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Text des Beschlusses
4 Ta 347/07 (7);
Verkündet am: 
 14.03.2008
LAG Landesarbeitsgericht
 

Chemnitz
Vorinstanzen:
6 Ca 3066/05
Arbeitsgericht
Leipzig;
Rechtskräftig: unbekannt!
zur Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde; Anspruch auf gerichtliche Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist
Leitsatz des Gerichts:
zur Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde; Anspruch auf gerichtliche Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist
In dem Rechtsstreit
…
hat die 4. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung am 14.03.2008 beschlossen:

Dem Arbeitsgericht wird aufgegeben, binnen einer Frist von sechs Wochen durch eine verfahrensleitende und zugleich verfahrensfördernde Entscheidung dem vorliegenden Verfahren Fortgang zu geben.

Gründe:


I.


Die Parteien streiten um die Zahlung restlicher Vergütungsansprüche des Klägers für die Monate März 2004 bis Dezember 2004 aus einem zwischen den Parteien mit Wirkung zum 01.01.2004 geschlossenen Arbeitsvertrag.

Am 19.05.2005 hat der Kläger beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 14.767,26 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.05.2005 zuzüglich ausgerechneter Zinsen für den Zeitraum vom 01.02.2004 bis 17.05.2005 in Höhe von 348,14 € zu verurteilen.

Die erste mündliche Verhandlung, in der der Beklagte u. a. die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts rügte, hat am 13.06.2005 stattgefunden.

Eine Rechtswegentscheidung des Arbeitsgerichts ist jedoch bis heute noch nicht ergangen.

Nachdem der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 20.10.2005 das Mandat niedergelegt, einen Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 11 RVG mit Schriftsatz vom 30.11.2005 in Höhe von 1.741,74 € gestellt hatte und unter dem 25.01.2006 ein klagestattgebender Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts ergangen war, der durch Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts auf die erfolglose Beschwerde des Beklagten im Ergebnis bestätigt wurde, erfolgte seitens des Arbeitsgerichts bis heute trotz mehrmaliger Anfragen des Klägervertreters nach dem Sachstand und zwar am 20.01.2006, 18.04.2006, 20.09.2006, 21.02.2007, 10.05.2007 sowie am 12.06.2007 kein Fortgang des Verfahrens.

Am 14.06.2006 erfolgte die fernmündliche Mitteilung, dass der Richter voraussichtlich bis 03.03.2006 erkrankt sei. Am 25.09.2006 erfolgte eine weitere fernmündliche Mitteilung dahingehend, dass ein Fortgang des Verfahrens andauere, da sich die Akte noch beim Sächsischen Landesarbeitsgericht befinde. Weitere Reaktionen auf die Sachstandsanfragen sind nicht erfolgt, insbesondere blieben die Sachstandsanfragen vom 21.02.2007, 10.05.2007 und 12.06.2007 unbeantwortet. Darauf wurde seitens des Klägervertreters versucht, den zuständigen Richter fernmündlich zu erreichen. Dies ist nicht gelungen, da der Richter nicht erreichbar gewesen ist.

Am 14.12.2007 hat der Kläger eine Untätigkeitsbeschwerde erhoben, weil ein sachlicher Grund für die Verfahrensverzögerung weder benannt worden noch sonst ersichtlich sei und daher ein Fall völlig unzumutbarer und auf Rechtsverweigerung hinauslaufender Verzögerung vorliege.

Eine Nichtabhilfeentscheidung des Arbeitsgerichts liegt hier nicht vor.

II.


1. Die vom Kläger erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist gemäß §§ 567 ff ZPO zulässig. Zwar ist eine spezielle Regelung für eine Untätigkeitsbeschwerde gegenüber Gerichten noch nicht in Gesetzesform erfolgt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über Rechtsbehelfe bei Verletzungen des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren – Untätigkeitsbeschwerdengesetz – vom 22. August 2005 (vgl. http://www.bdfr.de/Untätigkeitsbeschwerde_BMJ.bdf), der in § 198 GVG-E eine solche Untätigkeitsbeschwerde vorsieht, ist bisher noch nicht verabschiedet worden.

Ob gegen das Untätigbleiben eines Gerichts in außergewöhnlichen Fällen aus verfassungsrechtlichen Gründen ein außerordentliches Rechtsmittel gegeben ist, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher offen geblieben (vgl. BGH NJW-RR 11995, 887 f). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Untätigkeitsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überwiegend für statthaft und zulässig gehalten, wenn mit ihr eine willkürliche Untätigkeit des Gerichts geltend gemacht wird, die einer endgültigen Rechtsverweigerung gleichkommt (vgl. z. B. jüngst OLG Karlsruhe OLGR 2007, 679 = MDR 2007, 1393 m. zahlr. w. N.).

So geht das OLG Karlsruhe, Senat für Familiensachen, in seiner Entscheidung vom 03.05.2007 – 2 WF 32/07 – davon aus, dass ein derartiger Rechtsbehelf zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 13 EMRK (vgl. hierzu im Einzelnen EGMR Urt. v. 08.06.2006 – 75529/01 – Sürmeli/Deutschland NJW 2006 2389, der insoweit eine Rechtsverletzung bejaht und allein im Hinblick auf die beabsichtigte gesetzliche Regelung einen Hinweis für den staatlichen Bereich zur Befolgung des Urteils unterlässt, vgl. EGMR a. a. O., 2394) und gegen Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. insoweit BVerfG, B. v. 06.12.2004 – 1 BvR 1977/04) Rechtssuchenden bei überlanger Verfahrensdauer zur Verfügung gestellt werden muss.

Auch weitere Gerichte haben eine Untätigkeitsbeschwerde bei überlanger Verfahrensdauer grundsätzlich für zulässig erachtet (vgl. OLG Brandenburg, B. v. 02.10.2006 – 10 WF 203/06; OLG Frankfurt, B. v. 26.07.2006 – 19 W 47/06; OLG Naumburg FamRZ 2005, 732; OLG Düsseldorf, B. v. 24.07.2006 – I-23 W 35/06; Senat B. v. 04.07.2003 – 2 WF 88/03; OLG Zweibrücken, B. v. 10.09.2003 – 4 W 65/02; OLG Karlsruhe, B. v. 24.07.2003 – 16 WF 50/03; OLG Karlsruhe, B. v. 24.07.2001 – 16 WF 78/01; für Sorgerechtsverfahren KG, B. v. 22.10.2004 – 18 WF 156/04; anders allerdings OLG München, B. v. 28.09.2006 – 6 W 2112/06). Dem steht auch nicht entgegen, dass dieser Rechtsbehelf nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, B. v. 30.04.2003 zu den Anforderungen an eine fachgerichtliche Selbstkorrektur bei Verstößen des Richters gegen das Recht auf rechtliches Gehör), denn §§ 567 ff ZPO bilden zumindest für Untätigkeitsfälle der vorliegenden Art unter dem Gesichtspunkt der Justizgewährungspflicht bei verfassungskonformer Auslegung eine hinreichende Gesetzesgrundlage.

Das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG erfordert, im Interesse der Rechtssicherheit insbesondere, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. hierzu etwa BVerfG, FamRZ 2005, 173/174 und FamRZ 2005, 1233/1234). Die Untätigkeitsbeschwerde setzt dabei nicht voraus, dass es bereits zu einem sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Verfahrensstillstand gekommen ist. Für die Zulässigkeit reicht es vielmehr aus, wenn eine über das normale Maß hinausgehende unzumutbare Verzögerung des Verfahrens schlüssig dargetan wird, die auf einen Rechtsverlust oder eine Rechtsverweigerung hinausläuft (Gummer: in Zöller, ZPO, 26. Auflage, 2007, § 567 Rdnr. 21). Eine Untätigkeitsbeschwerde als außergerichtlicher Rechtsbehelf kommt aber anerkanntermaßen nur dann in Betracht, wenn die begehrte Entscheidung ihrerseits überhaupt einem Rechtsmittel unterliegt (siehe dazu mit zahlreichen weiteren Nachweisen und namentlich aus der Rechtsprechung Gummer, in: Zöller, a. a. O., § 567 Rdnr. 21).

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor.

a) Denn der Kläger hat immer wieder (zum Beispiel mit den Schriftsätzen vom 20.01.2006, 18.04.2006, 20.09.2006 und insbesondere nach Beendigung des Beschwerdeverfahrens vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht am 19.06.2006 mit den Schriftsätzen vom 21.02.2007, 10.05.2007 sowie vom 12.06.2007 eine Verfahrensförderung angemahnt (vgl. Bl. 72, 74, 75 d. A.).

b) Insoweit begehrt der Kläger mit seiner Untätigkeitsbeschwerde vom 12.12.2007 dem Arbeitsgericht aufzugeben, binnen eine in das Ermessen des angerufenen Gerichts gestellten Frist, die einen Zeitraum von sechs Wochen nicht unterschreiten sollte, eine verfahrensleitende und zugleich verfahrensfördernde Entscheidung zu treffen. Die seitens des Klägers hier begehrte Entscheidung ihrerseits, nämlich der Erlass einer verfahrensfördernden Entscheidung nach den §§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1, 78 Abs. 1 ArbGG unterliegt auch einem Rechtsmittel (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
c) Dem steht auch nicht entgegen, dass vorliegend seitens des Arbeitsgerichts keine Nichtabhilfeentscheidung gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz ZPO erfolgt ist. Diese war hier entbehrlich, da ein Nichtabhilfeverfahren dazu führen würde, dass wegen der hier gegebenen Eilbedürfigkeit die Entscheidung des Beschwerdegerichts zu spät kommen würde, so dass das Beschwerdegericht vorliegend ohne Rückgabe der Beschwerde an das Erstgericht sofort über die Beschwerde entscheiden konnte (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Auflage, § 572 Rz. 6 m .w. N.).

2. Die Untätigkeitsbeschwerde ist auch begründet.

Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesse der Rechtssicherheit, dass Rechtsstreitigkeiten in angemessener Zeit von den Fachgerichten entschieden werden, wobei sich mit zunehmender Verfahrensdauer die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um einer Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen, immer mehr verdichtet. Es hat bei einer außergewöhnlich langen Verfahrensdauer sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung zu nutzen (BVerfG, B. v. 06.12.2004 – 1 BvR 1977/04).

Vorliegend ist das Verfahren seit Mai 2005 anhängig und seit dem 13.06.2005, dem Termin der Güteverhandlung, in dem das Gericht eine verfahrensleitende Verfügung dahingehend getroffen hat, nämlich, dass zunächst über die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Leipzig entschieden werden sollte und Termin zur Verkündung einer Entscheidung insoweit von Amts wegen bestimmt werde, nicht weiterbetrieben worden. Insoweit wird zwar nicht verkannt, dass sich das vorliegende Verfahren auch in zweiter Instanz vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht in der Zeit vom 07.04.2006 bis 30.10.2006 befunden hat und auch das Beschwerdeverfahren hier nicht ganz unerheblich zu dieser Verfahrensverzögerung beigetragen hat. Trotzdem kommt das Verhalten des Arbeitsgerichts hier einer tatsächlichen Rechtsverweigerung gleich. Denn seit dem 13.06.2005 ist vom Gericht keine inhaltliche Förderung des Verfahrens erfolgt; im Gegenteil, das Arbeitsgericht hat auf die verschiedenen Sachstandsanfragen des Klägers vom 21.02.2007, 10.05.2007 und zuletzt vom 12.06.2007 überhaupt nicht reagiert – weder schriftlich noch fernmündlich, telefonisch –.

Im Ergebnis lässt daher die Aktenlage im Rahmen der gebotenen objektiven Beurteilung nur den Schluss zu, dass die 6. Kammer des Arbeitsgerichts den Anspruch des Klägers auf eine gerichtliche Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist schon nach Maßgabe der ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Bearbeitungskapazitäten im Ergebnis missachtet hat.

Zwar kann dem Arbeitsgericht kein konkreter Fahrplan zur Förderung des Verfahrens mit bestimmten Maßnahmen vorgeschrieben werden, denn hierüber entscheidet der Arbeitsrichter in richterlicher Unabhängigkeit. Zur inhaltlichen Förderung des Verfahrens könnte jedoch eine mündliche Verhandlung zur Klärung des gegenwärtigen Begehrens der Parteien und eventueller gütlicher Beendigung durchgeführt werden.

Eine weitere Möglichkeit läge darin, über die hier streitige Rechtswegfrage durch Beschluss der Kammer zu entscheiden.

In der beispielhaften Aufzählung der Möglichkeiten zur materiellen Prozessförderung erschöpft sich die Möglichkeit des Beschwerdegerichts (vgl. OLG Karlsruhe, B. v. 24.07.2003, - 16 WF 50/03). Dem Arbeitsgericht wird auf den Antrag des Klägers die Förderung des Verfahrens mit äußerster Beschleunigung binnen einer Frist von sechs Wochen ab Erlass des Beschlusses vom 14.03.2008 aufgegeben.

Kosten sind nicht zu erheben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende allein ergehen (§§ 568 I Satz 1 ZPO, 64 Abs. 7, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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