Text des Beschlusses
XI ZB 4/07;
Verkündet am:
09.10.2007
BGH Bundesgerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt!
Beschluss - Mittellang
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Richter Dr. Joeres als Vorsitzenden und die Richter Dr. Müller, Dr. Ellenberger, Prof. Dr. Schmitt und Dr. Grüneberg am 9. Oktober 2007
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Dezember 2006 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Beschwerdewert: 54.850 €
Gründe:
I.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 28. Juli 2006, zugestellt am 3. August 2006, die Klage der Kläger gegen die beklagte Bank auf Rückabwicklung eines zur Finanzierung einer Immobilienfondsbeteiligung abgeschlossenen Darlehensvertrages abgewiesen. Am 6. September 2006 ist eine Berufungsschrift des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Kläger beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom 11. September 2006 haben sie erneut Berufung eingelegt und zugleich beantragt, ihnen gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiederein-setzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Ihr Prozessbevollmächtigter hat dazu unter Vorlage einer eigenen eidesstattlichen Versicherung im Wesentlichen ausgeführt: Er habe die Berufungsschrift bereits am 31. August 2006 in das beim Amtsgericht D. eingerichtete Fach für das Berufungsgericht eingelegt. Nach den Gepflogenheiten beim Amtsgericht D. werde dieses Fach, das insbesondere auch von Rechtsanwälten und deren Mitarbeitern genutzt werde, täglich geleert und die darin enthaltene Post von einem privaten Kurierdienst einmal täglich zum Berufungsgericht befördert. Weshalb sein Berufungsschriftsatz erst am 6. September 2006 zum Berufungsgericht gelangt sei, sei für ihn weder nachvollziehbar noch im Vorhinein erkennbar gewesen. Mit der Rechtsbeschwerde haben die Kläger ergänzend glaubhaft gemacht, dass sich der örtliche Anwaltverein an den Kosten des von der Justiz beauftragten privaten Kurierdienstes beteilige.
Mit Beschluss vom 11. Dezember 2006 hat das Berufungsgericht den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und seine Absicht mitgeteilt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger habe zur Einreichung der Berufungsschrift einen hierfür nicht eröffneten Weg gewählt. Das für das Berufungsgericht bei dem Amtsgericht D. eingerichtete Fach diene lediglich der Sammlung der für das Berufungsgericht bestimmten gerichtsinternen Post und sei nicht für gerichtsfremde Personen eröffnet. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2002 habe die Präsidentin des Berufungsgerichts die unentgeltliche Mitbenutzung des externen Kurierdienstes durch die Anwaltschaft untersagt. Aufgrund dessen sei der Prozessbevollmächtigte der Kläger ein vermeidbares Risiko eingegangen. Das Einlegen des Schriftsatzes in das Ausgangsfach könne auch nicht mit der Einreichung einer Berufungsschrift bei einem unzuständigen Gericht gleichgesetzt werden, weil die Sendung nicht an das unzuständige Amtsgericht adressiert gewesen sei und von vornherein nicht in den Geschäftsgang des Amtsgerichts gelangen sollte.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft. Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Rechts-beschwerde eingelegt werden (BGHZ 152, 195, 197 f.; BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150).
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Das Berufungsgericht hat den Klägern (aus den unten unter Ziffer 2 folgenden Gründen) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von überspannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Kläger nicht rechnen mussten (vgl. dazu BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227 f.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Berufung verspätet ist. Der Fall einer gemeinsamen Postannahmestelle lag hier nicht vor. Die Einreichung der an das zuständige Berufungsgericht adressierten Berufungsschrift in das behördeninterne Fach beim Amtsgericht D. ist einem Zugang beim Berufungsgericht nicht gleichzustellen, weil hierdurch das Berufungsgericht noch keine Verfügungsgewalt über das Schriftstück hatte, sondern diese beim Amtsgericht verblieb (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005, 3346, 3347; BGH, Urteile vom 25. Januar 1984 - IVb ZR 43/82, NJW 1984, 1237 und vom 21. Juni 1989 - VIII ZR 252/88, WM 1989, 1625, 1626). Dies wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht anders gesehen.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Berufungsschrift aber über das Amtsgericht D. durch einen privaten Kurierdienst an das Berufungsgericht befördern lassen.
aa) Bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes hat eine Partei bzw. ihr Prozessbevollmächtigter lediglich dafür zu sorgen, dass hierfür ein geeigneter und zuverlässiger Weg gewählt wird und dieser so rechtzeitig beschritten wird, dass das - mit vollständiger und richtiger Anschrift versehene und ggf. ausreichend frankierte - Schriftstück nach den organisatorischen und betrieblichen Eigenheiten der gewählten Beförderungsart bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht (vgl. BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; 2000, 2657, 2658). Diese Grundsätze gelten auch für die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes durch einen privaten Kurierdienst (vgl. BVerfG aaO). Der Schriftsatz muss dem Kurierdienst nicht persönlich ausgehändigt werden; vielmehr genügt es, wenn dieser rechtzeitig z.B. in ein gesondertes Fach im Anwaltszimmer eines Gerichts eingelegt wird (vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1005, 1006).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die von dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger einzuhaltenden Sorgfaltsanforderungen überspannt.
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Kläger war beim Amtsgericht D. ein besonderes Fach eingerichtet, in das die für das Berufungsgericht bestimmten Schriftsätze zum Zwecke der Weiterleitung durch einen privaten Kurierdienst eingelegt werden konnten und das auch von der Anwaltschaft benutzt werden durfte. Die Gerichtsverwaltung hat damit einen Botendienst eröffnet, den der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger nutzen und auf dessen Funktionsfähigkeit er ebenso vertrauen durfte wie auf die Dienste der Deutschen Post AG (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1983 - IVa ZB 10/83, JurBüro 1984, 52, 53). Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger - wie das Berufungsgericht meint - hiermit ein unnötiges zusätzliches Risiko eingegangen ist, ist nicht erkennbar; die diesbezüglichen Erwägungen des Berufungsgerichts erschöpfen sich in Mutmaßungen ohne konkreten Bezug.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Verfügung der Präsidentin des Berufungsgerichts vom 19. Dezember 2002 über die „Ablehnung der unentgeltlichen Mitbenutzung des externen Kurierdienstes durch die Anwaltschaft“. Denn die tatsächliche Handhabung beim Amtsgericht D. war eine andere. Ob dies darauf beruhte, dass sich - wie die Kläger vorgetragen haben - der örtliche Anwaltverein an der Finanzierung des von der Justiz beauftragten Kurierdienstes beteiligt und die Untersagungsverfügung daher gar nicht eingreift, kann dahinstehen. Entscheidend ist, ob die Kläger bzw. ihr Prozessbevollmächtigter, dem die Verfügung nach seinen Angaben nicht bekannt war, auf die zuverlässige und rechtzeitige Beförderung der Berufungsschrift vertrauen durften. Dies war der Fall. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Kläger wurde das Fach täglich geleert und die für das Berufungsgericht bestimmte Post täglich vom Kurierdienst dorthin befördert. Aufgrund dessen durften sie davon ausgehen, dass die Berufungsschrift bei regelmäßigem Betriebsablauf am 1. September 2006, spätestens aber am 4. September 2006 und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingehen würde. Weshalb das Schriftstück das Berufungsgericht gleichwohl nicht rechtzeitig erreicht hat, müssen die Kläger nicht darlegen, weil sie keine Kenntnis über die Organisationsstruktur und die konkreten Abläufe des in Anspruch genommenen Kurierdienstes haben und ihnen insoweit auch keine Erkundigungspflicht obliegt (vgl. BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; NJW-RR 2002, 1005, 1006).
Schließlich war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger auch nicht darauf beschränkt, die Berufungsschrift vom 31. August 2006 beim Berufungsgericht persönlich abzugeben oder per Telefax zu übermitteln. Dies folgt schon daraus, dass das Gesetz ein persönliches Überbringen der Rechtsmittelschrift nicht verlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1983 - IVa ZB 10/83, JurBüro 1984, 52, 53) und der gewählte Übermittlungsweg im Hinblick auf den erst zwei Arbeitstage nach Einlegung der Berufungsschrift in das Gerichtsfach bevorstehenden Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfG NJW 2000, 2657, 2658).
3. Den Klägern war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Joeres Müller Ellenberger Schmitt Grüneberg-----------------------------------------------------
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