Text des Beschlusses
I ZB 10/07;
Verkündet am:
14.08.2008
BGH Bundesgerichtshof
Vorinstanzen:
9 T 872/06
Landgericht
Dortmund;
Rechtskräftig: unbekannt!
Beschluss - Mittellang
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 8. Januar 2007 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.240,47 € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Krankenversicherungsbeiträgen, Pflegeversicherungsbeiträgen, Arbeitslosengeld, Mahngebühren und Kosten in Höhe von insgesamt 1.240,47 €. Mit Schreiben vom 11. April 2006 beantragte sie beim Amtsgericht gemäß § 284 Abs. 8 AO die Anordnung von Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Zur Begründung führte sie aus, die Forderungen gegen den Schuldner seien vollstreckbar. Der Vollziehungsbeamte habe den Vollstreckungsschuldner wiederholt in seinen Wohn- und Geschäftsräumen nicht angetroffen, nachdem einmal die Vollstreckung mindestens zwei Wochen vorher angekündigt gewesen sei. Der Vollstreckungsschuldner sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin nicht erschienen.
Das Amtsgericht forderte die Gläubigerin auf, den Nachweis über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch Vorlage eines Pfändungsprotokolls zu führen und die Zustellungsurkunde der Terminsladung zu den Akten zu reichen. Dem kam die Gläubigerin nicht nach. Sie ist der Auffassung, das Amtsgericht habe nur zu prüfen, ob das Ersuchen formell ordnungsgemäß sei, ob ein Haftgrund vorliege und ob die Haft nicht aus besonderen Gründen ausgeschlossen oder unverhältnismäßig sei.
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter, gegen den Schuldner Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anzuordnen. Der Schuldner ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht vertreten gewesen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts für unbegründet erachtet und hat hierzu ausgeführt:
Das Amtsgericht habe den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zu Recht zurückgewiesen, weil es die Gläubigerin abgelehnt habe, die angeforderten Unterlagen vorzulegen. Der Amtsrichter, der gemäß § 284 Abs. 8 AO im Wege der Amtshilfe tätig werde, habe in eigener Zuständigkeit und Verantwortung über die Haftanordnung zu entscheiden.
Bei der Freiheitsentziehung handele es sich um einen so schwerwiegen-den Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen, dass das Grundgesetz in Art. 104 Abs. 2 GG die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Haft dem Richter anvertraut habe. Deshalb müsse sich der Richter vor einer derartigen Anordnung selbst davon überzeugen können, ob deren Voraussetzungen gegeben seien. Er habe daher umfassend zu prüfen, ob die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestehe und ein Haftgrund vorliege.
Die unbeschränkte Prüfungskompetenz folge auch aus dem Vergleich von § 284 Abs. 8 AO mit § 322 Abs. 3 AO. Während § 322 Abs. 3 AO für die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen bestimme, dass für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung die entsprechende Bestätigung der Vollstreckungsbehörde genüge, fehle eine solche Regelung für die Anordnung der Erzwingungshaft gemäß § 284 Abs. 8 AO.
Eine andere Beurteilung sei nicht deshalb geboten, weil das Bestehen der Verpflichtung zur eidesstattlichen Versicherung im Einspruchsverfahren überprüft werden könne. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Anordnung der Vollstreckungsbehörde wegen Ablaufs der Einspruchsfrist bestandskräftig werde, finde keine richterliche Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen statt. Der Vollstreckungsrichter müsse daher berechtigt sein, auch das Bestehen der Verpflichtung zur eidesstattlichen Versicherung zu prüfen.
Nicht zu beanstanden sei, dass das Amtsgericht das Vollstreckungsprotokoll und die Zustellungsurkunde der Terminsladung angefordert habe. Es sei dem Gericht überlassen, ob es sich weitgehend auf die substantiierten Angaben der Vollstreckungsbehörde verlassen wolle oder weitere Vollstreckungsunterlagen für erforderlich erachte.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat den Antrag auf Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu Recht zurückgewiesen.
a) Voraussetzung für die Anordnung von Erzwingungshaft nach § 284 Abs. 8 AO i.V. mit § 901 ZPO ist, dass der Vollstreckungsschuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist und ein Haftgrund vorliegt. Zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist der Vollstreckungsschuldner unter anderem dann verpflichtet, wenn der Vollziehungsbeamte den Vollstreckungsschuldner wiederholt in seinen Wohn- und Geschäftsräumen nicht angetroffen hat, nachdem er einmal die Vollstreckung mindestens zwei Wochen vorher angekündigt hat (§ 284 Abs. 1 Nr. 4 AO). Ein Haftgrund besteht unter anderem dann, wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin vor der Vollstreckungsbehörde nicht erschienen ist (§ 284 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AO).
b) Entgegen der Auffassung der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen, dass das Amtsgericht berechtigt und verpflichtet ist, eigenständig zu prüfen, ob der Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Ver-sicherung verpflichtet ist und ein Haftgrund besteht.
aa) Es ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, in welchem Umfang das Amtsgericht die Voraussetzungen der Erzwingungshaft nach § 284 Abs. 8 AO zu prüfen hat. Weitgehend Einigkeit besteht, dass das Gericht jedenfalls das Vorliegen eines Haftgrundes prüfen muss (so OLG Köln Rpfleger 2000, 461; LG Kassel DGVZ 1996, 27; LG Hamburg Rpfleger 1997, 173, 174; LG Dresden Rpfleger 1999, 501; LG Potsdam Rpfleger 2000, 558; LG Detmold Rpfleger 2001, 507; LG Braunschweig Rpfleger 2001, 506; LG Köln MDR 2004, 355; LG Stendal DGVZ 2003, 188; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 2002, § 284 AO Rdn. 98; Klein/ Brockmeyer, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 284 AO Rdn. 17; Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Stand August 2006, § 284 AO Rdn. 33; v. Wedelstädt/Lemaire, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 18. Aufl., § 284 AO Rdn. 25; MünchKomm.ZPO/Eickmann, 3. Aufl., § 901 Rdn. 4; Musielak/Voit, ZPO, 6. Aufl., § 901 Rdn. 7; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 901 Rdn. 4). Wie das Beschwerdegericht geht die wohl über-wiegende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum davon aus, dass das Amtsgericht darüber hinaus das Bestehen einer Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu prüfen hat (so OLG Köln Rpfleger 2000, 461 [anders noch OLG Köln OLG-Rep. 1993, 278]; LG Hamburg Rpfleger 1997, 173, 174; LG Dresden Rpfleger 1999, 501; LG Potsdam Rpfleger 2000, 558; LG Braunschweig Rpfleger 2001, 506; LG Köln MDR 2004, 355; LG Stendal DGVZ 2003, 188; Klein/Brockmeyer aaO § 284 AO Rdn. 17; Kruse in Tipke/Kruse aaO § 284 AO Rdn. 33; v. Wedelstädt/Lemaire aaO § 284 AO Rdn. 25; Musielak/Voit aaO § 901 Rdn. 7; a.A. LG Kassel DGVZ 1996, 27; LG Detmold Rpfleger 2001, 507; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler aaO § 284 AO Rdn. 99; MünchKomm.ZPO/Eickmann aaO § 901 Rdn. 4). Der Senat teilt diese Auffassung.
bb) Die Anordnung der Erzwingungshaft ist nach § 208 Abs. 8 AO i.V. mit § 901 ZPO dem Richter vorbehalten. Diese Regelung ist bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung so zu verstehen, dass das Amtsgericht das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für die Anordnung der Erzwingungshaft und damit auch das Bestehen der Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und das Vorliegen eines Haftgrundes zu überprüfen hat. Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG der Richter zu entscheiden. Diese Bestimmung regelt zwar nicht, unter welchen Voraussetzungen der Richter eine Freiheitsentziehung anordnen darf. Maßgeblich sind insoweit die einfachgesetzlichen Bestimmungen, die gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG das Nähere regeln. Das sind im Streitfall die § 208 AO, § 901 ZPO. Aus dem Sinn und Zweck des Richtervorbehalts folgt jedoch, dass die Einschaltung und die Entscheidung des Richters nicht nur eine Formsache sein, sondern gewährleisten soll, dass der unabhängige und neutrale Richter selbst umfassend prüft und entscheidet, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung gegeben sind (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 57, 346, 355 f.; 83, 24, 33).
Dieses Ergebnis wird - wovon das Beschwerdegericht zu Recht ausgegangen ist - durch einen Vergleich von § 284 Abs. 8 AO mit § 322 Abs. 3 AO bestätigt. Während § 322 Abs. 3 AO ausdrücklich bestimmt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen nicht der Beurteilung des Vollstreckungsgerichts unterliegt, ist die Prüfungskompetenz des Amtsgerichts im Verfahren der Anordnung von Erzwingungshaft nicht durch § 284 Abs. 8 AO eingeschränkt.
cc) Eine andere Beurteilung ist hinsichtlich der Überprüfung, ob die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung besteht, auch nicht deshalb geboten, weil die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ein - mit dem Einspruch nach § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO anfechtbarer - Verwaltungsakt ist (vgl. BFH BStBl II 1985, 197). Ein Verwaltungsakt entfaltet im Zivilprozess zwar grundsätzlich Tatbestandswirkung, so dass nicht nur der Erlass des Bescheids als solcher, sondern auch sein Ausspruch von den Zivilgerichten hinzunehmen und ihren Entscheidungen zugrunde zu legen ist (BGH, Urt. v. 19.10.2007 - V ZR 42/07 Tz. 17, juris m.w.N.). Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts, mit dem die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung angeordnet wird, kann das um Anordnung der Erzwingungshaft ersuchte Amtsgericht jedoch nicht an der nach Art. 104 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gebotenen eigenständigen Prüfung hindern, ob der Schuldner nach den Vorschriften der Abgabenordnung zur eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist. Offen bleiben kann, ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn über den Einspruch gegen die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch Urteil rechtskräftig entschieden wurde.
Entsprechendes gilt für die Prüfung, ob ein Haftgrund besteht. Selbst wenn der Antrag der Vollstreckungsbehörde an das zuständige Amtsgericht zur Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als Verwaltungsakt anzusehen wäre (so BFH BStBl II 1985, 197; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler aaO § 284 AO Rdn. 95; a.A. FG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 8.7.1999 - 1 U 112/99, juris; Klein/Brockmeyer aaO § 284 AO Rdn. 17; Kruse in Tipke/Kruse aaO § 284 AO Rdn. 32), wäre das Amtsgericht aus den dargelegten Gründen nicht an die Beurteilung der Vollstreckungsbehörde gebunden, dass ein Haftgrund vorliegt.
c) Das Amtsgericht hatte somit auch zu prüfen, ob der Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist, weil - wie die Gläubigerin behauptet hat - der Vollziehungsbeamte ihn wiederholt in seinen Wohn- und Geschäftsräumen nicht angetroffen hat, nachdem er einmal die Vollstreckung mindestens zwei Wochen vorher angekündigt hatte, und ob ein Haftgrund besteht, weil - wie die Gläubigerin weiter geltend gemacht hat - der Schuldner trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin nicht erschienen ist.
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Gericht von der Gläubigerin zum Nachweis dieser Voraussetzungen die Vorlage des Vollstreckungsprotokolls und der Zustellungsurkunde der Terminsladung verlangt hat. Die Gläubigerin macht ohne Erfolg geltend, es sei objektiv willkürlich, dass das Gericht damit nur für einen Teil der Haftvoraussetzungen Nachweise gefordert, sich für den anderen Teil aber augenscheinlich auf die substantiierten Angaben der Vollstreckungsbehörde verlassen habe. Dem Gericht ist es von Verfassungs wegen nicht vorgeschrieben, welche Beweismittel es für seine Überzeugungsbildung heranzuziehen hat. Es muss sich weder mit dem substantiierten Vortrag der Vollstreckungsbehörde begnügen noch sich sämtliche Unterlagen vorlegen lassen (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 57, 346, 357).
III. Danach ist die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Bornkamm Büscher Schaffert Kirchhoff Koch-----------------------------------------------------
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