassen, nicht bestritten hat, so daß diese Behauptungen als unstreitig zu behandeln sind. Soweit kann es durchaus naheliegend sein, daß die Klägerin, in der Hoffnung, ihr ginge es im Laufe des Tages besser, am Morgen des 30.06. eine relativ kurze Fahrt angetreten hat, dann aber aufgrund der Einsicht, daß sie die Besuche gesundheitlich nicht durchstehen könne, diese Fahrt abgebrochen hat und nach Hause zurückgekehrt ist.
Es besteht auch kein Indiz für die Unglaubhaftigkeit dieser Darlegungen deshalb, weil sich die Klägerin - so die Behauptung der Beklagten - gegenüber ihrem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter der Personalabteilung nicht auf die tatsächliche Durchführung dieser Fahrt als Entschuldigung für ihr Verhalten berufen hat. Es ist der Beklagten zuzugeben, daß die Wahrhaftigkeit der Aussage der Klägerin erheblich erschüttert wäre, wenn es der Beklagten gelungen wäre, diesen Umstand nachzuweisen.
Der Nachweis ist ihr aber nicht geglückt, weil insoweit Aussage gegen Aussage steht. Einerseits hat die Klägerin erklärt, sie habe in den Gesprächen mit den beiden Zeugen darauf hingewiesen, daß sie die Agenturbesuche nicht durchgeführt habe, weil es ihr gesundheitlich nicht gut gegangen sei, und daß sie nur wegen ihrer Bestürzung und Ratlosigkeit im Rahmen dieser Gespräche gar nicht auf den Gedanken gekommen sei, die tatsächliche Durchführung und den Antritt der Fahrt offenzulegen. Andererseits bekundet der Zeuge S., die Klägerin habe gesagt, sie habe sich am 30.06. nicht wohl gefühlt und sei deshalb nicht rausgefahren und habe an diesem Tag den Arzt aufgesucht. In gleicher Weise bekundet der Zeuge Z., daß ihm die Klägerin erklärt habe, sie sei nicht rausgefahren, weil sie sich nicht wohl gefühlt habe und sich aber nicht habe krankmelden wollen.
Diese Aussagen stehen im Kernpunkt so diametral gegenüber, daß das Gericht nicht entscheiden kann, welche Aussage richtig oder falsch ist. Es liegt allerdings die Annahme nahe, daß sich die Klägerin nur verkürzt und ungeschickt ausgedrückt und eingestanden hat, sie habe die Agenturen am fraglichen Tag nicht besucht, daß die beiden Zeugen diese Aussage aber so verstanden haben, daß die Klägerin damit sagen wollte, sie sei gar nicht rausgefahren.
Unter diesen nicht weiter aufklärbaren Umständen stellen die Eintragungen der Klägerin in den Berichten keine gewollte und bewußte Täuschung der Beklagten mit der Absicht einer Vermögensschädigung oder Vermögensgefährdung dar. Die Eintragungen waren zwar unrichtig, weil die Klägerin die Besuche nicht durchgeführt hat, die Fahrt war aber auf betriebliche Veranlassung hin unternommen worden, so daß der Klägerin die Erstattung der Fahrtkosten und die Zahlung der Spesen zustand.
4. Richtig ist allerdings - wie es auch schon das Arbeitsgericht gesehen hat -, daß sich die Klägerin einer Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht dadurch schuldig gemacht hat, daß sie die Berichte falsch ausgefüllt und dadurch den Anschein erweckt hat, daß sie die Agenturbesuche tatsächlich durchgeführt hat.
Das Berufungsgericht tritt aber insoweit den Ausführungen des Arbeitsgerichts bei, daß nämlich diese Pflichtverletzungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit allenfalls eine Abmahnung, nicht aber eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigte. Auch unter Berücksichtigung des o. a. Prognoseprinzips war hier eine Kündigung nicht angezeigt, weil aufgrund des jahrelangen einwandfreien und korrekten Verhaltens der Klägerin und aufgrund ihrer überzeugenden Darstellungen im Berufungstermin nicht davon ausgegangen werden kann, daß auch in Zukunft mit einem Fehlverhalten ähnlicher Art zu rechnen sein wird. Das Berufungsgericht hat jedenfalls die Auffassung gewonnen, daß sich die Klägerin den für sie offensichtlich peinlichen Vorfall zum Anlaß genommen hat, sich in Zukunft sehr korrekt und penibel bei der Erstellung der Berichte zu verhalten und jeden Verdacht einer Unkorrektheit zu vermeiden.
Alles in allem ergibt sich also, daß bei der vorliegenden Fallkonstellation ein ruhig und verständig denkender Arbeitgeber keine Kündigung ausgesprochen hätte. Das Arbeitsgericht hat deshalb dem Feststellungsantrag und dem Weiterbeschäftigungsantrag zu Recht stattgegeben.
5. Das Arbeitsgericht hat auch den Auflösungsantrag der Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Der Antrag ist nicht schlüssig begründet worden, denn dazu gehört der Vortrag greifbarer Tatsachen, die so beschaffen sind, daß sich eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht erwarten läßt. An diesen Vortrag müssen wegen der Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis erhebliche Anforderungen gestellt werden.
Die bloße Behauptung, durch das Verhalten des Arbeitnehmers sei das Vertrauen in seine korrekte Haltung und Arbeitsausführung verloren gegangen, reicht dazu nicht aus.
Das Gericht kann dabei nicht einfach unterstellen, daß das beanstandete Verhalten der Klägerin bei jedem Arbeitgeber oder zumindest bei dem konkreten Arbeitgeber, nämlich der Beklagten, zu einem Vertrauensverlust geradezu führen muß. Wenn der Arbeitgeber eine solche - naturgemäß innere - Tatsache behauptet, dann muß er sie auch beweisen. Dies wird ihm im Einzelfall so schwer fallen, daß ggf. auch Indizien für einen solchen Vertrauensverlust ausreichen.
Abgesehen davon, daß die Beklagte für den Vertrauensverlust und für die Befürchtung, daß künftig eine gedeihliche betriebliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich sei, keinen Beweis angetreten hat, und daß die von ihr dargelegten Indizien - wie die Ausführungen oben unter 1. bis 4. ausweisen - einen solchen Vertrauensverlust nicht von vornherein begründen konnten, ist ihr Vortrag schon deshalb nicht schlüssig, weil es nach der gesetzlichen Regelung darauf ankommt, daß gerade der Arbeitgeber das Vertrauen in die korrekte Haltung des Arbeitnehmers verloren hat. Insoweit fehlt es aber an jeder Darlegung der Beklagten, daß den Geschäftsführern ihrer Komplementär GmbH, auf die es insoweit ankommt, das beanstandete Verhalten der Klägerin und ihrer prozessualen Einlassungen überhaupt bekannt sind, denn nur bei Kenntnis von der Klägerin und ihrem Verhalten könnte ein Vertrauensverlust der Geschäftsführer überhaupt nur angenommen werden.
Daß der direkte Vorgesetzte der Klägerin oder ein Mitarbeiter der Personalabteilung ihr Vertrauen in die Klägerin verloren haben, ist insoweit irrelevant. Der Vertrauensverlust des Vorgesetzten kann auch nicht so gravierend gewesen sein, weil er bei seiner Aussage einräumte, daß man über eine Verwarnung oder Abmahnung hätte reden können, wenn die Klägerin am 10.07.1997 bei seinem Versuch, "ihr eine Brücke zu bauen", ihr Fehlverhalten eingestanden hätte. Dem Berufungsgericht ist aber ebensowenig wie der Klägerin klar geworden, in welcher Form der Zeuge der Klägerin überhaupt "eine Brücke gebaut hat" und daß die Klägerin überhaupt die Chance hatte, dieses Angebot als solches zu erkennen und zu ergreifen. Sicherlich wäre es sinnvoll gewesen, wenn der Zeuge die Klägerin nicht wochenlang im Unklaren gelassen hätte, sondern sie alsbald nach Kenntnis der Unrichtigkeit des Wochenberichts mit diesem Sachverhalt ausdrücklich konfrontiert und sie um eine Erklärung gebeten hätte. Dadurch hätte sich ein Vertrauensverlust oder gar eine Kündigung mit großer Wahrscheinlichkeit vermeiden lassen.
Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.-----------------------------------------------------
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