Text des Urteils
2 Ca 804/99;
Verkündet am:
09.11.2000
ArbG Arbeitsgericht
Eisenach
Rechtskräftig: unbekannt!
Vorgenommene Bezugnahme auf einen branchenfremden Tarifvertrag kann nicht dahingehend interpretiert werden, daß die Parteien gerade nicht dem im Vertrag genannten Tarifvertrag arbeitsvertragliche Geltung verschaffen wollten
Leitsatz des Gerichts:
1. Eine im Arbeitsvertrag vorgenommene Bezugnahme auf einen branchenfremden Tarifvertrag kann nicht im Wege der sog. "korrigierenden Auslegung" dahingehend interpretiert werden, daß die Parteien des Arbeitsvertrages gerade nicht dem im Vertrag genannten Tarifvertrag arbeitsvertragliche Geltung verschaffen wollten, sondern dem in der einschlägigen Branche geltenden Tarifvertrag (a. A. BAG, 4. Senat, Urteil vom 04.09.1996).
2. Die einseitige Tarifbindung des Arbeitgebers genügt nicht, um entgegenstehende Tarifverträge, die aufgrund Allgemeinverbindlichkeit, konkurrierender Verbandstarifverträge, Haustarifverträgen oder einzelvertraglicher Inbezugnahme gelten, über § 3 Abs. 2 TVG hinaus auch hinsichtlich der Inhaltsnormen zu verdrängen (i. Erg. auch BAG. u. a. 1. Senat, Urteil vom 26.04.1990; a. A. BAG, 4. Senat, Urteil vom 20.03.1991).
3. Die normativen Wirkungen von Tarifverträgen unterliegen gegenüber der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme eines anderen Tarifvertrags dem Günstigkeitsprinzip gem. § 4 Abs. 3 TVG (a. A. BAG, 4. Senat, Urteil vom 28.05.1997).
Entscheidungstenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 940,08 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 07.07.1999 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf DM 940,08 festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten über die Anwendung eines Tarifvertrages und daraus resultierende Ansprüche der Klägerin.
Die Klägerin, die Mitglied der IG Metall ist, war seit dem 1. September 1984 bei den A.-werken E (im folgenden: AWE) als Lagerarbeiterin beschäftigt. Nach der Wende 1989/90 wurden die AWE (dann als GmbH, später i. L.). durch die Treuhandanstalt im Rahmen der Privatisierung in verschiedene Bereiche aufgeteilt und getrennt veräußert. Der Bereich des Ersatzteilverkaufs, in dem die Klägerin tätig war, wurde im Jahre 1991 an zwei dänische Unternehmen verkauft, die die Beklagte seitdem betreiben. Deren Gegenstand ist laut Gesellschaftsvertrag "Handel und Herstellung von Waren aller Art, insbesondere Produktion und Vertrieb von Kfz-Ersatzteilen, sowie Erbringung von Dienstleistungen, insbesondere Reparaturleistungen für Kraftfahrzeuge".
Auflage des Kaufvertrages war es, die bestehenden Arbeitsverträge unter Anerkennung der bisherigen Beschäftigungszeiten bei den AWE im Sinne von § 613 a BGB zu übernehmen.
Im Rahmen der Ãœbernahme des Ersatzteilbereichs durch die Beklagte wurde zwischen den Parteien am 1.3. bzw. 4.6.1993 ein Arbeitsvertrag unterzeichnet, der auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
"Zwischen ... wird in Fortführung des mit dem A.-werks E. geschlossenen Arbeitsvertrages das Arbeitsverhältnis zu folgenden Bedingungen vereinbart:
1. Arbeitsbereich, Betriebszugehörigkeit
1.1. Frau A. wird als Lagervorarbeiterin in der W. GmbH E. eingestellt. Unter Anerkennung der beim A.-werk E. erworbenen Besitzstände gilt die Betriebszugehörigkeit ab 01.09.1984. Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge der IG Metall in der jeweiligen Fassung, soweit im folgenden nichts anderes vereinbart. ...
3. Arbeitszeit
3.1. Die wöchentliche Arbeitszeit richtet sich nach den Festlegungen des Tarifvertrages, ...
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt z. Z. 40 Stunden. ...
4. Vergütung
Das Arbeitsentgelt wird entsprechend den Festlegungen des Thüringen-Tarifvertrages, ab 01.01.1993 in Tarif-Lohngruppe Z 7, gezahlt. ...
5. Urlaub
Der Erholungsurlaub wird nach den Festlegungen des Tarifvertrages gewährt. Er beträgt z. Z. 26 Tage + 1 Tag personengebunden = 27 Tage (5-Tage-Woche). ...
8. Verfallsfristen
8.1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind, soweit im Tarifvertrag keine andere Festlegung erfolgt.
8.2. Lehnt die Gegenseite den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche der Arbeitnehmerin, die während eines Kündigungsprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallsfrist von 3 Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens. ..."
Im folgenden wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nach den Bestimmungen der Metall-Tarifverträge beidseitig durchgeführt. Dabei richtete und richtet sich die Geschäftstätigkeit der Beklagten auf den Verkauf von PKW-Ersatzteilen, die die Beklagte zuvor von verschiedenen Ersatzteilherstellern bzw. -händlern erwirbt. Eine Produktion oder Montage von Gegenständen der Metallindustrie findet bei der Beklagten nicht statt.
Am 08.03.1999 vereinbarten die IG Metall und der Verband der Metall- und Elektroindustrie in Thüringen ein Lohnabkommen, in dem die Löhne mit Wirkung vom 01.03.1999 neu festgesetzt wurden; für den Monat Februar 1999 wurde eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von DM 175,00 vereinbart. Ferner sollte danach für 1999 ein weiterer "Einmalbetrag" von bis zu 11 % eines Tarifmonatslohns im April 1999 gezahlt werden. Wegen des Wortlauts der Tarifeinigung wird auf Bl. 30 f d. A. verwiesen.
Mit Schreiben vom 19.05.1999 machte die Klägerin bei der Beklagten einen Betrag von insgesamt DM 872,24 geltend, der sich nach ihrer Berechnung wie folgt zusammensetzte:
- DM 175,00 Pauschale für Februar 1999
- DM 134,62 Lohnerhöhungsbetrag März 1999
- DM 92,42 Lohnerhöhungsbetrag April 1999
- DM 428,01 "Einmalbetrag"
Mit weiterem Schreiben vom 14.06.1999 verlangte die Klägerin den Erhöhungsbetrag von DM 126,04 für den Monat Mai 1999.
Die Beklagte lehnte diese Forderung ab. Sie berief sich im Schreiben vom 09.07.1999 auf den von ihr am 12.04.1999 vorgenommenen Beitritt zum Landesverband für Groß/Außenhandel und Dienstleistung (im folgenden: LGAD) Thüringen. Sie vertrat in diesem Schreiben die Auffassung, dass für das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht mehr die Tarifverträge der Metallbranche einschlägig seien, sondern diejenigen des Großhandels. Diese sehen ein deutlich geringeres Lohnniveau vor. Die Beklagten bot der Klägerin in dem genannten Schreiben jedoch, den bisher gezahlten Lohn auch weiter zu zahlen, bis die Tarife im Großhandelsbereich die entsprechende Höhe erreicht hätten.
Im Bereich des Großhandels gelten die zwischen der Gewerkschaft HBV und der DAG einerseits und dem LGAD Thüringen andererseits geschlossenen Tarifverträge "für alle Groß-, Außenhandels- und Dienstleistungsunternehmen und zwar einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe, die als Mitglied dem LGAD Thüringen e. V. ... angehören."
Die Klägerin vertritt in ihrer am 30.06.1999 eingegangenen Klage die Auffassung, dass für das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weiterhin die Tarifverträge der Metallbranche maßgeblich seien. In der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme liege eine konstitutive Vereinbarung gerade dieser Tarifverträge, mit denen der Bestandsschutz der seinerzeit bestehenden Arbeitsverhältnisse mit den AWE habe gewährleistet werden sollen. Dem von der Beklagten für die Vereinbarung angeführte Grund einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen für die gewerkschaftlich organisierten und die nicht organisierten Arbeitnehmer des Betriebes komme angesichts eines Organisationsgrades von nahezu 100 % der Arbeitnehmer in der IG Metall keine eigenständige Bedeutung zu.
Im übrigen liege kein Irrtum vor, da sich die Parteien des Arbeitsvertrages bewusst gegen den zutreffenden Branchentarifvertrag des Großhandels und für die Metall-Tarifverträge entschieden hätten. Bereits 1991 hätten Gespräche zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat über einen Tarifvertragswechsel zum Großhandelsbereich stattgefunden, die durch Probleme bei der Eingruppierung der Lagerarbeiter in Anwendung der Metalltarifverträge ausgelöst worden seien. Die Geschäftsführung hätte einen entsprechenden Vorstoß des Betriebsrates wegen der damaligen höheren Dotierung der Großhandels-Lohntarifverträge jedoch abgelehnt. Dementsprechend seien die Eingruppierungen auf ausdrücklichen Wunsch der Beklagten dann nach den Metalltarifverträgen vorgenommen worden. Auch 1993 sei die Frage der "richtigen" Tarifverträge wieder diskutiert worden. In diesem Rahmen hätte der Geschäftsführer der Beklagten bei einer Betriebsratssitzung im August 1993 erneut versichert, die Metalltarifverträge seien für das Unternehmen verbindlich. Deshalb sei hier kein Fall der Tarifkonkurrenz gegeben, der nach der BAG-Rechtsprechung mit der einheitlichen Anwendung des Branchentarifvertrags gelöst werde, sondern das Günstigkeitsprinzip müsse angewendet werden. Einer Entlohnung der Klägerin nach dem Großhandelstarifvertrag stehe die fehlende Beteiligung des Betriebsrats gem. § 99 Abs. 1 BetrVG entgegen; im übrigen sei insoweit auch die dort geregelte Leistungszulage von 8 % bis 13 % in Anwendung zu bringen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf Bl. 1 - 4, 36 - 53, 57 - 58, 60 und 68 - 70 d. A. verwiesen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 940,08 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 07.07.1999 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass die Parteien 1993 nur deshalb die Geltung der Tarifverträge Metall vereinbart hätten, weil sie diese versehentlich und aus der Tradition der AWE und der Automobilstadt E. heraus als einschlägig angesehen hätten. Dies sei jedoch nicht zutreffend, da nach dem Geschäftsbereich der Beklagten der fachliche Geltungsbereich der Großhandelstarifverträge betroffen sei. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehe in diesen Fällen zu Recht regelmäßig davon aus, dass wegen der Zielsetzung der Herstellung einheitlicher Arbeitsbedingungen eine "korrigierende Auslegung" vorzunehmen sei, wonach die Parteien davon ausgegangen wären, dass die jeweils einschlägigen Tarifverträge maßgeblich sein sollten, auch wenn ausdrücklich die einzelvertragliche Inbezugnahme branchenfremder Tarifverträge erfolgt sei. Dementsprechend sei es auch das Ziel der Treuhandanstalt gewesen, den tariflichen Schutz der Arbeitnehmer der früheren AWE zu sichern und ein Ausscheren der privatisierten Unternehmen in den tariffreien Raum zu verhindern. Mit dem Eintritt der Beklagten in den Großhandelsverband sei eine Tarifkonkurrenz eingetreten, die nach der Rechtsprechung des BAG dahingehend zu lösen sei, dass ausschließlich der Branchentarifvertrag Anwendung finden könne. Eine Berufung auf die Metalltarifverträge sei deshalb für die Begründung des klägerischen Anspruchs nicht möglich.
Im übrigen rechnet die Beklagte mit von ihr geltend gemachten Gegenansprüchen auf. Sie ist der Auffassung, ihr stehe in Rückzahlungsanspruch von DM 467,63 zu, weil die Klägerin im Mai 1999 tatsächlich DM 3.935,74 erhalten hatte, während ihr nach dem Großhandelstarifvertrag in der einschlägigen Gehaltsgruppe LG 7 lediglich 3.468,11 zugestanden hätten. Die Beklagte ist ferner der Auffassung, die von ihr von März bis Mai 1999 gezahlten Löhne entsprächen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung vom 1.1./4.6.1993. Die Lohnerhöhungen im Metallbereich fänden aufgrund des Tarifwechsels keine Anwendung mehr; der geltend gemachte "Einmalbetrag" sei nur in Höhe von 0,5 % statt 11 % begründet, weil der Wechsel des Tarifvertrages wie ein Ausscheiden aus dem Betrieb zu werten und deshalb eine anteilige Kürzung vorzunehmen sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten wird auf Bl. 13 - 31, 33 - 34, 57 - 58 und 61 d. A. verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage ist begründet, d. Kl. steht der geltend gemachte Anspruch aufgrund der einschlägigen Tarifverträge des Bereichs Metall zu. Diese Tarifverträge sind aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme Bestandteil des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages geworden. Eine andere Auslegung des Arbeitsvertrages ist nicht möglich. Ihrer Geltung steht auch nicht eventuell höherrangiges Tarifrecht (z. B. der Entgelttarifvertrag Großhandel) entgegen. Im einzelnen:
1.) Zwischen den Parteien gilt aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme das Regelwerk der Tarifverträge der IG Metall.
Die Parteien haben einzelvertraglich vereinbart, dass zwischen ihnen "die Tarifverträge der IG Metall in der jeweiligen Fassung" gelten sollen. Diese Vereinbarung ist vom Wortlaut her eindeutig und lässt einzelvertraglich keinen Auslegungsspielraum zu. Eine Interpretation dieser Vereinbarung, wonach sich die Parteien darauf verständigt hätten, dass nicht die Metall-Tarifverträge in Bezug genommen werden sollten, sondern die jeweils für den Arbeitgeber branchenüblich geltenden, ist nicht möglich.
Daß die Parteien zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärungen hier wirklich die Anwendung der Metalltarifverträge gewollt haben, unterliegt für das Gericht keinem Zweifel. Es ergibt sich aus dem eindeutigen und nicht abweichend interpretierbaren Wortlaut der vertraglichen Inbezugnahme, die das gesamte konkret bezeichnete Regelwerk umfasst. Auch im folgenden ist das Arbeitsverhältnis nach diesen Tarifverträgen der Metallbranche vollzogen worden; insbesondere ist bis Februar 1999 der d. Kl. gezahlte Lohn nach dem entsprechenden Metall-Tarifvertrag gezahlt worden, incl. der jeweiligen vereinbarten Erhöhungen des Tariflohns.
2.) Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die ausdrücklichen Willenserklärungen der Parteien auch nicht "korrigierend auszulegen".
Zwar hat der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts bei einer derartigen Konstellation eine solche "korrigierende Auslegung" arbeitsvertraglicher Vereinbarungen vorgenommen (BAG Urteil vom 04.09.1996, BAGE 84, 97 = AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5). Das Gericht hält eine solche "korrigierende Auslegung" aus prinzipiellen wie aus Einzelfallerwägungen für nicht möglich. Dazu wie folgt:
a) Die Entscheidung des 4. Senats vom 04.09.1996, in der die "korrigierende Auslegung" in dieser Ausprägung erstmals "angewandt" wurde (daran anschließend inzwischen auch LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 04.03.1998, NZA-RR 1998, 249, 250: ArbG Berlin, ZTR 1998, 28, 29 (LS); LAG Köln, Urteil vom 18.01.1995, 2 Sa 1109/95 n. v.; anderer Ansicht ausdrücklich LAG Brandenburg, Urteil vom 17.03.1995, LAGE TVG § 4 Nachwirkung Nr. 3; LAG Bremen Urteil vom LAGE TVG § 4 Tarifpluralität Nr. 2; LAG Niedersachsen Urteil vom 12.11.1999, ZTR 2000, 172; krit. auch LAG Berlin Urteil vom 31.01.1994, ZTR 1994, 330, 331), reiht sich ein in eine Kontinuität von Entscheidungen dieses Senates, die sich mit der Problematik der sich (möglicherweise) überschneidenden Geltung verschiedener Tarifverträge in einem Betrieb oder für ein Arbeitsverhältnis befassen. Der Senat hat dabei von Anfang an erkennen lassen, dass er in Konfliktfällen dieser Art die Auffassung vertritt, daß es nicht hinnehmbar sei, dass - aus welchem Rechtsgrunde auch immer - Vorschriften aus verschiedenen Tarifverträgen in einem Betrieb (sog. Tarifpluralität) oder gar auf ein Arbeitsverhältnis (sog. Tarifkonkurrenz) anwendbar seien. Rechtlich wird diese Auffassung mit dem übergeordneten Prinzip der "Tarifeinheit" begründet, das eine solche parallele Gültigkeit verschiedener Tarifordnungen verbiete (vgl. z. B. Urteil vom 14.06.1989, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 m. abl. Anm. Wiedemann; Urteil vom 05.09.1990, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; Urteil vom 20.03.1991, BAGE 67, 330 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20 mit abl. Anm. Hanau/Kania; vgl. zur Geschichte und Vorgeschichte dieser Rechtsprechung jetzt auch ausf. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, Diss. 1999, S. 68 ff).
Der 4. Senat führt den Grundsatz der Tarifeinheit auf "übergeordnete Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit" zurück; bei seiner Anwendung würden "rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeiten" vermieden. Die Anwendung mehrerer Tarifverträge im Betrieb würden zu praktisch kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Nur das Anknüpfen an die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers gewährleistete die vom Wechsel der Arbeitnehmer und vom Zufall unabhängige betriebseinheitliche Anwendung eines einheitlichen Tarifvertrages und ermögliche eine rechtlich klare und tatsächlich praktikable Lösung (BAG Urteil vom 20.03.1991, a. a. O.; vorher auch schon BAG Urteil vom 14.06.1989, a. a. O.). Im übrigen würde ansonsten der Arbeitnehmer gezwungen, seine Organisationszugehörigkeit zu bekennen (BAG Urteil vom 05.09.1990, a. a. O).
Über diese (auch eher angedeuteten als detailliert dargestellten) praktischen Schwierigkeiten hinaus jedoch ist eine genauere Bestimmung des vom 4. Senat als "zwingendes, nicht der Parteidisposition unterliegendes Rechts" nach Art, Ausmaß und Begründung nicht vorgenommen worden (so auch Wiedemann/Arnold, ZTR 1992, 399, 401).
Soweit dogmatische Strukturen überhaupt herangezogen wurden, sind sie außerordentlich unterschiedlicher Art und haben auch (im einzelnen nicht ausdrücklich begründete) Wechsel erfahren (Fenn, FS Kissel 1994, S. 213, bezeichnet die Tarifeinheit als "magischen Begriff, der "immer schillernd" geblieben sei).
So wird in der Entscheidung vom 14.06.1989 (AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 m. abl. Anm. Wiedemann) darauf rekurriert, dass ein Arbeitgeber, der einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrage (hier: Bau) unterliegt und gleichzeitig qua Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband, der einen (konkurrierenden) Tarifvertrag abgeschlossen hat (mit der Folge, dass nach dem 4. Senat der allgemeinverbindliche Branchentarifvertrag nach dem Spezialitätsgrundsatz durch den Verbandstarifvertrag "verdrängt" wird), hinsichtlich des verdrängten Tarifvertrags gar nicht erst als tarifgebunden angesehen wird. Im Grunde besteht somit überhaupt keine Tarifkonkurrenz bzw. Tarifpluralität (hinsichtlich der nicht qua Mitgliedschaft an den Verbandstarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer des Betriebes).
Dieser Argumentationsgang ist nach dieser Entscheidung vom 4. Senat aber in keiner der Folgeentscheidungen aufgegriffen worden.
Im Urteil vom 20.03.1991 (a. a. O.) wird zwar zunächst eine doppelte Tarifbindung des Arbeitgebers angenommen, die jedoch im Ergebnis auch dann zu einer Bindung nur an einen (nämlich den spezielleren) der beiden Tarifverträge führt, wenn der Arbeitnehmer qua Mitgliedschaft in der vertragsschließenden Gewerkschaft an den anderen ("verdrängten") Tarifvertrag gebunden ist, mit der Folge, daß das Arbeitsverhältnis der entsprechenden Parteien des Arbeitsvertrages nicht mehr dem Schutz des verdrängten Tarifvertrages unterliegt, eben weil er nach dem Grundsatz der "Tarifeinheit" verdrängt ist, aber auch nicht dem Schutz des "verdrängenden" Tarifvertrages, weil der Arbeitnehmer insoweit tariflich nicht gebunden ist. Der dadurch entstehende "tariffreie Raum" sei hinzunehmen. Die Arbeitnehmer könnten ja jederzeit durch den Beitritt zu derjenigen Gewerkschaft, die den "verdrängenden" Tarifvertrag abgeschlossen habe, den Schutz des Tarifvertrages erlangen.
Die heftige Kritik an dieser Argumentation des 4. Senats (grundlegend bereits Konzen RdA 1978, 146, weitere Nachweise unten; in der Literatur ausdrücklich zustimmend, soweit ersichtlich, nur Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1 ff; ferner noch Schaub, ArbRHdb, 7. Aufl. 1992, § 203 VII, dann in 8. Aufl. 1996 nur noch die gegensätzlichen Auffassungen von Literatur und BAG - 4. Senat - rezipierend, nunmehr in der 9. Aufl. 2000 ergänzend zwischen Tarifpluralität zweier DGB-Gewerkschaften und Tarifpluralität anderer Gewerkschaften differenzierend) ist in einer Entscheidung vom 04.09.1996 ausführlich zitiert, aber nicht argumentativ aufgegriffen worden - weder zustimmend noch ablehnend. Stattdessen erklärt der 4. Senat diese Kritik für vorliegend nicht einschlägig, da im Wege der "ergänzenden Vertragsauslegung" die "Korrektur" vorgenommen werden müsse, die Parteien des Arbeitsvertrages hätten etwas völlig anderes gemeint als sie ausdrücklich erklärt haben.
Die Entscheidungsgründe des 4. Senats vom 04.09.1996 folgen dabei diesem Weg:
Zunächst wird einer einzelvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag ein allgemein gemeinter "Sinn und Zweck" zugeordnet, nämlich die Gleichbehandlung der organisierten mit den nichtorganisierten Arbeitnehmern, an anderer Stelle formuliert als die "vertragliche Zusammenfassung derjenigen Arbeitsbedingungen, die für die tarifgebundenen Arbeitnehmer kraft Tarifvertrages in den Betrieben gelten", wieder an anderer Stelle als "Gleichstellungsabrede". Dieser Zweck werde verfehlt, wenn ein Wechsel der sachlich und betrieblich einschlägigen Tarifverträge erfolge. In der bisherigen Rechtsprechung des 4. Senats war dem erklärten Willen der Parteien an dieser Stelle das übergeordnete Prinzip der "Tarifeinheit" entgegengestellt worden. Auf die daran geübte außerordentlich heftige Kritik reagierte der Senat nunmehr mit einer alternativen Begründung: eines Eingehens auf die Kritik bedürfe es nicht, da eine "korrigierende Auslegung" der Parteierklärungen zu demselben Ergebnis führe. Wegen des Wegfalls der Tarifbindung des Arbeitgebers an den einzelvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag durch einen Verbandswechsel seien die Arbeitsverträge der nichtorganisierten Arbeitnehmer "lückenhaft" geworden und somit ergänzungsbedürftig. Diese hätten - wenn der Verbandswechsel des Arbeitgebers voraussehbar gewesen wäre - die einzelvertragliche Inbezugnahmeklausel nach Auffassung des 4. Senats dann dahingehend formuliert, dass die jeweils für die Arbeitgeberin einschlägigen Tarifverträge Anwendung finden sollten.
Bei der Begründung für diese "korrigierende Auslegung" im weiteren greift der Senat aber erneut auf die Begründungszusammenhänge aus der früheren Rechtsprechung zurück, mit denen das Primat der "Tarifeinheit" begründet wurde. Es könne nicht rechtens sein, dass die Verweisungsklausel z. B. bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zu besseren Arbeitsbedingungen als bei denjenigen Arbeitnehmern führe, die ohne die Verweisungsklausel qua Tarifbindung an den schlechteren Tarifvertrag gebunden seien. Die Inbezugnahme bezwecke aus Gründen sozialpolitischer Gerechtigkeit und einfacherer Abwicklung der Arbeitsverhältnisse eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Betrieb.
b.) Die Kammer lehnt diese Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts aus verschiedenen Gründen ab und folgt ihr nicht.
aa.) Zunächst ist festzuhalten, daß es eines Eingehens auf die "korrigierende Auslegung" des 4. Senats bedarf, obwohl sie sich der Konstellation des Urteils vom 04.09.1996 nach mit der Auslegung zweier nach Ansicht des Senats übereinstimmender konkreter Willenserklärungen zweier Arbeitsvertragspartner befaßte. Gleichwohl wird diese "korrigierende Auslegung" sowohl vom 4. Senat und der ihm folgenden Meinung als auch von den Kritikern als eine grundsätzliche Auslegung angesehen; danach ist hier vom 4. Senat ein (von diesem auch so gemeinter) allgemeiner Rechtsgrundsatz aufgestellt worden, wonach Arbeitsvertragsparteien, die sich in einer solchen Situation befinden und solche Willenserklärungen abgeben, generell etwas anderes meinen als sie ausdrücklich erklären. Mit anderen Worten: die einzelvertragliche Inbezugnahme von branchenfremden Tarifverträgen ist auch gegen den erklärten und ausdrücklichen Willen der Parteien dahin auszulegen, daß der Branchentarifvertrag gelten soll und nicht der ausdrücklich in Bezug genommene Tarifvertrag.
bb.) Damit verlässt der 4. Senat nach Auffassung des Gerichts den Boden zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung (so u. a. auch Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl. 1999, § 4 Rn 277 m. w. N.).
Die Privatautonomie der Rechtssubjekte ist im Rahmen der geltenden Gesetze ein Instrument der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 GG sowie anderer Grundrechte (Art. 12, 14 u. a. GG).
Die von den privatautonomen Rechtssubjekten abgegebenen Willenserklärungen unterliegen dabei der Auslegung, die als "erläuternde Auslegung" (zum Begriff vgl. Soergel-M. Wolf, BGB, 13. Aufl. 1999, § 157 Rn 3, 29 ff) nach bestimmten Regeln vorzunehmen ist. Hiervon zu trennen ist die sog. "ergänzende Vertragsauslegung" (vgl. Soergel-M. Wolf, a. a. O., Rn 103 ff), die nach einhelliger Auffassung nur in Betracht kommt, wenn eine Regelungslücke gegeben ist und zusätzlich ein richterlicher Eingriff zwingend geboten ist (BGH Urteil vom 13.05.1993, NJW 93, 2935, 2936; Urteil vom 18.03.1994, NJW 94, 2757, 2758).
Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn eine regelungsbedürftige Situation vom objektiven Regelungsinhalt des Rechtsgeschäfts nicht mehr erfasst wird (MK/Mayer-Maly, 3. Aufl. 1993, § 157 Rn 29; Staudinger-Roth, BGB, 13. Aufl. 1996, § 157 Rn 15). Der Vertrag muß einen offengebliebenen regelungsbedürftigen Punkt enthalten, dessen Ergänzung "zwingend und selbstverständlich" geboten ist, um einen offenbaren Widerspruch zwischen der tatsächlich entstandenen Lage und dem vertraglich Vereinbarten zu beseitigen (Staudinger-Roth, a. a. O., Rn 15). Entscheidend ist stets die Vervollständigungsbedürftigkeit in dem Sinne, daß ohne die gebotene Vervollständigung einen angemessene interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (BGH Urteil vom 13.05.1993, a. a. O.; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.08.1994, NZA 95, 791; Kothe, AuA 1997, 171).
Die Schließung der Lücke muß zur Sicherung des Vertragszwecks erforderlich sein (BGHZ 16, 71, 76; Staudinger-Roth, a. a. O., Rn 20). Die richterliche Auslegung darf nicht z u einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen und sie muß in dem Vertrag auch eine Stütze finden. Sie muß sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so daß ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde (BGHZ 77, 301, 304 m. w. N.).
Es fehlt bereits an dieser Voraussetzung. Die Parteien haben sich auf eine eindeutige Regelung verständigt. Im vorliegenden wie im vom 4. Senat am 04.09.1996 entschiedenen Fall ist ein konkreter Tarifvertrag einzelvertraglich ausdrücklich in Bezug genommen worden. Eine Regelungslücke, d. h. ein offengebliebener, gleichwohl regelungsbedürftiger Punkt liegt damit in dem Vertragswerk nicht vor. Letztlich geht es dem 4. Senat eingestandenermaßen auch nicht darum. Er subsumiert die "korrigierende Vertragsauslegung" gar nicht unter dem Gesichtspunkt einer Regelungslücke. Weder werden deren Voraussetzungen nachgewiesen noch erfolgt die "Füllung" einer Lücke nach anerkannten Auslegungsregeln (vgl. zu der erforderlichen Verfahrensweise detailliert MK/Mayer-Maly, a. a. O., Rn 36 ff m. a. N.). Es geht ihm aus Gründen übergeordneter Gesichtspunkte vielmehr um eine inhaltliche Korrektur dieses von den Parteien vereinbarten Regelwerks, die systematisch am ehesten unter den Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu subsumieren wäre (was der 4. Senat aber trotz des Hinweises auf das "lückenhaft gewordene" (!) Arbeitsverhältnis nicht tut, und was einer ergänzenden Auslegung auch zwingend nachrangig wäre, dazu ausf. BGHZ 90, 69, 74 f). Auch Kania, der der neueren Rechtsprechung des 4. Senats nunmehr teilweise zustimmt, bezieht die Ergänzungsbedürftigkeit der bisherigen Regelung im Ergebnis darauf, daß "der Fall des Tarifwechsels regelmäßig von den Parteien bei Abschluß der Bezugnahmeklausel nicht hinreichend bedacht wird" (Kania, NZA 2000, Beil, S. 45, 48) - ein nahezu als klassisch zu bezeichnendes Problem des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und keineswegs einer Regelungslücke.
Nach Auffassung von Danne hat die Rechtsprechung des 4. Senats deshalb insoweit mit Vertragsauslegung als Ermittlung der objektiven Erklärungsbedeutung nichts zu tun, da "unter dem Deckmantel des ‚hypothetischen' Willens das ermittelt wird, was die Parteien ‚vernünftigerweise' gewollt haben sollten" (Danne SAE 1998, 111, 114). Daß dieser Eingriff in die Privatautonomie unzulässig ist, ergibt sich mithin bereits aus dem Fehlen einer Regelungslücke.
Die ergänzende Vertragsauslegung darf überdies dem feststellbaren tatsächlichen Parteiwillen nicht widersprechen (BGHZ 90, 69, 77; BGH Urteil vom 31.01.1995, NJW 95, 1212; Staudinger-Roth, a. a. O., Rn 4; MK/Mayer-Maly, a. a. O., Rn 41). Dabei ist der für die Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens maßgebliche Zeitpunkt der des Vertragsschlusses, nicht der der Auslegung (BGHZ 81, 135, 141; LAG Berlin, BB 91, 1196, 1197; Staudinger-Roth, a. a. O., Rn 4, 34).
Ergänzende Vertragsauslegung darf nicht zu einer freien richterlichen Rechtsschöpfung werden. Zu respektieren ist stets der Grundsatz der Privatautonomie und der Vertragstreue und strikt abzulehnen die Tendenz zur auf § 242 BGB gestützten Inhaltskontrolle von Individualverträgen, die sich über sämtliche begrenzenden Voraussetzungen der ergänzenden Vertragsauslegung hinwegsetzt (Staudinger-Roth, a. a. O., Rn 37).
Diese Kriterien werden vorliegend jedoch durch den 4. Senat verletzt: die Auslegung steht in Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des Vertragsinhalts und ufert so zu einer freien richterlichen Rechtsschöpfung aus (Danne, SAE 1998, 111, 115). Sie wird deshalb - nach Auffassung der Kammer zu Recht - als Verstoß gegen das Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip und bereits aus diesem Grunde als verfassungswidrig angesehen (so ausdrücklich Fenn FS Kissel 1994, 213; Kraft, a. a. O. S. 167 bezeichnet die Rechtsprechung als "Rechtsfortbildung contra legem", ebenso z. B. Merten, BB 1993, 572, 576).
cc.) Das Grundprinzip der "Tarifeinheit" im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senats wird in seiner Bedeutung (die - wie darzulegen ist - Eingriffe in vertragliche, gesetzliche und verfassungsrechtliche Rechtspositionen legitimieren soll) u. a. auch darauf zurückgeführt, daß die alleinige Anwendung eines einheitlichen Tarifvertrags (auf verschiedene Arbeitsverhältnisse) innerhalb eines Betriebs auf "unabweisbaren praktischen Erwägungen" und "praktischen Notwendigkeiten der Betriebe" ... veruhe, ohne daß diese im einzelnen auch nur mehr als rudimentär dargestellt werden würden.
Dabei ist aber jedenfalls soviel zutreffend, daß es in der Tat für einen Arbeitgeber nicht unproblematisch sein dürfte, die Arbeitsverhältnisse in seinem Betrieb nach verschiedenen tarifvertraglichen Regelungen durchzuführen, wobei hier zunächst die Frage des Ursprungs der jeweiligen Geltung des Tarifvertrags (Tarifbindung, Bindung gem. § 3 Abs. 2 TVG, Allgemeinverbindlichkeit gem. § 5 Abs. 4 TVG, einzelvertragliche Inbezugnahme) außer Acht bleiben kann. Reuter weist jedoch zu Recht darauf hin, daß "fast das gesamte Arbeitsrecht ... den Betrieben mehr oder weniger schwer zu schaffen macht", so daß bei einer Anerkennung dieses Gesichtspunktes für eine Rechtsfortbildung von der Verbindlichkeit des gesetzlichen Arbeitsrechts kaum noch etwas übrig bliebe (Reuter, JuS 1992, 105, 106; ausführlicher auch Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, Diss 1999, S. 125 f). Zweckmäßigkeitserwägungen und Praktikabilitätsüberlegungen bei der Tarifpluralität können grundsätzlich nicht als zwingende Bedürfnisse des Rechtsverkehrs für die Begründung einer richterlichen Rechtsfortbildung herangezogen werden (Jacobs, a. a. O., S. 482; Wank, in: Wiedemann, a. a. O., Rn 277; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl. 1997, § 4 Rn 130; Kania DB 1996, 1921 unter Hinweis auf die fehlende methodische Grundlage; krit. auch Gamillschegg, Kollektives Arbeitsrecht Bd. 1, S. 752, der die Rechtsprechung des 4. Senats als "Beispiel robusten Richterrechts" bezeichnet).
Aber selbst wenn man dem Arbeitgeber unterstellt, sein vertragliches Interesse in der einzelvertraglichen Inbezugnahme sei das an einer einheitlichen tariflichen Handhabung in seinem Betrieb, spielt dieses Motiv für die Arbeitnehmer überhaupt keine Rolle. Wenn man hier aus ihrer Lebenssituation eine objektive Interessensituation entwickelt, aus der dann die fiktiven Motive für die Willenserklärung abgeleitet werden, dann kann dies allenfalls dahingehen, daß die Arbeitnehmer die tariflichen Rechte, die ihnen bei einer Entsprechung der Branchenzugehörigkeit ihres Betriebs mit ihrer Verbandszugehörigkeit zukommen würden, individualvertraglich absichern wollen. Bereits vor diesem Urteil des 4. Senats vom 04.09.1996 hat Hohenstatt darauf hingewiesen, daß für den Arbeitnehmer im Vordergrund stehe, daß sich seine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach dem vereinbarten Tarifvertrag richteten, und zwar unabhängig von seiner Verbandszugehörigkeit und vom Geltungsbereich des Tarifvertrags (Hohenstatt, a. a. O., S. 1683). Es ist nach Auffassung der Kammer kaum nachvollziehbar, daß als Auslegung seiner eigenen Willenserklärung dem Arbeitnehmer unterstellt wird, er sei einverstanden damit und habe es geradezu gewollt, daß im Interesse der Tarifeinheit sein einzelvertraglich begründeter Anspruch entfallen solle, wenn für andere Arbeitsverhältnisse im Betrieb ein speziellerer Arbeitsvertrag abgeschlossen werde, der ihn selbst aber gerade nicht schützt; dies dürfte seinem Willen gerade nicht entsprechen (so auch Hohenstatt 1683; Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 447, bezeichnen diese Überlegung des 4. Senats als "befremdlich"; dem zustimmend auch Kothe AuA 1997, 171, 172). Dementsprechend ist der 4. Senat auch in keinem seiner einschlägigen Urteile auf die (mutmaßliche) Interessenlage der Arbeitnehmer mit auch nur einem Wort eingegangen (vgl. zu einer historischen Herleitung der Ordnungsfunktion des Tarifvertrages bei Nipperdey zum "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" von 1934: Konzen, a. a. O., S. 153 m. w. N.).
dd.) Auch die anläßlich der Einstellung gestellte Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, die nach allgm. Auffassung unzulässig ist (vgl. nur ErfK-Preis, BGB § 611 Rn 386; Dörner/Luczak/Wildschütz, Arbeitsrecht in der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis, B Rn 221; Backmeister/Trittin, KSchG, § 611 BGB Rn 87; Schaub bezeichnet diese Auffassung als "kaum zu billigen", ArbRHdb 9. Aufl. 2000, § 26 Rn 18), stellt keine unüberwindliche Schwierigkeit dar. Diese Frage ist zu Recht als unzulässig befunden worden; Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet, daß die Gewerkschaftszugehörigkeit kein Einstellungskriterium sein darf (BAG Urteil vom 02.06.1987, BAGE 54, 353 = AP GG Art. 9 Nr. 49). Das heißt jedoch keinesfalls, daß der Arbeitnehmer, der Mitglied einer Gewerkschaft ist, davor geschützt sein muß, während der gesamten Dauer seines Arbeitsverhältnisses offenbaren zu müssen, daß er einer Tarifbindung unterliegt. Der Schutzzweck des Frageverbots ist mit der Einstellung erfüllt; gegen eine spätere mögliche Maßregelung ist der Arbeitnehmer durch § 612 a BGB geschützt (Hanau/Kania, Anm. zu BAG AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20). Selbstverständlich muß der Arbeitnehmer dann auf Rückfrage oder von sich aus seine Tarifbindung offenbaren, jedenfalls dann, wenn er - was ja Sinn und Zweck sowohl der Gewerkschaftszugehörigkeit als auch der verbandlichen Tätigkeit einer Gewerkschaft schlechthin ist - die Früchte eines ihn begünstigenden Tarifvertrags genießen will (Backmeister/Trittin, a. a. O.; Dörner/Luczak/Wildschütz, a. a. O.; MünchHdb-Buchner, 2. Aufl. 2000, § 41 Rn 18; Staudinger-Richardi, BGB, 13. Aufl. 1996, § 611 Rn 99; Danne SAE 1998, 111, 115; Reuter, a. a. O., 107 wohl auch Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 445). Das gilt im übrigen nach Auffassung der Kammer auch dann, wenn der Arbeitgeber durch eine Nachfrage während des laufenden Arbeitsverhältnisses feststellen will, welche Normen für das konkrete Arbeitsverhältnis gelten, auch wenn sie den Arbeitnehmer im Einzelfall schlechter stellen können, z. B. bei der tarifvertraglichen Ausschlußfrist oder der tarifvertraglichen Verkürzung von Kündigungsfristen gem. § 622 Abs. 4 BGB, bei tarifvertraglichen verschlechternden Urlaubsregelungen (§ 13 BUrlG) etc.
Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen sollte, bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, den Arbeitnehmer bei Unkenntnis über die Gewerkschaftszugehörigkeit wie einen Nichtorganisierten zu behandeln (Wank, in: Wiedemann, a. a. O., Rn 277; Reuter. a. a. O., S. 106 f, der die Mitteilung der Gewerkschaftszugehörigkeit als Obliegenheit ansieht).
Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß natürlich auch bei Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit der Arbeitgeber feststellen muß, ob der Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft letztlich angehört; denn nur dann ist nach der Rechtsprechung des 4. Senats der Arbeitgeber auch an den (verdrängenden) Tarifvertrag gebunden. Diese praktische Schwierigkeit, die der 4. Senat immer wieder erwähnt, wird deshalb durch die Lösung der Tarifpluralität nach den Grundsätzen der Tarifeinheit gerade nicht gelöst (so auch Hanau/Kania, Anm. zu BAG AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20).
ee.) Auch die vom 4. Senat mit der Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit beschworene Vermeidung von "rechtlichen und tatsächlichen Unzuträglichkeiten" ist - abgesehen davon, daß dies nicht zu einer Auslegung contra legem führen kann - keineswegs das Ergebnis dieser Rechtsprechung. Denn die angestrebte Rechtssicherheit und Rechtsklarheit kann erst dann einsetzen, wenn abschließend geklärt ist, welcher Tarifvertrag in welchem Betrieb gilt. Dies kann Jahre dauern, während derer große Rechtsunsicherheit herrscht: die tarifgebundenen Arbeitnehmer können nicht sicher sein, daß ihr Tarifvertrag gilt oder ob er verdrängt worden ist; für den Arbeitgeber besteht gleichfalls große Unsicherheit, die außerordentlich gravierende Auswirkungen haben kann (so auch Fenn, FS Kissel 1994, S. 213, 230 f). Dies zeigt in gewissen Grenzen bereits der vorliegende Fall. Demgegenüber ist das Akzeptieren einer von den Parteien ausdrücklich gewollten und gesetzlich vorgesehenen Tarifpluralität von vergleichsweise großer Klarheit und Einfachheit.
ff.) Die Unhaltbarkeit der Lösung einer Tarifpluralität nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz, wie sie der 4. Senat mit wechselnder Begründung, aber letztlich immer unter Berufung auf den Grundsatz der "Tarifeinheit" vornimmt, zeigt sich jedoch am klarsten, wenn man sich die - hier nur kursorisch dargestellten - gravierenden Rechtsfolgen bei der Anwendung dieses "Grundsatzes" vor Augen führt:
- Das Prinzip der "Tarifeinheit" in der Rechtsprechung des 4. Senats entzieht den Arbeitnehmern, die Mitglieder derjenigen Gewerkschaft sind, deren Tarifvertrag verdrängt wird, jeglichen tariflichen Schutz, also insbesondere den Ertrag ihrer zulässigen gewerkschaftlichen Tätigkeit, die zum Abschluß des Tarifvertrags geführt hat (was nach Auffassung von Fenn, FS Kissel 1994, 213, 233 verfassungswidrig ist; ebenso Wank, in: Wiedemann, a. a. O., Rn 277; Kempen/Zachert, a. a. O., Rn 130), und zwingt sie andererseits dazu, der konkurrierenden Gewerkschaft beizutreten, wollen sie sich unter tariflichen Schutz stellen (Kraft a. a. O., S. 168; Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 446; Hohenstatt, a. a. O., S. 1681; Wank, in: Wiedemann, a. a. O. Rn 277; krit dazu auch Kania, DB 1996, 1921). Die vom 4. Senat angesprochene Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen mag ein wünschenswertes Ziel sein; zu einer "Zwangssolidarisierung" und Einschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit und des Grundsatzes der Privatautonomie darf die Umsetzung dieser Zielvorstellung nicht führen (Reuter, JuS 1992, 105, 110; zust. Danne SAE 1998, 111, 112).
Das Landesarbeitsgericht Hamburg, das der Rechtsprechung des 4. Senats folgt, hat in diesem Zusammenhang sogar die Auffassung vertreten, auf die "Zufälligkeit der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gewerkschaft" komme es nicht an (Urteil vom 29.11.1995, 8 Sa 1/95, unveröff., zustimmend zit. bei Gaul, NZA 1998, 9, 14). Das Gericht bewertet damit die Entscheidung eines Arbeitnehmers zum Beitritt zu einer ganz bestimmten, von ihm ausgewählten Gewerkschaft als bloß "zufällig" und mutet ihm alternativ zu, entweder gänzlich auf tariflichen Schutz zu verzichten (bei Fortführung der Mitgliedschaft in der "zufällig" ausgewählten Gewerkschaft) oder - wie auch vom 4. Senat im Urteil vom 21.03.1990 ausdrücklich "angeregt" - die bisherige Gewerkschaft zu verlassen und derjenigen Gewerkschaft beizutreten, die den (schlechteren!) Tarifvertrag geschlossen hat, auf "Zufälligkeit" seiner Organisationswahl komme es ohnehin nicht an. Diese Argumentation wird dann noch auf den "objektiven Erklärungswert der Vereinbarung im Arbeitsvertrag" zurückgeführt, also auf eine vertragliche Auslegung der vom Arbeitnehmer selbst abgegebenen Willenserklärung. Die Kammer hält dies für verfassungswidrig.
- Die Anwendung der Tarifeinheit auf die Konstellation der Tarifpluralität entzieht der Gewerkschaft, die den verdrängten Tarifvertrag abgeschlossen hat, die betriebliche Tätigkeit (Kraft, a. a. O., S. 168 f; Wank, in: Wiedemann, a. a. O., Rn 277; Müller, NZA 1989, 449, 452; Merten, a. a. O., S. 575 f). Dem kann der 4. Senat nicht schlüssig mit dem Ansinnen begegnen, die verdrängte Gewerkschaft könne nun ihrerseits durch den Abschluß eines noch spezielleren Tarifvertrages ihrerseits die konkurrierende Gewerkschaft verdrängen (so aber im Urteil vom 20.03.1991, a. a. O.; dazu mit konkretem Beispiel Reuter, a. a. O., S. 108: wie soll die DAG dem ihrer Ansicht nach Angestellteninteressen unzureichend berücksichtigenden Tarifvertrag der dominierenden DGB-Gewerkschaft durch einen Angestelltentarifvertrag "betriebsnähere" Konkurrenz machen?).
Die dem Prinzip der Tarifeinheit zugrundeliegenden und im Falle der Tarifpluralität (anders bei Tarifkonkurrenz) letztlich auf Ordnungsgesichtspunkte zurückzuführenden Wirkungsmechanismen können nicht das grundgesetzlich verankerte Recht auf Satzungsfreiheit der Gewerkschaften verdrängen (Wiedemann/Arnold a. a. O., S. 446 unter Hinweis auf BAG Urteil vom 19.11.1985, BAGE 50, 179 = AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 4).
- In nahezu allen vom 4. Senat insoweit entschiedenen Fällen ging es um die Verdrängung von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zugunsten der vom BAG als spezieller angesehenen Tarifverträge. Die Rechtsprechung liefert damit einem Arbeitgeber die Möglichkeit, die gesetzlich vorgesehene Wirkung allgemeinverbindlicher Tarifverträge, die bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Mindestarbeitsbedingungen branchenweit erzwingt, auszuhebeln, etwa indem mit einer kleineren oder sog. "gelben" Gewerkschaft ein Haustarifvertrag abgeschlossen wird, der sogar dann zur Verdrängung des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages führen soll, wenn im Betrieb kein einziges Mitglied dieser Gewerkschaft ist und deshalb auch kein einziger Arbeitnehmer des Betriebs unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fällt - eine nach Auffassung der Kammer unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten, aber auch unter (hier nicht maßgeblichen) sozialpolitischen Aspekten eine gespenstische Vorstellung (krit., auch Hohenstatt, a. a. O., S. 1682; Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 445; Hanau/Kania, Anm zu BAG AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20; Fenn FS Kissel 1994, 213, 235 f; Merten, a. a. O., S. 575 f).
gg.) Immerhin hat die im Urteil vom 04.09.1996 vom 4. Senat vertretene Auffassung, die die Kammer für unzutreffend hält und der sie nicht folgt, den Effekt, daß ein gravierender Kritikpunkt an der bisherigen Rechtsprechung auf diese Argumentationsfigur nicht anzuwenden ist. Es war nämlich - wie dargelegt - das (nach Auffassung des 4. Senats hinzunehmende) Ergebnis der Verdrängung des allgemeineren Tarifvertrages durch den spezielleren Tarifvertrag, daß die Arbeitnehmer, die nicht an den spezielleren Tarifvertrag gebunden waren, einerseits ihren Tarifschutz aus dem allgemeineren Tarifvertrag verloren, weil dieser nach dem 4. Senat durch den spezielleren in allen Bereichen verdrängt wurde, andererseits aber nicht unter den Schutz des spezielleren fielen, wenn sie insoweit nicht tarifgebunden waren. Auf die (nach Auffassung der Kammer berechtigte) Kritik hieran ist oben hingewiesen worden.
Dieses fatale und grundrechtswidrige Ergebnis ist bei der Argumentation aus dem Urteil vom 04.09.1996 nicht mehr zu gewärtigen; hier wird die Geltung des spezielleren Tarifvertrages nicht an die Tarifgebundenheit im Sinne von § 4 Abs. 1 TVG geknüpft, sondern als vertragliche Willenserklärung fingiert. Verloren also die an den verdrängten Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer jeglichen Tarifschutz, so könnten sie nunmehr wenigstens den Schutz des verdrängenden Tarifvertrages genießen, ohne daß es auf die Tarifgebundenheit nach herkömmlichen (sprich: gesetzlichen) Maßstäben überhaupt ankommt.
Dieses Ergebnis macht die Argumentation nicht richtiger. Es erscheint aber notwendig, darauf hinzuweisen, daß dieser "Nebeneffekt" eintreten würde, wenngleich dies nicht beabsichtigt erscheint. Soweit ersichtlich, ist das weder vom 4. Senat selbst noch von der zu der Entscheidung vom 04.09.1996 zahlreich veröffentlichten Kritik aufgegriffen worden.
Immerhin entfällt dadurch ein Kritikpunkt, was sich allerdings auch nur auf das nunmehr eintretende Ergebnis, in keinem Falle aber auf die Richtigkeit des dahin führenden Weges beziehen kann.
Nach alldem ist für eine vom ausdrücklichen Wortlaut der arbeitsvertraglichen Vereinbarung abweichende Auslegung des Arbeitsvertrages kein Raum.
3.) Es besteht vorliegend auch keine Geltung einer abweichenden höherrangigen Regelung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Insbesondere stehen die Gehaltstarifverträge der Großhandelsbranche in Thüringen der Geltung der Metalltarifverträge im Hinblick auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht entgegen.
a.) Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.03. bis zum 31.05.1999 galten allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin für das streitgegenständiche Arbeitsverhältnis die Lohn- und Gehaltstarifverträge für den Groß- und Außenhandel in Thüringen vom 23.06.1998 in der Fassung des Korrekturprotokolls vom 30.06.1998 für den Zeitraum vom 01.03.1999 bis zum 30.04.1999 und der entsprechende Folgetarifvertrag vom 04.06.1999, die eine geringere Entlohnung der Arbeitnehmer vorsehen als dies im Lohntarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie vorgesehen ist.
aa.) Die Geltung dieser Tarifverträge ergibt sich jedoch nicht bereits aus dem Eintritt der Beklagten in den Arbeitgeberverband des Großhandels.
Auch diese Auffassung des Gerichts widerspricht der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts. Im Senatsurteil vom 20.03.1991 (BAGE 67, 330 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz m. abl. Anm. Hanau/Kania) wird - wie oben dargelegt - die Auffassung vertreten, daß nach dem Prinzip der "Tarifeinheit" in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Anwendung finden solle, wobei unter mehreren Tarifverträgen nach dem Grundsatz der Spezialität der sachnähere Tarifvertrag vorzuziehen sei. Dieser Grundsatz wird nun dahingehend konkretisiert, daß im Zweifel an die Tarifbindung allein des Arbeitgebers anzuknüpfen sei, denn damit werde man vom Wechsel der Arbeitnehmer und vom Zufall unabhängig, und es gelte der Tarifvertrag, der den Erfordernissen des Betriebs und der dort beschäftigten Arbeitnehmer am besten gerecht werde.
Im Ergebnis läßt der 4. Senat die Verbandszugehörigkeit eines Arbeitgebers damit genügen, um die von diesem Verband abgeschlossenen Tarifverträge zum einzig zulässigen Tarifwerk in diesem Betrieb werden zu lassen. Sie sollen allen entgegenstehenden Tarifregelungen gegenüber Vorrang genießen, und zwar unabhängig davon, ob diese anderen Tarifverträge aufgrund Allgemeinverbindlichkeit, konkurrierender Verbandstarifverträge oder Haustarifverträge oder einzelvertraglicher Inbezugnahme gelten würden. Bei Anwendung dieser Grundsätze käme man im vorliegenden Fall wegen des Verbandsbeitritts der Beklagten vom 12.04.1999 zu einer (die einzelvertraglich in Bezug genommenen Metalltarifverträge verdrängenden) Anwendung der Großhandelstarifverträge auf das Arbeitsverhältnis der Parteien.
Auch insoweit ist die Rechtsprechung des 4. Senats auf intensive Kritik der Literatur und der Instanzrechtsprechung getroffen, der sich das Gericht anschließt. Im einzelnen:
- Zu der Kritik der Bedeutung, die der 4. Senat der "Tarifeinheit" beimißt, kann auf die o. a. Ausführungen (I.2.b) verwiesen werden.
- Es besteht bei einer solchen Konstellation keine Tarifpluralität, die nach den Grundsätzen der Spezialität aufzulösen wäre. Denn die Verbandszugehörigkeit eines Arbeitgebers allein führt entgegen der Auffassung des 4. Senats nicht zur Anwendung der von diesem Verband abgeschlossenen Tarifverträge auf die ansonsten nicht diesem Tarifvertrag unterliegenden Arbeitsverhältnisse. Das ergibt sich mit der notwendigen Eindeutigkeit aus § 3 Abs. 2 TVG. Danach gelten betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen bei tarifgebundenen Arbeitgebern für alle Arbeitsverhältnisse; daraus folgt im Umkehrschluß, daß es hinsichtlich der (auch hier einschlägigen) sog. Inhaltsnormen eines Tarifvertrages bei der Regelung der §§ 4 bzw. 5 TVG verbleibt, wonach nämlich für die Erstreckung der normativen Wirkung eines beiderseitige Tarifbindung oder eine Allgemeinverbindlicherklärung erforderlich, aber auch ausreichend ist.
Es ist nach Auffassung der Kammer nicht zulässig, diese eindeutige gesetzliche Regelung dahingehend richterrechtlich abzuändern, daß nicht nur die betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen, sondern auch die Inhaltsnormen des von dem betr. Verband abgeschlossenen Tarifvertrages auf alle Arbeitsverhältnisse Anwendung finden sollen.
Der 4. Senat hat dagegen zur Begründung ausgeführt, daß die Unterscheidung zwischen Betriebsnormen und Inhaltsnormen im Sinne von § 3 Abs. 2 TVG "aber oft tatsächliche Schwierigkeiten (bereiteten) ... Aufgrund dessen" könne der gesetzlich vorgesehenen Differenzierung nicht gefolgt werden (BAG Urteil vom 20.03.1991, a. a. O.).
Dies ist kaum verständlich. Es ist sicher zutreffend, daß hier im Einzelfall Schwierigkeiten auftreten können. Dies allein kann jedoch nicht ernsthaft ein Grund sein, ein geltendes Gesetz schlichtweg nicht anzuwenden (so auch Gaul, NZA 1998, 9, 15) und stattdessen aufgrund eines selbstgeschaffenen "Prinzips" eine Regelung zu konstruieren, die die angesprochenen "Schwierigkeiten" nicht aufweisen soll, zumal in der übrigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts diese Differenzierung ohne Umschweife anerkannt und auch in der Rechtsprechung angewandt wird (z. B. der 7. Senat im Urteil vom 27.04.1988, BAGE 58, 183 = AP BeschFG § 1 Nr. 4, zu Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT; der 1. Senat im Urteil vom 26.04.1990, BAGE 64, 368 = AP GG Artl. 9 Nr. 57, zu qualitativen Besetzungsregelungen im MTV Druckindustrie). Die Trennung der beiden Normbereiche ist im Gesetz normiert und deshalb aus Rechtsgründen unverzichtbar (Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 446; Mertens, a. a. O., S. 574).
Die Mitgliedschaft der Beklagten im LGAD Thüringen führt deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Anwendbarkeit der Großhandelstarifverträge.
bb.) Die beiden oben zitierten Lohn- und Gehaltstarifverträge des Groß- und Außenhandels Thüringen sind aber aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärungen vom 25.02.1999 (BAnz Nr. 57 vom 24.03.1999) und vom 30.09.1999 (BAnz Nr. 201 und 23.10.1999) gem. § 5 TVG wirksam und von daher prinzipiell auch auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Denn dieses wird vom Anwendungsbereich des Tarifvertrages erfaßt; das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der Branche des Groß- und Außenhandels zuzurechnen.
Das ergibt sich daraus, daß die Beklagte PKW-Ersatzteile verkauft, die sie zuvor von verschiedenen Ersatzteilherstellern und -händlern erworben hat. Eine Produktion oder Montage von Gegenständen, die zu einer möglichen Unterstellung unter den Regelungsbereich der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie führen könnte, findet nicht statt. Daß eine solche Produktion der Montage von Gegenständen gesellschaftsrechtlich als Möglichkeit angelegt ist, reicht für die Begründung einer Unterstellung unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages nicht aus; entscheidend ist die überwiegend im Betrieb zu leistende Arbeit (st. Rspr, z. B. BAG Urteil vom 27.11.1963, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 3; Urteil vom 25.11.1987, BAGE 56, 357 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 18), die vorliegend nicht nur überwiegend, sondern ausschließlich dem wirtschaftlichen Tätigkeitsfeld der Großhandelsbranche anzurechnen ist.
b.) Die Geltung des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages der Großhandelsbranche steht der Anwendung des Lohntarifvertrages der Metallbranche und damit dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin aber nicht entgegen.
Denn gem. § 4 Abs. 3 TVG treten die ansonsten unmittelbar und zwingend wirkenden Vorschriften eines Tarifvertrages (§ 4 Abs. 1 S. 1 TVG) durch abweichende Vereinbarungen der Parteien dann zurück, wenn diese eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten, sog. Günstigkeitsprinzip.
Dieses Günstigkeitsprinzip findet im Arbeitsverhältnis der Parteien bei der Betrachtung des allgemeinverbindlichen Großhandelstarifvertrags und des einzelvertraglich vereinbarten Metalltarifvertrags Anwendung, weil diese beiden Regelwerke in einem Rangverhältnis zueinander stehen.
aa.) Auch hier geht der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts von einer anderen Auffassung aus. Nach seiner Rechtsprechung ist auch der Fall der Geltung eines Tarifvertrages aufgrund einer einzelvertraglichen Inbezugnahme als ein Fall der Tarifpluralität bzw. -konkurrenz zu werden; danach sei es nicht erheblich, welchem Rechtsgrund ein konkurrierendes Tarifwerk seine Geltung verdankt (BAG Urteil vom 20.03.1991, a. a. O.; BAG Urteil vom 04.09.1996, a. a. O.; bestätigt in Urteil vom 28.05.1997, a. a. O.). Eine Begründung hierfür wird vom Senat nicht gegeben, wenn man nicht den apodiktischen Satz, es könne nicht rechtens sein, daß Arbeitnehmer aufgrund einer Verweisungsklausel eine günstigere Rechtsposition erlangen als die organisierten Arbeitnehmer (ohne Verweisungsklausel), deren Situation sich durch den Verbandswechsel verschlechtert hat (im Urteil vom 04.09.1996, a. a. O), als eine solche "Begründung" ansehen will.
Warum dies im Rahmen der Parteiautonomie und der Vertragsfreiheit nicht "rechtens" (also Unrecht) ist, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen (ebenso Kothe AuA 1997, 171; Danne SAE 1998, 111, 113).
Wegen der Kritik an der "korrigierenden Auslegung" wird auf die o. a. Ausführungen zu dem (mutmaßlichen und wirklichen) Erklärungswillen der Parteien des Arbeitsvertrages verwiesen.
Das Gericht sieht deshalb in der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrages eine einzelvertragliche Vereinbarung, die zu der kollektivrechtlichen Regelung eines Tarifvertrages in einem Rangverhältnis steht. Ein (nur) in Bezug genommener und nicht originär, etwa gem. § 4 Abs. 1 TVG geltender Tarifvertrag entfaltet keine Rechtsnormwirkung, sondern ist Bestandteil der einzelvertraglichen Vereinbarungen und damit Inhalt des Arbeitsvertrages (BAG Urteil vom 07.12.1977, AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 9, wonach sogar die Geltung eines tarifrechtlich unwirksamen Tarifvertrages einzelvertraglich wirksam vereinbart werden kann, mit insoweit zust. Anm. Herschel; Wank, in: Wiedemann, a. a. O., Rn 274; Danne, SAE 1998, 111, 113; Kraft, a. a. O., S. 167; Hohenstatt, a. a. O., S. 1682 f; Preis/Steffan, FS Kraft 1998, 477, 487; zum konstitutiven Charakter einer solchen Inbezugnahme Kothe AuA 1997, 171; jetzt auch Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, Diss. 1999, S. 476).
Auch der Aspekt der Aufrechterhaltung der Dynamik, der ansonsten vertragstechnisch schwer zu formulieren wäre, führt zu einer Ermöglichung einer derartigen einzelvertraglichen Vereinbarung. Auf die Legitimation dieses Gesichtspunktes durch den Gesetzgeber in §§ 2 Abs. 3, 3 NachwG hat Gaul zutreffenderweise hingewiesen (NZA 1998, 9, 11; jetzt auch ausdrücklich Schaub, ZTR 2000, 259: "... um nicht stets umfangreiche Arbeitsverträge zu entwerfen ...").
Es begegnet insoweit auch Bedenken, den Tarifvertragsparteien eine Macht zuzugestehen, die das Gesetz ihnen gerade nicht verleiht. Bezieht man, wie der 4. Senat, die einzelvertragliche Geltung von Tarifverträgen in die Unterordnung unter den Grundsatz der "Tarifeinheit" ein, so hätten Arbeitgeber und eine Gewerkschaft, der ein Arbeitnehmer gerade nicht angehört, die Normsetzungsmacht, eine einzelvertragliche Vereinbarung im Arbeitsverhältnis zu verdrängen und damit den Arbeitnehmer, der diese Vereinbarung abgeschlossen hat, in seinen Rechten zu beeinträchtigen, ohne daß er Mitglied der Gewerkschaft wäre oder anderweitig individuell daran etwas ändern zu können (so auch Hohenstatt, a. a. O., S. 1683: Wenn die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien schon hinsichtlich ihrer Mitglieder am Günstigkeitsprinzip ihre Grenze findet, ist ihnen die Einschränkung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer erst recht verwehrt!; zust. Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 447).
Im Ergebnis stellt die Auffassung des 4. Senats auch insoweit einen erheblichen Eingriff in die einzelvertragliche Gestaltungsfreiheit und zudem einen Verstoß gegen § 4 Abs. 3 TVG dar (so auch Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 447; Hohenstatt, a. a. O., S. 1682 f; Kraft, a. a. O., S. 167; Merten, a. a. O., S. 577 f; Hanau/Kania, Anm. zu BAG AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20; Reuter, a. a. O., S. 109; krit. auch Gamillscheg, a. a. O., S. 757 f).
Seine eigene Argumentation scheint den 4. Senat selbst nicht völlig zu überzeugen. Er schränkt die verdrängende Wirkung des spezielleren Tarifvertrags bei vertraglicher Inbezugnahme des "verdrängten" Tarifvertrages jedenfalls für den Fall ein, daß die vertragliche Inbezugnahme zeitlich nach dem Inkrafttreten des spezielleren Vertrages liegt, weil daraus geschlossen werden könne, daß die Parteien tatsächlich zwei Tarifverträge im Betrieb nebeneinander zur Wirkung kommen lassen wollten (BAG Urteil vom 20.03.1991, a. a. O.).
Diese Einschränkung ist nicht schlüssig; dem Arbeitnehmer wird es zumeist nicht bekannt und in der Regel auch egal sein, ob der Arbeitgeber an einen Tarifvertrag gebunden ist, der ihn nicht betrifft, wenn er in seinen Arbeitsvertrag eine Bezugnahme aufnimmt; auf Arbeitgeberseite kann es keinen entscheidenden Unterschied machen, ob ein Arbeitgeber in Kenntnis der Existenz eines von ihm abgeschlossenen speziellen Tarifvertrages mit einem anderen Tarifvertrag einzeln in Bezug nimmt oder ob er den spezielleren Tarifvertrag in Kenntnis der einzelvertraglichen Wirkung der Tarifnormen eines anderen Tarifvertrags abschließt (Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 447; Merten, a. a. O., S. 578; Danne SAE 1998, 111, 114). Letztlich geht damit aber auch der 4. Senat davon aus, daß der Grundsatz der Tarifeinheit offenbar einzelvertraglich abdingbar ist (so auch Hanau/Kania, Anm. zu BAG AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20), was die sonstige überragende Bewertung dieses Grundsatzes durch den 4. Senat allerdings beträchtlich relativiert.
bb.) Normenkollisionen in einem solchen Rangverhältnis zwischen Tarifvertrag einerseits und Arbeitsvertrag andererseits sind nach der gesetzlichen Regelung in § 4 Abs. 3 TVG nach dem Günstigkeitsprinzip zu lösen.
Das gilt auch für die arbeitsvertraglich vereinbarte Geltung von Tarifverträgen, die auch bei Unterfallen des Arbeitsverhältnisses unter einen anderen als den in Bezug genommenen Arbeitsvertrag ihre Bedeutung insoweit behält, als der in Bezug genommene Tarifvertrag günstiger Regelungen enthält als der normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirkende Tarifvertrag (so auch der 10. Senat, BAG Urteil vom 22.09.1993, a. a. O.; LAG Frankfurt a. M., Urteil vom 09.12.1991, LAGE TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 1; Wank, in: Wiedemann, a. a. O., Rn 274; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn 283; Kraft 167; Wiedemann/Arnold, a. a. O., S. 447; Danne, a. a. O., S. 113; Gaul, a. a. O., S. 15; ohne Eingehen auf die Problematik der Tarifpluralität jetzt auch Schaub, ZTR 2000, 259, 261). Eine Tarifpluralität entsteht deshalb gerade nicht. Davon geht im übrigen auch der 10. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 22.09.1993 (BAGE 74, 238 = AP § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 21) aus, der deshalb konsequent (wie die Kammer im vorliegenden Fall) in der einzelvertraglichen Bezugnahme ein vom einschlägigen Tarifvertrag "abweichende Abmachung" im Sinne von § 4 Abs. 3 TVG sieht, die dann zulässig ist, wenn sie eine Änderung der tarifvertraglichen Regelung zugunsten der Arbeitnehmer enthält (in der fraglichen Entscheidung hat der 10. Senat den Großen Senat des BAG nicht angerufen, weil das von ihm gefundene Ergebnis auf einem "Umweg" auch bei Anwendung der - von ihm ausdrücklich abgelehnten - Rechtsprechung des 4. Senats erzielt worden wäre).
cc.) Die Anwendung dieses Prinzips führt dazu, daß der Klägerin die Lohnansprüche aus dem Metalltarifvertrag zustehen.
Diese Ansprüche sind - ohne hier auf Einzelheiten einzugehen - durchweg für d. Kl. günstiger als diejenigen aus den allgemeinverbindlichen Gehaltstarifverträgen der Großhandelsbranche in Thüringen. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig.
Soweit dieses Ergebnis von der Beklagten als "Rosinentheorie" und als nicht gerechtfertigt angesehen wird, ist darauf zu verweisen, daß der normativ geltende Tarifvertrag Mindestbedingungen garantieren soll, deren Verbesserung in einzelnen arbeitsvertraglichen Regelungen durch das gesetzlich angeordnete Günstigkeitsprinzip gerade zulässig sein soll. Daß dies unabhängig davon gelten muß, ob die Parteien des Arbeitsvertrages die Normen eines Tarifvertrages abschreiben und im Arbeitsvertrag namentlich aufführen oder ob sie einen Tarifvertrag in Bezug nehmen, wurde oben dargelegt. Der Arbeitgeber ist an seinen Vertrag gebunden, so lange dieser besteht. Wenn er sich nicht verpflichten will, dann mag er einen anderen Vertrag abschließen. Hier auf eine richterliche Korrektur zu drängen, verbietet sich bereits aus dem Gesichtspunkt, daß eine Inhaltskontrolle von privatautonom abgeschlossenen Verträgen vor allem dem Ausgleich struktureller Ungleichgewichte bei den Vertragsverhandlungen dienen soll (grdl. BVerfG Beschluß vom 19.10.1993, NJW 1994, 36). Von einer strukturellen Unterlegenheit gerade des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Arbeitsvertrages kann nicht ernsthaft gesprochen werden.
Der Arbeitgeber ist ggf. darauf zu verweisen, daß er sich im Wege einer Änderungskündigung von von ihm früher vereinbarten, aber nun von ihm nicht mehr gewollten einzelnen Vertragsbedingungen lossagen kann (Schwab BB 1994, 781, 782; Gaul, NZA 1998, 9, 11; ein entspr. Hinweis findet sich auch im Urteil des 4. Senats vom 28.05.1997, BAGE 86, 43 = AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 26). Dabei kann der Gesichtspunkt der Tarifeinheit im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senats für die Ermittlung eines dringenden betrieblichen Grundes für die Änderungskündigung durchaus von Bedeutung sein; zu einer Beseitigung des gesetzlich geregelten Günstigkeitsprinzips gem. § 4 Abs. 3 TVG kann er nicht führen.
4.) Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht verfallen.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, wie das Verhältnis der im Arbeitsvertrag ausdrücklich geregelten und den einzelvertraglich in Bezug genommenen Regelungen aus dem Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Thüringen vom 08.03.1991, in dem in § 27 eine zweistufige Ausschlußfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis geregelt ist, im einzelnen gestaltet ist.
Denn die Beklagte beruft sich für die Dauer des Rechtsstreits nicht auf die Geltung der tariflichen Ausschlußfristen, wie sie in der Verhandlung vor der Kammer am 21.02.2000 (Bl. 57 d. A.) erklärt hat.
5.) Der Anspruch ist auch in der geltend gemachten Höhe begründet.
Die Klägerin hat die einzelnen Zahlungsansprüche schlüssig auf die Metalltarifverträge zurückgeführt. Die Beklagte hat letztlich gegen die Höhe auch keinerlei Einwendung erhoben.
Soweit sie hier überhaupt argumentiert hat, beziehen sich die jeweiligen Ausführungen auf diejenigen Folgen, die bei einer Anwendung der Großhandelstarifverträge eintreten würden. Dies bezieht sich zunächst auf die bestrittene Höhe der Einmalzahlung nach dem Metalltarifvertrag. Diese solle nur in Höhe von 0,5 % schlüssig sein, da nur insoweit ein anteiliges Unterfallen unter den Metalltarifvertrag gegeben sei; wegen des sodann eingetretenen Verbandswechsels sei eine Tarifbindung an die Metallverträge nicht mehr gegeben. Dies ist ebenso ein Einwand, der sich auf die fehlende Tarifbindung stützt wie die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einer behaupteten Überzahlung, die allerdings der arbeitgeberischen Verpflichtung aus den - nach Ansicht der Kammer fortgeltenden - Metalltarifverträge ergab, mithin keine Überzahlung und damit auch kein Aufrechnungsanspruch vorliegt.
Weitere Einwände gegen die Höhe des Anspruchs wurden von der Beklagten nicht erhoben und sind auch ansonsten nicht ersichtlich.
6.) Der Zinsanspruch der Klägerin ist gerechtfertigt und beruht auf §§ 288, 291 BGB.
7.) Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil sie in ihm unterlegen ist, § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG.
Der Streitwert ist im Urteil festzusetzen, § 61 Abs. 1 ArbGG, und bemißt sich nach der eingeklagten Summe.
Die Berufung ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG.-----------------------------------------------------
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