Text des Urteils
III ZR 177/06;
Verkündet am:
21.06.2007
BGH Bundesgerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt!
Amtspflichten der Gemeinde bei Anbindung an kommunale Abwasserkanalisation - § 839 BGB iVm. Art. 34 GG ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht durch gemeindliche Satzung beschränkbar
Leitsatz des Gerichts:
BGB § 839 Ca, Fe; Verwaltungsrecht - Allgemeines (öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis)
a) Zu den Amtspflichten der Gemeinde bei der Anbindung des Hausanschlusses an die kommunale Abwasserkanalisation.
b) Die Haftung aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG kann ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht durch eine gemeindliche Satzung beschränkt werden (im Anschluss an BGHZ 61, 7).
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Kapsa, Dörr und Dr. Herrmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 5. Juli 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines 1995 sanierten Wohn- und Geschäftshauses in der P. -Straße in D. . Die im Erd- und Kellergeschoss befindlichen Räume hat er auf der Grundlage einer von der beklagten Stadt unter dem 19. Oktober 1995 erteilten Baugenehmigung zu einer gastronomischen Einrichtung ausgebaut. Der Einbau eines Fettabscheiders wurde dabei nicht verlangt; das Gesundheitsamt machte bei seiner Zustimmung zur Erteilung der Gaststättenerlaubnis in Übereinstimmung mit einer früheren Arbeitsanweisung des Bereichs Abwasser der ehemaligen W. GmbH D. vom März 1993 lediglich zur Bedingung, dass täglich nicht mehr als 50 Essenportionen hergestellt und ausgegeben werden dürften.
Im Bereich der rückwärtigen Hofentwässerung des Grundstücks traten infolge von Rückstauungen in der Hausanschlussleitung ab Frühjahr 1997 Überschwemmungen auf. Das Wasser gelangte über die Kellertreppe in die im Kellergeschoss gelegene Gaststätte.
Für seine auf insgesamt 34.044,67 € bezifferten Schäden macht der Kläger die Beklagte verantwortlich. Unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Privatgutachten hat er vorgetragen, der Mischwasserhauptsammler möge zwar bei seiner Errichtung vor etwa 100 Jahren ausreichend dimensioniert gewesen sein. Er könne aber nach dem Anschluss neuer Baugebiete seine Funktion jetzt nur noch ungenügend erfüllen, weil der Anschlusskanal zu niedrig in den Hauptkanal einbinde und die dort aufgrund der inzwischen hohen Trockenwetterbelastung mitgeführten Verunreinigungen in Form von Absetzungen und Einlagerungen den Anschlussbereich verschlössen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht, sachverständig beraten, begründet sein klageabweisendes Urteil wie folgt:
Die Beklagte hafte dem Kläger nicht aufgrund einer Schlechtleistung im öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis.
Dass die Dimensionierung der Anlage ausreichend sei und den DIN 1986 entspreche, ergebe sich aus den Feststellungen des Gerichtssachverständigen.
Ob sich aufgrund des Umstands, dass der tatsächliche Trockenwetterabfluss permanent über dem Einbindepunkt des Scheitels des Anschlusskanals liege und dies im Wesentlichen zu einem beständigen Rückstau im Anschlusskanal führe, eine Pflichtverletzung (Schlechtleistung) ergebe, könne dahingestellt bleiben.
Denn es fehle jedenfalls am Nachweis der Kausalität einer derartigen Pflichtwidrigkeit für den Überschwemmungsschaden.
Dasselbe gelte für einen Ersatzanspruch des Klägers nach Amtshaftungsgrundsätzen. Überdies wäre ein Schadensersatzanspruch - gleich ob nach den Grundsätzen der öffentlich-rechtlichen positiven Vertragsverletzung oder gemäß § 839 BGB - auch wegen der Freizeichnung der Beklagten in § 1, § 18 Abs. 1 und § 24 Abs. 3 ihrer Abwassersatzung ausgeschlossen.
Der sich aus den vorgenannten Satzungsnormen ergebende Haftungsausschluss sei wirksam.
Eine Haftung der Beklagten nach § 2 Abs. 1 HPflG erstrecke sich nicht auf Schäden, die ihren Grund darin hätten, dass in der Anlage ein Rückstau entstehe, der sich in dem Rohrsystem fortsetze und durch die Anlage in das Haus eintrete.
Mangels eines unmittelbaren Eingriffs sei ebenso wenig ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff begründet, soweit dieser nicht ohnehin durch das bis zum April 1998 anwendbare Staatshaftungsgesetz der ehemaligen DDR verdrängt werde. Ein auf dieses Gesetz gestützter Ersatzanspruch sei jedenfalls verjährt.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
1. Für die Entscheidung des Streitfalls ist derzeit ohne Bedeutung, ob eine Haftung der Beklagten aus dem zwischen den Parteien begründeten verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis hergeleitet werden könnte.
Allerdings ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass zwischen einer Gemeinde und dem einzelnen Anschlussnehmer der gemeindlichen Abwasserkanalisation ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis bestehen kann und dass dieses Schuldverhältnis geeignet ist, eine Schadensersatzpflicht der Gemeinde nach den Grundsätzen der §§ 275 ff. BGB zu begründen (BGHZ 54, 299, 302 ff.; 166, 268, 276 f. Rn. 17; Senatsurteil vom 14. Dezember 2006 - III ZR 303/05, NJW 2007, 1061, 1062 Rn. 9; siehe auch Senatsurteil vom 8. März 2007 - III ZR 55/06, Rn. 9).
Diese vertragsähnliche Haftung kann, wenn es durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist und es den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entspricht, durch Satzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden (Senatsurteil BGHZ 61, 7, 12 f.).
Solche Ausnahmevorschriften sind indessen eng auszulegen.
Der Senat hat deswegen in BGHZ 54 aaO S. 305 den satzungsmäßigen Haftungsausschluss für Rückstauschäden nicht auf einen durch eine schuldhaft fehlerhafte Erstellung der Anschlussleitung entstehenden Schaden bezogen. Ein erst durch den Anschluss neuer Baugebiete hervorgerufener Mangel wäre nicht anders zu beurteilen.
Ob nach diesen Maßstäben hier die in § 24 Abs. 3 der Entwässerungssatzungen der Beklagten bestimmte Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit eingreift, mag zweifelhaft sein, kann aber offen bleiben. Sie gilt, wie die Revision zu Recht rügt, jedenfalls nicht für den vom Berufungsgericht neben der Haftung aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis zutreffend geprüften konkurrierenden Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG (BGHZ 61 aaO S. 14 f.; Senatsurteil vom 7. Juli 1983 - III ZR 119/82, NJW 1984, 615, 617; MünchKomm/Papier, BGB, 4. Aufl., § 839 Rn. 339; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., S. 96, jeweils m.w.N.).
Insoweit fehlt es der Gemeinde an der notwendigen Regelungskompetenz.
Die in § 14 Abs. 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen vom 21. April 1993 (SächsGVBl. S. 301) - jetzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. März 2003 (SächsGVBl. S. 55) - enthaltene Ermächtigung, für bestimmte kommunale Einrichtungen durch Satzung einen Anschluss- und Benutzungszwang zu regeln, reicht hierfür nicht aus (vgl. BGHZ 61 aaO S. 15). Für eine auch die haftungsrechtlichen Folgen umfassende, weitergehende gesetzliche Ermächtigung ist nichts ersichtlich.
2. Das Berufungsgericht hat eine (schuldhafte) Amtspflichtverletzung auf Seiten der Beklagten unterstellt, weil nach seinen Feststellungen der tatsächliche Trockenwetterabfluss im Straßenkanal durchweg über dem Einbindepunkt des Scheitels der Anschlussleitung zum Haus des Klägers liegt und dies im Wesentlichen zu einem beständigen Rückstau im Hausanschluss mit einer Behinderung des Wasserabflusses führt.
Davon ist somit auch im Revisionsverfahren auszugehen.
Sollte ferner der Verzicht auf den durch § 18 Abs. 1 der Entwässerungssatzung - allerdings ohne Angaben von Bezugsgrößen - geforderten Fettabscheider in der Baugenehmigung der Beklagten sowie in der Gaststättenerlaubnis gemäß Schreiben des Gesundheitsamts vom 21. Dezember 1995 die konkrete Gefahr von Fettablagerungen und Verstopfungen im Anschlusskanal des Klägers mit sich gebracht haben, wie es der gerichtlich beauftragte Sachverständige festgestellt hat und auch die Beklagte in den Tatsacheninstanzen vortragen ließ, so wäre es außerdem amtspflichtwidrig gewesen, dass die - sachkundige - Beklagte den Kläger nicht über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt hat. Hieraus musste der Kläger - ungeachtet etwa verbleibender eigener Prüfungspflichten - den Eindruck gewinnen, ohne Überschreiten der festgesetzten Grenze von 50 Essenportionen täglich sei der Gaststättenbetrieb baurechtlich und entwässerungstechnisch unbedenklich. Infolgedessen traf die Beklagte bei einer trotzdem verbleibenden Verstopfungsgefahr eine entsprechende Hinweispflicht.
Da das Berufungsgericht auf diesen Punkt nicht eingegangen ist, muss der Senat zugunsten des Klägers auch insoweit eine der Beklagten anzulastende Pflichtwidrigkeit zugrunde legen.
3. Damit ist der die Klageabweisung weiter tragenden Erwägung in dem angefochtenen Urteil, es fehle jedenfalls am Nachweis der Kausalität zwischen einer möglichen Pflichtverletzung der Beklagten (bezogen auf eine unzulängliche Einbindung der Anschlussleitung in den Hauptkanal) und dem Überschwemmungsschaden, der Boden entzogen.
Die vom Berufungsgericht dabei geäußerten erheblichen Zweifel an einem ursächlichen Zusammenhang sollen sich in erster Linie aus den gutachtlichen Feststellungen des Gerichtssachverständigen W. ergeben. Dieser sei aufgrund seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht die zu niedrige Einbindung des Hausanschlusses in den Hauptkanal, sondern Fettablagerungen im Anschlusskanal Ursache der Verstopfungen gewesen seien. Eben diese Fettablagerungen könnten indes, wie erörtert, ihrerseits auf Amtspflichtverletzungen von Bediensteten der Beklagten zurückzuführen sein, sei es infolge von Mängeln in der Einbindung des Anschlusskanals, sei es aufgrund unterlassener warnender Hinweise an den Kläger bei der Erteilung der Baugenehmigung mit der Nutzungsänderung. Soweit das Berufungsgericht es in diesem Zusammenhang außerdem für ungereimt hält, dass der Kläger angesichts wiederkehrender Überschwemmungen den Kellerbereich habe neu fliesen lassen, ist nicht ersichtlich, welchen Rückschluss dies auf die nach objektiven Kriterien zu beantwortende Kausalitätsfrage zulassen sollte.
Im Übrigen beanstandet die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht sich nicht hinreichend mit den von dem gerichtlichen Sachverständigen W. abweichenden Feststellungen des Privatgutachters Dr. We. über die Ursachen der Verstopfungen auseinandergesetzt hat.
Das Berufungsgericht will zwar dessen allgemeine Fachkunde ausdrücklich nicht in Frage stellen, meint aber, der Privatsachverständige habe den fraglichen Kanal nicht besichtigt und könne auch aus eigener Anschauung keine Umstände nennen, aus denen sich ergäbe, ob Fettablagerungen vorgelegen hätten.
Dabei übersieht es, dass auch dem Gerichtssachverständigen W. nach Aktenlage keine besseren Erkenntnisse über die örtlichen Verhältnisse zur Verfügung gestanden hatten. Das selbst nicht sachkundige Berufungsgericht hätte deswegen zumindest den gerichtlichen Sachverständigen W. mit den Ergebnissen des vom Kläger eingereichten Privatgutachtens konfrontieren und eine weitere Stellungnahme des Gerichtssachverständigen herbeiführen oder erforderlichenfalls ein neues Gutachten einholen müssen. Dass es beides unterlassen hat, verletzt § 286 ZPO. Darauf, ob auch noch die von der Revision erhobenen weiteren Verfahrensrügen gegen sonstige tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts begründet sind, kommt es nicht mehr an.
III.
Aus diesen Gründen kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben.
Der Rechtsstreit ist weder ganz noch teilweise zur Endentscheidung reif, insbesondere steht gegenwärtig nicht fest, inwieweit die Beklagte nach Amtshaftungsgrundsätzen für die Schäden des Klägers einschließlich der hauptsächlich geltend gemachten Mietminderung verantwortlich ist. § 2 Abs. 1 HPflG greift im Streitfall deswegen nicht ein, weil das in den Keller des Hauses geflossene Niederschlagswasser wegen der Verstopfungen im Hausanschluss schon nicht in das Kanalsystem der Beklagten hineingelangt war und deshalb nicht "von" einer Rohrleitungsanlage ausgegangen ist (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 114, 380, 382 und 149, 206, 210 f. m.w.N.).
Infolgedessen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat sieht im jetzigen Verfahrensstadium keinen Anlass, auf die übrigen vom Berufungsgericht erörterten Anspruchsgrundlagen einzugehen.
Schlick Kapsa Dörr Herrmann Harsdorf-Gebhardt-----------------------------------------------------
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